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Titel: Ehemaliger US-Botschafter in Moskau: Der Krieg hätte verhindert werden können, wenn Ukraine Minsk II umgesetzt hätte

Datum: 19. Oktober 2022 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege
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Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in der Sowjetunion und Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der USA, hat in einem bemerkenswerten Beitrag für die US-Denkfabrik „Institute for Responsible Statecraft“ die US-Regierung aufgefordert, alles zu tun, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen, und zudem erklärt, dass der Ukraine-Krieg „wahrscheinlich“ hätte verhindert werden können, wenn Kiew das Minsker Abkommen, insbesondere den Autonomie-Status für den Donbas, umgesetzt und auf NATO-Ausbilder verzichtet hätte. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Der Krieg hätte verhindert werden können – wahrscheinlich hätte er verhindert werden können -, wenn die Ukraine bereit gewesen wäre, sich an das Minsker Abkommen zu halten, den Donbas als autonome Einheit innerhalb der Ukraine anzuerkennen, auf NATO-Militärberater zu verzichten und sich zu verpflichten, nicht der NATO beizutreten. Doch was noch im Januar 2022 möglich war, ist jetzt vermutlich nicht mehr möglich. Die russische Annexion weiterer Gebiete erhöht den Einsatz. Doch je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird es sein, die völlige Zerstörung der Ukraine zu verhindern.“

So die Einschätzung eines der Granden der US-amerikanischen Außenpolitik. Matlock war als US-Botschafter von 1987 bis 1991 in Moskau tätig und in dieser Funktion direkt beteiligt an den Verhandlungen zum Ende des Kalten Krieges. Zuvor war er unter Ronald Reagan innerhalb des Nationalen Sicherheitsrates der USA dafür verantwortlich, eine Verhandlungsstrategie zur Beendigung des Wettrüstens zu entwickeln. Nach 1991 galt Matlock als einer der prominentesten Kritiker der NATO-Osterweiterung. Er argumentierte, unter anderem auch im US-Senat, dass, wenn man langfristig Frieden in Europa wolle, „dann sollten Russland, die Ukraine und die Länder Ost- und Westeuropas in einer einzigen Sicherheitsgemeinschaft sein“.

In einem Interview mit der taz erklärte der ehemalige US-Botschafter nach dem Umsturz 2014 in der Ukraine, dass die USA im Zweifel genauso gehandelt hätten wir die Russische Föderation:

„Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. Wir würden uns auch nicht auf abstrakte Prinzipien von internationalem Recht beschränken lassen. Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes Land, das die Macht dazu hat, würde das tun. (…) Putin handelt so, wie jeder russische politische Verantwortliche unter diesen Umständen handeln würde. Der Umsturz in Kiew im vergangenen Februar hat Leute in den Sicherheitsapparat gebracht, die vehement antirussisch sind und die politisch so weit rechts stehen, dass man sie ohne Übertreibung Neonazis nennen kann. Die gewaltsame Übernahme von Regierungsgebäuden hat im Westen der Ukraine begonnen. Nicht im Osten.“

Ukraine wie Russland mit unmöglichen Zielsetzungen

In seinem aktuellen Beitrag unter dem Titel „Warum die USA auf einen Waffenstillstand in der Ukraine drängen müssen“ kritisiert der US-Spitzendiplomat die verhärteten Positionen auf beiden Seiten:

„Die Führer sowohl Russlands als auch der Ukraine haben sich unmögliche Ziele gesetzt. In der Tat hat sich kein einziger der am Krieg in der Ukraine Beteiligten ein Ziel gesetzt, das den Frieden in der Region wiederherstellen könnte.“

Er nennt dann vier Ereignisse, die den Krieg in der Ukraine „auf einen deutlich gefährlicheren Kurs“ gebracht haben:

  1. Die russische Annexion von vier weiteren ukrainischen Provinzen blockiere Kompromisslösungen, die zuvor machbar waren;
  2. Die Anschläge und weitgehende Zerstörung der beiden North-Stream-Pipelines machen es kurzfristig unmöglich, Russland wieder als Hauptenergielieferanten für Deutschland zu etablieren, selbst wenn der Krieg in der Ukraine wie durch ein Wunder beendet werden sollte;
  3. Der ukrainische Angriff auf die Krim-Brücke lieferte Russland einen Vorwand, um die Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine zu verstärken;
  4. Die russischen Vergeltungsangriffe auf zivile Ziele werden der Ukraine mit Sicherheit mehr Schaden zufügen als diejenigen, die Ukraine Russland zufügen kann.

Laut Matlock „hätte dies nicht passieren müssen“ und er verweist dann auf die Rolle der USA bei der NATO-Osterweiterung:

„Als der Kalte Krieg endete (durch Verhandlungen, nicht durch einen Sieg) und die UdSSR in 15 getrennte Staaten zerfiel (aufgrund des Drucks von innen, nicht von außen), war Europa plötzlich ganz und frei – das Ziel der Politik der USA und der NATO während des Kalten Krieges. Um die künftige Stabilität und den Wohlstand Europas zu gewährleisten, bestand die Hauptaufgabe darin, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das alle europäischen Länder umfasst.

Doch eine Reihe amerikanischer Präsidenten, von Clinton bis Trump, entschied sich stattdessen für die Erweiterung der NATO, die Aufkündigung der Rüstungskontrollverträge, die den Kalten Krieg beendeten, und die Einbeziehung ehemaliger Sowjetrepubliken in ein Militärbündnis, das Russland ausschloss.“

Der US-Spitzendiplomat warnt dann in Folge vor einem zunehmendem „Widerstand gegen die US-Dominanz“, da immer mehr Länder auch in Europa unter den von den USA forcierten Sanktionen leiden werden, und betont:

„Was alle Konfliktparteien in der Ukraine zu vergessen scheinen, ist, dass die Zukunft der Menschheit nicht davon abhängt, wo die internationalen Grenzen gezogen werden – diese waren in der Geschichte noch nie statisch und werden sich zweifellos auch weiterhin von Zeit zu Zeit ändern. Die Zukunft der Menschheit wird davon bestimmt, ob die Nationen lernen, ihre Differenzen friedlich beizulegen.“

Welche Chancen für einen Waffenstillstand?

Matlock führt dann seine Überlegungen zu den Möglichkeiten eines Waffenstillstands aus:

„Der einzige praktische Weg, die Kämpfe zu beenden, wäre die Vereinbarung eines Waffenstillstands. Dies ist für die Ukrainer schwierig, da sie einen Teil der besetzten Gebiete befreien, aber die Realität ist, dass Russland, wenn der Krieg weitergeht, in der Lage ist, der Ukraine mehr zu schaden, als die Ukraine Russland schaden kann, ohne einen größeren Krieg zu riskieren.

Als wichtigster Waffenlieferant der Ukraine sollten die USA die Ukrainer ermutigen, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Als Verfechter der schärfsten Sanktionen gegen Russland sollten die USA ihren Einfluss nutzen, um Russland dazu zu bewegen, während eines Waffenstillstands in echte Verhandlungen einzutreten.

Um erfolgreich zu sein, müssen die Verhandlungen unter vier Augen geführt werden, was eine Wiederbelebung der amerikanisch-russischen Diplomatie erfordern würde. In den letzten Jahren haben beide Länder durch die gegenseitigen Ausweisungen ihre diplomatischen Vertretungen auf ein Minimum reduziert. Doch wenn der Wille zum Gespräch und zur Verhandlung vorhanden ist, können Wege gefunden werden. Bislang scheint es an diesem Willen zu fehlen.“

Der US-Spitzendiplomat endet mit einer grundsätzlich pessimistischen Einschätzung, wenn nicht bald der Weg der Verhandlungen genommen wird:

„Die Welt steuert auf ein Ergebnis zu, bei dem wir alle Verlierer sind.“

Titelbild: shutterstock / Ivan Marc


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