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Titel: Zunehmende Spannungen im Kosovo: Deutsche Außenministerin Baerbock gießt Öl ins Feuer

Datum: 21. Dezember 2022 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Länderberichte
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Die Lage im völkerrechtlich umstrittenen Staatsgebiet des Kosovo droht erneut zu eskalieren. Doch statt mäßigend auf beide Konfliktparteien einzuwirken, nimmt die bundesdeutsche Außenministerin einseitig Partei für die nationalistische Regierung unter dem einstigen Kader der paramilitärischen UÇK-Miliz, Albin Kurti. Der Miliz werden zahlreiche Kriegsverbrechen vorgeworfen. Als am letzten Freitag erstmals ein UÇK-Kommandeur vom Sondertribunal in Den Haag zur Ahndung von Kriegsverbrechen während des Kosovo-Krieges wegen Mordes und Folter zu 26 Jahren Haft verurteilt worden war, gab es hingegen nur dröhnendes Schweigen aus Berlin. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Mitte Dezember drangen kosovarische Spezialeinheiten in den mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Landes ein und verschleppten unter anderem einen ehemaligen serbischen Polizeioffizier, der zuvor aus Protest gegen „anti-serbische Maßnahmen“ seinen Dienst in der kosovarischen Polizeibehörde quittiert hatte. Mit diesem Schritt stand er nicht alleine. Insgesamt 3.000 serbische Beamte und Vertreter in kosovarischen Institutionen waren zurückgetreten, nachdem die Regierung in Pristina ein Gesetz in Kraft gesetzt hatte, welches die Nutzung von serbischen Nummernschildern verbietet.

In Reaktion auf den Massenrücktritt von serbischen Abgeordneten sowie Beamten und dem damit einhergehenden Machtvakuum sollten in weiterer Folge auf Anweisung der Kurti-Regierung am 18. Dezember in den mehrheitlich serbischen Gemeinden Zvecan, Leopsavic, Zubin Potok und Nord-Mitrovica im Norden des Kosovos Neuwahlen abgehalten werden. Aus Protest gegen die genannten Entscheidungen begannen Vertreter der serbischen Minderheit ab dem 10. Dezember Barrikaden zu errichten und blockierten die Straßen zu den Grenzübergängen Jarinje und Brnjak. Pristina entsandte daraufhin erneut Spezialeinheiten in den Norden des Landes. Kosovarische Journalisten verbreiteten in diesem Zusammenhang bis heute unbelegte Behauptungen über die angebliche Präsenz von „russischen Terroristengruppen wie Wagner und Nachtwölfe“:

„Um den Frieden zu bewahren“ und die im Kosovo lebenden Serben zu beschützen, erklärte der serbische Präsident Aleksander Vučić in Folge, dass er die NATO-geführte „Kosovo-Truppe“ (Kfor) formell bitten werde, 1.000 serbischen Militärs und Polizisten die Einreise in den Kosovo auf Grundlage der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates zu gestatten. Artikel 4 der Resolution erlaubt unter bestimmten Umständen die Rückkehr serbischer Militär- und Polizeikräfte, explizit genannt sind der Schutz serbischer Kulturstätten und wichtiger Grenzübergänge. Der kosovarische Präsident Vjosa Osmani kündigte im weiteren Verlauf an, die Wahlen zunächst auf April 2023 zu verschieben, um die Lage zu beruhigen.

Baerbock setzt auf sprachliche Eskalation statt Diplomatie

Vor diesem komplexen Hintergrund fiel der deutschen Außenministerin nichts Besseres ein, als einseitig Partei für die kosovarische Seite zu nehmen. So erklärte die deutschen Chef-Diplomatin am 11. Dezember via Twitter:

„Das Kosovo hat die Spannungen durch die Verschiebung der Kommunalwahlen abgebaut. Die jüngste Rhetorik Serbiens hat das Gegenteil bewirkt. Der Vorschlag, serbische Streitkräfte in den Kosovo zu schicken, ist völlig inakzeptabel.“

Der serbische Präsident reagierte umgehend und warf der deutschen Außenministerin im Gegenzug „Heuchelei“ vor:

„Baerbock sagte, jemand habe die Spannungen verringert, weil die Wahlen verschoben worden seien, was für eine Heuchelei. In dieser Nacht sind sie (die kosovarische Regierung) mit Spezialkräften einmarschiert und wollten die kommunalen Wahlkommissionen beschlagnahmen. Sie wussten, dass es keine Wahlen geben würde, aber sie wollten die Serben mit Gewalt angreifen“.

Allein die Tatsache, das Vučić einfach nur von „Baerbock“ spricht, ohne Nennung ihres Titels noch ihres Vornamens, zeigt auf, wieviel diplomatisches Porzellan im Verhältnis von Belgrad und Berlin die deutsche Außenministerin mit ihren tendenziösen Äußerungen zerschlagen hat.

Auch aus dem Bundestag gab es Kritik an den Äußerungen der deutschen Chefdiplomatin. So erklärte beispielsweise die Obfrau im Auswärtigen Ausschuss für die Linksfraktion, Sevim Dağdelen:

“Die deutsche Außenministerin sollte besser durch kluge Diplomatie eine weitere Eskalation verhindern, statt mit ihrer unverhohlenen Parteinahme für den nationalistischen Kosovo-Premier auch noch Öl ins Feuer zu gießen. Baerbocks Doppelmoral und doppelten Standards bei der Geltung des Völkerrechts sind eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in Europa.”

Apropos Völkerrecht. Das am letzten Donnerstag vom Kosovo eingereichte EU-Beitrittsgesuch zeugt nicht unbedingt von einem guten Verhältnis und Verständnis von geltenden völkerrechtlichen Vereinbarungen. Zum einen ist das Einreichen ein Affront gegen die fünf EU-Mitgliedstaaten Spanien, Griechenland, Zypern, Rumänien und die Slowakei, die die Abspaltung des Kosovos von Serbien nicht anerkennen, zum anderen steht das Vorgehen, wie Roland Zschächner in der jungen Welt ausführt, im Widerspruch zum Washingtoner Abkommen von 2020.

Ebenso wird das von Serbien und Kosovo 2013 unterschriebene Brüsseler Abkommen, welches die Einrichtung eines „Verbundes der serbischen Gemeinden“ im Kosovo vorsieht, von der Regierung unter Kurti nicht umgesetzt. Selbst der als pro-kosovarisch geltende USA-Sondergesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, fordert, im Gegensatz zu den bisherigen Verlautbarungen des Auswärtigen Amtes, die Umsetzung dieser völkerrechtlichen Vereinbarung:

„Es ist eine Verpflichtung für Serbien, es ist eine Verpflichtung für den Kosovo, es ist eine Verpflichtung für die EU, die bei der Aushandlung geholfen hat.“

Ebenfalls unkommentiert vom Auswärtigen Amt blieb bis heute das am 16. Dezember gefällte Urteil des Sondergerichts in Den Haag in Sachen Kriegsverbrechen der UÇK („Befreiungsarmee des Kosovo“), eine Organisation, die jahrelang massiv von der Bundesrepublik unterstützt wurde. Salih Mustafa war während des Kosovo-Krieges einer der führenden Köpfe der paramilitärischen Miliz. Als Leiter des internen Geheimdienstes hat er, so das Fazit des Gerichts, mindestens sechs Zivilisten grausam gefoltert. Das Sondergericht, welches Teil des kosovarischen Justizsystems ist, aber wegen der Gefahr von Einflussnahme auf Zeugen nach Den Haag verlegt wurde, verurteilte den 50-Jährigen wegen zahlreicher Kriegsverbrechen zu 26 Jahren Haft. Dutzende Zeugen, darunter auch Opfer, wurden im Laufe des Prozesses befragt. Die Vorsitzende Richterin, Mappie Veldt-Foglia, erklärte, das Urteil gegen Mustafa sei ein „Meilenstein“. Wie unter anderem die Personalie des kosovarischen Premiers Kurti belegt, beherrschen bis heute ehemalige UÇK-Kader das politische Leben im Kosovo.

Zum Urteil in Den Haag erklärte die Bundestagsabgeordnete und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dağdelen, gegenüber den NachDenkSeiten:

“Die juristische Aufarbeitung der von der NATO-Hilfstruppe UÇK zu verantwortenden Morde und Folter an Serben und Roma war wahrlich lange überfällig. Das Urteil kann nur der Anfang sein. Auf die Anklagebank in Den Haag gehören aber nicht nur die Mörderbanden der ,Kosovo-Befreiungsarmee’, die als Bodentruppen der NATO fungiert haben, sondern auch die Verantwortlichen für die völkerrechtswidrige Aggression in den NATO-Staaten selbst.”

Titelbild: shutterstock / Dave Smith 1965


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