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Titel: Quo vadis, Deutschland? Unsere Demokratie und der Krieg in der Ukraine

Datum: 10. Januar 2023 um 11:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege
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Seit Beginn des Krieges gibt es aus der Ukraine eigentlich nur noch eine politische Stimme, nämlich die des Präsidenten, diese allerdings mindestens einmal pro Tag. Gelegentlich äußern sich noch Außenminister Dmytro Kuleba und Andrij Melnyk als einer seiner Stellvertreter. Durch diese „One-Man-Show“ von Präsident Selenski ist der Eindruck entstanden, dass es in diesem Land überhaupt kein Parlament mehr gibt beziehungsweise dass dieses im politischen Alltag keine Rolle mehr spielt. Obwohl dieser Krieg nun bereits mehr als zehn Monate dauert und auch die deutschen Medien in einem ganz erheblichen Maße beherrscht, dürfte der deutschen Bevölkerung vermutlich nur ein ukrainischer Politiker bekannt sein, der Präsident. Aus meiner Sicht ist das für einen Staat, der sich als Demokratie bezeichnet, kein gutes Omen. Aber bevor man die Demokratie in der Ukraine anzweifelt, sollte man sich einmal genau ansehen, wie es im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und den politischen Entscheidungen dazu eigentlich mit der Demokratie in Deutschland aussieht. Von Jürgen Hübschen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die wesentlichen Merkmale einer Demokratie

Vielleicht ist es ja durchaus sinnvoll, sich einmal die Wesensmerkmale einer parlamentarischen Demokratie in Erinnerung zu rufen. Da ist natürlich in erster Linie der Souverän zu nennen, also das Volk. Schließich leitet sich ja daraus der Begriff „Demokratie“ ab, nämlich aus den griechischen Worten „demos“, das Volk, und „kratein“, herrschen. Weil die Völker mittlerweile zu groß geworden sind, wählen die Menschen politische Vertreter, die das Volk dann in einem Parlament vertreten. Damit sind wir bei der Gewaltenteilung, einem weiteren Kennzeichen einer Demokratie. Die drei Gewalten sind die Exekutive, die Legislative und die unabhängige Judikative.

Die Regierung ist die Exekutive, das Parlament die Legislative, und die Judikative wird in der Rechtsordnung abgebildet. Im Zusammenhang mit der Judikative ist natürlich das Grundgesetz zu nennen, in dem politische Grundsätze und auch die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger abgebildet sind. Die geneigten Leserinnen und Leser mögen diesen Exkurs für überflüssig halten, weil der Inhalt ja zum demokratischen Grundverständnis gehört. Das mag auch so sein, aber vor dem Hintergrund der politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine ist es mehr als angebracht, sich an diese Wesensmerkmale der Demokratie zu erinnern.

Die politischen Entscheidungen der Bundesregierung seit dem Beginn des Ukraine-Krieges

Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern

In der schriftlichen Kabinettserklärung von 1971 „Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ steht:

Waffen sollen grundsätzlich nur an Bündnispartner (damals NATO-Staaten, heute auch EU-Mitgliedstaaten sowie sog. gleichgestellte Drittstaaten, derzeit Australien, Japan, Neuseeland, Schweiz) geliefert werden. Ansonsten sollen Rüstungsgüter nur in begründeten Ausnahmefällen und unter Beachtung des Grundsatzes exportiert werden, dass Lieferungen nicht in Länder genehmigt werden „(…), die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“ (Politische Grundsätze III. Nr. 7).

An diesen Grundsätzen hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Die Bundesregierung hat diesen Grundsatz in Bezug auf die Ukraine aufgehoben und liefert in zunehmendem Maße mittlerweile auch schwere Waffen in die Ukraine. Eine kontroverse Grundsatzdiskussion bezüglich dieser Aufhebung hat es weder im Deutschen Bundestag noch in den sogenannten Leitmedien gegeben. Aktuelle Meinungsumfragen zeigen allerdings, dass dieser Waffenexport mittlerweile nicht mehr von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird.

Deutschland ist nicht Kriegspartei

Die Bundesregierung hat sich von Beginn an der Position der westlichen Staatengemeinschaft, vor allem also der EU und der NATO, angeschlossen, nicht Kriegspartei zu werden. Da man diesen Begriff durchaus unterschiedlich definieren kann, ist es angebracht, sich an der Definition des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu orientieren. Im Gutachten WD-2-019-22 des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) vom 16. März 2022 heißt es zum Thema „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ unter anderem:

Im aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine befinden sich die NATO-Staaten auf einer Gratwanderung, indem sie einerseits die Ukraine militärisch unterstützen, ohne dabei andererseits als Partei in den bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zu intervenieren (sog. „Drittintervention“).

Im weiteren Verlauf wird diese Gratwanderung erläutert. Im grundsätzlichen Ergebnis heißt es, dass man durch die Lieferung von militärischen Gütern und vor allem auch Waffen – juristisch gesehen – noch nicht zur Kriegspartei wird. Der WD sieht allerdings die Gefahr einer Grenzüberschreitung zur Kriegspartei grundsätzlich dann, wenn Deutschland für ukrainische Soldaten in Deutschland eine Ausbildung an den Waffen durchführt, die an die Ukraine geliefert werden.

Offiziell bildet Deutschland spätestens seit der Lieferung der Panzerhaubitze 2000 in Deutschland ukrainische Soldaten an Waffensystemen aus, die Deutschland an die Ukraine liefert, bevor diese in die Ukraine exportiert werden. Dieses Verfahren ist mittlerweile gängige Praxis, und Deutschland ist damit – wenn man der Definition des WD folgt – seit geraumer Zeit Kriegspartei. Es mag juristische Feinheiten geben, mit denen das formal abgestritten werden könnte, aber de facto kann es keine Zweifel geben, vor allem aus russischer Sicht.

Die Beteiligung des Bundestages an den poltischen Entscheidungen

Eine Beteiligung des deutschen Bundestages an den wesentlichen politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg findet nicht statt. Die Bundesregierung trifft damit als Exekutive Entscheidungen, deren Folgen letztlich das gesamte Volk zu tragen hat, ohne dieses vorher zu beteiligen. Die Ampelregierung verfügt im Parlament über eine so große Mehrheit, dass aus ihrer Sicht die Zustimmung des Parlaments offensichtlich vorausgesetzt wird. Hinzu kommt, dass die CDU/CSU als größte Oppositionsfraktion nicht nur auf die Regierungslinie vollkommen eingeschwenkt ist, sondern die Koalition noch dazu antreibt, sich vor allem durch immer umfangreichere Waffenlieferungen und immer mehr gepanzerte Waffen am Krieg in der Ukraine zu beteiligen. Die einzigen kritischen Stimmen kommen von der Linken und der AFD, den beiden Parteien, denen dadurch sofort eine Nähe zum russischen Präsidenten unterstellt wird.

Die Beteiligung der Judikative an den politischen Entscheidungen

Die Bundesregierung hat bislang auf eine Beteiligung der obersten deutschen Gerichte an ihren politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg verzichtet, obwohl sie sich speziell durch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten in Deutschland zumindest in einer juristischen Grauzone befindet. Offensichtlich hat sie für diese juristische Absicherung auch deswegen keine Notwendigkeit gesehen, weil auch die Oppositionsparteien diese nicht fordern.

Es hat allerdings auf der anderen Seite auch keine Initiative der Gerichte gegeben, politische Entscheidungen, die von bisherigen Grundsätzen abweichen, oder Maßnahmen, die die Gefahr beinhalten, zur Kriegspartei zu werden, auf eine sichere juristische Basis zu stellen oder sie sogar zu untersagen. Einfach gesprochen: Von der Justiz hört man zum Ukraine-Krieg gar nichts.

Zusammenfassende Bewertung

In der Ukraine scheint ausschließlich Präsident Selenski zu entscheiden, was auf ukrainischer Seite in diesem Krieg geschieht, und es gelingt ihm in beeindruckender, man könnte auch sagen in fataler Weise, seine westlichen Verbündeten davon zu überzeugen, seinem Alleingang zu folgen. In Deutschland entscheidet zwar noch die Regierung, allerdings ohne Beteiligung des Parlaments. Dabei ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass in einer offen geführten Debatte auch aus den Regierungsparteien kritische Stimmen zur aktuellen Ukraine- und Russland-Politik zu hören wären und zwar im guten demokratischen Sinne. In der CDU/CSU-Fraktion würde deutlich werden, dass nicht alle Mitglieder mit der Oppositionspolitik ihrer Partei einverstanden sind. So wie in der Bevölkerung unterschiedliche Meinungen zu hören sind, würde, besser gesagt müsste, es doch auch bei ihren Volksvertretern sein. Warum dieses unterschiedliche Meinungsspektrum sich in den „Leitmedien“ nicht widerspiegelt, ist in diesem Zusammenhang noch eine ganz andere Frage.

Abgesehen davon, dass das Parlament nicht angemessen beteiligt wird, hat man darüber hinaus den Eindruck, dass die Regierung nicht nur von der Ukraine, den USA und auch anderen NATO-Partnern in eine bestimmte Richtung getrieben wird, sondern einige Politiker, vor allem der Grünen, durch ihre Dauerpräsenz in den Medien mittlerweile das Gesetz des politischen Handelns für sich beanspruchen. Dazu gehören im Wesentlichen Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck und außerhalb der Regierung Frau Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter, Frau Göring-Eckhardt und last but not least der „Oppositionsführer“ Merz.

In der Ukraine liegt alle Macht in der Hand von Präsident Selenski, und das ist brandgefährlich, aber in Deutschland bestimmt der Kanzler leider nicht die Richtlinien der Politik, so wie es das Gesetz vorsieht, und auch das ist ausgesprochen kritisch zu bewerten.

Fazit: Es besteht die Gefahr, dass unsere Demokratie im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine Schaden nimmt oder bereits beschädigt wurde. Es ist Aufgabe des Parlaments und der Gerichte, diese Entwicklung aufzuhalten, und dabei sollten sie durch eine kritische und differenzierte Berichterstattung in den Medien unterstützt werden.

Titelbild: shutterstock / Achim Wagner


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