Analyse: Internationale Verträge gegen Atomwaffen und ihre Wirkkraft

Analyse: Internationale Verträge gegen Atomwaffen und ihre Wirkkraft

Analyse: Internationale Verträge gegen Atomwaffen und ihre Wirkkraft

Alexander Neu
Ein Artikel von Alexander Neu

Der militärische Angriff Israels und der USA auf den Iran wurde mit dem Nuklearprogramm Irans begründet. Schaue ich mir die Kommentarspalten von Mainstreammedien und sozialen Medien an, so fällt eines ganz deutlich auf. Es gibt in der gesellschaftlichen Debatte eine starke Polarisierung: Die einen, die den Angriff als eine imperialistische Machtdemonstration kritisieren; und die anderen, die den eindeutig völkerrechtswidrigen Angriff nichtsdestotrotz begrüßen, um dem Iran zu zeigen, dass sein „Regime“ nichts anderes verdient habe, bzw. die die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs selbst bestreiten. Und Atomwaffen oder auch nur die technischen Voraussetzungen zu ihrer Herstellung müssten dem Iran auf immer verwehrt bleiben. Von Alexander Neu.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ob der Iran nun tatsächlich ein Atomwaffenprogramm verfolgt(e) oder nicht, kann ich im Gegensatz zu vielen Sofastrategen und sonstigen Feierabendexperten, die mit einem erstaunlichen Selbstbewusstsein den größten Unsinn von sich geben, nicht abschließend beantworten. Was aber zu beantworten ist, ist die Frage der völkerrechtlichen Selbstverpflichtung, keine Atomwaffen zu besitzen oder vorhandene Fähigkeiten abzubauen. Und bei dieser Frage kommen drei internationale Abkommen zum Tragen:

  1. Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NPT)
  2. Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV)
  3. Der „Joint Comprehensive Plan of Action“ („JCPOA“)

Die zu stellende Leitfrage ist so banal, dass man sich ehrlich fragen muss, warum diese Frage überhaupt aufgeworfen werden muss und nicht von den „Experten“ erwartungsgemäß selbst geprüft wird, bevor sie ihre „Expertise“ zum Besten geben.

Diese Frage lautet: Welche der Konfliktseiten (Iran, Israel und die USA) sind den oben genannten Abkommen beigetreten bzw. nicht beigetreten, haben die Abkommen einseitig verlassen oder haben ihre aus dem Beitritt zu den Abkommen erwachsenen Verpflichtungen nicht einmal umgesetzt? Die Prüfung des „JCPOA“ soll hier nicht abgehandelt werden, da dies den Rahmen des Beitrages sprengen würde.

  1. Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (Nuclear Non-Proliferation Treaty = NPT)

    Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NPT), auch Atomwaffensperrvertrag genannt, hat zum Ziel, eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen. Dazu sind im Vertrag zwei Staatengruppen formuliert: die Atomwaffenstaaten und die Staaten, die über keine Atomwaffen verfügen. Entsprechend sind zwei unterschiedliche Verpflichtungen für die beiden Staatengruppen in dem Vertrag festgehalten: Die Atomwaffenstaaten verpflichten sich, ihre Nuklearwaffen vollständig abzurüsten:

    Artikel VI
    Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“

    Und die nuklearen „Habenichtse“, also die atomwaffenfreien Staaten, verzichten auf den Besitz von Atomwaffen:

    Artikel II
    Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.“

    Sie dürfen dafür aber die Nukleartechnologie für den zivilen Gebrauch (Kernkraftwerke, medizinische Nutzung etc.) nutzen.

    Artikel IV
    (1) Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung und in Übereinstimmung mit den Artikeln I und II die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.“

    Mit dieser Verrechtlichung soll einerseits der Realität der Existenz von Nukleartechnologie Rechnung getragen, die friedliche/zivile Nutzung ermöglicht, jedoch die Verbreitung einer militärischen Nutzung in Form von Nuklearwaffen verhindert und die vollständige Abschaffung derselben erreicht werden.

    NPT-Mitgliedsstaaten

    Der NPT trat 1970 in Kraft und ist, so die Aussage des Auswärtigen Amtes, „quasi universell gültig“. Die Bundesrepublik Deutschland trat dem Vertrag am 2. Mai 1975 bei. Die USA (Atomwaffenstaat) sowie auch der Iran (Nicht-Atomwaffenstaat) haben den Vertrag bereits 1968 unterzeichnet. Nur wenige Staaten sind dem Vertrag nicht beigetreten, dazu gehören der Südsudan, Indien, Pakistan und eben auch Israel. Diese Staaten, darunter Israel, wollten sich offensichtlich die Tür zur Atommacht nicht durch eine NPT-Selbstverpflichtung verbauen. Nordkorea hat den Vertrag 2003 verlassen. Nun scheint es im Iran erneut Überlegungen zu geben, aus dem NPT auszutreten, da, so die Argumentation, die Mitgliedschaft im NPT nicht dazu geführt habe, dass der Iran als Nicht-Atommacht von Atommächten (USA und Israel) nicht angegriffen werde. Ein Austritt aus dem Vertragswerk und somit den damit einhergehenden Verpflichtungen ist im Geiste der Souveränitätsprämisse möglich und auch im Vertrag fixiert:

    Artikel X
    (1) Jede Vertragspartei ist in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn sie entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist. (…)“

    Die in den sozialen und alternativen Medien häufig gestellte Frage lautet: Gilt der NPT auch für Nichtvertragsstaaten, also Staaten, die dem NPT nicht beigetreten sind? Aus Sicht der reinen Souveränitätsprämisse wäre die Antwort eindeutig: NEIN. Auf den ersten Blick entzieht es sich der Logik, einem Vertragswerk nicht beizutreten, aber dennoch die Pflichten akzeptieren zu müssen. Dieses Rechtsverständnis steht auch konsequenterweise im Einklang mit „Artikel X“ des NPT: Denn, es wäre auch hier unlogisch, aus einem Vertragswerk austreten zu können, wenn seine Verpflichtungen dennoch weiterhin bestehen blieben.

    Aber im Völkerrecht gibt es so etwas wie eine Universalitätsprämisse (Aussage des Auswärtigen Amtes, „quasi universell gültig“): Wenn also eine große Mehrheit der Staaten sich einem Vertrag unterwirft, gilt er auch für nicht dem Vertrag beigetretene Staaten. Ob er auch in der engen legalen Form oder eher politisch-moralisch gilt, sich also in der Grauzone bewegt, darüber scheiden sich die Geister. Hier offenbart sich ein Spannungsverhältnis zwischen der Souveränitätsprämisse einerseits und der Universalitätsprämisse andererseits. Eine prinzipielle Auflösung dieses Spannungsverhältnisses zu Gunsten der einen oder anderen Prämisse ist bislang nicht erfolgt – wohl aber punktuell, nämlich machtpolitisch: Während einige Staaten wie Israel, Pakistan und Indien, die dem Vertrag nicht beitreten, oder Nordkorea, das den Vertrag wieder verlassen hat, sich trotz Universalitätsprämisse Atomwaffen weitgehend straflos aneignen, wird dem Iran im Falle eines Austritts aus dem NPT dennoch nicht der Besitz von Atomwaffen zugebilligt werden. Hier gilt dann die harte Faust der Machtpolitik – der US-amerikanische und israelische Angriff haben dies geradezu verdeutlicht. Es kommt also nicht auf die formale Souveränitätsprämisse, also das Völkerrecht an, sondern darauf, ob man entweder selbst mächtig genug ist (Indien und Pakistan), den angestrebten Besitz der Atombombe durchzusetzen, oder ob man starke ‚Kumpels‘ (USA, Russland und China) hat, die einen bei dem Vorhaben mindestens schützen, wenn nicht gar unterstützen (Israel und Nordkorea).

    Umsetzung der Verpflichtung des gänzlichen Abbaus der Atomarsenale

    Die USA haben sich ebenso wie die Sowjetunion und die übrigen Nuklearwaffenstaaten verpflichtet (Artikel VI), ihre Nuklearwaffenpotenziale abzurüsten. Zwar kam es kurz nach Inkrafttreten des NPT zu bilateralen Vereinbarungen (SALT 1 und SALT 2) zwischen den USA und der Sowjetunion über die Begrenzung von strategischen nuklearen Trägersystemen (ICBMs [landgestützte] und SLBMs [seegestützte]) in den 1970er-Jahren. Und auch nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation wurde der bilaterale START-Vertrag, der die Anzahl nuklearer Sprengköpfe und deren Trägersysteme auf beiden Seiten signifikant reduzieren sollte, unterzeichnet. Aber schon bei dem Verlängerungsvertrag START 2 kam es zu Disharmonien zwischen Moskau und Washington, sodass der Vertrag nicht in Kraft trat. Erst der NEW-START-Vertrag, der eine weitergehende Abrüstung der Sprengköpfe vorsah, brachte ab 2011 wieder Schwung in das Vorhaben der nuklearen Abrüstung.

    Ob der START-Nachfolgevertrag des 2026 auslaufenden NEW-Start-Vertrages tatsächlich kommen wird, ist mehr als fraglich angesichts der globalen Spannungen mit den USA und Russland im Zentrum. Und auch der 1988 in Kraft getretene INF-Vertrag, der den gänzlichen Abbau der nuklearen Mittelstreckenraketen festlegte, wurde von den USA 2019 mit dem Vorwurf an Russland, es baue heimlich an einer Mittelstreckenrakete, aufgekündigt. Ob das nun so ist oder nicht, kann ich ebenfalls nicht beurteilen. Auffällig war jedenfalls, dass die USA keine wasserfesten Beweise, sondern nur Plausibilitäten vortrugen. Und die russische Einladung an Deutschland, die unter Verdacht stehenden Raketen zu inspizieren, wurde von der Bundesregierung brüsk abgelehnt mit dem Argument, es sei ein bilaterales Abkommen zwischen den USA und Russland, da mische man sich nicht ein. Also merke Dir: Wenn es um die Sicherheit Deutschlands und Europas ging, setzte man gänzlich auf die USA bis zur Machtübernahme Donald Trumps.

    Wie auch immer: Die fünf offiziellen Atomwaffenstaaten, darunter die USA, haben bis heute ihre Verpflichtungen des gänzlichen Abbaus ihrer Atomarsenale nicht umgesetzt. Im Gegenteil: Die Tendenz geht Richtung Vermehrung und Modernisierung der Atomwaffen und ihrer Trägersysteme.

    Nukleare Teilhabe und NPT

    Aber nicht nur der Aspekt des Beitritts oder Nichtbeitritts zum NPT und dessen klare Umsetzung ist von Interesse zur Beurteilung der Wirkkraft dieses sehr sinnvollen völkerrechtlichen Vertrages. Auch die sogenannte politische und technische nukleare Teilhabe, also die Verfügung über Atomwaffen eines Drittstaates, ohne selbst ein offizieller Atomwaffenstaat zu sein, ist ein Aspekt, der den NPT untergräbt. Dabei wird Vertragstreue suggeriert. Zentral hierbei ist die Interpretationskreativität juristischer und journalistischer Hofschranzen: So wird die „nukleare Teilhabe“, also die Lagerung von US-Atomwaffen auf bundesdeutschem Staatsgebiet sowie ihr möglicher Einsatz durch deutsche Trägersysteme – derzeit noch das Tornado-Kampfflugzeug –, als durch den NPT vertretbar „interpretiert“. Hierzu nun die beiden entscheidenden Artikel aus dem NPT:

    Artikel I
    Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.“

    sowie

    Artikel II
    Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen.“

    Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass diese Artikel sehr eindeutig formuliert sind. Aber um diese Eindeutigkeit interessengesteuert zu verwässern, wird dann in der entsprechenden juristischen Literatur und den Medien etwas von Komplexität, die eine Eindeutigkeit nicht erlaube, etc. gefaselt. Und schon wird auf diese Weise das Fass zur Relativierung des NPT aufgemacht.

    So gelangt beispielsweise der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten aus dem Jahre 2017 mit dem Titel „Völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands beim Umgang mit Kernwaffen“ zu der abenteuerlichen Erkenntnis, es handele sich bei der Stationierung weder um eine Weitergabe von Kernwaffen noch um die „Erlangung der alleinigen Verfügungsgewalt über Kernwaffen durch einen Nichtkernwaffenstaat“. (Quelle: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags)

    Allerdings sprechen die beiden oben genannten Artikel des NPT auch nicht von einer „alleinigen Verfügungsgewalt“, sondern einfach von der „Verfügungsgewalt“. Mit diesem rhetorischen Kunstgriff des Hinzufügens des Adjektivs „alleinig“ durch den Wissenschaftlichen Dienst soll die Bestimmung des NPT aufgeweicht werden. Hintergrund der Wortkreation „alleinige Verfügungsgewalt“ statt „Verfügungsgewalt“ ist die sogenannte „Zwei-Schlüssel-Vereinbarung“. In ihr wird festgehalten, die Atommacht USA könne nur gemeinsam mit dem Stationierungsstaat (hier Deutschland) über die Voraussetzungen und Modalitäten des Kernwaffeneinsatzes entscheiden. Das bedeutet, Deutschland kann nicht „alleinig“ über die US-Atomwaffen verfügen. Die politische Entscheidung über den Einsatz der in Deutschland gelagerten US-Atombomben liegt letztlich jedoch allein bei den USA.

    Allerdings ist die Ausführung des Einsatzbefehls hier entscheidend: Denn, sobald die Atombomben an den deutschen Kampfflugzeugen montiert sind, geht die „Verfügungsgewalt“ auf Deutschland und die Bundeswehrpiloten über. Und selbstverständlich können die Bundesregierung und die Bundeswehrführung den Einsatz der US-Atombomben durch deutsche Piloten und deutsche Trägersysteme entgegen der politischen Entscheidung der US-Regierung verweigern oder aber eben auch durchführen. Und auch die Piloten der Bundeswehr selbst sind letztlich selbstbestimmte und selbstentscheidende Persönlichkeiten, die auch gegen den ausdrücklichen Einsatzbefehl selbst der Bundeswehrführung handeln und eventuell den Einsatz abbrechen könnten. Mit anderen Worten, die „Verfügungsgewalt“ ist hier eine negative: Deutschland verfügt also nicht über die politische Entscheidungskompetenz des positiven Einsatzes der US-Atomwaffen, wohl aber über den Nichteinsatz der US-Atomwaffen, indem die Bundesregierung oder die Bundeswehrpiloten die Ausführung verweigern.

    Und genau das ist die „Verfügungsgewalt“ über die Atomwaffen, die gemäß Art. I und II des NPT weder unmittelbar noch mittelbar von den Staaten abgegeben oder angenommen werden darf.

    Auch der sogenannte Zwei-plus-Vier-Vertrag, also der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ aus dem Jahre 1990, übernimmt die NPT-Verpflichtungen: In diesem verzichtet das vereinte Deutschland explizit und verbindlich nicht nur auf den Besitz von Atomwaffen, sondern auch auf die Verfügungsgewalt:

    Artikel 3
    Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik bekräftigen ihren Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische Waffen. Sie erklären, dass auch das vereinte Deutschland sich an diese Verpflichtungen halten wird. Insbesondere gelten die Rechte und Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 für das vereinte Deutschland fort.“

    Auch hier geht es nicht um die „alleinige Verfügungsgewalt“, die der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages den Verträgen andichtet. Der Verweis auf den NPT in Art. 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrages verdeutlicht, dass beide Verfügungsbegriffe identisch sind und damit das Verbot der Übertragung oder Annahme der Verfügungsgewalt noch einmal bekräftigt wird.

    Es wird an diesen Ausführungen deutlich, dass die NATO-Mitgliedsstaaten, die sich zur technisch-nuklearen Teilhabe bereiterklärt haben, den NPT tatsächlich unterlaufen und seine Wirkkraft damit schwächen.

  2. Atomwaffenverbotsvertrag (Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons = TPNW)

    Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) wurde 2017 von der Generalversammlung der UNO verabschiedet und trat 2021 in Kraft. Das formulierte Ziel ist das allumfassende Verbot von Nuklearwaffen. So heißt in Artikel 1 des AVV:

    Verbote
    Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, unter keinen Umständen jemals

    1. Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper zu entwickeln, zu erproben, zu erzeugen, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern;
    2. Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar an irgendjemanden weiterzugeben;
    3. Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen;
    4. Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen;
    5. irgendjemanden in irgendeiner Weise zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Vertrags verboten sind;
    6. von irgendjemandem in irgendeiner Weise irgendwelche Unterstützung zu suchen oder anzunehmen, um Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Vertrags verboten sind;
    7. eine Stationierung, Aufstellung oder Dislozierung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern in seinem Hoheitsgebiet oder an irgendeinem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle zu gestatten.

    98 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet und bereits 70 Staaten haben ihn ratifiziert, womit er für diese Staaten rechtlich verbindlich wird. Nicht unterschrieben, nicht ratifiziert und somit dem Vertragswerk nicht beigetreten sind alle neun Atomwaffenstaaten, alle NATO-Mitgliedsstaaten unter Führung der USA sowie deren sicherheitspolitische Verbündete wie beispielsweise Japan und eben auch Israel. Die NATO-Mitgliedsstaaten verweigern den Beitritt zu dem Abkommen mit der abwegigen Begründung, der AVV schwäche den NPT. Das ist jedoch absoluter Unsinn. Den wirklichen Grund für die Verweigerung stellt der fortgesetzte Wille an der politischen und technischen nuklearen Teilhabe der NATO-Staaten und somit auch Deutschlands dar.

    Der Iran unterstützt zwar aktiv den AVV bei Abstimmungen in der UNO-Generalversammlung, hat jedoch bislang den Vertrag weder ratifiziert noch überhaupt unterschrieben. Damit ist auch der Iran kein Vertragspartner und unterliegt somit nicht den Pflichten des AVV – wohl aber den fortgesetzten Pflichten des NPT, die mit Blick auf das Verbot von Atomwaffen weitgehend identisch sind.

    Der Iran begründet seinen Nichtbeitritt zum AVV mit fehlenden konkreten Abrüstungsplänen, so die iranischen Erklärungen. Diese Erklärungen erscheinen nicht minder vorgeschoben als die offiziellen Erklärungen der NATO-Staaten. Insgesamt wird es interessant sein, zu beobachten, wie sich die NATO-Staaten dann zur Universalitätsprämisse verhalten werden, wenn eine große Mehrheit der Staaten dieser Welt dem Vertragswerk beitreten wird. Vermutlich wird dann die Karte der Souveränität gespielt werden. Jedenfalls korrespondiert die Nicht-Umsetzung des NPT durch die Atomwaffenstaaten und einige offizielle Nicht-Atomwaffenstaaten (Stichworte: vollständige Abrüstung der Atomwaffen oder nukleare Teilhabe) mit der Weigerung, dem AVV beitreten zu wollen. Es ist in der Konsequenz zumindest ein Stück weit ehrlicher, wenn auch die offiziellen Begründungen lächerlich sind.

Fazit

Aus der Analyse wird deutlich, welche Konfliktparteien (Iran, USA und Israel) den oben genannten Verträgen beigetreten bzw. nicht beigetreten sind, ob sie aus den Vertragswerken ausgestiegen sind oder ob sie ihre aus dem Beitritt zu den Abkommen erwachsenen Verpflichtungen nicht einmal umgesetzt haben.

Alle fünf offiziellen Atommächte (USA, Russland, Frankreich, China und Großbritannien) haben die komplette Abrüstung ihrer Atomwaffen – wie im NPT, dem sie als Vertragspartner beigetreten sind, als Verpflichtung festgehalten – nicht abschließend umgesetzt. Zwar gab es ab den 1970er-Jahren diverse Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland. Derweil sehen wir aber erstens eine Erosion der Abkommen, eine Rückkehr zur nuklearen Aufrüstung insbesondere im Mittelstreckenbereich und eine Zunahme an inoffiziellen Atomwaffenstaaten (Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel). Damit sind die offiziellen Atomwaffenstaaten ihren Verpflichtungen, die aus dem NPT erwachsen, nicht nachgekommen. Konsequenter- und ehrlicherweise sind sie dem AVV erst gar nicht beigetreten – auch der Iran nicht, wenn auch die Begründungen verlogen sind. Die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Vertragstreue gegenüber dem NPT ist erodiert. Und Israel ist weder dem NPT noch dem AVV beigetreten, sodass das Land, sofern man die Souveränitätsprämisse zugrunde legt, keinen Vertragsbruch begangen hat. Legt man allerdings die Universalitätsprämisse zugrunde, wird die Bewertung ungleich schwieriger.

Jedenfalls verfestigt sich der Eindruck, dass der NPT vielmehr zu einem Machtinstrument der Großmächte verkommen ist, mögliche nukleare Ambitionen kleiner und unliebsamer Staaten unter dem Hinweis auf deren völkerrechtliche Verpflichtungen zu verhindern, während sie selbst und ihre Verbündeten in absoluter Selbstherrlichkeit über dem Vertrag schweben.

So ist auch der Angriff Israels und der USA auf den Iran unter dem Argument, das iranische Atomprogramm zu verhindern, einzuordnen – konkret:

Zwei Staaten, von denen einer (USA) dem NPT beigetreten ist, die daraus erwachsenen Verpflichtungen indessen nicht umsetzt, und ein anderer Staat (Israel), der sich vorsorglich schon gar keinem Regulierungsabkommen unterwirft, um sich Atomwaffen aneignen zu können, greifen einen Staat an, der sich dem NPT, nicht jedoch dem AVV unterworfen hat, bei dem es jedoch strittig ist, ober er tatsächlich an einem Atomwaffenprogramm arbeitet.

Diese Zusammenfassung zeigt auch, dass die polarisierenden Positionen zu diesem Krieg zumindest mit Blick auf die rechtliche Bewertung und die machtpolitischen Hintergründe keine Grundlage haben. Es zeigt sich erneut, dass eine primitive Schwarz-Weiß-Positionierung wieder mal der sichere Weg in die Erkenntniswüste ist.

Titelbild: Shutterstock / Lightspring

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