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Titel: Wagenknecht hält wichtige Rede: „Sie haben nicht das Recht, Millionen Menschen ihren bescheidenen Wohlstand zu zerstören“

Datum: 9. September 2022 um 11:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Sahra Wagenknecht hat sich am Donnerstag im Bundestag an die Regierung gewandt: „Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.“ Die Reaktionen auf die wichtige Rede Wagenknechts von Teilen ihrer eigenen Partei und vonseiten der Regierungsparteien sind unterirdisch. Widersprechen muss man Wagenknecht in einem Punkt: Die Motivation der Regierung ist vermutlich nicht „Dummheit“, sondern deren Handeln erscheint zielgerichtet. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am Donnerstag hat die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht im Bundestag für die Fraktion der Linkspartei im Rahmen der Haushaltsdebatte zum Thema Wirtschaft und Energie gesprochen, wie Medien berichten. Sie eröffnete mit der Feststellung, dass sich in Deutschland „eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe“ anbahne. Millionen Menschen hätten Angst vor der Zukunft, vor explodierenden Lebenshaltungskosten, vor „Horrorabrechnungen“ und „immer mehr auch um ihren Arbeitsplatz“. Die hohen Energiepreise seien das „Ergebnis von Politik“. Wagenknecht kritisierte die „Rückgratlosigkeit“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber den „Krisenprofiteuren“ und nannte die Bundesregierung „die dümmste Regierung in Europa“.

Das größte Problem sei die „grandiose Idee“, einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“. Wenn die Bundesrepublik ein Industrieland bleiben wolle, brauche sie „leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie“. Wagenknecht forderte ein Ende der Sanktionen und Verhandlungen mit Russland über eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen. Den Krieg Russlands in der Ukraine nannte Wagenknecht ausdrücklich „ein Verbrechen“. Ein Video des wichtigen Auftritts findet sich am Ende dieses Textes.

Deutschland im „Hungerstreik“

Wagenknecht hat in dieser Rede zentrale Punkte thematisiert. Widersprechen muss man ihr aber bei der Aussage von der „dümmsten Regierung“ – meiner Meinung nach erscheint das gegen die Bürger gerichtete Handeln der Regierung zielgerichtet und ist nicht mit „Fehlern“ oder eben „Dummheit“ zu erklären.

Wichtig ist, dass Wagenknecht nicht (wie Teile ihrer Partei) bei ungenügender Detailkritik an den „Entlastungspaketen“ stehenbleibt, sondern mit der Sanktionspolitik die Ursache einer Krise benennt, die zu weiten Teilen durch die Regierungspolitik selber hervorgerufen wurde. Es gibt keine „höhere Gewalt“, die ein Fortschreiben dieser falschen Politik rechtfertigen könnte: Die Gleichung „Gegen die Sanktionen = Gegen die Ukraine“, ist eine ideologische Phrase, die einer näheren Betrachtung nicht standhält. Die Sanktionen haben keinen direkten Einfluss auf den Kriegsverlauf. Sie lindern nicht das schlimme Leid der ukrainischen Zivilisten. Bisher konnten sie auch Russland nicht „ruinieren“ – langfristig ist das nicht auszuschließen, aber wäre es denn wünschenswert?

Dagegen treffen die realen Folgen der Sanktionen die Bürger in Deutschland hart – die antirussische Sanktionspolitik ist damit auch ein Angriff auf die deutschen Bürger. Ein Leser hat diese westliche „Taktik“ kürzlich mit einem Hungerstreik verglichen: Drohung mit der Selbstbeschädigung.

Wer solche „Parteifreunde“ hat, braucht keine Feinde mehr

Die wütenden Reaktionen von Teilen der Linkspartei auf die Rede ihrer bekanntesten Vertreterin waren zu erwarten, das macht sie aber nicht besser. So haben sich laut Medien mehrere Linken-Politiker von Wagenknecht distanziert: Der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat forderte den Ausschluss Wagenknechts aus der Fraktion. Wagenknecht „spricht nicht für die Linke”, schrieb der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin auf Twitter. Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay twitterte, die Abschaffung sämtlicher Sanktionen zu fordern, sei nicht Position der Linken.

Kathrin Vogler twitterte: „Es gibt keinen ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘, sondern einen realen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in dem Energie zur Waffe geworden ist. Putin hat ein Gasembargo gegen Deutschland verhängt, nicht umgekehrt.“ Martina Renner twitterte ein Foto, auf dem eine mit der Aufschrift »Fuck Putin« besprühte Hauswand zu sehen ist, und schrieb dazu: „Weil einige offenbar vergessen, wer der Aggressor ist.“

Wer solche „Parteifreunde“ hat, braucht keine Feinde mehr.

Auch der frühere Parteichef Bernd Riexinger, der gemeinsam mit Katja Kipping die Partei an den Rand der politischen Bedeutungslosigkeit geführt hat, schrieb: „Es gibt keinen ‘Wirtschaftskrieg gegen Russland’. Russland führt Krieg gegen die Ukraine.” Als würden sich diese beiden Aussagen ausschließen: Die Frage ist doch, warum Deutschland plötzlich in radikaler Weise (und im Gegensatz zu früheren außenpolitischen Praktiken) mit einem selbstzerstörerischen Wirtschaftskrieg auf einen Krieg reagiert – und das, obwohl das Kriegsgeschehen davon nicht entscheidend beeinflusst wird. Riexinger könnte außerdem erklären, wie man eine aggressive westliche Sanktionspolitik denn anders als „Wirtschaftskrieg“ nennen soll, die unter Annalena Baerbocks Schlachtruf „Das wird Russland ruinieren“ die eigenen Bürger als Geiseln für ein moralisch-ideologisches Konstrukt nimmt.

Der SPD-Abgeordnete Frank Junge warf Wagenknecht vor, Argumente der AfD zu nutzen: „Das ist unisono genau das Gleiche, was die AfD hier auch verlauten lässt.“ Der Grünen-Abgeordnete Felix Banaszak nannte Wagenknecht „die oberste Kreml-Lobbyistin“. Und die „taz“ findet die Rede „verstörend“ und betont wie viele andere Kommentatoren, dass die AfD bei der Rede applaudierte, als würde dieser Beifall den Inhalt der Rede schwächen. Es gibt noch zahlreiche weitere Wortmeldungen in dieser Richtung aus dem regierungstreuen Lager.

Deutsche Wirtschaft: Bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten?

Weiter sagte Wagenknecht laut Medien in der Rede: Wenn Deutschland ein Industrieland bleiben wolle, brauche es die russischen Rohstoffe und auf absehbare Zeit auch noch russische Energie. Darüber müsse man mit Russland verhandeln. Wenn man die Energiepreise nicht stoppe, werde „die deutsche Wirtschaft bald nur noch eine Erinnerung an die guten, alten Zeiten sein“, betonte sie. Und weiter:

„Die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir Millionen Familien in Deutschland in die Armut stürzen und dass wir unsere Industrie zerstören, während Gazprom Rekordgewinne macht – wie bescheuert ist das denn?“

Hier folgt das Video von Wagenknechts wichtiger Rede im Bundestag am Donnerstag:

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Titelbild: Screenshot


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