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Titel: Streumunition über außenpolitischem Minenfeld – zur Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten

Datum: 13. Juli 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Aufrüstung, Bundespräsident, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege
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Am 10. Juli 2023 erstattete der Bonner Diplom-Mathematiker Wolf Göhring Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier. Der Grund: Der Bundespräsident, so Göhring, habe mutmaßlich gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Im Sommerinterview des ZDF, das am 9. Juli ausgestrahlt wurde, hatte Herr Steinmeier nämlich mit Blick auf die Entscheidung Washingtons, Streumunition an die Ukraine zu liefern, erklärt, man könne „in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen”. Nach einer kurzen Vorbemerkung unseres Autors Rainer Werning folgt der vollständige Wortlaut der Strafanzeige Göhrings gegen den Bundespräsidenten.

Vorabnotiz

Der Einsatz von Streumunition, die mittlerweile von weit über einhundert Staaten – darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – geächtet ist, führt dazu, dass in großflächigen Gebieten auf Dauer das Betreten aufgrund explosionsfähiger Rückstände mit hoher Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen verbunden ist. Zuvörderst ist die Zivilbevölkerung mitsamt landwirtschaftlich genutzten Flächen vom Einsatz dieser perfiden Waffe betroffen. Schätzungen der Organisation Handicap International zufolge sind 98 Prozent der von den Auswirkungen von Streubomben betroffenen Menschen Zivilpersonen und darunter 27 Prozent Kinder. Als das bis heute am stärksten betroffene Land gilt Laos, wo die USA auf dem Höhepunkt ihres Aggressionskrieges gegen Vietnam, Kambodscha und Laos Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre einen „geheimen Krieg“ führten.

Es verwundert daher nicht, dass ausgerechnet Kambodschas Regierungschef Hun Sen angesichts der eigenen leidhaften Erfahrungen mit Streubomben als erster Staatschef nachdrücklich vor deren Einsatz in der Ukraine warnte:

Aus Mitgefühl mit dem ukrainischen Volk rufe ich den US-Präsidenten als Lieferanten und den ukrainischen Präsidenten (Wolodymyr Selenskyj) als den Empfänger auf, Streubomben in dem Krieg nicht zu verwenden, weil die wahren Opfer die Ukrainer sein werden.“

Zu den Nichtunterzeichnern des sogenannten Oslo-Übereinkommens zur Ächtung von Streumunition (2008) zählen u.a. die USA, die Ukraine und Russland. Letzteres beziehungsweise die frühere Sowjetunion setzte ebenfalls Streumunition während der beiden Tschetschenienkriege (1994-96 und 1999-2009) sowie im Zuge der Afghanistaninvasion (1979-89) ein. Und laut Human Rights Watch sollen sowohl Russland als auch die Ukraine im laufenden Krieg in unterschiedlichem Ausmaß bereits selbst Streumunition eingesetzt haben. (Cluster Munition Use in Russia-Ukraine War | Human Rights Watch (hrw.org) & Ukraine: Zivile Todesopfer durch Streumunition | Human Rights Watch (hrw.org)

Die nunmehrige Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, Streumunition (worunter sich seit den Tagen des Vietnamkrieges, der in Vietnam selbst der „Amerikanische Krieg“ genannt wird, auch sogenannte „daisy cutters“ – „Gänseblümchenschneider“ – mit verheerender Wirkung befinden) an die Ukraine zu liefern, kommentiert beispielsweise der US-amerikanische Historiker und Publizist Daniel Larison wie folgt:

„Mit dieser Entscheidung setzen sich die USA auch dem Vorwurf der Heuchelei aus. US-Beamte haben den russischen Einsatz dieser Waffen verurteilt und hervorgehoben, dass diese auf dem Schlachtfeld nichts zu suchen haben. Jetzt aber erklärt die Regierung, dass sie dort sehr wohl etwas zu suchen haben. Die Lieferung von Streumunition an die Ukraine macht die früheren Erklärungen der Regierung zum Gespött und schafft weitere politische Probleme für ihre Bemühungen, Unterstützung für die Ukraine zu gewinnen. Viele Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien sind dem Vertrag über das Verbot des Einsatzes, der Weitergabe und der Lagerung von Streumunition beigetreten. Nun haben sie einen Grund mehr, die Appelle der USA zur Verteidigung der ‚regelbasierten Ordnung‘ als heiße Luft abzutun. Die Entscheidung wird wahrscheinlich einige unserer Verbündeten in Europa in Verlegenheit bringen und verärgern, da die meisten NATO-Mitglieder dem Vertrag ebenfalls beigetreten sind.“ (“Biden’s Cluster Munitions Blunder” – siehe dazu auch folgende Texte: “Steinmeier war schon vor den Streubomben der Präsident der doppelten Standards” & “Steinmeier zur Streumunition: Was interessiert ihn seine Moral von gestern?”” sowie “Streubomben für die Ukraine missachten humanitäres Völkerrecht”)

Schon einmal in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik wurde ein offensichtlich „unbedachtes Wort“ dem obersten Staatsrepräsentanten zum Verhängnis. Erinnert sei an ein Interview, das Herr Dr. Horst Köhler dem Deutschlandradio Kultur am 22. Mai 2010 gab, als sich der Bundespräsident auf dem Rückflug nach einer Afghanistanvisite befand. Wörtlich äußerte sich Herr Köhler damals wie folgt:

Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“

Die Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan wurde lange Zeit als „Polizeiaktion“, „Einsatz“ u.ä. schöngeredet, wenngleich es sich am Hindukusch um einen Krieg handelte, wie wir spätestens seit nunmehr zwei Jahren wissen. Versprochen wurde der Öffentlichkeit eine schonungslose Aufklärung dieses letztlich gigantischen Fiaskos unter dem Oberkommando der USA, was allerdings bis dato aussteht! Köhlers ungeschminkte Worte wurden ihm rasch zum Verhängnis. Unzeremoniell trat er von der politischen Bühne ab, wenngleich heute mit Blick auf die sogenannte Region Indo-Pazifik kein Hehl daraus gemacht wird, dass auch dort die Bundesrepublik mitsamt ihren „westlichen Verbündeten“ knallhart für wirtschaftliche Interessen und „freie Schifffahrtrechte“ Flagge (und Flotten) zeigt.

Unabhängig davon, welche Konsequenzen die von Wolf Göhring erstattete Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten hat, stellt sich alerten Zeitgenossen im Zeichen einer vielbeschworenen „Zeitenwende“ die besorgte Frage, welche Verzwergungsprozesse sich da in puncto bundesrepublikanischer Außenpolitik und Diplomatie noch entfalten, um „Russland zu ruinieren“. Der Bundespräsident, der pikanterweise das inkriminierte Gesetz zur Ächtung von Streumunition selbst unterzeichnete und es „als Meilenstein der konventionellen Rüstungskontrolle“ bezeichnet hatte, ist mit seiner Haltung vis-à-vis Washington den USA jedenfalls mehr um den Hals als in „den Arm gefallen“. Rainer Werning

Titelbild: ZDF

Anhang: Die Strafanzeige von Herrn Göhring im Wortlaut

An die
Staatsanwaltschaft Bonn

Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten Dr. Frank Walter Steinmeier

Sehr geehrte Damen und Herren!

Hiermit erstatte ich Strafanzeige gegen den Bundespräsidenten Dr. Frank Walter Steinmeier wegen eines vermuteten Verstoßes gegen § 20a (Strafvorschriften gegen Antipersonenminen und Streumunition), Abs. 1, Nummer 3 in Verbindung mit Nummer 1 Kriegswaffenkontrollgesetz.

Hiernach gilt:

„(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer

1. entgegen § 18a Antipersonenminen oder Streumunition einsetzt, entwickelt, herstellt, mit ihnen Handel treibt, von einem anderen erwirbt oder einem anderen überläßt, einführt, ausführt, durch das Bundesgebiet durchführt oder sonst in das Bundesgebiet oder aus dem Bundesgebiet verbringt oder sonst die tatsächliche Gewalt über sie ausübt, insbesondere sie transportiert, lagert oder zurückbehält,

2. einen anderen zu einer in Nummer 1 bezeichneten Handlung verleitet oder

3. eine in Nummer 1 bezeichnete Handlung fördert.“

Dr. Steinmeier hat im breit veröffentlichten „Sommerinterview des ZDF“ am 9. Juli 2023 im Hinblick auf die US-Entscheidung, Streumunition an die Ukraine zu liefern, erklärt, man könne “in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen”. Mit dieser Bemerkung hat er meiner Meinung nach die „Durchführung von Streumunition durch das Bundesgebiet“, nämlich den Transport von US-Streumunition gefördert. Mit seiner Bemerkung werden aus meiner Sicht Amtsträger beim Zoll, bei der Polizei und im Rechtswesen, die für die Einhaltung der Bestimmungen des Kriegswaffenkontrollgesetzes aus § 18a und § 20a zu sorgen haben, dazu aufgerufen, die USA ungehindert gewähren zu lassen, also auch nicht nachzufragen und wegzuschauen, wenn sie illegal Streumunition für die Ukraine durch das Bundesgebiet (nach Polen und dann zur Ukraine) transportieren oder transportieren wollen.

Dieser Transportweg ist keine bloße Mutmaßung. Deutschland hat in mehreren Manövern, z.B. bei Defender 2020 und zuletzt in besonderem Maße bei Defender 2023 gezeigt, dass es in jeder Hinsicht als Transitland für Waffentransporte geeignet ist. Es sind zahlreiche weitere europäische Staaten der Konvention gegen Streumunition beigetreten. Mit den Unterzeichnerstaaten Dänemark, Schweden und Norwegen dürfte die Passage zur Ostsee (und somit nach Polen) rechtlich verwehrt sein, ebenso der Überflug. Im Süden grenzt nur Rumänien als Nicht-Unterzeichnerstaat an die Ukraine. Bulgarien und Ungarn haben unterzeichnet. Ein Schiffstransport von Streumunition durch den Bosporus dürfte wegen des Vertrags von Montrieux verwehrt sein. Ob die Türkei Überflugrechte zum Lufttransport nach Rumänien gewähren würde, dürfte mehr als fraglich sein, auch wenn sie die Konvention nicht unterzeichnet hat.

Es ist daher für die USA von größtem Interesse, die der Ukraine zugesagte Streumunition baldmöglich, unhinterfragt und ohne rechtliche Hindernisse durch das deutsche Bundesgebiet nach Polen und von dort zur Ukraine transportieren zu können.

Dr. Steinmeiers Bemerkung muss als öffentliche Mahnung angesehen werden, den USA entgegen dem deutschen Kriegswaffenkontrollgesetz keine rechtlichen Hindernisse für den Transport von Streumunition durch das Bundesgebiet in den Weg zu legen. Dies auch im Gegensatz zu Artikel II Absatz 1 des Abkommens vom 19. Juni 1951 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut), welcher die Entsendestaaten verpflichtet, das Recht des Aufnahmestaates, also das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz zu achten.

Dr. Steinmeier ist rechtlich zu gut beschlagen und beraten, als dass ich seine Bemerkung als fahrlässigen Ausrutscher werten könnte, sondern ich muss sie als bewusst vorgebracht ansehen, um den Transport von US-Streumunition durch das Bundesgebiet zu fördern, zumal Dr. Steinmeier auch bemerkte, dass die Ukraine diese Waffen benötige.

Gemäß Artikel 59 Grundgesetz vertritt der Bundespräsident „den Bund völkerrechtlich“., d.h. er ist unter anderem vollständig an die für den Bund geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen gebunden. Dazu gehört auch das Abkommen zur Ächtung von Streumunition, das vom Bundestag als “Gesetz zu dem Übereinkommen vom 30. Mai 2008 über Streumunition” beschlossen wurde (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009, Teil II, Nr. 17 ) und die Ratifikation des Abkommens durch die Bundesrepublik Deutschland abschloss. Die Ratifikationsurkunde ist (neben denen weiterer 110 Staaten) gemäß Abkommen bei den Vereinten Nationen hinterlegt als Ausweis gegenüber diesen Nationen und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen dafür, dass Deutschland als Rechtsstaat im Innern die Regeln dieses Abkommens zum Humanitären Völkerrecht ohne Wenn und Aber umsetzen wird, wie es in der Gesetzesverkündung vom 6. Juni 2009 vorgesehen ist. Ein Vorbehalt, dass man gegebenfalls den USA „nicht in den Arm fallen“ dürfe, ist darin nicht niedergeschrieben. Dr. Steinmeiers Äußerung ist meiner Meinung nach auch unter diesem Gesichtspunkt ein Verstoß gegen § 20a, Abs (1), Nummer 3 in Verbindung mit Nummer 1 Kriegswaffenkontrollgesetz.

Ich bitte Sie daher, im Sinne dieser Strafanzeige zu ermitteln. Sollten Sie nicht zuständig sein, so bitte ich Sie, die Anzeige an die zuständige Stelle weiter zu leiten.

Ich bitte Sie, mir den Eingang zu bestätigen und mir das Aktenzeichen mitzuteilen.

Mit freundlichen Grüßen


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