Nicaragua will Deutschland wegen „Beihilfe zum Genozid in Gaza“ vor IGH in Den Haag anklagen

Nicaragua will Deutschland wegen „Beihilfe zum Genozid in Gaza“ vor IGH in Den Haag anklagen

Nicaragua will Deutschland wegen „Beihilfe zum Genozid in Gaza“ vor IGH in Den Haag anklagen

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Nicaragua hat nach eigener Darstellung erste Schritte eingeleitet, um Deutschland und drei weitere Länder vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zur Rechenschaft zu ziehen. Begründet wird dies mit Komplizenschaft bei den „flagranten und systematischen Verstößen gegen das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, das humanitäre Völkerrecht und das Besatzungsrecht in den besetzten palästinensischen Gebieten, insbesondere im Gazastreifen“. In diesem Zusammenhang hat die nicaraguanische Regierung Deutschland auch eine Verbalnote mit der Aufforderung zukommen lassen, „unverzüglich die Lieferung von Waffen, Munition und Technologiekomponenten an Israel einzustellen“, um so weitere potenzielle Verstöße gegen die Völkermordkonvention zu verhindern. Die NachDenkSeiten fragten diesbezüglich auf der Bundespressekonferenz nach. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Am 1. Februar 2024 veröffentlichte die Regierung des mittelamerikanischen Landes, die bereits 1984 eine Klage gegen die USA vor dem IGH wegen des von den USA initiierten und finanzierten Contra-Krieges mit abertausenden von ermordeten Zivilisten sowie der Verminung seiner Seehäfen gewonnen hatte, ein Kommuniqué mit der Überschrift:

„VERHINDERUNG UND BEENDIGUNG DES VÖLKERMORDES IN PALÄSTINA“. Darin heißt es gleich zu Beginn:

„Die Regierung der Versöhnung und der Nationalen Einheit teilt dem nicaraguanischen Volk und der internationalen Gemeinschaft mit, dass sie die Regierungen des Vereinigten Königreichs, Deutschlands, der Niederlande und Kanadas von ihrer Entscheidung in Kenntnis gesetzt hat, sie nach dem Völkerrecht für grobe und systematische Verstöße gegen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, das humanitäre Völkerrecht und das Gewohnheitsrecht, einschließlich des Besatzungsrechts in den besetzten palästinensischen Gebieten, insbesondere im Gazastreifen, zur Rechenschaft zu ziehen.

Darüber hinaus weist Nicaragua in der Erklärung darauf hin, dass die jüngsten Ankündigungen Deutschlands und der drei anderen Länder, die Finanzierung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) auszusetzen, ein weiterer Beweis dafür seien, „dass die Regierungen des Vereinigten Königreichs, Deutschlands, der Niederlande und Kanadas in der gegenwärtigen Situation weiterhin ihre Verpflichtungen ignorieren und Israels Verstöße gegen die Normen des Völkerrechts zum schweren und unmittelbaren Schaden des palästinensischen Volkes, insbesondere der Bewohner des Gazastreifens, aktiv unterstützen“. Weiter wird in der offiziellen Erklärung ausgeführt, dass die Form der kollektiven Bestrafung der Palästinenser mit dem „offensichtlichen Ziel“ verbunden sei, die palästinensische Bevölkerung zum Verlassen der besetzten palästinensischen Gebiete, insbesondere des Gazastreifens, zu zwingen und sie an der Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung zu hindern. Abschließend heißt es in dem Kommuniqué:

„Folglich hat Nicaragua diesen Regierungen schriftlich mitgeteilt, dass es alle Maßnahmen ergreifen wird, die es nach dem Völkerrecht für angemessen hält, einschließlich der Anrufung des Internationalen Gerichtshofs, um die Achtung dieser grundlegenden internationalen Texte und des Völkergewohnheitsrechts zu gewährleisten.“

Am 5. Februar erklärte die Regierung in Managua dann, dass sie an diesem Tag erste Schritte eingeleitet hätte, um Deutschland, Großbritannien, die Niederlande und Kanada vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu verklagen.

Am 6. Februar berichtete die offizielle Vertretung Palästinas vor den Vereinten Nationen über die Pläne Nicaraguas:

Die mediale Reaktion: Schweigen in Deutschland – Ausführliche Berichterstattung im Rest der Welt

Auffällig ist in diesem Kontext die unterschiedliche mediale Reaktion. Medien im arabischen Raum berichteten ausführlich über die Ankündigung Nicaraguas (zum Beispiel hier und hier).

Auch in Lateinamerika wurde ausführlich darüber berichtet, ebenso in spanischen und schweizerischen Medien. So berichtete etwa die öffentlich-rechtliche schweizerische Nachrichten- und Informationsplattform Swissinfo unter der Überschrift „Nicaragua beschuldigt Kanada, Deutschland, die Niederlande und Großbritannien des „Völkermords“ in Gaza“ über den Fall. In Spanien veröffentlichte beispielsweise die Tageszeitung Público einen Artikel mit dem Titel „Nicaragua verklagt Kanada, Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Unterstützung des palästinensischen Völkermordes“.

Auch die staatliche spanische Nachrichtenagentur EFE, nach AP, AFP und Reuters die viertgrößte der Welt, berichtete ausführlich, ganz im Gegensatz zum deutschen Äquivalent, der dpa. Doch die dpa steht in Deutschland mit ihrer Politik des Ignorierens nicht allein. Im Gegenteil. In keinem deutschen „Leitmedium“ (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels) lässt sich ein Verweis darauf finden, dass ein Land aus dem Globalen Süden Deutschland vor dem IGH wegen mutmaßlicher „Beihilfe zum Genozid“ verklagen will. Egal wie man den Schritt der Regierung unter Daniel Ortega auch bewertet, aber diesen Vorgang komplett zu verschweigen, verträgt sich kaum mit dem journalistischen Anspruch, seine Leserschaft umfassend zu informieren. Noch eklatanter wird das versuchte Ignorieren angesichts der aufgezeigten Berichterstattung dazu im Rest der Welt.

Protokollauszug von der Regierungspressekonferenz am 7. Februar 2024

Frage Warweg
Nicaragua hat nach eigener Darstellung am Montag erste Schritte eingeleitet, um Deutschland, die Niederlande, Großbritannien und Kanada vor dem IGH wegen mutmaßlicher Komplizenschaft bei der tausendfachen Tötung palästinensischer Zivilisten zur Verantwortung zu ziehen. Gleichzeitig hat es in einem offiziellen Kommuniqué erklärt, dass es Deutschland eine Verbalnote geschickt habe, in der Deutschland aufgefordert werde, die Lieferung von Munition, Waffen und Technologiekomponenten nach Israel sofort einzustellen, um so potenzielle Verstöße gegen die Völkermordkonvention zu verhindern.

Können Sie, erstens, den Eingang dieser Verbalnote bestätigen?

Zweitens: Wie gedenkt Deutschland, auf die dargelegten Schritte Nicaraguas zu reagieren?

Deschauer (AA)
Vielen Dank, Herr Warweg, für Ihre Frage. Wir haben Kenntnis von einer Pressemitteilung. Weitere Schritte darüber hinaus, die Sie andeuten, kann ich hier nicht bestätigen. Darüber hinaus weisen wir natürlich entsprechende Inhalte der Pressemitteilung zurück.

Zusatzfrage Warweg
Zum einen: Habe ich Sie richtig verstanden, dass es diese Verbalnote nicht bis ins Auswärtige Amt geschafft hat?

In dieser Verbalnote argumentiert Nicaragua, dass es plausibel sei, dass die unter anderem von Deutschland an Israel gelieferten Waffen – ich zitiere kurz – zur Erleichterung oder Begehung von Verstößen gegen die Völkermordkonvention einschließlich Beihilfe zum Völkermord verwendet werden. Vor dem Hintergrund, dass der IGH das Gesuch Südafrikas zum großen Teil angenommen hat, würde mich interessieren, wie Sie diesen Vorwurf Nicaraguas entkräften wollen.

Deschauer (AA)
Herr Warweg, Sie machen jetzt sehr viele Prämissen in einer Kette in Ihrer Frage, oder sagen wir mal: in Ihrer Stellungnahme.

Zusatz Warweg
Das ist keine Stellungnahme. Ich habe gefragt.

Deschauer (AA)
Genau, in Ihrer Ansprache.

Zuruf Warweg
Ich habe eine Frage gestellt!

Vorsitzende Wefers
Wenn ich mich einmal einschalten darf, weil ich die Sitzungsleitung innehabe: In der Redezeit, die Sie hatten, war der Frageanteil relativ kurz und der Einführungsanteil relativ lang. Ich denke, das wissen Sie auch ganz gut. Das hält – das sage ich im Interesse der Kollegen, die hier Fragen stellen – relativ lange auf.

Deschauer (AA)
In dem Sinne hatte ich Ihre Frage auch schon beantwortet. Wir kennen die Pressemitteilung. Alles Weitere ist nicht bekannt. Dementsprechend haben wir gar keinen Anlass, dies weiter zu kommentieren. Wir weisen die Inhalte der Pressemitteilung zurück.

Zuruf Warweg
Die Verbalnote ist noch nicht angekommen?

Deschauer (AA)
Ich habe Ihre Frage jetzt zweimal beantwortet.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 07.02.2024