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Titel: „Historisches Urteil“: Militärs und Ex-Präsident Bolsonaro wegen Putschversuches in Brasilien verurteilt

Datum: 15. September 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte
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Brasiliens früherer Präsident Jair Bolsonaro war angeklagt, mit einer Gruppe von Komplizen nach seiner Wahlniederlage 2022 einen Umsturz gegen die Regierung seines Nachfolgers, Luiz Inácio Lula da Silva, geplant zu haben. Zu dem Plan gehörten die Ermordung Lulas und des Richters de Moraes ebenso wie die Angriffe seiner Anhänger auf Regierungsgebäude eine Woche nach Lulas Amtsantritt. Neben Bolsonaro wurden vier ehemalige Regierungsmitglieder, der frühere Marinekommandant und sein Ex-Geheimdienstchef zu langen Haftstrafen verurteilt. Von Brasil de Fato.

Experten, mit denen Brasil de Fato sprach, betrachten die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts, den ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro und Angehörige der Streitkräfte wegen versuchten Staatsstreichs zu verurteilen, als historischen Tag und Meilenstein für die Verteidigung der brasilianischen Demokratie.

Die Angeklagten Walter Braga Netto, Mauro Cid, Augusto Heleno und Paulo Sérgio Nogueira sind die ersten Militärs, die im Land wegen versuchten Staatsstreichs verurteilt wurden.[1]

Der Ex-Präsident muss mit einer Strafe von 27 Jahren und 3 Monaten Gefängnis rechnen.[2]

Der Soziologe und Politikwissenschaftler Rudá Ricci, Präsident des Instituto Cultiva, erklärte, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ein Putschversuch verurteilt und nicht „verziehen“ wurde.

Der Jurist Marcelo Uchôa, Mitglied der Brasilianischen Vereinigung der Juristen für Demokratie (ABJD) und der Gruppe Prerrogativas, hob ebenfalls die beispiellose Verurteilung von Militärs hervor. „Ich glaube, wir erleben gerade eine historische Zeit, deren Ausmaß wir noch gar nicht begreifen können. Es ist das erste Mal, dass Vier-Sterne-Generäle von einem Zivilgericht verurteilt werden. Es ist das erste Mal, dass Brasilien sagt, dass ein Staatsstreich keinesfalls akzeptabel ist, zumindest nach der Logik des Rechts.“[3]

Er betonte die entscheidende Bedeutung der Stimme von Richterin Carmen Lúcia für die Verurteilung. „Es war eine sehr gute Entscheidung. Trotz ihres ruhigen Tons strahlt sie eine große Gelassenheit und die Sicherheit einer außergewöhnlichen Juristin aus. Es war eine historische Entscheidung, getroffen von einer Frau, die die Verurteilung eines Frauenfeindes besiegelte“, merkte er an.

In der Verhandlungssitzung am vergangenen Donnerstag sorgte die Richterin mit ihrer Stimme für eine Mehrheit, indem sie sich den Richtern Alexandre de Moraes und Flávio Dino anschloss und Bolsonaro und die anderen Angeklagten wegen versuchten Staatsstreichs verurteilte. Anschließend bestätigte auch Cristiano Zanin diese Entscheidung. Das Ergebnis lautete 4:1, da Luiz Fux als einziger Richter für einen Freispruch gestimmt hatte.

Für Uchôa ist das Urteil zudem ein klares Signal gegen zukünftige Putschversuche. „Auch wenn es spät war, haben wir gelernt, dass die Straffreiheit für Putschisten nur ein Problem aufschiebt, das später wieder auftauchen wird, nämlich als Versuch eines neuen Putsches”, schließt er.

Ricci schloss sich dem an und erklärt, dass die Nachwirkungen dieses historischen Urteils nicht mit der Verhängung der Strafen enden dürfen, sondern als Grundlage für den „Lehrplan der brasilianischen Bürger” dienen sollten. „Wir müssen dieses Thema in Schulen und Kirchen ansprechen und klar sagen, dass die Demokratie in Brasilien Grenzen hat. Dass jemand, der auf die Bühne steigt und gegen die brasilianische Justiz predigt und Menschen beschimpft, ins Gefängnis kommt. Und nicht für zwei Jahre. Er kommt für fast drei Jahrzehnte ins Gefängnis, er ruiniert sein Leben. Das ist ein Zeichen von Zivilisiertheit”, betonte er.

Für den Politikwissenschaftler und Lehrer Paulo Niccoli Ramirez stellt das Urteil einen Wendepunkt dar. „Es ist ein großer Tag für die brasilianische Demokratie, der den Sieg der Institutionen über persönliche Abenteuer darstellt, die verschiedene gesellschaftliche Aktivitäten gefährden könnten, nicht nur die von progressiven linken Lehrern, sondern auch die des freien Journalismus. Es ist also ein Tag zum Feiern, dass wir Leute ins Gefängnis bringen, die versucht haben, mit Autoritarismus zu agieren“, sagt er im Interview mit Conexão BdF am Donnerstag.

Der Professor sieht die Entscheidung für die Verurteilung auch als Folge der Handlungen des ehemaligen Präsidenten während seiner vierjährigen Amtszeit. „Es ist eine Verurteilung, die das Ergebnis dieser gesamten Katastrophe der Regierung Bolsonaro ist, die eine Anti-Regierung war“, meint er.

Laut Niccoli schwächt das Urteil den Bolsonarismus institutionell und prägt die politische Geschichte des Landes. „Es wird in die Geschichte dieses Landes eingehen, in allen Büchern, auf allen Bildungsebenen, in der Grundschule, in der Mittelstufe, dass Bolsonaro der erste Präsident war, der wegen eines Putschversuchs verurteilt wurde“, prophezeit er.

Der Kronzeuge des versuchten Staatsstreichs, [Bolsonaros Adjudant] Mauro Cid, wurde zu nur zwei Jahren Haft im offenem Vollzug verurteilt. Nach Einschätzung der Richter sollte die Tatsache, dass er eine Kronzeugenregelung eingegangen ist, belohnt werden.

Für den Wissenschaftler Rudá Ricci hat die Entscheidung der Richter in Bezug auf die Strafzumessung einen politischen und gesellschaftlichen Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden darf. „Es wurde ausdrücklich gesagt: ‚Wir müssen diese Form der Kronzeugenregelung wertschätzen.‘ Einige sagten sogar: ‚Schauen Sie, er hat sehr schwere Verbrechen begangen, aber wir müssen die getroffene Vereinbarung einhalten‘“, erklärte Ricci.

Der Beitrag ist auf Brasilianisch-Portugiesisch bei Brasil de Fato erschienen und wurde von Marta Andujo übersetzt. Leicht gekürzt

Titelbild: Mehaniq / Shutterstock


[«1] Insgesamt wurden fünf Anklagepunkte verhandelt: versuchter Staatsstreich, Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Planung und Anstiftung zum Mord, Aufruf zu Straftaten und zur Behinderung der verfassungsmäßigen Gewalten sowie versuchte Abschaffung des Rechtsstaats. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

[«2] Die Urteile gegen die Generäle: 26 Jahre Haft für Walter Braga Netto, 21 Jahre für Augusto Heleno, 19 Jahre für Paulo Sérgio Nogueira. Alle Drei hatten Ministerposten in Bolsonaros Regierung inne.

[«3] Seit dem Ende der Militärdiktatur (1964-1985) wird die juristische und politische Aufarbeitung durch die noch immer einflussreichen Militärs und den Großteil des mehrheitlich konservativ bis reaktionär eingestellten Parlaments behindert. Im Jahr 1979 hatte die Militärjunta ein Amnestiegesetz erlassen. Das Oberste Bundesgericht bestätigte die Gültigkeit des Amnestiegesetzes im April 2021.


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