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Titel: Erschütternde Explosionen – Und wie russische Medien reagieren

Datum: 19. Oktober 2022 um 11:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medien und Medienanalyse, Militäreinsätze/Kriege, Terrorismus
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Die Anschläge auf die Nordstream-Pipelines und die Krim-Brücke werden in Russland als kriegerische Eskalation wahrgenommen – in unterschiedlichem Maße. Hier ist eine Presseschau aus russischen Medien. Von Jan Menning.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 26.9. wurden drei der vier Nordstream-Pipelines durch Explosionen schwer beschädigt, und am 8.10. detonierte ein Sprengsatz auf der Brücke zwischen der Krim-Halbinsel und dem russischen Festland. Wenngleich beide Vorgänge in Russland einhellig als weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts betrachtet werden, zeigen die Reaktionen in den Medien deutlich, welchen unterschiedlichen emotionalen Stellenwert die Objekte haben. Während die Pipelines vor allem eine Diskussion ausgelöst haben, welcher ausländischen Macht eine solche Tat am ehesten zuzutrauen wäre und welche Folgen sie nach sich ziehen könnte, führte die Beschädigung der Brücke zu einem Aufschrei der Empörung in den sozialen Netzwerken und Medien.

Reaktionen auf die Pipeline-Anschläge

Am Tag nach den Pipeline-Anschlägen stellte die gemäßigte Tageszeitung „Kommersant“ zunächst fest, dass die Reaktion im Westen eher verhalten ausgefallen sei: „Nordstream ist geräuschlos versunken“, lautete die Überschrift. Zwei Tage später, am 29.9., zogen die Regierungszeitung „Rossiskaja Gaseta“ (RG) und die ebenfalls regierungsnahe „Komsomolskaja Prawda“ (KP) ihre Schlussfolgerungen über die mögliche Urheberschaft unter dem Titel „Wem nützen die Anschläge auf Nordstream?“. So zitiert die RG einen Experten, das Weiße Haus träume schon lange davon, das russische Pipeline-Gas aus Europa zu verdrängen und durch amerikanisches Flüssiggas zu ersetzen. Die KP erwähnt dies ebenfalls und zitiert in diesem Zusammenhang den Tweet des polnischen Europaabgeordneten Radoslaw Sikorski, der mit den Worten „Danke, USA!“ auf die Anschläge reagiert hatte. Aber auch die Ukraine und Polen werden als möglicher Täter ins Spiel gebracht, weil Nordstream ihnen den günstigen Status beim Gastransit streitig mache. „In beiden Ländern gibt es Kampftaucher, die in der Lage gewesen wären, den Sprengstoff anzubringen. Die Röhren liegen nicht allzu tief, etwa 70 Meter“, wird ein weiterer Experte zitiert.

In den sozialen Netzwerken wurden vor allem die USA als Hauptprofiteur und damit auch Hauptverdächtiger hervorgehoben. Neben dem Tweet von Sikorski wurde dabei immer wieder auf die Aussage von Joe Biden bei seinem Treffen mit Bundeskanzler Scholz im Februar dieses Jahres hingewiesen, man könne und werde die Öffnung von Nordstream 2 verhindern. Dmitrij Bavyrin von der Internetzeitung „Vzgljad“ erklärte jedoch in seinem Videoblog, entgegen der Meinungen in den Kommentaren zu seinen Videos sei er skeptisch, was eine mögliche Urheberschaft der USA betreffe. Sie würden damit ohne Not die Beziehungen zu ihren Verbündeten gefährden und in den amerikanischen Medien sei zudem eine gewisse Ratlosigkeit festzustellen. Wesentlich verdächtiger seien die gegen Russland gerichteten Beschuldigungen in der polnischen und britischen Presse, die möglicherweise die Aufmerksamkeit von der eigenen Täterschaft ablenken sollten. Sikorski selbst habe lange in Großbritannien gelebt und gearbeitet und besitze neben der polnischen auch die britische Staatsbürgerschaft.

Dass Russland der Beschädigung der eigenen Pipelines beschuldigt und von der Teilnahme an der Untersuchungskommission ausgeschlossen wurde, rief in den russischen Medien wenig Verwunderung hervor. Der Privatsender Ren.TV zog den Politologen Dmitrij Solonnikow heran, welcher sagte: „[Eine Untersuchung] gemeinsam mit Russland würde nicht das bestellte Ergebnis bringen. Russland würde nicht die gewünschten Dokumente unterschreiben und die Untersuchung in andere als die vorgegebenen Bahnen lenken.“ Maria Sacharowa, die Pressesprecherin des Außenministeriums, bezeichnete die Versuche, Russland von der Untersuchung fernzuhalten, als „Genreklassiker“. Der vergleichsweise gelassene Umgang mit dem Thema ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass die Pipelines zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung nicht genutzt wurden und ihre Wiederinbetriebnahme ohnehin fraglich war. Als Leidtragende werden vor allem Deutschland und die anderen Empfängerländer betrachtet. Dennoch gibt es durchaus die Wahrnehmung, dass hier eine Eskalation des Konflikts stattfindet. So wurde die Warnung laut, die von der EU angekündigte „robuste und geeinte Antwort“ auf derartige Anschläge könne sich auch gegen sie selber richten, wenn die Täter auf der Seite des Westens stünden. Und anlässlich der Beschädigung der polnischen Druzhba-Pipeline am 12.10. zitierte „Iswestija“ den serbischen Vize-Premierminister Zoran Mihailowitsch mit der Aussage, die Welt sei im „Energiekrieg“ und der Vorfall sei eine „Fortsetzung der Nordstream-Situation“.

Reaktionen auf den Anschlag auf die Krim-Brücke

Der Anschlag auf die Krim-Brücke hat wesentlich heftigere Reaktionen hervorgerufen. Der konservative, der orthodoxen Kirche nahestehende TV-Sender „Tsargrad“ strahlte schon wenige Stunden, nachdem er bekannt geworden war, eine mehrstündige Live-Sendung mit dem Titel „Wieder keine Reaktion: Verrät die politische Elite Russland trotz der Krim-Brücke?“ aus. „Rote Linien“ seien überschritten worden und sofortige militärische Maßnahmen müssten gegen die Ukraine ergriffen werden, hieß es. „RIA Novosti“ zitierte Olga Kowitidi, die Vertreterin der Krim im Föderationsrat, die Krim-Brücke sei derzeit „die bestbewachte Brücke der Welt“. Militärexperten hätten immer wieder behauptet, dieses wichtige strategische Objekt werde aus der Luft, vom Land und vom Wasser aus so gut geschützt, dass die ukrainischen Geheimdienste praktisch keine Chance hätten, es zu zerstören. Die Eröffnung der Brücke war 2018 von großem Medienaufwand begleitet worden und galt als infrastruktureller Abschluss des 2014 vorgenommenen Anschlusses der Krim. Laut „Kommersant“ haben seitdem 21 Millionen Fahrzeuge die Brücke passiert (darunter 3 Millionen Lkw), alleine 38.300 davon im August 2022. Seit Beginn der russischen Invasion im Februar hatten ukrainische Offizielle immer wieder Angriffe gegen die Brücke angekündigt, die russische Regierungsvertreter mit der Androhung von „Präzisionsschlägen gegen die Entscheidungszentren“ und gar dem „jüngsten Gericht“ als potenzielle Vergeltung beantworteten.

Auch in den sozialen Netzwerken war sowohl die Empörung über die Nachlässigkeit bei der Bewachung als auch die Erwartungshaltung groß, dass die ausgesprochenen Drohungen nun wahrgemacht werden müssten. „Sollen wir weiter Tränen vergießen oder knallt es endlich?“, war der Tenor. Oder: „Gestern Nordstream, heute die Krim-Brücke, was kommt morgen? Und wir äußern Besorgnis …“ „So eine Schande, und wir sagen nichts? Wir müssen die Brücken über den Dnepr, die Kraftwerke und die Eisenbahnlinien zerstören … Oder haben wir etwa keine Raketen?“ Viele zogen die offizielle Version in Zweifel, die Explosion eines Lastwagens haben den Schaden verursacht: „Womit haben sie die Brücke zerstört? Man sieht, dass da etwas vom Himmel kam“, hieß es beispielsweise in Anspielung auf ein Video vom Tathergang, das einen Raketenangriff zu zeigen schien. Doch das Fazit lautete bei den meisten: „Die Brücke wurde gesprengt, wie angekündigt. Womit, ist egal. Jetzt muss die angekündigte Antwort kommen.“

Der Journalist und Militärexperte Igor Korotschenko beschwerte sich: „Ich sage schon seit einem halben Jahr im Fernsehen und in den Zeitungen, dass Schläge gegen die kritische Infrastruktur der Ukraine nötig sind, auch gegen die Brücken. Bis jetzt haben wir das nicht getan. Warum nicht – bekommen wir dafür eine vernünftige Erklärung?“ Und der Kriegsberichterstatter Juri Kotjonok erklärte: „Es muss eine Antwort auf die Zerstörung der Brücke geben, und zwar eine vernichtende. Es geht dabei nicht um Rache, sondern um Strafe und die Fähigkeit, als Staat auf Terrorangriffe zu reagieren.“

Der Militärjournalist Roman Skomorochow veröffentlichte auf seiner Website „Militärrundschau“ eine ausführliche Kritik der Sicherheitsvorkehrungen auf der Krim-Brücke, in der er erklärte, bei vier Überquerungen nur einmal gründlich kontrolliert worden zu sein, und das sei vor der „speziellen Militäroperation“ gewesen. Ebenso wie später auch die offizielle Untersuchung kam er zum Schluss, die Explosion sei tatsächlich von dem bewussten Lkw ausgegangen, allerdings ohne dass der Fahrer davon gewusst habe. Er äußerte die Befürchtung, als Nächstes könnten russische Atomkraftwerke getroffen werden und fragte: „Was ist jetzt von unseren Entscheidungszentren zu erwarten? Ziehen wir weitere ‚rote Linien‘, damit die Ukraine sie prompt überschreitet?“ Zur Wahl der möglichen Waffen erklärte er: „Reden wir nicht über den Einsatz von Atomwaffen. Atomwaffen sind für Schwächlinge. Die Ukraine hat keine und kommt sehr gut ohne sie aus. Auch ohne Superpanzer, moderne Flugzeuge und großartige Flugabwehrsysteme. Und bei uns heißt es jeden Tag, wir sollten endlich Atomwaffen einsetzen.“ Er schloss mit den Worten: „Hoffentlich kommt die Ohrfeige, die wir an der Krim-Brücke bekommen haben, im Kreml an und sie beschließen, nicht nur ein bisschen, sondern richtig zuzuschlagen.“ Offenbar war dies der Fall, denn noch am Tag des Anschlags wurde eine Sitzung des Sicherheitsrates einberufen, der mehrtägige Angriffe gegen die ukrainische Infrastruktur folgten.

Titelbild: Alexsey t17 / Shutterstock


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