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Titel: Das 29. Treffen des Ministerrates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) – ein weiterer Schritt in die Bedeutungslosigkeit

Datum: 7. Dezember 2022 um 9:02 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Europapolitik, Militäreinsätze/Kriege, Parteien und Verbände
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Anfang Dezember 2022 fand im polnischen Lodz das 29. Treffen des Ministerrates der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) statt. Polen, das 2022 turnusgemäß die Präsidentschaft innehat, verweigerte der russischen Delegation die erforderlichen Visa, sodass Außenminister Lawrow und sein Team an der Zusammenkunft nicht teilnehmen konnten. Weil sich die teilnehmenden Staaten nicht einigen konnten, wurde auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verzichtet. Von Jürgen Hübschen.

Die OSZE

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation. Sie verfügt über vier beschlussfassende Gremien, die auf verschiedenen politischen Ebenen zusammenkommen: Der Ministerrat tagt jährlich in dem Land, das aktuell den Vorsitz innehat. Der Ständige Rat besteht aus den Ständigen Vertretern (Botschafterinnen und Botschaftern) bei der OSZE und tagt wöchentlich. Eine Sonderrolle nimmt das wöchentliche Forum für Sicherheitskooperation mit eigener Beschlusskompetenz in politisch-militärischen Fragen ein. Das letzte Treffen der Staats- und Regierungschefs fand 2010 in Astana statt.

In den Gremien sind alle 57 Teilnehmerstaaten gleichberechtigt. Der amtierende Vorsitz (2022: Polen) trägt die Verantwortung für exekutive Maßnahmen. Unterstützung leisten der vorherige (2021: Schweden) und der folgende Vorsitz (2023: Nord Mazedonien), die zusammen mit dem amtierenden Vorsitz die sogenannte Troika bilden. Die Vorsitzreihenfolge ist nicht festgelegt. Die Generalsekretärin der OSZE (seit Dezember 2020 Helga Maria Schmid, Deutschland) unterstützt den Vorsitz und leitet das OSZE-Sekretariat.

Mitgliedsstaaten

Albanien Georgien Litauen Portugal Türkei
Andorra Griechenland Luxemburg Rumänien Turkmenistan
Armenien Großbritannien Malta Russland Ukraine
Aserbaidschan Irland Mazedonien San Marino Ungarn
Belgien Island Moldawien Schweden USA
Bosnien-Herz. Italien Monaco Schweiz Usbekistan
Bulgarien Kanada Mongolei Serbien Vatikanstadt
Dänemark Kasachstan Montenegro Slowakei Weißrussland
Deutschland Kirgistan Niederlande Slowenien Zypern
Estland Kroatien Norwegen Spanien  
Finnland Lettland Österreich Tadschikistan  
Frankreich Liechtenstein Polen Tschechien

Ablauf des Treffens und wesentliche Statements

Über das Treffen wurde in den „Leitmedien“ nicht im Detail berichtet, sodass nur wenige Stellungnahmen der teilnehmenden Staaten veröffentlicht wurden. Das Treffen wurde von Polens Außenminister Zbigniew Rau eröffnet, da sein Land aktuell den Vorsitz innehat. Der Krieg in der Ukraine war das beherrschende Thema des Treffens. Die Generalsekretärin der OSZE, Helga Schmid, stellte dazu fest, dass er „verheerende Auswirkungen“ für die Organisation habe und warf Russland „Verrat“ an den Prinzipien der OSZE vor.

Die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung, die Schwedin Margareta Cederfeld

Die Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung, die Schwedin Margareta Cederfeld schloss sich dieser Einschätzung an, indem sie u.a. sagte, „es sei noch nicht klar, wieviel Schaden die OSZE noch aushalten könne, bevor sie zerbröselt.“ Gleichzeitig stellte sie fest :„Wie sehr wir auch unterschiedliche Meinungen an diesem Tisch haben mögen, ich bin überzeugt, dass niemand sich ein Ende der OSZE wünscht.“

Dann ging sie sofort auf den Krieg in der Ukraine ein und erklärte: „Jetzt ist es an der Zeit, die OSZE zu unterstützen und der Ukraine beizustehen.“ Russland warf sie eine massive Verletzung der Schlussakte von Helsinki vor und sagte: „Russland hat den Krieg begonnen und muss dafür bezahlen.“

Der Spanier Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik

Der Spanier Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, erinnerte an die Schlussakte von Helsinki und erklärte: 1975 haben unsere Vorgänger die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet und waren sich über folgende Prinzipien einig: Verzicht auf militärische Gewalt, Anerkennung von Souveränität und staatliche Integrität, und Schutz von Menschenrechten und Freizügigkeit.“

Er fügte hinzu, dass Russland mit seinem Krieg in der Ukraine nicht nur gegen die Prinzipien der OSZE verstoßen habe, sondern auch gegen die Charta von Paris und die der Vereinten Nationen. Weiter sagte er, dass Russland durch seinen Angriffskrieg die Sicherheit Europas zerstört habe. („Russia’s war of aggression has effectively destroyed the security in Europe.“)

In diesem Zusammenhang warf Borrell Russland vor, Ossetien, Abchasien und Transnistrien zu destabilisieren. Er unterstrich die Verpflichtung der Europäischen Union für die territoriale Integrität, die Sicherheit und den Frieden der Ukraine und machte deutlich, welche Unterstützung die EU der Ukraine bislang geleistet habe und in 2023 noch leisten werde. Mit Blick auf Weißrussland forderte er Präsident Lukaschenko auf, alle politischen Gefangenen freizulassen und freie Wahlen zu ermöglichen.

Kirgisien und Kasachstan

Bei den bekannt gewordenen Statements der teilnehmenden osteuropäischen/asiatischen Staaten fiel auf, dass der Krieg in der Ukraine vielfach gar nicht erwähnt wurde, z.B. in der Erklärung des stellvertretenden Außenministers von Kirgisien, Aibek Moldogaziew, oder des stellvertretenden Premierministers und Außenministers von Kasachstan, Mukhtar Tileuberdi. Dieser wies allgemein auf die komplexen geopolitischen Verhältnisse hin und erklärte bildlich, dass die Länder Straßen und Brücken bauen sollten statt Wällen und Gräben.

Aserbaidschan

Der Außenminister von Aserbaidschan, Jeyhun Bayramov, verzichtete auf eine Erklärung zum Ukraine-Krieg, sondern nutzte stattdessen die Gelegenheit, Armeniens aggressive Haltung gegenüber Aserbaidschan zu verurteilen.

Serbien

Der serbische Außenminister, Ivica Dacic, stellte Sinn und Zweck der OSZE infrage, indem er sagte:

„Ich denke, dass wir langsam an den Punkt kommen, ob eine Organisation noch Sinn macht, in der keine Entscheidung verbindlich ist beziehungsweise wegen der erforderlichen Einstimmigkeit überhaupt keine Entscheidungen getroffen werden.“

Dann macht er einen Schwenk zum Thema Serbien und Kosovo und bezeichnet es als „Doppelstandard“, wenn man dem Kosovo, den er als integralen Teil Serbiens bezeichnet, die Eigenständigkeit zugestehe, Donezk und Krim aber nicht, weil das gegen die territoriale Integrität der Ukraine verstoße.

Weißrussland

Für den am 26. November plötzlich verstorbenen weißrussischen Außenminister Makei las der Ständige Vertreter Weißrusslands bei der OSZE dessen Statement vor. Er verglich die aktuelle Situation in Europa mit einem brennenden Haus und sagte, dieses Haus brenne nicht seit Februar dieses Jahres, sondern kokele seit Jahrzehnten und alle seien dafür verantwortlich, dieses Feuer zu löschen. Dass das nicht passiere, sei der Grund, warum die OSZE als politisches Forum für Dialog und gegenseitigen Respekt kaum noch atme. Viele Mitglieder der Organisation seien der Meinung, man könne das Feuer ganz einfach löschen, indem man die Schuldigen identifiziere, dann dämonisiere, isoliere und bestrafe. Das sei eine kurze Beschreibung der Haltung des Westens gegenüber Russland und Weißrussland.

Als Beispiel für diese Haltung führte er aus, dass der russische Außenminister von diesem Treffen ausgeschlossen wurde, ebenso wie der Sekretär der Collective Security Treaty Organization (CSTO) als Beobachter des Meetings. Diese Praxis sei ein Zeichen von Angst und Schwäche vor alternativen Standpunkten. Auf diese Weise sei der Ministerrat zu einem Forum für Propaganda geworden, aber die traurige Wahrheit sei, dass Propaganda kein Vertrauen wiederherstellen oder neue Brücken der Verständigung bauen könne, um Zwietracht und Animositäten in Europa zu beseitigen. Das könne nur Diplomatie.

Weißrussland glaubt, Europa könne noch zurück vor dem Abgrund einer drohenden globalen militärischen Katastrophe. Man könne das Feuer eines Krieges in Europa stoppen. Dazu müsse man die Vorstellung und Praxis von politischer, sozialer und kultureller Überlegenheit aufgeben und außerdem die Welt um uns herum in all ihrer Komplexität und Unterschiedlichkeit mit Ernsthaftigkeit akzeptieren. Und er schloss sein Statement mit einem Appell:

Lassen Sie uns endlich die Diplomaten für die friedliche Zukunft unseres Kontinents einsetzen.“

Russland

Unabhängig von der Pressekonferenz, die der russische Außenminister Lawrow praktisch parallel zum Treffen des Ministerrates in Moskau gegeben hat, gab der Ständige Vertreter Russlands bei der OSZE, Alexander Lukashevich, eine konziliantere Erklärung auf dem Treffen ab, indem er sagte, dass Russland bereit sei, die Zusammenarbeit mit der OSZE wieder aufzunehmen, falls die „russophobe Hysterie“ („Russophobic hysteria“) beendet würde. (Russland blockiert aktuell durch sein Veto den Haushalt der OSZE.) Trotz der aktuellen Probleme glaube Russland an eine Zukunft der OSZE. Die Organisation habe immer noch eine Verpflichtung als Plattform für ebenbürtigen und gegenseitigen Dialog und Zusammenarbeit. Dafür müsse eine neue Basis geschaffen werden, nachdem frühere Ansätze sich selbst diskreditiert hätten.

USA

In Vertretung des US-amerikanischen Außenministers Blinken, der wegen des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Washington geblieben war, nahm „Under Secretary of State for Political Affairs“ Victoria Nuland an dem Treffen teil. Sie nahm Bezug auf das Statement des weißrussischen Vertreters und erklärte, dass es einen klaren Weg gebe, das angesprochene Feuer zu löschen, und zwar dadurch, dass Russland seinen bösartigen Krieg gegen die Ukraine beende, seine militärischen Angriffe und auch die bösartigen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, und Weißrussland aufhöre, als Plattform für derartige Angriffe zu agieren. („With due respect to our Belarusian colleague, there is a very clear way to stop this fire, to stop it today, and that is for Russia to stop its vicious war against Ukraine, its military attacks, but also now its vicious attacks on civilians, and for Belarus to cease to be an enabling platform for those vicious attacks.“)

Trotz all des Horrors in diesem Jahr seien Amerikaner Optimisten, und sie werde Lodz optimistischer verlassen als bei ihrer Ankunft, weil Putin damit gescheitert sei, die Ukraine und auch die OSZE zu zerbrechen. Im Gegenteil, diese Organisation habe, wie auch die UN, Nein gesagt zu Moskaus Bestrebungen, sie zu spalten, zu paralysieren und zu zerstören. Nach ihrer Erstarrung in den vergangenen Jahren sei die Organisation unter der Führung von Außenminister Rau und Generalsekretärin Schmid stärker, flexibler und auch widerstandsfähiger geworden. Es wären neue Methoden geschaffen worden, die gemeinsamen Werte zu verteidigen wie Sicherheit, demokratische Institutionen und auch die Menschenrechte, besonders auch durch neue Aktivitäten in der Ukraine und das Unterstützungsprogramm für das Land. Bezugnehmend auf die Stellungnahmen der verschiedenen Staaten erklärte die US-Vertreterin:

„Diese Organisation ist sich einiger als je zuvor, weil wir verstanden haben, wie zerbrechlich Werte und Institutionen sind, für die wir so lange gearbeitet haben und wie sehr wir sicherstellen müssen, dass wir diese schützen und verteidigen müssen und eine Organisation benötigen, die das für ihre Bürger sicherstellt.“

Deutschland

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock begann ihr Statement mit sehr persönlichen Worten gegenüber dem polnischen Außenminister Rau und der Generalsekretärin Helga Schmid, indem sie sagte:

„Dieses Vorsitzjahr war mehr als schwer – aber es war auch noch nie so notwendig. Die Ukraine, Euer Nachbarland, lieber Zbigniew Rau, wurde am 24. Februar überfallen. Seitdem erleben wir in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg, nicht nur auf die Infrastruktur, sondern gezielt auf die Zivilbevölkerung.

Mehr als 15 Millionen Menschen sind bis heute aus der Ukraine geflohen, die Mehrheit nach oder durch Polen. Und das Drehbuch ist klar: Es geht um die Zerstörung der Ukraine als unabhängiger Staat. Aber es geht auch um die Zerstörung der europäischen Friedensordnung, des internationalen Rechts und dieser unserer gemeinsamen Organisation, der OSZE. In dieser Lage hast Du, lieber Zbigniew Rau, hast Du, liebe Helga Schmid, die OSZE geführt – als Inbegriff von kooperativer, wertebasierter Sicherheit. Ihr habt die Verpflichtungen aus Helsinki und Paris verteidigt, unsere Werte hoch- und das Leid der Menschen in der Ukraine im Fokus gehalten. Dafür bin ich als deutsche Außenministerin, dafür ist mein Land, dafür sind alle hier im Raum Euch sehr dankbar.“

Im weiteren Verlauf ihres Statements sagte Frau Baerbock:

„Wir haben uns entschieden – bei all unserer Unterschiedlichkeit – uns auf das zurückzubesinnen, was für diese Organisation und die Menschen in unserem gemeinsamen Europa am wichtigsten ist. Und das sind der Frieden, die Freiheit und die Menschenrechte. …Ein Staatspräsident mit seiner Regierung hat sich entschieden, Europa in Feuer und Flammen zu legen. Und es ist an diesem einen Mann, es ist an dieser einen Regierung, dieses brutale Feuer, den Angriff auf unsere gemeinsame Ordnung, endlich einzustellen…Wir haben uns gemeinsam dafür entschieden – obwohl wir gerade unsere Freiheit und unseren Frieden verteidigen müssen – andere Länder, andere Regionen nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn es ist jetzt wichtig, dass unsere Arbeit gerade in Zentralasien verstärkt weitergeführt wird, dass die regionale Kooperation mit der OSZE dort ausgebaut wird – mit Blick auf Grenzsicherheit, die Bekämpfung von Drogen- und Waffenhandel und die Eindämmung der Klimakrise. Daher gilt es umso mehr, diese Arbeit gemeinsam auszubauen, weil wir erleben, dass Destabilisierung auch auf andere Regionen übergreift. …Ich möchte abschließend eine Frau zitieren, die eine der stärksten Freiheitskämpferinnen in unserem gemeinsamen Europa ist.

Maria Kalesnikova hat gesagt: „Freedom is worth fighting for“ – und deshalb kämpfen wir in der OSZE gemeinsam für Frieden.“

Mongolei

Die Mongolei ist das jüngste Mitglied der OSZE. Ihr Außenminister Battsetseg Batmunkh gab der Zufriedenheit seines Landes Ausdruck, die Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedsstaaten weiterzuentwickeln. Er sprach besonders die wirtschaftlichen Aspekte an, nannte als gemeinsame Aufgabenbereiche aber auch Umwelt, Klimawandel, Kampf gegen die Korruption und Cyber-Sicherheit. Zum Krieg in der Ukraine nahm er keine Stellung.

Schweiz

Das einzige Land, das konkret Bezug nahm, wie man die aktuellen Probleme lösen könnte, war die Schweiz im Rahmen des von ihr entwickelten Aktionsplans. Sie wurde repräsentiert durch ihre Außenministerin Livia Leu. Sie wies auf eine in den vergangenen Jahren ständig zunehmende Vertrauenskrise zwischen den Mitgliedsstaaten hin und machte besonders den russischen Angriffskrieg in der Ukraine für die Verhinderung gemeinsamer Lösungen verantwortlich. Trotzdem bliebe die OSZE relevant und deshalb werde die Schweiz die Organisation als ein wichtiges Instrument für die Verhütung und Lösung von Konflikten in Europa weiterhin unterstützen. Wörtlich sagte Frau Leu: „Die Schweiz ist zuversichtlich, dass die OSZE auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen wird als ein regionaler Sicherheitsakteur und wertvolle Dialog-Plattform.“

Sie betrachte die OSZE als einzige regionale Sicherheitsorganisation, die Ost und West zusammenbringe und auch in Zukunft eine führende Rolle im Krisenmanagement in Europa übernehmen werde. Die Schweiz habe im Januar 2022 einen Aktionsplan ins Leben gerufen, der relevant bliebe und unter dem Aspekt des Ukrainekriegs angepasst wurde. Als Beispiele nannte Frau Leu Experten-Teams für sogenannte „fact-finding missions“, um Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu untersuchen. Frau Leu begrüßte das Unterstützungsprogramm für die Ukraine, das eine weitere Präsenz der OSZE in dem Land ermögliche.

Ukraine

Besonders umfassend wurde über das Statement des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba berichtet, das sich erwartungsgemäß ausschließlich mit Russland beschäftigte. Kuleba bezeichnete den Krieg als „Russlands völkermörderischer Angriffskrieg gegen die Ukraine“ und appellierte an die Teilnehmer des Treffens, dies als „Genozid“ zu bezeichnen. Kuleba wörtlich:

„Daher rufe ich die Teilnehmerstaaten auf, dieses Verbrechen als Völkermord anzuerkennen“.

Weiterhin ergänzte er, dass die OSZE für einen dauerhaften Frieden einen Sieg der Ukraine und die Wiederherstellung ihrer international anerkannten Grenzen benötige. Dann führte er den 10-Punkte-Plan von Präsident Selensky aus:

  • radioaktive und nukleare Sicherheit;
  • Ernährungssicherheit;
  • Energiesicherheit;
  • Freilassung aller Gefangenen und Verschleppten;
  • Implementierung der Umsetzung der Charta der Vereinten Nationen und Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine;
  • Abzug aller russischen Truppen und Einstellung aller Feindseligkeiten;
  • Wiederherstellung der Rechtsordnung;
  • Beseitigung der Umweltzerstörung;
  • Verhütung von Eskalation;
  • Versicherung des Kriegsendes (Confirmation of the end of the war).

Weil der russische Krieg weitreichende Konsequenzen und negative Auswirkungen auf die Sicherheit der ganzen Welt über die Ukraine und Europa hinaus habe, habe dieser Friedensplan das Potential für ein globales Format. Abschließend forderte Kuleba ein Sondertribunal für die Abarbeitung von Kriegsverbrechen.

Abschlusserklärung

Die EU verfasste eine besonders umfangreiche Abschlusserklärung, die sich ausschließlich auf den Krieg in der Ukraine bezog. Man bedankte sich bei den Ausrichtern des Treffens und machte deutlich, dass die überwiegende Mehrzahl der Teilnehmerstaaten den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt habe. Man werde die Ukraine auch in Zukunft in allen Belangen unterstützen. Russland werde für all seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen. Die EU wies darauf hin, dass es neben der Aggression in der Ukraine sowohl in Russland als auch in Weißrussland Repressionen gegen die Zivilbevölkerung gebe.

Allen Einrichtungen der OSZE und ihren Partnern sicherte die EU ihre weitere Unterstützung zu und erklärte, auch Mazedonien als nächsten Vorsitzenden des Ministerrates uneingeschränkt zu unterstützen. Abschließend wies die EU in ihrer Abschlusserklärung darauf hin, dass die aktuelle Krise nicht auf das Versagen der OSZE zurückzuführen sei, sondern ausschließlich auf das verbrecherische Verhalten Russlands. Es liege an Russland, sein Verhalten zu ändern, beginnend damit, den Krieg zu beenden, bedingungslos seine Truppen und das gesamte militärische Gerät innerhalb der international anerkannten Grenzen aus der Ukraine abzuziehen und seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen.

Nur wenn alle 57 Mitgliedsstaaten sich an die gemeinsamen Regeln hielten und sich den gemeinsamen Werten und Prinzipien verpflichtet fühlten, könne eine gemeinsame unteilbare Sicherheit erreicht werden, basierend auf Vertrauen, Zusammenarbeit und Frieden.

Begründung der fehlenden Abschlusserklärung der OSZE

Die Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht auf eine gemeinsame Resolution einigen können. Es habe dafür keinen Konsens gegeben, sagte der OSZE-Vorsitzende, Polens Außenminister Zbigniew Rau, zum Abschluss des Ministerrats in Lodz. „Es ist das schwierigste Jahr in der Geschichte der Organisation, der Grund dafür ist bekannt“, sagte Rau in Anspielung auf den Krieg. Auch sei die Haltung der überwältigenden Mehrheit der Mitgliedsländer zur russischen Aggression gegen die Ukraine bekannt. Es wäre laut Rau aber sinnlos gewesen, nach einem generellen Abschlussdokument zu suchen, das keinen Bezug zur politischen Realität gehabt hätte:

„Das hätte der Glaubwürdigkeit der Organisation nicht genützt.“

Trotzdem werde die OSZE weiterhin als Forum zum Dialog benötigt, sagte Nord-Mazedoniens Außenminister Bujar Osmani, der im kommenden Jahr den OSZE-Vorsitz von Rau übernimmt. Die Organisation sei „weder gelähmt, im Koma oder tot“, sie habe vielmehr ihre Widerstandskraft in einer beispiellos schwierigen Zeit bewiesen.

Die Pressekonferenz des russischen Außenministers Sergey Lawrow in Moskau

Die Darstellung des 29. Treffens des Ministerrates wäre, ohne auf die Pressekonferenz des russischen Außenministers einzugehen, nicht vollständig, weil er dort die Position Russlands verdeutlicht hat, die er sonst in Lodz vorgetragen hätte, wenn die polnische Regierung ihm und seiner Delegation ein Visum erteilt hätte.

Lawrow zur Sicherheit Europas

Parallel zum 29. Treffen des Ministerrates, an dem die russische Delegation unter Führung des russischen Außenministers nicht teilnehmen konnte, weil Polen die erforderlichen Visa verweigert hatte, gab Außenminister Lawrow in Moskau eine Pressekonferenz. Zunächst verurteilte er die polnische Entscheidung, der russischen Delegation die notwendigen Visa zu verweigern und nannte das eine „bewusste Provokation“. Nach einem Exkurs zur aus seiner Sicht inakzeptablen NATO-Osterweiterung – „NATO’s expansion posed a threat to Russia, as the Alliance got too close to Russia’s borders.“ (Die NATO-Erweiterung bedrohe Russland dadurch, dass die Allianz zu nah an Russlands Grenze herangerückt sei.) – äußerte er sich umfassend zur OSZE. Er erklärte, dass die OSZE geschaffen worden sei, um das Verhältnis zwischen Ost und West zu beruhigen, dass aber die Dominanz des Westens dies verhindert habe. Die OSZE sei mittlerweile eine nebensächliche Organisation. Im letzten Jahr habe der schwedische Vorsitz das Begräbnis vorbereitet und in diesem Jahr habe Polen das Grab geschaufelt. („Last year, the Swedes, as the chairman, prepared his funeral, and this year the Poles are digging the grave.“)

Die gesamte Sicherheitsarchitektur Europas sei darauf reduziert, von den USA vollständig kontrolliert zu werden. Der Westen versuche, eine Sicherheit ohne Russland und Weißrussland zu schaffen. Natürlich sei eine solche Sicherheitsarchitektur unmöglich, aber weil der Westen dies so wolle, müssten sich Russland und Weißrussland selbst um ihre Sicherheit kümmern. Er glaube nicht, dass die früheren Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in naher Zukunft wiederhergestellt werden könnten. Die OSZE sei gegründet worden, damit jedermanns Stimme gehört werden könne und dass sich kein Land von diesem Prozess ausgeschlossen fühle. Jetzt sei alles auf den Kopf gestellt worden. Der Westen arbeite exakt gegen das, wofür die OSZE gegründet worden sei. Mit Blick auf die EU meinte der russische Außenminister, dass diese sich unter der Kontrolle der USA und der NATO befände. Auf die Frage von Journalisten, ob es die Chance gäbe, dass sich Russlands und Amerikas Präsidenten und auch die beiden Außenminister im nächsten Jahr treffen würden, zeigte sich Lawrow nicht optimistisch. Er habe zwar kürzlich mit seinem US-amerikanischen Kollegen telefoniert, aber es gäbe keine ernsthaften Verhandlungen. Abschließend erklärte Lawrow: Falls unsere westlichen Nachbarn und ehemaligen Partner irgendwann an einer gemeinsamen Arbeit für die europäische Sicherheit interessiert sein sollten, werde das nicht einfach, sondern sehr viel schwerer sein, und die Frage würde sein, was mit der OSZE generell geschehen würde. Er unterstrich, dass eine neue Form von Zusammenarbeit vollständig auf eine neue Basis gestellt werden müsse.

Zusammenfassende Bewertung

Es ist zweifellos ein Skandal, dass Polen der russischen Delegation keine Visa erteilt und damit ihre Teilnahme am Treffen des Ministerrates verhindert hat. Unklar ist, ob diese Maßnahme ein polnischer Alleingang oder innerhalb der OSZE, zumindest mit der Troika, abgestimmt war. Es gibt in einer Organisation immer wieder Ereignisse und Handlungsweisen von Mitgliedsstaaten, die mit den Grundsätzen nicht vereinbar sind. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob solche Probleme durch einen Ausschluss gelöst werden können. Zweifellos hat Russland mit seinem Krieg gegen die Ukraine fundamental nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern damit auch gegen die Prinzipien der OSZE verstoßen, aber hätte man dann nicht auch die Türkei wegen ihrer Luftangriffe in Syrien und im Irak oder auch Armenien und Aserbaidschan wegen ihres Krieges von dem Treffen ausschließen müssen?

Die Pflicht der OSZE ist es, internationale Differenzen vor allem auch zwischen West und Ost auszugleichen. Polen hat das anscheinend nicht verstanden, und damit hat die OSZE als Ganzes eine große Chance für Gespräche mit Russland vertan.

Das Treffen in Lodz hat bezüglich des Ukrainekrieges die Differenzen zwischen den westlichen und östlichen Mitgliedsstaaten aufgezeigt und gleichzeitig deutlich gemacht, dass die OSZE überhaupt keinen Lösungsansatz hat, um dies zu ändern. Der Krieg in der Ukraine hat zwar das Treffen dominiert, aber keinerlei Initiativen erkennen lassen, wie man ihn beenden kann. Die ultimativen Forderungen des ukrainischen Außenministers Kuleba, die er quasi als Friedensplan bezeichnet hat, gehen an der Realität vollständig vorbei. Der Hinweis von Kuleba, dass dieser Plan aus seiner Sicht geeignet sei, weltweit vergleichbare Probleme zu lösen, zeigt einmal mehr die vollständige Selbstüberschätzung der ukrainischen Führung.

Die OSZE hat schon bei der Umsetzung des Minsk-Abkommens versagt und ist seit Kriegsbeginn praktisch in der Versenkung verschwunden. Dabei wäre und ist eine Aufgabe der Organisation, als Mediator zu fungieren und die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Die Aussage von Victoria Nuland, „This Organization is more united than ever“, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Vielmehr muss man sich wohl der Einschätzung der Vorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung, der Schwedin Margareta Cederfeld, anschließen, als sie sagte, „es sei noch nicht klar, wieviel Schaden die OSZE noch aushalten könne, bevor sie zerbröselt“.

Die Tatsache, dass es der OSZE nicht einmal gelungen ist, nach dem Treffen eine gemeinsame Abschlusserklärung zu verfassen, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Organisation zur Bedeutungslosigkeit tendiert.

Titelbild: shutterstock / Sodel Vladyslav


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