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Titel: Regime Change und Ausschaltung des Atomprogramms? Was sind die Ziele von Netanjahus Angriffskrieg auf den Iran?
Datum: 17. Juni 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Zachi Ha-Negbi, der Nationale Sicherheitsberater Israels, äußerte am Montagmorgen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Radiosender Reschet Bet, dass die israelischen Angriffe auf den Iran „auf eine gewisse Zeit“ mit genau definierten Zielen ausgelegt seien. Israel werde die Angriffe erst stoppen, wenn die atomare Gefahr und jene durch Raketen des Irans ausgeschaltet sei. Bisher sei man sogar etwas weiter als laut Zeitplan vorgesehen, ließ der Likud-Politiker verlautbaren. Von Ramon Schack.
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Ha-Negbi deutete außerdem an, dass Israel über die Mittel verfüge, auch die tief im Berginneren liegende Atomanlage in Fordo zu „behandeln“. Ausweichend beantwortete er die Frage, ob Israel die nötigen Bomben habe, um diese Anlage zu zerstören, wobei er indirekt einräumte, dass die vollständige Zerstörung nicht das Ziel sei.
Zerstörung der Islamischen Republik als Ziel Israels?
Diese Worte sollten die sogenannte Weltöffentlichkeit eigentlich in Erstaunen versetzen, denn Benjamin Netanjahu warnt seit über einem Vierteljahrhundert vor dieser „iranischen Bombe”, deren Fertigstellung unmittelbar bevorstehe, wie er schon 1999 vor der UNO behauptete. Auch der jetzige Angriffskrieg auf die Islamische Republik. Bedeuten die Worte Ha-Negbis also, dass Israel sehr wohl mit einer „iranischen Bombe” leben könnte, dafür aber erst ein Regime Change in Teheran herbeigeführt bzw. herbeigebombt werden muss?
Dies würde – sehr oberflächlich betrachtet – aus israelischer Perspektive Sinn machen, zumindest wenn man eine ahistorische Perspektive einnimmt. Unter der Pahlavi-Herrschaft und besonders seit dem Beginn der Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts pflegten Israel und der Iran intensivste Beziehungen, welche seinerzeit mit Recht als eine Art strategische Allianz charakterisiert wurden. Obwohl zwischen beiden Staaten damals nur informelle Beziehungen bestanden, pflegte man auf dem internationalen diplomatischen Parkett das Bonmot von einer „Liebesbeziehung ohne Heiratsurkunde“.
In diesem Zusammenhang ist vielleicht zu erklären, dass die politische Klasse Israels immer wieder betont, wie sehr sie das iranische Volk schätze und ihnen bei der Befreiung von ihrer Diktatur behilflich sein möchte. Demonstrativ wurden die Iraner auch immer wieder zum Sturz ihrer Regierung ermuntert, sowohl von Benjamin Netanjahu wie auch von Reza Pahlevi, dem Sohn des letzten Shahs, der sich „Leuchte der Arier” zu nennen pflegte und dessen Herrschaft 1979 zusammenbrach. Allerdings sei in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt, dass nach dem irakischen Einmarsch in den Iran im Jahr 1980 die monarchistischen Offiziere, die nach der Revolution in Kerker gesteckt wurden, sich auch bei aller Abscheu über die entstehende Islamische Republik im Iran freiwillig an die Front meldeten.
Es bleibt also fraglich, ob diese Strategie aufgeht, und noch fraglicher, ob die Iraner überhaupt einen neuen Shah möchten, dessen Herrschaft ja bekanntlich kein Leuchtturm der Demokratie war. Erstaunlich ist aber auch hier, dass Benjamin Netanjahu bezüglich eines Regime Changes im Gespräch mit dem US-Sender Fox News Folgendes äußerte: „Es könnte sicherlich das Ergebnis sein. Das iranische Regime ist sehr schwach.“ Eine Mehrheit der Iraner würde die islamistische Staatsführung gerne loswerden, sagte er. Der schon erwähnte Ha-Negbi betonte andernorts hingegen, der Sturz des Regimes sei nicht Teil des Kriegsplans. Das ist seltsam und widersprüchlich! Es kann ja nicht angehen, dass Netanjahus Krieg ohne direkte Zielsetzung gestartet wurde. Israelische Kommentatoren spekulierten in diesem Zusammenhang darüber, dass die innenpolitische Ausgangslage nicht günstig für den Premierminister erschien, deshalb wohl aber günstig für einen weiteren Kriegsschauplatz. Knapp kam Israels Premier letzte Woche um Neuwahlen herum, aber im Lande und speziell unter den Ultraorthodoxen gärt es weiter.
Die Doktrin des permanenten Konflikts
Der britisch-israelische Historiker Avi Shlaim wurde diesbezüglich deutlicher und hat Netanjahu als einen „Befürworter der Doktrin des permanenten Konflikts“ charakterisiert. „Seine Politik sei der Versuch, eine friedliche Konfliktlösung auszuschließen. Netanjahu braucht den Krieg, um sich an der Macht zu halten. So will er sich der Strafverfolgung entziehen, denn es blühen ihm Prozesse wegen Korruption. Um sich politische Mehrheiten zu sichern, geht er einen Pakt mit faschistischen Kräften ein, treibt einen Massenmord in Gaza voran und riskiert einen Flächenbrand im Nahen Osten.“ Siehe dazu auch diesen Kommentar in der Berliner Zeitung.
Angesichts der inzwischen jahrzehntelangen Bilanz von Netanjahus Herrschaft sind diese Vorwürfe nicht von der Hand zu weisen. Unterdessen sorgte ein Tweet des israelischen Verteidigungsministers Israel Katz für Aufregung, in dem er sagte, die iranische Bevölkerung werde den Preis für die Raketenangriffe auf zivile Ziele in Israel bezahlen. In einem weiteren Tweet erläuterte Katz, damit sei nicht gemeint gewesen, dass Israel die Zivilbevölkerung angreifen werde. Dies geschah als Reaktion auf die offensichtlich unerwartet harten Raketenschläge auf Israel im Zuge der Reaktion Teherans auf den israelischen Angriff. Dieser Krieg gerät schon nach wenigen Tagen aus der Kontrolle seiner Verursacher.
Titelbild: Shutterstock / FrankHH
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