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Titel: Demokratisierung der Öffentlich-Rechtlichen jetzt!

Datum: 19. November 2014 um 9:54 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Interviews, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Medien haben immensen Einfluss auf unser aller Leben und unsere Meinungsbildung: Ob Buch, Fernsehen oder Internet – sie unterhalten und informieren uns. Sie vermitteln uns Wissen und strukturieren zugleich unsere Vorstellungen von der Welt. Dass diese Medien dabei durch verschiedenste Mechanismen den Interessen der Herrschenden verpflichtet sind, hat nicht zuletzt Noam Chomsky in seinen beiden Büchern „Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media“ und „Media Control: Wie die Medien uns manipulieren“ hervorragend skizziert. Die einseitige Parteinahme auch und gerade der öffentlich-rechtlichen Medien im Kontext der Ukraine-Krise hat neben viel Kritik daher inzwischen auch die Zivilgesellschaft auf den Plan gerufen, die die diesbezüglich verbreitete „Propaganda“ zum Anlass nimmt, konkrete Veränderungen zu fordern. Jens Wernicke sprach hierzu mit Sabine Schiffer und Christine Horz von der Initiative „Publikumsrat“.

Frau Schiffer, die deutschen Medien, und hierbei insbesondere die ARD, sind in den letzten Wochen und Monaten massiver Kritik seitens ihrer Nutzer ausgesetzt gewesen. Von Einseitigkeit und Kriegspropaganda gegen Russland war da unter anderem die Rede. Und diesbezüglich haben auch Sie Partei ergriffen. Zum einen mittels der Veröffentlichung eines Buches wider die herrschende Propaganda. Und zum anderen, indem Sie gemeinsam mit Frau Horz die Idee eines Publikumsrates forcieren. Was genau soll das sein, dieser Publikumsrat, und welche Intentionen verbinden Sie mit Ihrem entsprechenden Engagement?

Schiffer: Also, die Idee zur Notwendigkeit eines Publikumsrates ist schon viel früher entstanden. Sie ist im Grunde genommen eine Antwort auf die Änderung der Beitragsordnung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Jahr 2013. Wir wollten dezidiert für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kämpfen und den Kampagnen von Beitragsgegnern eine wissenschaftlich fundierte Stimme entgegen setzen, die sich für angemessen finanzierten und unabhängigen Journalismus einsetzt und hierdurch die nachhaltige Informations-Grundversorgung ermöglichen, die einer demokratischen Willensbildung vorausgehen muss.

Horz: Ja, unser Anliegen im Jahr 2013war, das Publikum – und zwar dezidiert das gesamte Publikum inklusive der 20 Prozent Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie weitere Minderheiten, die bislang kaum medienpolitisch berücksichtigt werden – stärker in den Fokus zu stellen. Schließlich führte die neue Haushaltsabgabe dazu, das nun jeder Bürger an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beteiligt ist, gleichwohl jedoch nicht jeder wirklich gleichberechtigt zu partizipieren vermag. Mit der rein finanziellen Ausstattung der Sender kann es, das war uns von Beginn an klar, jedoch nicht getan sein. In einer Beteiligungsdemokratie sehen sich die Beitragszahlenden vielmehr als Stakeholder der Öffentlich-Rechtlichen – sie wollen nicht nur informiert werden, sondern beanspruchen zunehmend nachhaltige Kommunikationsplattformen, Mitbestimmungs-, Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten des ÖRR. Hier genau setzt die Initiative für einen Publikumsrat an.

Inwiefern?

Horz: Nun, die Krisenberichterstattung der letzten Wochen und Monate hat – neben einer auch in Teilen überaktiven Debatte – eines besonders deutlich gemacht: Zuschauer und Zuschauerinnen haben großes Interesse an einer qualitativ hochwertigen und ausgewogenen Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Das Publikum nimmt es, zumindest in Teilen, inzwischen sehr genau wahr, wenn die Medien einseitig berichten.


Sabine Schiffer: Im Osten nichts Neues: Alte Feindbilder und neue Propaganda


Schiffer: Die Probleme in der Qualität der Berichterstattung – siehe aktuell die Kritik des ARD-Programmbeirats an der Ukraineberichterstattung – unterstreichen unser Anliegen. Wir brauchen jenseits kommerzieller Medien eben finanziell gut ausgestattete öffentlich-rechtlich Medien, die dem Publikum gegenüber mehr Verantwortung an den Tag legen müssen. Im Moment werden diese ihrer staatsvertraglich geregelten Aufgabe nämlich schlicht nicht mehr gerecht und erweisen sich die Kontrollgremien wie die ARD-Rundfunkräte und der ZDF-Fernsehrat als nicht effektiv. Das muss sich ändern. Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk überleben will, muss er zeigen, was ihn von den kommerziellen Anbietern unterscheidet.

Horz: Ja, aber das darf nicht in weiteren Auflagen münden. Es gibt ja bereits den Drei-Stufen-Test. Hier sollen die öffentlich-rechtlichen Anstalten anhand dreier Aspekte erläutern, was der publizistische Mehrwert ihrer Telemedienangebote im Vergleich zu kommerziellen Angeboten darstellt. Allerdings wird dieser Test innerhalb der Sender unter intransparenten Kriterien erstellt. Hier erscheinen uns unabhängige Institutionen wie Universitäten oder auch Publikumsräte geeignet, anhand transparenter Kriterien zu eruieren wo der Public Value der Öffentlich-Rechtlichen tatsächlich liegt. Und: nicht nur die Sender, sondern auch das Publikum sollte langfristig mehr Verantwortung für den ÖRR übernehmen. Otfried Jarren hat das als „gemeinsame Verantwortungskultur“ bezeichnet. Das ist aber nur möglich, wenn man das Publikum auch „mitspielen“ lässt.

Schiffer: So etwas, wie im Zusammenhang mit der Ukraineberichterstattung, wo sich der Verantwortliche für die Nachrichtenformate darauf beruft, dass die Nachrichtenagenturen und die großen Zeitungen die gleiche Sprachregelung verwendeten, die zurecht vom Publikum angegriffen wurde – Stichwort: OSZE-Beobachter -, darf einfach nicht passieren. Die dpa ist eine gewinnorientierte GmbH und die Zeitungen sind in privater Hand und unterliegen keinem Rundfunkstaatsvertrag. Mit dieser Argumentation erklärt man eine Qualitätsberichterstattung mit öffentlich-rechtlichen Maßstäben für obsolet.

Was genau stört Sie denn an der Medienberichterstattung im Land? Geht es da nur um die „Einseitigkeit“ bezüglich der deutschen Außenpolitik?

Schiffer: Nein, die deutsche Außenpolitik ist da nur ein Beispiel von vielen. Von den Mythen zur Energiewende, über jene zur Gesundheitsreform, zu Bildungsabbau – beides übrigens Bertelsmann-Konzepte zur Privatisierung in diesen Bereichen -, über den angeblichen Fachkräftemangel bis hin zum so genannten demografischen Wandel – von der Wahrnehmung ihrer eigentlichen Aufgabe als Vierte Gewalt im Staate sind unsere Medien weit entfernt. Und all das haben die bisherigen Kontrollgremien eben nicht zu verhindern gewusst.

Horz: Ja, die Medienberichterstattung als Ergebnis eines langen institutionellen Prozesses ist ja sozusagen nur die Spitze des Eisbergs. Viel wichtiger ist, dass die Gremien, die wichtige Aufsichts- und Kontrollfunktionen in den Sendern wahrzunehmen haben, offenbar ebenfalls eine zu große Nähe zu den Sendern haben. Außerdem sollten die Vertreter/innen mit mehr Zeit ausgestattet werden, sich in komplexe medienpolitische oder programmrelevante Zusammenhänge einzuarbeiten. Bei der ARD wurde die Selbstkritik des ARD-Programmbeirats hinsichtlich der Ukraine-Berichterstattung des eigenen Senders – eigentlich ebenfalls ein Geheimpapier – an die Öffentlichkeit durchgestochen. Das Bewusstsein über die Bedeutung einer transparenten Kommunikation mit dem Publikum ist in den Sendern nicht weit verbreitet.


Manufacturing Consent: Noam Chomsky and the Media


Schiffer: Daneben wirft aber auch das Gebaren der Politik wichtige Fragen auf. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem ZDF-Urteil vom 25. März 2014 zu Recht moniert, dass die Gremien zu staatsnah und insofern interessen-verquickt sind. Aktuell beraten nur vier, fünf „Staatskanzlisten“ hinter verschlossenen Türen darüber, wie die Gremien zukünftig zu besetzen sind. Wir meinen: Zur Transparenzforderung des Bundesverfassungsgerichtsurteils gehört auch, dass die Politik eine öffentliche Debatte darüber anstoßen muss, wer in die Gremien gehört. Es kann nicht sein, dass eine Handvoll Staatssekretäre darüber urteilen, wer „gesellschaftlich relevant“ ist und wer eben nicht. Dafür ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk gesellschafts-, sozial- und kulturpolitisch einfach zu bedeutsam.

Ich denke, wenn wir über Fehlleistungen in der Medienberichterstattung reden, sollte man das anhand konkreter Beispiele deutlich machen. Haben Sie hierzu vielleicht ein, zwei Beispiele parat? Ich meine, wo und wie Medien, auch andere, Dinge interessengeleitet und damit unseriös darstellen?

Horz: Also, die Glaubwürdigkeit der Sender wurde in letzter Zeit nicht nur durch die Informations- und Nachrichtenformate erschüttert. Auch im Unterhaltungssektor mussten wir von Ranking-Show-Manipulationen in ZDF, NDR und anderen Sendern erfahren. Das ist insofern keine Kleinigkeit, weil diese scheinbar einzelnen Fehlleistungen das Misstrauen gegenüber Medien allgemein und den Öffentlich-Rechtlichen im Besonderen anwachsen lassen. Auch wenn die Sender dies verneinen und mit der anhaltend hohen Quote ihrer Nachrichtenformate argumentieren – Einschaltquoten sind eben nicht gleichzusetzen mit Akzeptanz.

Schiffer: Bei vielen Themen ist die Irreführung der Bevölkerung erst einmal gelungen, wie etwa das Hochjubeln der Riesterrente bzw. das Verkaufen von Privatisierung im Bildungsbereich als „Hochschulreform“. Die Einwände des Publikums gegen die aktuelle Ukraineberichterstattung und auch die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr zeigt, dass nicht alle Kampagnen erfolgreich sind – auch und gerade, wenn die Öffentlich-Rechtlichen sie mittragen. Und da ist der Vertrauensverlust in die Öffentlich-Rechtlichen für unsere Demokratie natürlich gewichtiger, als bei den kommerziellen Medien.

Horz: Ein Glaubwürdigkeitsverlust ist problematisch, weil die Öffentlich-Rechtlichen ihre Legitimation aus der staatsvertraglich definierten Grundversorgung der Bevölkerung beziehen. Verlieren sie also mit dem Vertrauen der Bevölkerung ihre Glaubwürdigkeit, verstoßen sie nicht nur gegen ihren verfassungsmäßigen Auftrag, sondern steht über kurz oder lang der gesamte ÖRR zur Disposition.

Und wie kommt es zu dieser Entwicklung; ich meine, dass so viele „Reformlügen“, wie Albrecht Müller es nennen würde, so gern und weit verbreitet werden auch und insbesondere in den Öffentlich-Rechtlichen? Ich hoffe doch nicht, Sie haben hier eine Verschwörung in deutschen Redaktionsstuben ausgemacht…

Schiffer: Nein, es ist viel komplizierter. Einen Drahtzieher oder eine kleine Verschwörergruppe wäre schon eine große Erleichterung. Die Mechanismen der Konformität laufen aber subtiler ab. Wir sprechen inzwischen von einem Kräftemessen zwischen idealtypischer Vierter und einer Fünften Gewalt, also dem Lobbyismus und den Public Relations, die erfolgreich und finanziell gut ausgestattet auf die Medien Einfluss nehmen. Das ZAPP-Medienmagazin des NDR leistet in diesem Bereich immer wieder gute Aufklärung. Aber ein Bewusstsein dafür, dass man von PR-Agenturen bereits als Vehikel eingeplant ist, gewissen „Wahrheiten“ zu verbreiten, scheint in den Redaktionsstuben noch nicht wirklich angekommen zu sein.

Horz: Was dabei sicher auch eine Rolle spielt, ist der gefühlte finanzielle Druck auf die Journalisten und Redakteure in den Sendern, obwohl aus Rundfunkbeiträgen jährlich etwa 8 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Für einen Redakteur unter diesem Spardiktat wird es als Person immer schwieriger, umstrittene Themen anzupacken sowie die Ausgaben seines Senders laut zu hinterfragen – muss etwa ein neues Studio in dieser Dimension wirklich sein, sind die hohen Ausgaben für Sportrechte notwendig usw. usf.? Und aber auch: Macht es Sinn, auf der einen Seite Mitarbeiter frühzeitig in den Ruhestand zu schicken und auf der anderen Seite deren bisherige Tätigkeit dann auszulagern, wodurch doppelte Kosten entstehen? Es wäre sicher einfacher, wenn die Öffentlich-Rechtlichen sich weniger der Quote als dem Publikum und insofern auch der Qualität der eigenen Berichterstattung verpflichten würden. Deshalb sehen wir über bloßen Dialog hinaus eine Allianz mit dem Publikum als einzige Chance an, wie der ÖRR mittel- bis längerfristig an Akzeptanz beim Publikum gewinnen kann.

Schiffer: Mit unserer Forderung nach Publikumsräten verfolgen wir aber noch ein weiteres Ziel, das ganz grundsätzlich ist. Es geht nämlich um die Demokratisierung unserer Medien, ohne die keine Demokratie zu haben ist. Wenn alle Beitragszahlenden die Mitglieder der Kontrollgremien – und da sehen wir Publikumsräte als Ergänzung zu den bestehenden Gremien an – wählen dürften, dann müssten sich diese mit einem Programm zur Wahl stellen. Wofür stehen sie genau? Und was wollen sie in ihrer Funktion erreichen? Damit wäre endlich eine breite und notwendige Auseinandersetzung über medienrelevante Fragen möglich und würde Transparenz schließlich, so hoffen wir, den aktuellen Blackbox-Charakter der Strukturen ersetzen.

Horz: Ja, und diese breite Auseinandersetzung mit medienrelevanten Fragen würde wiederum die dringend erforderliche gesamtgesellschaftliche Medienkompetenz stärken. Und da zur Transparenz auch Nachvollziehbarkeit gehört, müssten zudem auch die vom Publikum finanzierten Programminhalte diesem vollumfänglich zugänglich gemacht werden, indem die Archive geöffnet werden und die Webpräsenzen nicht weiter ausgedünnt werden.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Christine Horz (Dr. phil.) ist Mitherausgeberin des Global Media Journal und lehrt an verschiedenen Universitäten und Hochschulen u.a. zum Themenbereich Migration und Medien.

Sabine Schiffer (Dr. phil.) gründete und leitet das Institut für Medienverantwortung. Sie publiziert und referiert zu den Themenfeldern Medienanalyse, Medienbildung, sowie zum Spannungsfeld zwischen Vierter und Fünfter Gewalt.

Gemeinsam gründeten die beiden Wissenschaftlerinnen die Initiative für einen Publikumsrat.


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