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Titel: „Halten wir für haltlos“ – Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Gaza vor dem IGH und die Arroganz der Bundesregierung

Datum: 20. März 2024 um 9:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege
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Nicaragua hat am 1. März offiziell Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Deutschland eingereicht. Wie das höchste UN-Gericht mitteilte, wirft das mittelamerikanische Land der Bundesrepublik „Begünstigung zum Völkermord“ im Gazastreifen vor und begründet dies mit der politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung Israels und der Streichung der Mittel für UNRWA. Zuvor hatte Managua bereits in einer Presseerklärung Anfang Februar mitgeteilt, dass es der Bundesrepublik eine entsprechende Verbalnote hatte zukommen lassen. Als die NachDenkSeiten am 7. Februar nach der Verbalnote gefragt hatten, negierte das Auswärtige Amt den Erhalt. Wir fragten jetzt erneut nach. Die auf der Bundespressekonferenz gezeigte Arroganz gegenüber Nicaragua könnte noch massiv auf Berlin zurückfallen. Denn das mittelamerikanische Land hat umfangreiche Erfahrungen vor dem IGH vorzuweisen und bereits eine dortige Klage gegen die USA gewonnen. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Blick zurück: Nicaragua gewinnt gegen die USA vor dem IGH

Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wieso die Klage Nicaraguas gegen Deutschland durchaus erfolgreich verlaufen könnte, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich. Siehe hierzu auch den Artikel „Das Israel-Urteil des IGH und das Urteil gegen die USA im Fall Nicaragua“.

Im Jahr 1984 verklagte Nicaragua die USA vor dem IGH wegen der Bewaffnung, Ausbildung und Finanzierung der sogenannten Contra-Rebellen, die den Sturz der nicaraguanischen Regierung erreichen wollten. Zudem waren auf Anweisung der CIA die Häfen des mittelamerikanischen Landes vermint worden. Nicaragua ging als eindeutiger Gewinner aus dieser Klage hervor. Bis heute verfügt Nicaragua über sehr erfahrene Juristen und Völkerrechtsexperten und hat, mag es auch ein kleines mittelamerikanisches Land sein, mehr Erfahrung und Erfolge vor dem IGH vorzuweisen als Deutschland und seine Juristen. Die großspurige Aussage des AA-Sprechers, „Wie Sie wissen, hat Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof ein Verfahren angestrengt, das wir für haltlos halten“, kann sich in Den Haag ganz schnell als deutsche Hybris herausstellen.

IGH verpasst den USA eine juristische Klatsche

Die USA rechtfertigten ihre Politik damit, dass sie in Nicaragua angeblich nur aus „kollektiver Selbstverteidigung“ handeln würden. Eine Rechtfertigung, die das Gericht in seinem Urteil von 1986 mit 12:3 Stimmen zurückwies.

Das Gericht entschied ferner mit überwältigender Mehrheit:

„Dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika durch die Ausbildung, Bewaffnung, Ausrüstung, Finanzierung und Versorgung der Contra-Kräfte … gegen die Republik Nicaragua gehandelt und damit gegen ihre Verpflichtung aus dem Völkergewohnheitsrecht verstoßen haben, sich nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen.“

Weiterhin stellte das Gericht fest, dass die USA an der „ungesetzlichen Anwendung von Gewalt“ beteiligt waren, wobei zu den Verstößen Angriffe auf nicaraguanische Einrichtungen und Marineschiffe, das Eindringen in den nicaraguanischen Luftraum und die Ausbildung und Bewaffnung der Contras gehörten.

Der IGH kam zudem zum Schluss, dass der damalige US-Präsident Ronald Reagan die CIA ermächtigt hatte, „Minen in nicaraguanischen Häfen zu legen“ und „dass die Regierung der USA weder vor dem Legen der Minen noch danach eine öffentliche und offizielle Warnung an die internationale Schifffahrt vor der Existenz und dem Standort der Minen herausgegeben hat und dass durch die Explosion der Minen Personen- und Sachschäden verursacht wurden“.

Die USA wurden abschließend aufgefordert, ihre Aktivitäten umgehend einzustellen und Entschädigungen zu zahlen.

Die Reaktion der USA auf dieses Urteil war aufschlussreich. Washington wies das IGH-Urteil mit der Begründung zurück, dass die USA „sich selbst die Befugnis vorbehalten müssen, zu entscheiden, ob der Gerichtshof in einem bestimmten Fall für uns zuständig ist“ und was „im Wesentlichen in der innerstaatlichen Zuständigkeit der USA liegt“.

Die Reagan-Administration erklärte also unverhohlen, dass sie bewaffnete Angriffe gegen den souveränen Staat Nicaragua als Teil ihrer „inneren Zuständigkeit“ betrachte.

Unbeeindruckt davon brachte Nicaragua die Angelegenheit vor den UN-Sicherheitsrat, wo der nicaraguanische Vertreter argumentierte, dass die Anrufung des IGH eines der grundlegenden Mittel zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten sei, die in der UN-Charta festgelegt sind.

Nicaragua betonte ferner, dass der Sicherheitsrat und die internationale Gemeinschaft die USA unbedingt an ihre Verpflichtung erinnern müssen, sich an das Urteil des Gerichtshofs zu halten und ihren Krieg gegen Nicaragua einzustellen.

Die USA erwiderten, dass die Zuständigkeit des IGH eine Frage der Zustimmung sei und dass die USA der Zuständigkeit des IGH in diesem Fall nicht zugestimmt hätten. Der Botschafter versicherte, dass die Politik der USA gegenüber Nicaragua allein von den nationalen Sicherheitsinteressen der USA bestimmt werde, und wies darauf hin, dass Nicaragua enge Sicherheitsbeziehungen zu Kuba und der Sowjetunion unterhalte.

Am 28. Oktober 1986 legten die USA bei Stimmenthaltung Frankreichs, Thailands und des Vereinigten Königreichs ihr Veto gegen die Resolution ein, in der die vollständige und sofortige Umsetzung des IGH-Urteils gefordert wurde.

Nach dieser Entscheidung wandte sich Nicaragua an die Generalversammlung, die mit 94 zu 3 Stimmen eine Resolution verabschiedete, in der die Einhaltung des Urteils des Weltgerichtshofs gefordert wurde. Nur zwei Staaten, Israel und El Salvador, schlossen sich dem Widerstand der USA an.

Ein Jahr später, am 12. November 1987, forderte die Generalversammlung erneut die „vollständige und sofortige Befolgung“ des IGH-Urteils. Diesmal schloss sich einzig und allein nur Israel den USA an und lehnte die Befolgung des Urteils ab.

Ob Deutschland, angesichts seiner proklamierten „wertegeleiteten Außenpolitik“ und zumindest bis jetzt vehement geäußerten Unterstützung des IGH, im Falle einer juristischen Niederlage in Den Haag auch dem US-amerikanischen Ansatz folgen wird?

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 13. März 2024

Warweg
Herr Fischer, ich hatte Anfang Februar – ich meine, es sei am 7. Februar gewesen – ihre Kollegin gefragt, ob die entsprechende Verbalnote aus Nicaragua schon ihren Weg ins Auswärtige Amt gefunden habe. Mittlerweile hat Nicaragua auch offizielle Schritte gegenüber dem IGH eingeleitet und wirft Deutschland unter anderem einen Bruch der Genozidkonvention vor.

Ist diese Verbalnote mit der entsprechenden Aufforderung an Deutschland, die Waffenlieferungen an Israel zu unterlassen, mittlerweile angekommen?

Fischer (AA)
Wie Sie wissen, hat Nicaragua vor dem Internationalen Gerichtshof ein Verfahren angestrengt, das wir für haltlos halten. Wir werden unsere Argumente darlegen und sind davon überzeugt, dass sie Widerhall finden werden.

In diesem Zusammenhang hat uns Nicaragua in der Tat einige Zeit nach der Bundespressekonferenz, auf der Sie die Kollegin gefragt haben, auch eine Verbalnote übermittelt. Warum das auf nicaraguanischer Seite so lange gedauert hat, hat sich uns nicht recht erschlossen. Nicaragua hatte ja bereits per Pressemitteilung angekündigt, uns die Verbalnote zu übermitteln. Dann passierte tage- und wochenlang nichts. Aber zu guter Letzt ist diese Verbalnote doch eingetroffen.

Zusatzfrage Warweg
Noch eine Verständnisfrage; ich denke, sie geht auch an das AA und unter Umständen an das BMJ: Der Axel-Springer-Konzern unterhält in Israel das größte kommerzielle Kleinanzeigenportal yad2. Darauf werden zu Tausenden Wohnungen und Häuser auf der völkerrechtswidrig besetzten Westbank angeboten.

Wie ist die rechtliche Handhabung in Deutschland, wenn ein deutsches Unternehmen Geld mit der Vermarktung von Häusern und Wohnungen macht, die zumindest völkerrechtlich als illegal gelten?

Fischer (AA)
Ich denke, dass Sie zu Rechtsfragen und Fragen des Unternehmensrechts in der Tat die Kollegen aus den anderen Ressorts fragen müssten.

Folgt:

Dr. Zimmermann (BMJ)
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie eine Auskunft zur Rechtslage erbitten?

Zusatz Warweg
Ich wollte fragen, wie es sein kann, dass ein deutsches Unternehmen, nämlich die Axel Springer SE, sozusagen mit der Vermarktung von als völkerrechtlich illegal geltenden Wohnungen Geld macht.

Dr. Zimmermann (BMJ)
Ich glaube, wir können das abkürzen: Wenn Sie eine Auskunft zur Rechtslage erbitten, dann können Sie einen Anwalt beauftragen; der kann ihnen diese Auskunft geben.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 13.03.2024


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