Wiedereinführung der Wehrpflicht? – wer die falschen Fragen stellt, kriegt auch nicht die richtigen Antworten

Wiedereinführung der Wehrpflicht? – wer die falschen Fragen stellt, kriegt auch nicht die richtigen Antworten

Wiedereinführung der Wehrpflicht? – wer die falschen Fragen stellt, kriegt auch nicht die richtigen Antworten

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Die Diskussion rund um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht hat auch die NachDenkSeiten erreicht. Am Dienstag eröffnete unser regelmäßiger Gastautor Jürgen Hübschen die Debatte. Dabei ist ihm hoch anzurechnen, dass er mit einigen politischen Fehleinschätzungen aufräumt. Seine Herleitung und vor allem seine Schlussfolgerungen zeigen jedoch, dass auch Hübschen innerhalb der militärischen „Logik“ argumentiert und den Militarismus nicht etwa hinterfragt, sondern als gegeben hinnimmt. Das ist der falsche Ansatz, diese Debatte zu führen. Die viel wichtigere Frage ist doch, warum wir überhaupt meinen, eine große, schlagkräftige Armee haben zu müssen. Da waren wir im Denken schon weiter. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Auch ich habe, wie es so schön heißt, „gedient“. Nicht weil ich, wie Jürgen Hübschen es formuliert, von Vaterlandsliebe beseelt war und Demokratie oder sonstwas verteidigen wollte. Gegen wen auch? Dank der Gnade der späten Geburt wurde ich 1994 eingezogen – in einer Zeit, in der der Bundeswehr ihre Feinde abhandengekommen sind. Als junger Mann trieb mich eher die Aussicht auf Abenteuer – zur See fahren, andere Länder kennenlernen; das war es, was ich wollte. Auch bei den anderen Wehrdienstleistenden gab es damals niemanden, der vom Patriotismus oder seiner Liebe für das Grundgesetz getrieben war. Und die Berufssoldaten? Einige hatten schlicht keinen ordentlichen Ausbildungsplatz im Zivilleben gefunden, die Offiziere und Offiziersanwärter hatten sich meist verpflichtet, weil sie das Angebot, während des Studiums einen recht ordentlichen Lohn zu beziehen, attraktiv fanden. In den Krieg ziehen wollte niemand. Das war 1994 alles ohnehin sehr abstrakt. Es war wohl eine glückliche Generation, für die Krieg weit außerhalb des Vorstellbaren lag.

In den Folgejahren wurde die Bundeswehr umgebaut. Man brauche keine große Verteidigungsarmee mehr. Die Bundeswehr solle eine kleine, dafür global einsetzbare Kampfgruppe werden, die im Rahmen des Grundgesetzes und des Völkerrechts als Parlamentsarmee deutsche Interessen mit Waffengewalt verteidigt oder durchsetzt. In dieser Bundeswehr brauche es keine Wehrpflichtigen mehr, so hieß es. Und das war auch richtig! Wenn der Staat seinen Söhnen – nicht Töchtern – ein Jahr ihrer Lebenszeit wegnehmen will, ist dies ein massiver Eingriff in die Grundrechte. Dieser Eingriff muss sehr gut begründet sein. Die Verteidigung des Landes mag eine solche Begründung sein. Weltweit mit militärischen Mitteln die Interessen der jeweiligen Mehrheit des Bundestages durchzusetzen, ist jedoch keine ausreichende Begründung. Wer das will, braucht Berufssoldaten – Söldner, die für Geld töten und getötet werden. Mit der Landesverteidigung einer Wehrpflichtarmee hat dies alles aber nichts mehr zu tun.

Darum war die Abschaffung der Wehrpflicht auch eben nicht – wie Jürgen Hübschen es formuliert – „ein politischer Fehler“ mit einer „falschen Begründung“. Der Kalte Krieg war vorbei, der Warschauer Pakt hatte sich aufgelöst. Wir waren von Freunden umgeben und der einstige Feind, Russland, war nun ein Partner. Ein großer politischer Fehler war es hingegen, die neue geopolitische Lage nicht zum Aufbau neuer sicherheitspolitischer Strukturen zu nutzen. Man hat die NATO nicht – was geboten gewesen wäre – aufgelöst, sondern gen Osten erweitert. Man hat Russland nicht – was geboten gewesen wäre – in die neuen Sicherheitsstrukturen einbezogen, sondern die alten Sicherheitsstrukturen nun gegen Russland gerichtet. Man hat mit großem Kraftaufwand den alten Feind zum neuen Feind erklärt und so erst eine sicherheitspolitische Lage geschaffen, in der man überhaupt wieder den Bedarf für eine große, schlagkräftige Armee hatte, die mitten in Europa Kriege führen soll.

Das ist der militaristische Rahmen, in dem Jürgen Hübschen argumentiert. Es macht keinen Sinn, innerhalb dieses Rahmens zu debattieren. Man sollte stattdessen den gesamten militaristischen Rahmen hinterfragen. Deutschland ist nicht Israel und auch nicht die Ukraine, die Hübschen in seinen Ausführungen als Beispiel nennt. Es macht keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ob Deutschland „kriegstüchtig“ ist oder nicht. Man muss stattdessen die Frage in den Mittelpunkt rücken, warum Deutschland überhaupt „kriegstüchtig“ sein sollte.

Nur wer der Erzählung Glauben schenkt, dass Russland schon bald seine Panzer gen Berlin schickt, wird ernsthaft darüber debattieren wollen, eine Wehrpflicht oder, wie Jürgen Hübschen es vorzieht, eine Dienstpflicht auch nur anzudenken. Das ist jedoch genau die Logik, aus der man sich befreien muss. Entspannung heißt das Gebot der Stunde! Die Politik hat nicht die Aufgabe, eine schlagkräftige Armee zu formen, sondern die gottverdammte Aufgabe, eine Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben, die Kriege verhindert. Das scheinen viele vergessen zu haben.

Deutschland braucht weder eine große, schlagkräftige Armee noch eine Wehrpflicht. Was das Land braucht, ist eine kluge Außen- und Sicherheitspolitik. Alles andere ist die Denke des 19. Jahrhunderts, in dem Kriege dem Clausewitz-Zitat zufolge noch die bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln waren. Als man 2011 die Wehrpflicht aussetzte, war man offenbar schon etwas weiter.

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Titelbild: Von Dr. Frank Gaeth – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0 commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=140983989

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