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Titel: „Der Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden“

Datum: 7. April 2023 um 15:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Interviews, Medien und Medienanalyse
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Die Journalistin und Publizistin Gabriele Krone-Schmalz zählt im besten Sinn zu den Russlandverstehern. Der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hat auch sie verunsichert. Inzwischen tritt sie wieder öffentlich auf. Ihre Kritik gilt dabei der russischen Führung wie der westlichen Politik. Am 2. April sprach sie auf dem „Handwerker-Friedenskongress“ in Dessau-Roßlau. Tilo Gräser hatte am Rand der Veranstaltung die Gelegenheit, bei der Publizistin nachzufragen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau Professor Krone-Schmalz, vor über einem Jahr kam es zum russischen Einmarsch in die Ukraine. Wie haben Sie das bewertet? Wie sehen Sie das heute?

Ich war total überrascht und schockiert und hätte nie damit gerechnet. Das habe ich damals auch entsprechend kommuniziert. Wie sehe ich das heute? Ich bin – als Mensch – nach wie vor verzweifelt. Als Journalist und Staatsbürger bin ich sehr enttäuscht über die Fantasielosigkeit von Politik und darüber, dass das politische Kerngeschäft, nämlich Diplomatie, zugunsten von militärischer Unterstützung vernachlässigt wird. Ich habe für alle möglichen faktenbasierten Argumentationen Verständnis, aber das Wichtigste kann meiner Meinung nach nur sein, so schnell wie möglich einen Waffenstillstand herbeizuführen. Egal wie dieser Krieg entstanden ist, er muss so schnell wie möglich beendet werden. Wenn man von Menschenrechten und von wertebasierter Außenpolitik und all diesen Dingen redet und das wirklich ernst meint, dann kann nur das die logische Folge sein. Wer wann welche Fehler gemacht hat – damit kann man sich beschäftigen, wenn das Schießen aufhört.

Wäre es nicht gerade jetzt notwendig, dass die sogenannten Russlandversteher, die Kenner des Landes, der Politik, der Mentalität gehört werden würden?

(lächelt) Ich habe schon in der Schule gelernt, dass es wichtig ist, Dinge zu verstehen. Und ich habe noch nie begriffen und verstehe es auch heute nicht, dass so ein Wort wie „Russlandversteher“ etwas Negatives sein soll. Aber genau so ist es ja gedacht: als illegitime und moralisch verwerfliche Kumpanei. Also, von daher glaube ich nicht, dass Ihre Idee eine große Chance hat. Sinnvoll wäre es allemal, auch Menschen in Überlegungen einzubeziehen, denen dieses ausgrenzende Etikett verpasst wurde.

Nun hat dieser russische Einmarsch eine Vorgeschichte. Sie haben in Ihrer Rede in Dessau auch darauf hingewiesen. Warum wird die in der offiziellen Darstellung, medial und politisch, weggelassen?

Weil es offensichtlich nicht ins Bild passt. Diese Schwarz-Weiß-Malerei ist natürlich einfacher in der politischen Argumentation, wenn man eine Linie durchziehen will. Da stören Grautöne. Eines der großen Missverständnisse besteht darin, dass ein Erklären der Vorgeschichte gleichgesetzt wird mit der Rechtfertigung des russischen Einmarsches. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Es hängt viel zu viel davon ab, als dass man sich solche Ungenauigkeiten leisten könnte. Und ich habe den Eindruck, dass genau das – diese holzschnittartigen Gut-Böse-Modelle – von vielen Menschen abgelehnt wird. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung ist offenbar ziemlich groß, und wenn das so ist, dann schadet das der Stabilität eines demokratischen Systems.

Nun gehört zu der Vorgeschichte auch eine Abkehr des Westens von Russland, manche sagen auch: Russlands vom Westen. Wann hat dieser Weg auseinander angefangen?

Da sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. Einen, der mich auch sehr stark beschäftigt. Wann hat das angefangen? Es ist ja ein schleichender Prozess. Das ist nicht so von jetzt auf dann gekommen. Aber wie und wann hat es angefangen? Ich bin fest davon überzeugt, in der ersten Amtszeit Putins nicht, jedenfalls nicht von russischer Seite. In der zweiten Amtszeit hat es vielleicht schon Ansätze gegeben. 2008 ist mit Sicherheit ein entscheidendes Datum, Stichwort Georgien-Krieg, wo ja heute noch nicht wenige behaupten, Russland hätte Georgien angegriffen. Es war definitiv umgekehrt und es lohnt, sich mit der genauen Chronologie zu beschäftigen, die ich in „Eiszeit“ ausführlich beschrieben habe.

Oder 2007, als Putin eine bemerkenswerte Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat. Für meine Begriffe war das eine Art Hilferuf oder auch Warnschuss, nach dem Motto: Nun lasst uns doch endlich mal das praktisch umsetzen, was wir eigentlich nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation propagiert haben. Vielleicht war das so eine Art Zäsur. Man könnte ja mal Putins wesentliche Reden systematisch analysieren, um festzustellen, ab wann es auf russischer Seite gekippt ist. Von westlicher Seite muss man leider feststellen, dass Russland als zusammengekrachte Supermacht von Anfang an nicht wirklich ernst genommen wurde. Symptomatisch ist die bis heute wiederholte Aussage, „wir“, der Westen, haben den Kalten Krieg gewonnen. Ein Kalter Krieg ist nur wirklich vorbei, wenn sich beide Seiten als Gewinner fühlen dürfen, sonst ist er nicht vorbei.

Noch mal ganz kurz zu den Ereignissen von vor einem Jahr. Gab es aus Ihrer Sicht in der verfahrenen Situation, nachdem vorher alle möglichen russischen Vorschläge für eine diplomatische Lösung des Konfliktes abgelehnt wurden, noch Alternativen zu dem, was dann passiert ist?

Wenn der politische Wille auf westlicher Seite dagewesen wäre, dann hätte es mit Sicherheit Möglichkeiten gegeben. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will, ein Krieg ist aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht in russischem Interesse. Aber offensichtlich haben sich auf der transatlantischen Seite diejenigen durchgesetzt, die immer schon auf der Agenda hatten, Russland in die Knie zu zwingen. Diese Gelegenheit wollte man sich offenbar nicht entgehen lassen.

Nun werden Stimmen für Verständigung, für Verhandlungen, Stimmen für Frieden als absurderweise als „Kriegsverherrlicher“ diffamiert. Wie erleben Sie das selber und was würden Sie jenen, die diffamieren, antworten?

Ich stelle nur fest, dass die Stimmung in der Bevölkerung offensichtlich eine andere ist als beispielsweise in den sogenannten sozialen Medien. Nicht nur bei meinen Veranstaltungen – da könnte man ja sagen, da kommen nur diejenigen hin, die mit meinen Analysen sympathisieren –, nein, wenn ich ganz normal auf der Straße unterwegs bin. Ich bekomme sehr viel Zuspruch, sehr viel Unterstützung, Menschen wünschen mir Kraft für meine Arbeit. Und bedanken sich für meinen Mut. Und dann frage ich mich immer, wo sind wir gelandet, wenn es Mut braucht, Debatten anzustoßen? Entscheidend ist und bleibt, dass man sich in unserer Gesellschaft angstfrei streiten kann; engagiert, aber mit dem nötigen Respekt. Und natürlich auf der Grundlage von Fakten. Wobei das Weglassen von Fakten genauso schlimm ist wie Lügen zu verbreiten. Das sollte man nicht vergessen.

Eine Frage zu Ihren Büchern. Es gab Meldungen, dass der Verlag die Bücher, die Sie bis vor dem Einmarsch herausgebracht haben, nicht mehr in der Form herausbringen will. Sie hatten in Dessau Bücher mit. Können Sie das mal kurz erklären, was mit Ihren Büchern wird?

Es ist etwas kompliziert. Mein neuestes Buch von 2020 „Respekt geht anders. Betrachtungen über unser zerstrittenes Land“ gibt es weiterhin ganz normal im Buchhandel. Aber nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine haben sich der Beck-Verlag und ich darauf verständigt, die beiden Russland-Bücher vorläufig nicht mehr an den Buchhandel auszuliefern, weil die Titel und auch die Untertitel von beiden Büchern, „Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“ und „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“, in der Situation verletzen oder zynisch wirken könnten. Das Interesse ist aber nach wie vor da, wie die Preise für gebrauchte Exemplare im Internet zeigen. Jedenfalls habe ich eine Lösung gefunden, beide Bücher wieder direkt über mich bzw. meine Emailadresse zu beziehen.

In unveränderter Fassung?

In unveränderter Fassung. Bei „Russland verstehen“ gibt es nur eine aktuelle Vorbemerkung, nach dem Motto: Das Buch ist zwar über sieben Jahre alt – 2015 erschienen – aber das ändert ja nichts an der darin beschriebenen Chronologie der Ereignisse. Und diese Vorgeschichte bei der aktuellen Diskussion auszublenden, wäre meiner Meinung nach kontraproduktiv. Bei „Eiszeit“ verhält es sich ähnlich. Es ist – wenn Sie so wollen – eine Art Nachschlagewerk für die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion bis 2017. Ich glaube, wenn man Dinge „verstehen“ möchte, kann man das ganz gut brauchen.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Geschehens in der Ukraine? Sehen Sie Auswege? Es gibt die Befürchtung, dass es eine weitere Eskalation gibt.

Ich bin immer sehr zurückhaltend, wenn ich irgendwelche Dinge beurteilen soll, die sich in der Zukunft abspielen. Wir Journalisten haben genug damit zu tun, zu analysieren, was sich in der Gegenwart tut. Damit sind wir gut beschäftigt. Was mir Sorge macht, ist, dass der Druck, unter dem Wolodymyr Selenskyj steht, von Hardlinern, die jegliche Gespräche ablehnen, dass dieser Druck offenbar sehr, sehr groß ist. Das scheint mir nicht ungefährlich zu sein. Das ist die eine Geschichte. Auf der anderen Seite spricht viel dafür, dass diese Hardliner ihren Einfluss verlieren, sobald Washington anders entscheidet. Denn natürlich wird nicht nur in Kiew entschieden, wie es mit der Ukraine weitergeht. In den USA sind vermehrt Stimmen zu vernehmen, die vor weiterer Eskalation in diesem Krieg warnen und nach Wegen suchen, dieses Engagement zu beenden, um sich auf die Herausforderung China konzentrieren zu können.

Ich würde mich an Stelle der Ukraine nicht darauf verlassen, dass die US-amerikanische Unterstützung bis zu einem „Sieg“ der Ukraine, wie immer der aussehen soll, anhält.

Ein letztes Wort zu den Medien: Sie haben in Ihrem Vortrag in Dessau die Medien und die Journalisten kritisiert, dass sie unprofessionell handeln, unprofessionell berichten. Was raten Sie den Kolleginnen und Kollegen?

Nein, das habe ich so nicht gesagt. Ich habe gesagt: Mit leidenden Menschen mitzuleiden, helfen zu wollen – das ist zutiefst menschlich und nebenbei gesagt, es wäre eine Katastrophe, wenn es anders wäre. Aber sich davon in Politik und Medien überwältigen zu lassen, das ist unprofessionell. Es führt zu nichts Gutem, politische Analyse durch Moral ersetzen zu wollen. Es geht darum, Argumente auszutauschen, und nicht darum, die Deutungshoheit mit dem Anspruch eines Naturgesetzes zu beanspruchen, weil man auf der „richtigen“ Seite steht. Es muss im Interesse von Journalisten liegen, herauszufinden, warum Medien insgesamt an Glaubwürdigkeit verlieren. Dieser Glaubwürdigkeitsverlust, der sich ja auch auf Politik bezieht, ist eine Gefahr für die Demokratie, denn wenn man weder der Politik noch den Medien Glauben schenkt, dann sind Tür und Tor für Entwicklungen geöffnet, die wir alle nicht wollen können.

Sind die Medien zu politiknah, zu regierungshörig?

Ich tue mich immer schwer, mit „die“ Medien, „die“ Journalisten oder auch „die“ Politiker.

Eine falsche Weichenstellung besteht mit Sicherheit darin, dass man plötzlich anfängt, von „anständigen“ Journalisten Haltung zu erwarten. Ich bin auch dafür, Haltung zu zeigen, also sich nicht verbiegen zu lassen und Rückgrat zu beweisen. Das ja. Aber wenn Haltung Zeigen darauf hinausläuft, sich als Journalist in der Berichterstattung über einen Meinungsstreit auf eine Seite zu stellen und das dann für moralisch hochwertiger zu halten, dann hat das nichts mehr mit Journalismus zu tun.

Herzlichen Dank.

Titelbild: © Tilo Gräser

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