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Titel: „Ich liebe das Leben und ich will nicht, dass es kaputtgemacht wird“

Datum: 31. März 2023 um 11:29 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Interviews, Militäreinsätze/Kriege
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Laura von Wimmersperg ist seit 1980 in der Friedensbewegung aktiv. Sie engagiert sich in der „Friedenskoordination Berlin“ (Friko) (frikoberlin.de) und ist gewissermaßen deren Gesicht. Am 18. März trat die heute 89-Jährige das erste Mal bei einer Demonstration des „Bündnisses für Frieden Berlin“ auf, das aus der maßnahmenkritischen Bewegung entstand. Am Rand der Veranstaltung sprach Tilo Gräser mit ihr.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau von Wimmersperg, Sie sind seit 43 Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Was war der erste Impuls, für Frieden einzutreten? Und warum treten Sie immer noch für Frieden ein?

Ich habe erst sehr spät begriffen, wie der Zweite Weltkrieg entstanden ist. Ich war Lehrerin in der Sekundarstufe 1, ich unterrichtete Jugendliche. Ich habe immer gedacht, ich will nicht, dass diese Kinder wieder in irgendeinen Krieg hineingeraten. Und dann kam 1980 die Sache mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen. In dem Bezirk, in dem ich arbeitete, gab es einen Info-Abend zu Atomwaffen. Ich ging hin. An diesem Abend gründeten wir eine Friedensinitiative, die erste in Westberlin, und sehr schnell entstanden weitere Initiativen, in anderen Bezirken, Kirchengemeinden, in Gewerkschaften, verschiedenen Berufsbereichen.

Der Schock über die Stationierung war riesig. Man sagt ja, Friedensbewegung sei eine Angstbewegung. Zwar erfuhren wir in der ersten Zeit unserer Informationsarbeit auf der Straße viel Gegenwind, oft hieß es: „Wenn es Euch hier nicht passt, dann geht doch nach drüben!“ – womit Ostberlin gemeint war. Dann aber wuchs die Bewegung rasant und war interessant und sehr kreativ. Man muss auch wissen, dass vor 1980 eigentlich nur Langhaarige, also Studenten oder Hausbesetzer, auf die Straße gingen, um zu demonstrieren, gelegentlich die Gewerkschaften und Kommunisten, aber nicht der „normale“ Bürger. Das änderte sich nun.

Das wuchs ja zu einer Millionen-Bewegung in den Anfängen der Achtziger an. Danach ging es aber wieder abwärts.

Ja, trotz dieser gewaltigen Proteste beschloss die Regierung gegen die Mehrheit der Gesellschaft die Stationierung. Das hatte zur Folge, dass viele Menschen sich enttäuscht zurückzogen. Bei uns in Westberlin blieb die Friedensbewegung verhältnismäßig stabil. Wir gründeten die Kampagne „Unsere Stadt gegen Atomwaffen“ und setzten uns damit für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa ein. Innerhalb eines Jahres sammelten wir in dem kleinen Westberlin 110.000 Unterschriften, die wir als unser Mandat benutzten und mit denen wir zu internationalen Abrüstungskonferenzen reisten, zum Beispiel nach Helsinki, Oslo und Genf. Und es gelang uns über die UNO, mit den jeweiligen Vertretern aus den USA und der Sowjetunion zu sprechen. Wir haben auch mit dieser Kampagne den Friedensfilmpreis gegründet und die Akkreditierung für eine eigene Jury bekommen. Wir haben auch das Deutsch-Japanische Friedensforum gegründet, um nur einiges zu nennen.

Wie haben Sie das 43 Jahre lang bis heute durchgehalten, sich für Frieden einzusetzen? Was gibt Ihnen die Kraft dafür bei all diesen wechselnden Zeiten und den wechselnden Reaktionen darauf?

Die Menschen, mit denen ich diese Arbeit mache, sind meist ganz wunderbare Leute. Das ist wirklich bereichernd. Auch wenn ich mit fremden Menschen auf der Straße rede, um zu wissen, was sie bewegt, sind sie für den Frieden oder warum sind sie es nicht, und wie werden wir da aufgenommen. Und dann treibt mich auch an: Ich liebe das Leben und ich will nicht, dass das mal irgendwann alles kaputt ist. Das trägt mich eigentlich.

Was erleben Sie bei dem, was Sie tun, wenn Sie Flugblätter verteilen, gegenwärtig in der Situation mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine, mit der Stimmungsmache in Deutschland? Wie erleben Sie die Stimmungsmache hier in Deutschland und wie erleben Sie die Stimmung der Menschen?

Sehr unterschiedlich. Bei Zufallsgesprächen auf der Straße oder bei Taxifahrten zum Beispiel und in ähnlichen Situationen bin ich oft erstaunt, wie politisch und kritisch die Menschen diskutieren. Aber dann wieder in der eigenen Familie oder im engsten Freundeskreis werden Gespräche über die Ukraine gemieden, weil es uns sonst zerreißen würde, so groß sind die Differenzen. Es fehlt sehr oft die Bereitschaft, sich mit den bedrohlichen Realitäten auseinanderzusetzen. Und es fehlt Geschichtsbewusstsein, sodass die Informationen über die Medien nicht kritisch beurteilt werden können. Was weiß zum Beispiel der Durchschnittsbürger vom Krieg im Donbass? Was davon, dass der britische Premier nach einem Monat Krieg laufende Friedensgespräche verhindert hat, was über den Verrat von Angela Merkel und Francois Hollande am Minsker Abkommen? Wer erinnert sich, dass der Irak-Krieg auch völkerrechtswidrig war? Argumentiert man, dass die Russen ein starkes Sicherheitsbedürfnis als Folge der noch sehr wachen Erinnerung an den Krieg haben, wird das oft mit „Putins Propaganda“ abgetan.

Ist das etwas, was Sie schon in den Achtzigern erlebt haben?

Ja, das Feindbild Russland, damals Sowjetunion, machte uns in der Friedensarbeit ganz schön zu schaffen. Der Abbau des Feindbildes Russland stand im Zentrum unserer Arbeit. Die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion waren weitgehend unbekannt, für uns genauso wie für die meisten unserer Mitbürger. Wir arbeiteten dazu und informierten darüber. Erst mit der Politik Michail Gorbatschows verblasste das Feindbild langsam. Das Bild vom „gemeinsamen europäischen Haus“ spielte dabei eine wichtige Rolle. Der Fall der Mauer, die deutsche Wiedervereinigung und die Auflösung des Warschauer Vertrages hatten zur Folge, dass die Friedensbewegung nicht mehr so eine bedeutende Rolle spielte. Für eine kurze Zeitspanne schien die Welt sicherer. Strukturen, die uns heute fehlen, gingen verloren, die so nicht wieder entstehen konnten.

Es heißt, die Friedensbewegung sei eine Angstbewegung. Nun warnen viele Experten heute davor, dass diese Situation in der Ukraine und der Konflikt mit China tatsächlich zu einem Atomkrieg führen können. Wäre da nicht der Moment wieder da, dass die Angst vor dem Atomkrieg die Menschen wieder auf die Straße bringen könnte?

Könnte man annehmen. Aber es ist nicht so. Es gibt natürlich mehrere Gründe dafür. Ein wichtiger ist die Erfahrung der Menschen, dass ihr großes Engagement nicht zum Erfolg geführt hat, nicht nur auf dem Gebiet der Friedensarbeit. Die Menschen auf der Straße sagen ganz oft: „Das ist ganz toll, dass es Euch immer noch gibt. Aber das hat doch alles keinen Zweck, die machen ja doch, was sie wollen. Ich will meine Lebenszeit für Dinge nehmen, die mir was bringen.“ Ich glaube, vielen mangelt es in vieler Hinsicht an Phantasie, beziehungsweise, sie sind an das Grauen durch die Bilder im Fernsehen abgestumpft. Man guckt weg, ist nicht mehr interessiert, man will das Leben genießen. Letztendlich ist aber trotzdem der Wurm drin: Die Menschen sind unzufrieden, Glücksversprechen aller Art haben Konjunktur. Das Leben ist für die meisten nicht einfach, sondern fordert von uns mehr Kraft als noch in den Jahren vor 1989, und damit wird auch Kraft für gesellschaftliches Engagement weggenommen. Es gibt eine diffuse Angst. Sich ein Hiroshima wirklich vorzustellen, das überfordert uns.

Die Friedensbewegung scheint derzeit gespalten und sich mehr auf das Trennende statt auf das Gemeinsame zu konzentrieren. Wo kommt das her, und gibt es eine Chance, diese Spaltung zu überwinden?

Ja, das ist so. Obwohl wir einerseits feststellen können, dass wieder mehr Menschen sich an der Friedensbewegung beteiligen, ist sie dadurch nicht gestärkt. Im Gegenteil, sie wirkt eher kraftlos. Die Ursache dafür sehen wir darin, dass es uns nicht gelungen ist, uns auf eine einheitliche Einschätzung der Ursachen des Krieges in der Ukraine zu einigen. Der größere Teil der Friedensbewegung argumentiert moralisch, Krieg darf nicht sein, er verstößt gegen das Völkerrecht, und teilt damit – um mal das Modewort zu benutzen – das Narrativ der Regierung und der etablierten Medien. Der andere Teil der Friedensbewegung, der kleinere Teil, bezieht sich in seiner Beurteilung des Krieges auf Fakten, was geschah vor dem Krieg. Schon Machiavelli sagte: „Nicht, wer zuerst zu den Waffen greift, ist der Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“ Und genau das trifft auf den Ukraine-Krieg zu.

Die westlichen Staaten haben mit verbrecherischer Ignoranz die Sicherheitsforderungen Russlands, die auf dem einfachen Satz basieren, „Meine Sicherheit darf nur soweit reichen, wie ich deine Sicherheit nicht gefährde“, ignoriert. Sie sehen schon, auf welcher Seite der Friedensbewegung ich stehe. Dazu fordern wir die schnelle Beendigung des Krieges und keine weiteren Waffenlieferungen. Die Tatsache, dass genau diese Forderungen im Bundestag lautstark von der AfD erhoben werden und leider nicht von der Partei Die Linke, wird dazu benutzt, die Friedensbewegung, die eben das auch vertritt, ebenfalls in die rechte Ecke zu stellen und sie zu diffamieren. Das passiert vielen Teilen der Friedensbewegung in unserer Republik. Wer hat daran ein Interesse, muss man sich fragen?

Es gibt die alte Friedensbewegung seit Jahrzehnten. Es gibt die neue Friedensbewegung, die aus dieser maßnahmenkritischen Bewegung entstanden ist und sich auch für Frieden einsetzt. Und dann gibt es solche Ereignisse wie am 25. Februar, wo Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sich hinstellen und die „neue Friedensbewegung“ ausrufen und sagen: „Jetzt geht’s los!“

Ja, das ist etwas problematisch, wahrscheinlich entsprungen aus der Euphorie, so viele Menschen in der heutigen Zeit auf die Straße gebracht zu haben. Mehr Respekt vor denen, die 2003 anlässlich des bevorstehenden Irak-Krieges 500.000 Menschen mobilisierten, aber vor allem die in all den Jahrzehnten ohne jede nennenswerte Unterstützung die Friedensbewegung aktivgehalten haben, das hätten wir schon gut gefunden. Aber ob alt oder neu oder jung oder alt, darauf kommt es jetzt nicht an. Jetzt kommt es darauf an, dass wir mehr werden und aktiv werden, um effektiver gegen diese Kriegspolitik mit den Sanktionen, die nicht zuletzt uns ruinieren, angehen zu können.

Sie erleben, dass die „Antifa“ aktiv auch gegen die Friedensbewegung auftritt. Sie sind seit Jahrzehnten aktiv in der Friedensbewegung. Sie haben auch mit Antifaschisten zusammengearbeitet. Wie können Sie sich erklären, dass die jetzige „Antifa“ so gegen die Friedensbewegung vorgeht?

Antifaschisten habe ich als sehr lebenskluge, mutige, vorurteilsfreie Menschen kennengelernt. Wunderbare Persönlichkeiten. Stellvertretend für viele, die ich kennenlernen durfte, will ich Fritz Teppich nennen, der mich sehr geprägt hat. Er war der erste Moderator der Berliner Friedenskoordination. Unsere Friedensarbeit beinhaltete immer und auch heute noch Auseinandersetzung mit Ungleichheit, Ausgrenzung, Gewalt und autoritären Umgangsformen.

Die sich heute „Antifa“ nennenden jungen Menschen entsprechen diesem Bild nicht. Verleumdungen, Unwahrheiten und nicht mit offenem Visier kämpfen, gehört für mich nicht zu einer antifaschistischen Persönlichkeit. Vielleicht ist es ja die Sorge, die einige von ihnen treibt, dass wir, die alte Friedensbewegung, nicht in der Lage seien, Gefahren von faschistischer Unterwanderung zu erkennen, könnte ja sein. Aber ihre Methoden, uns zu belehren, lassen andere Schlüsse zu.

Nun steht Ostern bevor, und damit der traditionelle Ostermarsch der Friedensbewegung. Was ist da in Berlin geplant und womit rechnen Sie?

Das Motto unseres diesjährigen Ostermarsches lautet: „Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg! STOPP! Wir wollen nicht in einem Atomkrieg sterben! Wir wollen gesund und in sozialer Sicherheit leben, im Frieden mit den Völkern der Welt!“ Die Frage, wie viele wir sein werden, können wir vorher nicht beantworten. Das ist jedes Jahr das Gleiche. Und wenn jetzt kein Shitstorm losgeht und wenn die Presse sich nicht dieser Verleumdungen von der „Antifa“, die es gab, bemächtigt, dann werden wir etwas größer sein als sonst. Aber wie gesagt, es hängt wirklich davon ab. Jedenfalls wurden 20.000 Flugblätter verteilt, und Musikprogramm und Redner stehen. Muss also nur noch das Wetter mitspielen.


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