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Titel: Verstößt das 5-Prozent-Ziel für Militärausgaben gegen das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip?
Datum: 1. August 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Finanzpolitik, Schulden - Sparen, Sozialstaat
Verantwortlich: Florian Warweg
Laut des von Finanzminister Lars Klingbeil vorgestellten Finanzplans für 2026 bis 2029 soll zukünftig ein Drittel aller Bundeseinnahmen in Ausgaben für das Militär fließen. Bei einem jährlichen Gesamthaushalt von rund 500 Milliarden Euro ist laut den Eckwerten des Haushaltsplans ab 2029 geplant, über 150 Milliarden jährlich in den Ausbau der Bundeswehr fließen zu lassen. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, wie Kanzler Merz und der Finanzminister konkret sicherstellen wollen, dass die Umsetzung des Fünf-Prozent-Ziels angesichts der bereits jetzt finanziell extrem angespannten Lage nicht gegen das in der Verfassung mit Ewigkeitsgarantie verankerte Sozialstaatsprinzip verstößt. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Hintergrund
Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes legt explizit fest, dass es sich bei der Bundesrepublik um einen „sozialen Bundesstaat“ handelt:
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“
Das heißt, der sogenannte Sozialstaatscharakter hat Verfassungsrang und sogar einen von „besonderer Ordnung“, der gemäß Artikel 79 Absatz 3 Ewigkeitscharakter besitzt. Ein Aspekt, den das Bundesverfassungsgericht bei seinem sogenannten „Lissabon-Urteil“ vom 30. Juni 2009 nochmal ausdrücklich betont hat („Ewigkeitsgarantie“).
Doch aus der von Klingbeil diese Woche vorgestellten sogenannten Eckpunkte-Planung bis 2029 geht hervor, dass bis 2029 das Rüstungsbudget auf jährlich über 150 Milliarden Euro anwachsen soll. Zum Vergleich: Die gesamten Bundeseinnahmen 2024 betrugen laut Bundesfinanzministerium 440 Milliarden Euro. Das hieße, über ein Drittel aller Jahreseinnahmen des Bundes würden in naher Zukunft Jahr für Jahr allein in militärische Aufrüstung fließen. Ein völlig absurdes Verhältnis:
Eine solche enorme Ressourcenkonzentration auf den militärischen Sektor lässt folglich Fragen nach der Verfassungskonformität dieser Maßnahme aufkommen. Denn wenn über ein Drittel aller Bundeseinnahmen in Aufrüstung fließt, dann gefährdet dies augenscheinlich den im Grundgesetz verankerten Sozialstaatscharakter der Bundesrepublik Deutschland.
Und ein Drittel ist dabei noch konservativ gerechnet. Denn die von der Merz-Regierung vereinbarte Umsetzung des sogenannten Fünf-Prozent-Ziels würde auf die aktuelle finanzielle Leistungsfähigkeit des Bundes umgerechnet zu noch dramatischeren Zahlen führen: 2024 betrug das BIP in Deutschland 4,31 Billionen Euro. Fünf Prozent davon ergeben die gigantische Summe von 215,5 Milliarden Euro. Setzte man diese Zahl nun wiederum ins Verhältnis zum Bundeshaushalt von 2024, der 476 Milliarden Euro betrug, kommt man auf Militärausgaben, die 45 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes betragen würden.
Jetzt muss man sich noch ergänzend bewusst machen, dass die Kommunen im Jahr 2024 ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro verzeichneten und das öffentliche Finanzierungsdefizit allein im 1. bis 3. Quartal 2024 auf 108 Milliarden Euro anstieg und auch die Krankenkassen ein milliardenschweres Defizit aufgebaut haben, was laut Schätzung des Bundesgesundheitsministeriums bis 2027 auf mehr als zwölf Milliarden Euro anwachsen soll.
Vor diesem Hintergrund stellt sich unzweifelhaft die Frage nach der sozialen Tragfähigkeit und den daraus folgenden rechtlichen Konsequenzen für diesen Beschluss der Bundesregierung, mindestens ein Drittel aller Bundeseinnahmen ausschließlich ins Militär zu stecken.
Apropos Tragfähigkeit, es wird interessant zu beobachten sein, wie lange die Antwort der Sprecherin des Bundesfinanzministeriums auf die entsprechende Frage der NachDenkSeiten Bestand haben wird:
„(…) es keinen Abbau des Sozialstaats geben wird. Das ist also kein Widerspruch, wie Sie ihn jetzt gerade darstellen. Im Gegenteil, das eine geht und das andere auch.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 30. Juli 2025
Frage Warweg
Laut dem Finanz- und Haushaltsplan soll zukünftig ein Drittel aller Bundeseinnahmen in Aufrüstungsmaßnahmen gehen. Für 2029 werden als Eckwert 152,8 Milliarden Euro genannt. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren, wie sowohl der Bundesfinanzminister als auch der Kanzler sicherstellen wollen, dass die Umsetzung des Fünfprozentziels nicht gegen das in der Verfassung mit Ewigkeitsgarantie verankerte Sozialstaatsprinzip verstößt.
Vize-Regierungssprecher Hille
Herr Warweg, Sie wissen, dass sowohl die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit als auch die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sowie die Sicherung des Sozialstaats für uns von zentraler Bedeutung sind. Genau das ist die Herausforderung, der wir mit diesem Bundeshaushalt, mit dem wir Rekordinvestitionen tätigen, gerecht zu werden versuchen.
Dr. Laiadhi (BMF)
Dem kann ich mich für das BMF voll anschließen. Sie wissen, dass wir verschiedene Schwerpunkte im Haushalt haben. Einer davon ist ganz klar die Verteidigung. Aber es geht natürlich auch darum, den Sozialstaat und Entlastungen zu finanzieren. Dafür haben wir mehrere Beispiele. Das können Sie bei uns nachlesen. Der Minister hat vorhin noch einmal ganz klar gesagt, dass es mit ihm keinen Abbau des Sozialstaats geben wird. Das ist also kein Widerspruch, wie Sie ihn jetzt gerade darstellen. Im Gegenteil, das eine geht und das andere auch.
Zusatzfrage Warweg
Sagen Sie also, diese Ressourcenkonzentration, die Konzentration eines Drittels aller Bundeseinnahmen, ausschließlich für Rüstung stelle aus Sicht des Ministers keinen Bruch des Sozialstaatsprinzips dar?
Dr. Laiadhi (BMF)
Ich habe das gesagt, was ich dazu zu sagen habe.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 30.07.2025
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