Die Neue Partei für die „Fleißigen und Tüchtigen“

Die Neue Partei für die „Fleißigen und Tüchtigen“

Die Neue Partei für die „Fleißigen und Tüchtigen“

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Seit Sonnabend ist das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) eine „richtige“ Partei. Auf dem Parteitag im traditionsreichen Berliner Kosmos-Kino, wo einst Walter Ulbricht und später Erich Honecker ihre eigenen Logen hatten, wurde mit beeindruckender Präzision alles abgearbeitet, was das deutsche Wahl- und Parteienrecht so alles vorgibt. Mit der Wahl von Stellvertretern und Beisitzern für den Bundesvorstand, Mandatsprüfungs-, Wahl-, Antrags- und Schiedskommissionen sowie einer Aufstellungsversammlung für die Liste zur Europawahl, nebst Generaldebatte und Verabschiedung des Wahlprogramms. Von Rainer Balcerowiak.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wirklich zu entscheiden hatten die knapp 400 Mitglieder, die der Einladung zu dem Parteitag gefolgt waren, allerdings nichts. Weder gab es Kampfkandidaturen um Vorstands- und Listenplätze noch Änderungsanträge – noch nicht einmal Fragen an die vorgeschlagenen Bewerber nach deren Vorstellungsreden. Denn die diesbezüglichen Messen waren schon längst gesungen. Die eigentliche Parteigründung fand bereits am 8. Januar auf einer Versammlung der 44 Erstmitglieder in einem Berliner Hotel statt. Dort wurden auch quasi unverrückbare Pflöcke zur inhaltlichen Positionierung und zur personellen Aufstellung eingerammt.

Parallel dazu erfolgte die Aufnahme von rund 400 weiteren, streng handverlesenen Mitgliedern nach der Maxime, dass man die junge, noch nicht gefestigte Partei vor „Spinnern“, „Glücksrittern“, „Narzissten“ und „Extremisten“ schützen müsse. Ein Verfahren, dass bei einigen nicht berücksichtigten Beitrittswilligen durchaus für Verbitterung sorgte. Darunter auch einige langjährige Mitstreiter der am 8. Januar gewählten Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht, wie der Musikproduzent und ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm und die ehemalige Bundestagsabgeordnete Pia Zimmermann, die laut Medienberichten „im Namen von 27 Genossen“ in einem Schreiben an Wagenknecht und ihre Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gegen ihre Aussperrung aus dem BSW protestierten. Was aber auf wenig Resonanz stieß.

Dezentes Grummeln an der Basis signalisierte am Sonnabend allerdings das Wahlergebnis für den langjährigen SPD-Funktionär und ehemaligen Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, der für den 2. Platz auf der Liste für die EU-Wahlen nominiert wurde. Während sich der Spitzenkandidat Fabio De Masi und der für Platz 3 aufgestellte frühere Top-Diplomat Michael von der Schulenburg über Zustimmungswerte von 97,5 bzw. 97,8 Prozent freuen konnten, erhielt Geisel lediglich 77,8 Prozent. Bei aller Parteitagsdisziplin stoßen Geisels unermüdliche Bekenntnisse zu Gerhard Schröders Agenda-2010-Politik vielen dann wohl doch recht sauer auf. Auch bei den Beisitzer-Wahlen für den Parteivorstand erhielt Geisel mit nur 66 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis.

Möglicherweise klangen den Mitgliedern da auch noch die Worte der Publizistin Daniela Dahn in den Ohren, die als Gastrednerin bei der Eröffnung des Parteitags mahnte, als Internationalistin erwarte sie von der neuen Partei „die anhaltende Gültigkeit der revolutionären Forderung: Prekarier aller Länder, vereinigt euch!“ Ein Satz, den Geisel, aber auch viele andere BSW-Repräsentanten, mit Sicherheit so nicht unterschreiben würden.

Ohnehin war es ein Parteitag der mehr oder weniger großen Reden und nicht der Debatten. Immer wieder tauchte dabei ein Begriff auf: die „Repräsentationslücke“, die im politischen System der Bundesrepublik entstanden sei. Auch dafür fand Dahn klare Worte und beschwor die faschistische Gefahr und das Gedenken an die Befreiung von der NS-Herrschaft. Es brauche wenigstens eine Partei, die auch im Bundestag ohne Wenn und Aber für Frieden und Antifaschismus eintrete. Und diese Rolle habe die LINKE längst aufgegeben.

Andere Redner bezogen besagte Repräsentationslücke vor allem auf die „Fleißigen“ und „Tüchtigen“ im Land. Und diese Lücke sei eben nicht mehr mit dem althergebrachten Rechts-Links-Schema zu überwinden, so Wagenknecht. Sie verwies auf die gesellschaftliche Breite der neuen Partei. Zu den Mitgliedern der „ersten Stunde“ gehören laut Wagenknecht Gewerkschafter, Unternehmer, Ärzte, Professoren, Künstler, Theologen und Polizisten, darunter sowohl politische Neueinsteiger als auch Menschen, die bereits in anderen Parteien aktiv waren. Aber „wir sind keine Linke 2.0 und keine Partei des Postengeschachers und der Intrigen“. Oder wie es die Ko-Vorsitzende Amira Mohammed Ali eher schlicht formulierte: „Wir sind die seriöse Alternative für alle Menschen, die sich schlecht behandelt fühlen“.

Wobei die Prägung des BSW durch ehemalige Mandatsträger, Mitarbeiter und Funktionäre der LINKEN unübersehbar ist. Was allerdings auch alternativlos ist. Denn die Herkulesaufgabe, binnen kurzer Zeit quasi aus dem Nichts einen kampagnenfähigen Parteiapparat nebst funktionierenden Landesverbänden aufbauen zu müssen, erfordert entsprechende Erfahrungen und auch ein gewisses Grundvertrauen unter den leitenden Akteuren.


Rede von Sahra Wagenknecht auf dem ersten Bundesparteitag des BSW, 27.01.24
Quelle: phoenix

Mit stehenden Ovationen gefeiert wurde auf dem Parteitag aber nicht nur Wagenknecht, sondern auch der EU-Spitzenkandidat Fabio De Masi, der ausgesprochen markige Formulierungen wählte. Er wolle dafür kämpfen, dass gegen Steuerdumping endlich die „Daumenschrauben angezogen werden“, vor allem bei den großen Tech-Konzernen. Auch müsse die EU dafür sorgen, „dass Arbeit nicht so billig wie Dreck sein darf“. Generell wolle er eine EU, „die nur da Kompetenzen hat, wo sie es tatsächlich besser kann“. Und man müsse ihr „in den Arm fallen, wenn sie in die Kommunen reinregieren will“. Wie das Verhältnis zwischen erwünschten EU-weiten Regelungen – etwa bei der Steuerpolitik – und der ebenfalls erwünschten weitgehenden Gestaltungsfreiheit der Mitgliedsstaaten nun genau aussehen soll, wird in dem auf dem Parteitag verabschiedeten Wahlprogramm aber nicht wirklich schlüssig dargelegt.


Rede von Fabio De Masi zum Europawahlprogramm des Bündnisses Sahra Wagenknecht, 27.01.24
Quelle: phoenix

Fast verstörend wirkt auch die nahezu verklärende Passage zur Geschichte der EU. „Wenngleich der Integrationsprozess nie ohne Konflikte verlief, erlebte Europa in der Nachkriegszeit Jahrzehnte des Aufschwungs und des Friedens.“ Doch ein nicht näher erläuterter Bruch habe später dazu geführt, „dass sich der europäische Einigungsprozess in einer Sackgasse befindet“. Angedeutet als mögliche Ursache wird unter anderem die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU.

An anderer Stelle heißt es dagegen, dass die Krise der EU „nicht einfach auf einzelne politische Fehlentscheidungen zurückzuführen ist, sondern grundsätzlicher in den EU-Verträgen begründet liegen, die den Rahmen für die Politik der EU setzen“. BSW fordert ferner ein Moratorium für die EU-Erweiterung und lehnt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, Moldau oder Georgien ab.

Eindeutig positioniert sich BSW in der Migrationsfrage: „Es darf nicht kriminellen Schlepperbanden überlassen werden, wer Zugang zur EU bekommt: Die Asyl- und Prüfverfahren zum Schutzstatus sollten daher an den EU-Außengrenzen oder in Drittländern erfolgen“. Dazu von Journalisten befragte BSW-Repräsentanten, die das vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders gesehen haben, verwiesen auf ihre „Erkenntnis“, dass es angesichts der zugespitzten Lage in vielen deutschen Kommunen einfach nicht mehr anders ginge. Das verspricht Zündstoff im Wahlkampf, vor allem mit der Ex-Partei vieler BSWler.

Klare Kante auch in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine (sollen eingestellt werden) und Wirtschaftskrieg gegen Russland. Gefordert wird: „Wir wollen die Öl- und Gaslieferung aus Russland wieder aufnehmen und langfristige Energieverträge schließen“.

Das umjubelte Schlusswort des Parteitags hielt dann Oskar Lafontaine. Der 80-jährige Politiker strebt zwar kein Amt oder Mandat mehr an, will aber der Partei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch er fand markige Worte. Der Ampel warf er „eine Verhöhnung der Menschenrechte“ vor. Die „Lücke im Parteiensystem“ müsse gefüllt werden. Dazu gehörten „höhere Löhne, höhere Renten, bessere Sozialsysteme und Frieden“. Es brauche auch einen Kanzler oder wenigstens SPD-Vorsitzenden, „der sich an die Losung „Nie wieder Krieg“ erinnert.“ Es sei angesichts der deutschen Geschichte ein Verbrechen, Waffen zu liefern, mit denen Russen getötet werden sollen.

Nach einer kleinen Auszählungspanne bei der EU-Wahlliste ging der Parteitag dann noch einigermaßen pünktlich zu Ende. Er diente zweifellos nicht der Diskussion und Vertiefung der politischen Positionen. Er war vielmehr eine Mischung aus Familientreffen, Medienoffensive und Teambuilding-Maßnahme zur Selbstvergewisserung. Kann man so machen, und war zu diesem Zeitpunkt wohl auch angebracht. Streit wird es noch früh genug geben. Doch jetzt geht der Blick nach vorne. Wagenknecht kündigte sichtlich erfreut an, dass man am Montag offiziell den Status einer „Parlamentarischen Gruppe“ im Bundestag erhalten werde. Da habe man zwar deutlich weniger Redezeit als die Fraktionen, aber sie sei ja froh, „überhaupt wieder im Bundestag reden zu können“, was ihr von ihrer alten Fraktion in den vergangenen Monaten verwehrt wurde. Und „wir werden beweisen, dass wir in zwei Minuten mehr sagen können als all die, die da eine halbe Stunde rumsabbeln“. Auch finanziell geht es für die neue Partei aufwärts. Am Sonnabend wurde bekannt, dass ein vermögendes Ehepaar aus Mecklenburg der neuen Partei eine Million Euro gespendet hat. Ausschlaggebend für ihre Spende sei die Friedenspolitik gewesen, sagte die 60-jährige Ehefrau dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Titelbild: Screenshot phoenix