Nach Netanjahu-Aussage: „From the river to the sea”-Slogan auch bei proisraelischen Demos verboten?

Nach Netanjahu-Aussage: „From the river to the sea”-Slogan auch bei proisraelischen Demos verboten?

Nach Netanjahu-Aussage: „From the river to the sea”-Slogan auch bei proisraelischen Demos verboten?

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte Anfang November 2023 die Parole „‚Vom Fluss bis zum Meer‘ (auf Deutsch oder in anderen Sprachen)“ offiziell verbieten lassen. Bei Verstoß drohen Geldstrafen und Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. Am 18. Januar hatte der israelische Premier Benjamin Netanjahu diese Parole genutzt und erklärt, „in Zukunft muss Israel das gesamte Gebiet vom Fluss bis zum Meer kontrollieren“. Vor diesem Hintergrund kam in der Bundespressekonferenz am 24. Januar die Frage auf, ob das Verbot auch greift, wenn damit auf einer Demo in Deutschland die Existenz eines palästinensischen Staates negiert wird. Die Antwort der Sprecher vom Innen- und Justizministerium zeugen von der ganzen Widersprüchlichkeit dieses Verbots. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Im Verlauf der letzten Wochen hatte der israelische Regierungschef mehrmals die Existenzberechtigung eines palästinensischen Staates und damit einer Zweistaatenlösung verneint.

Am 18. Januar erklärte er:

„In Zukunft muss Israel das gesamte Gebiet vom Fluss bis zum Meer kontrollieren.“

Nur zwei Tage später, am 20. Januar, nahm Netanjahu wieder Bezug auf das Thema und verkündete:

„Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die vollständige israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht – und das ist unvereinbar mit einem palästinensischen Staat.“

Wiederum einen Tag später, am 21. Januar, wiederholte der israelische Premier erneut, dass seine Regierung eine Zweistaatenlösung ausschließt und mit allen Mitteln verhindern wird:

„Mein Beharren hat über die Jahre hinweg die Gründung eines palästinensischen Staates verhindert, der eine existenzielle Gefahr für Israel dargestellt hätte. Solange ich Premierminister bin, werde ich weiterhin mit Nachdruck darauf bestehen.“

Unterstützt wurde er dabei von fast allen Mitgliedern seines Kabinetts. Beispielhaft sei auf den israelischen Kulturminister Miki Zohar („Likud“) verwiesen, der ebenfalls am 20. Januar via X-Twitter erklärte:

„Ich sage allen, die immer noch am 6. Oktober festhalten, ganz klar: Wir werden die Gründung eines palästinensischen Staates niemals zulassen.“

Der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir („Jüdische Macht“), verkündete am selben Tag:

„Ich bin gegen einen palästinensischen Staat. Immer!“

Ähnlich auch die Äußerung von Orit Strock, Ministerin für nationale Missionen („Religiös-Zionistische Partei“):

„Ein palästinensischer Staat – niemals! Nach 30 Jahren ist Israel von dieser gefährlichen Idee schmerzlich desillusioniert worden. Die Ära Oslo wird nicht wiederkehren, vor allem, damit jüdisches Blut nicht billig ist.“

Diese Äußerungen sind nicht neu und kursieren nicht erst seit den Ereignissen vom 6. Oktober 2023. Netanjahu und seine regierende Likud-Partei hatten von Beginn an ihre ganz eigene Vorstellung davon, was „zwischen dem Fluss und dem Meer“ liegen sollte. Im Parteiprogramm des Likud von 1977 wird unter der Überschrift „Das Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel (Eretz Israel)“ unmissverständlich festgehalten, dass es „zwischen dem Meer und dem Jordan nur israelische Souveränität geben wird“.

Die westlichen Unterstützer Israels wussten also ebenso, dass die Likud-Partei, seit Mitte der 1990er-Jahre fast ununterbrochen an der Macht (von einem kurzen Intermezzo zwischen 2005 bis 2009 abgesehen), keinerlei Interesse an der Umsetzung einer Zweistaatenlösung hat. Wenn hier jemand die Existenzberechtigung eines Staates nachhaltig infrage stellt, dann sind das nicht „propalästinensische“ Demonstranten, die auf einer Demo in Berlin einen ursprünglich aus den 1960er-Jahren von der PLO stammenden Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“ skandieren, sondern vielmehr die führende Regierungspartei Israels. Und diese tut das auch nicht nur verbal, sondern mit allen ihr zur Verfügung stehenden diplomatischen, militärischen, geheimdienstlichen und wirtschaftlichen Mitteln.

Protokollauszug von der Regierungspressekonferenz am 24. Januar 2024

Frage Jessen (freier Journalist, arbeitet mit „Jung & Naiv“ zusammen)

Frau Deschauer, der israelische Premierminister Netanjahu hat sich in der jüngeren Vergangenheit besonders vehement gegen jegliche eigenständige palästinensische Staatlichkeit ausgesprochen. Er hat das jüngst mit den Worten getan ‑ ich zitiere ‑: „In the future the state of Israel has to control the entire area from the river to the sea. “ Mit „from the river to the sea“ hat er das Wording der Hamas aufgegriffen. Wie bewertet es das Außenministerium, dass eine Parole, die als Absicht der Staatsvernichtung angesehen wurde, jetzt von dem Premierminister eines Staates selbst verwendet wird? Ist das dann auch die Absicht einer Staatsvernichtung bzw. ‑verhinderung?

Deschauer (AA)

Herr Jessen, Sie wissen, dass sich die Außenministerin ‑ auch das war am Montag, vielleicht haben Sie es auch schon nachlesen können ‑ auch dazu schon geäußert hat. Wir nehmen Äußerungen zur Kenntnis. Sie kennen unsere Position. Wir kommentieren sie auch nicht direkt. Es ist doch völlig klar, dass die Zweistaatenlösung die einzige vielversprechende Lösung sein kann, die perspektivisch Frieden in die Region bringen kann für ein Leben von Palästinenserinnen und Palästinensern sowie Israelis Seite an Seite jeweils auf ihrem eigenen Land. Solche Äußerungen tragen natürlich nicht dazu bei, dass dieses Ziel, das wir fest im Auge haben, auch wenn die Situation wahnsinnig schwierig ist, befördert wird.

Zusatzfrage Jessen

Dann möchte ich Herrn Kall fragen: Der Satz „from the river to the sea“ in der Hamas-Version ist vom Innenministerium, glaube ich, als Anzeichen antisemitischer Propaganda verboten worden. Gilt dieses Verbot auch dann, wenn der Satz in der Netanjahu-Intention verwendet wird?

Kall (BMI)

Herr Jessen, ich werde hier keinerlei Vergleiche ziehen und auch keine Äußerungen interpretieren. Es ist richtig, dass es ein Betätigungsverbot gegen die Hamas in Deutschland gab und in diesem Kontext auch Propagandaaussagen der Hamas in Deutschland verboten wurden. Aber ich werde keinen Vergleich zu diesen jüngsten Äußerungen ziehen.

Zusatz Jessen

Aber es ist derselbe Satz.

Frage Warweg

Auch ich habe noch eine Verständnisfrage an Herrn Kall. Habe ich Sie richtig verstanden, dass sich die Verbotsverordnung von Frau Faeser im November 2023 ‑ da hieß es ja nur, „vom Fluss bis zum Meer auf Deutsch oder anderen Sprachen“ sei verboten ‑ wirklich ausschließlich darauf richtet, wenn dieser Slogan in dieser Formulierung bei einer Demonstration, sagen wir einmal, in einem propalästinensischen Kontext fällt? Wenn das Ganze aber in einen Kontext einer proisraelischen Demo fällt und die palästinensische Staatlichkeit hinterfragt oder negiert, ist das bisher in keiner Form strafbewehrt. Habe ich Sie so richtig verstanden?

Kall (BMI)

Ich habe es ja erklärt. Das ist Teil der Verbotsverfügung gegen die Hamas. Insofern ist es als eine Aussage von Hamas-Anhängern in Deutschland verboten und als solches auch strafbewehrt. Strafrecht ‑ das kann die Kollegin aus dem BMJ besser erklären ‑ ist immer eine Frage aller Einzelfallumstände, die natürlich gewertet werden müssen.

Zusatzfrage Warweg

Ich weiß, das Thema hatten wir schon, aber der Slogan kommt ja ursprünglich eher aus dem linken Lager von der PLO in den 70er-Jahren. Das heißt, wenn ich als linker Palästinenser, mich explizit von Hamas distanzierend, diesen Slogan auf einer Demo formuliere, ist er nicht strafbewehrt?

Kall (BMI)

Das ist als Teil des Verbots der Aussage der Hamas strafbewehrt.

Dr. Fuchs (BMJ)

Ich kann gern noch ergänzen, dass das natürlich immer ein Einzelfall ist, den das BMJ auch insofern nicht prüft. Insgesamt haben wir an dieser Stelle schon mehrfach erläutert, dass unser Strafgesetzbuch im Moment, glaube ich, ganz gut aufgestellt ist, um solche Fälle, wenn dies nötig sein sollte, auch strafrechtlich zu überprüfen. Sollte sich in diesem Einzelfall oder in anderen Fällen Änderungsbedarf ergeben, dann werden wir das selbstverständlich prüfen.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz, 24.01.2024

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