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Titel: Zwangsumzüge für Bürgergeldempfänger – während der Bundespräsident für 16 Millionen Euro im Jahr zur Miete wohnt
Datum: 13. August 2025 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Soziale Gerechtigkeit, Sozialstaat
Verantwortlich: Redaktion
Zwangsumzüge bei Bürgergeldempfängern? Drastische Einschnitte bei Sozialleistungen? Was gerade über die Presse durchsickert, zeigt: Eine für Land und Gesellschaft zerstörerische Politik ist das Einzige, wozu diese Regierung fähig ist. Eine Billion Euro für das politische Großvorhaben Kriegstüchtigkeit, während bei den Ärmsten der Rotstift angesetzt werden soll? Das hat mit einer sozialverantwortlichen Politik nichts mehr zu tun. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Bis heute ist die zerstörerische Kraft der Agenda-Reformen unter Altkanzler Gerhard Schröder zu spüren. Im Zuge des neoliberalen Zeitgeistes trieb die damalige rot-grüne Regierung einen Keil in die Gesellschaft, der bis heute von seiner spaltenden Wirkung nichts verloren hat. Die Armen in Deutschland – sie waren unter massiver Hilfe weiter Teile der Presse zum bundesrepublikanischen Feindbild auserkoren worden. Dumm, faul, asozial: So in etwa lautete jener Tenor, der auf den ohnehin unter der Oberfläche der Gesellschaft gärenden Sozialneid gegen die Ärmsten gesetzt hat.
Anstatt vernünftige Lehren aus dieser Zeit innergesellschaftlicher Zerstörung zu ziehen, geht es nun in die nächste Runde. Und wieder stehen sie Gewehr bei Fuß: die Legitimationswissenschaftler, die der Öffentlichkeit mit dem vermeintlichen Segen der Wissenschaft im Rücken die Unabdingbarkeit des „Sparkurses“ zu erklären versuchen; die Medienvertreter, die sich selbstverständlich nicht mit den Armen solidarisieren, sondern, wie gehabt, bereitwillig mit der politischen Klasse ins Bett steigen; die Politiker, die geschickt mit ihren Worten auf die Aktivierung und Reaktivierung des Sozialneids setzen; und, das ist vielleicht am schlimmsten, auch Teile der Gesellschaft, die bereitwillig ihren Neid, ihren Argwohn und ihr diffus-falsches Verständnis von den Armen, das sich allenfalls auf anekdotische Evidenz stützen mag, freien Lauf lassen.
Gerade geht ein Fall durchs Netz, auf den Helena Steinhaus vom Verein „Sanktionsfrei“ aufmerksam macht. Es geht um eine alleinerziehende Mutter, die für eines ihrer schulpflichtigen Kinder beim Amt nach einem Schreibtisch angefragt hat. Die Antwort des Bürgercenters: „Ihr Sohn kann seine Hausaufgaben am Esstisch machen.“ Dem Amt möchte man sagen: Natürlich kann man seine Hausaufgaben auch am Küchentisch machen. Man kann seine Hausaufgaben auch auf dem Boden oder – verzeihen Sie, aber das muss an dieser Stelle sein – auf dem Scheißhaus machen. Wir reden hier von einem beschissenen Schreibtisch, nicht von einem Stück Gold. Hier, bei den Armen, der Zollstock, da, bei der Rüstungsindustrie, die Gießkanne. Und so finden sich – wir waren beim Sozialneid – rasch entsprechende Kommentare aus dem Kreise der Mitmenschen, die die Bitte der Mutter als unangebracht abtun. Eine „Inge“ schreibt: „Meine Güte, auch woanders machen Kinder ihre Hausaufgaben am Esstisch.“ Eine Person mit dem Namen „Winterzeit22“ sagt: „Ich habe meine Hausaufgaben immer am Küchentisch gemacht, habe dann später das Abitur gemacht und studiert und gearbeitet.“
Das zwischen den Zeilen Vermittelte ist in diesen und ähnlichen Kommentaren deutlich zu hören: „Jetzt werden die Armen wohl größenwahnsinnig!“
Leider gesellt sich in Deutschland zu der durch die Politik verursachten innergesellschaftlichen Zerstörung auch noch eine innergesellschaftliche Tragik, die die politische Saat der Zerstörung noch fruchtbarer aufgehen lässt. Diese Tragik liegt in einer tief eingeschriebenen Entsolidarisierung.
Eine Gesellschaft, die sich nicht spalten lassen will, die zusammenhält, in der die Klassen und Schichten in echter, unterstützender Gemeinschaft leben, wird sich politisch nur sehr schwer spalten lassen. Aber wo der Nächste, der arme Bittsteller, ohnehin als unverschämt und asozial betrachtet wird, kann die Politik das uralte Prinzip von ‚teile und herrsche‘ leicht umsetzen.
Das ist der gesellschaftliche Boden, auf dem gerade die Politik der „sozialen Einschnitte“ vorbereitet wird.
„Merz plant Bürgergeld-Reform: Ab 2027 könnten für Empfänger Zwangsumzüge drohen“, lautet eine aktuelle Überschrift des Münchner Merkur. Es geht, wie die Leserschaft erfährt, um „höhere Eigenanteile bei den Wohnkosten und Zwangsumzüge“. Kurzum: Mietpreise für Wohnungen von Armen, die vom Amt gerade noch als in Ordnung befunden wurden, könnten bald als zu teuer betrachtet werden. Als ob viele Arme nicht schon genug geschunden wären, sollen sie nun auch noch vom Staat aus ihrer Wohnumgebung gerissen werden.
Diese Politik erinnert an einen Brandstifter, der unentwegt zündelt und irgendwann mit Benzin das Feuer löschen will. Der Politik fällt jetzt auf die Füße, was sie über Jahrzehnte versäumt hat, in den Griff zu bekommen – oder wohl besser: gar nicht in den Griff bekommen wollte. Wo ist der bezahlbare Wohnraum? Wo sind die bezahlbaren, günstigen, aber dennoch lebenswerten Wohnungen und Siedlungen? Wohin sollen die Armen, die doch ohnehin schon meistens in günstigen Mietwohnungen leben, denn ziehen? Ja, so wie man seine Hausaufgaben auch auf der Toilette machen kann, kann man auch in einem billigen Zelt „wohnen“.
Wie wäre es, wenn die neue „Armutspolitik“ oben anfangen würde, zum Beispiel bei unserem geschätzten Bundespräsidenten? Gerade wurde bekannt: „Steinmeier zieht wegen Bellevue-Sanierung in Ersatzbau – für 16 Millionen Euro Miete pro Jahr“. Wer zahlt dafür die Kosten? Er selbst oder der Steuerzahler? Eben!
Doch Hinweise dieser Art ignoriert die politische Klasse. Sie hält – im Gegensatz zu den unteren Klassen – zumindest in gewissen Grundsatzfragen zusammen. „Wirtschaftsweise Grimm nennt Sozialkürzungen unumgänglich“, so eine weitere aktuelle Überschrift. Veronika Grimm spricht im Text davon, dass man nun „mehr Ehrlichkeit“ brauche, um den Bürgern klarzumachen, dass höhere Abgaben angebracht seien.
„Mehr Ehrlichkeit“? Wenn das mal kein Wort ist! Bitte. Mögen die entsprechenden Politiker ihr Fantasieprojekt Kriegstüchtigkeit abblasen und dann schnellstmöglich zurücktreten. Denn mit diesen Akteuren, die gerade über das politische Parkett schlittern, ist eine Politik zum Wohl des Landes und im Sinne aller Bürger nicht mehr möglich.
Titelbild: Mistervlad / Shutterstock
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