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Titel: Gaza-Flotilla: Das Desinteresse der Bundesregierung gegenüber Hilferuf der eigenen Staatsbürger
Datum: 30. September 2025 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Bundesregierung
Verantwortlich: Florian Warweg
15 deutsche Staatsbürger, die sich an Bord der Gaza-Flotilla befinden, haben sich mit einem Brief an Kanzler Merz, Außenminister Wadephul und Verteidigungsminister Pistorius gewandt und gebeten, ihnen mitzuteilen, welche Maßnahmen die Bundesregierung zum Schutz der deutschen Staatsbürger angesichts der israelischen Drohungen gegen den zivilen Flottenverband zu treffen gedenkt. Die NachDenkSeiten wollten u.a. wissen, ob die Bundesregierung den Brief erhalten hat, ob sie plant, auf das Schutzgesuch der eigenen Staatsbürger zu reagieren, wieso sie nicht wie die EU-Partner Italien und Spanien Marine-Schiffe zum Schutz entsendet und ob sie die Einschätzung Israels teilt, dass die Flotilla „von der Hamas organisiert“ und die Seeblockade gegen Gaza rechtmäßig sei. Insbesondere die Antworten auf die letzteren Fragen bezeugen ein eher fragwürdiges Verhältnis zum Völkerrecht. Von Florian Warweg.
Hintergrund
In dem Schreiben, datiert auf den 24. September 2025, fordern die 15 deutschen Teilnehmer an der aktuellen „Global Sumud Flotilla“ angesichts der offenen Drohungen, bereits erfolgten Drohnenangriffen und Verleumdungskampagnen der israelischen Regierung („von der Hamas organisierte Flottille“) die Bundesregierung auf, „die völker- und verfassungsrechtlichen Schutzpflichten anzuerkennen und rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten, um weitere gewaltsame Interventionen durch den Staat Israel abzuwenden“. Weiter heißt es dazu im Brief:
„Bitte teilen Sie uns so bald wie möglich mit, welche Maßnahmen Sie zu treffen gedenken und inwiefern Sie Ihre völker- und europarechtlichen Ansprüche und Pflichten zum Schutze Ihrer Staatsbürger umsetzen werden. Wir weisen Sie dringend darauf hin, dass ein sofortiges Einschreiten seitens der Bundesregierung hier unabdingbar ist und dass Sie Sich gegebenenfalls wegen Unterlassung bereits strafbar machen.“
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 29. September 2025
Frage Warweg
15 deutsche Staatsbürger, die sich an Bord der „Gaza flotilla“ befinden, haben sich am 24. September an Kanzler Merz, Außenminister Wadephul und Verteidigungsminister Pistorius gewandt und gebeten, ihnen mitzuteilen, welche Maßnahmen die Bundesregierung zum Schutz der deutschen Staatsbürger angesichts der israelischen Drohung gegen den zivilen Flottenverband zu treffen gedenkt. Haben der Kanzler, der Außenminister und der Verteidigungsminister diesen Brief erhalten? Wenn ja, planen sie, auf das Schutzgesuch der eigenen Staatsbürger zu reagieren?
Hinterseher (AA)
Sie haben dazu vermutlich auch unsere Äußerungen in sozialen Medien vom Wochenende gesehen; denn wir haben uns dazu verhalten. Unser Ziel ist es, das Zulaufen auf eine Konfrontation zu vermeiden. Die israelische Regierung hat öffentlich gemacht, dass sie den Schiffen der Flottille eben keinen Zugang zum Gazastreifen als aktivem Kriegsgebiet gewähren und diese Einfahrt nach Gaza verhindern möchte. Insofern besteht aus unserer Sicht das Risiko eines auch gewaltsamen Eingreifens der israelischen Seite, um diese Flottille zu stoppen. Darauf weisen wir natürlich hin.
Gleichzeitig steht das Auswärtige Amt mit der israelischen Regierung in Kontakt. Wir haben die israelische Regierung zur Einhaltung völkerrechtlicher Pflichten in ihrem Vorgehen aufgefordert. Wir haben dazu aufgerufen, den Schutz aller an Bord Befindlichen unbedingt zu gewährleisten. Darunter gibt es, wie Sie sagen, auch deutsche Staatsangehörige. Das Auswärtige Amt rät aber zugleich den Teilnehmenden der Flottille dringend von einer Einfahrt nach Gaza ab und rät dazu, die Flottille zu verlassen. Sie wissen auch, dass Israel das Angebot gemacht hat, diese Hilfsgüter am Hafen Aschkelon abzuladen, das man annehmen kann.
Darüber hinaus möchten wir an dieser Stelle auch noch einmal darauf hinweisen, dass wir seit mehreren Jahren eine Reisewarnung für den Gazastreifen haben. Das heißt, wir weisen in unseren Reise- und Sicherheitshinweisen explizit darauf hin, dass wir vor Reisen in den Gazastreifen warnen, weil konsularische Hilfsleistungen dort nur höchst eingeschränkt geleistet werden können und aufgrund der kriegerischen Handlungen im Moment quasi unmöglich sind.
Zusatzfrage Warweg
Haben auch das Verteidigungsministerium und der Kanzler diesen Brief erhalten?
Vize-Regierungssprecher Hille
Herr Hinterseher hat Ihnen das Thema breit erläutert. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Zusatzfrage Warweg
Die engen EU-Partner Spanien und Italien haben in Reaktion auf die israelischen Drohungen jeweils Schiffe ihrer Kriegsmarine entsandt, um die „flotilla“ und die respektiven Staatsbürger zu schützen. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, sich dem Beispiel der EU-Partner anzuschließen und ebenfalls ein Schiff zur Eskorte der „flotilla“ zu entsenden?
Hinterseher (AA)
Noch einmal: Wir stehen natürlich mit den europäischen Partnern auch in engem Kontakt zu dieser Frage. Aber über die Aussagen, die wir getätigt haben, und vor allem über die Aufforderung an beide Seiten hinaus haben wir an der Stelle heute nichts hinzuzufügen. Einerseits geht es darum, völkerrechtliche Bestimmungen einzuhalten, und andererseits vor dem Hintergrund, dass es aus unserer Sicht eine Gefahr gibt, darum, die Konfrontation zu vermeiden.
Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
Herr Hinterseher, 15 EU-Staaten haben Israel explizit zur Zurückhaltung aufgefordert. Was würde ein Angriff auf die „flotilla“ für Deutschland bedeuten?
Hinterseher (AA)
Herr Towfigh Nia, ich denke, dabei gilt, was wir auch sonst an dieser Stelle sagen: Es ist Spekulation. Unser Ziel ist es, dass es an dieser Stelle zu keiner Konfrontation kommt. Deswegen ist unser Aufruf an beide Seiten, sich an das geltende Recht zu halten bzw. von einer Konfrontation abzusehen.
Frage Wilp (Chefreporter bei RTL/N-TV)
Medienberichten zufolge hat es Streit an Bord dieser Schiffe gegeben. Würde die Bundesregierung in irgendeiner Weise unterstützend eingreifen, sollten Teilnehmer den Wunsch äußern, auszusteigen, um nach Deutschland zurückzukehren?
Hinterseher (AA)
Das kommt sehr auf den Einzelfall an. Das ist wieder einmal eine Frage nach dem Was-wäre-wenn.
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Sollten deutsche Staatsangehörige jetzt zum Beispiel in israelischen Gewahrsam kommen, dann würden wir selbstverständlich unser Recht auf konsularischen Zugang geltend machen. Das haben wir auch in der Vergangenheit getan.
Ich gebe noch einmal den Hinweis auf das Konsulargesetz und darauf, dass deutschen Staatsangehörigen, die im Ausland in eine Notlage geraten und nicht in der Lage sind, selbst oder mit Hilfe anderer aus dieser Notlage herauszukommen, im Rahmen des Möglichen Hilfe geleistet werden darf.
Frage Warweg
Noch einmal zurück zu der „flotilla“: Die israelische Botschaft in Deutschland behauptet mittlerweile, die humanitäre Mission der „flotilla“ sei von der Hamas organisiert. Wie ist denn dazu der Wissensstand des Auswärtigen Amtes? Teilen Sie die Einschätzung der israelischen Botschaft, oder würden Sie ihr eher widersprechen?
Hinterseher (AA)
Herr Warweg, ich denke, ich habe dazu ausgeführt, dass wir keinen eigenen Wissensstand haben. Aber wir haben gegenüber der israelischen Seite auf die Einhaltung völkerrechtlicher Standards hingewiesen.
Zusatzfrage Warweg
Wenn wir gerade bei völkerrechtlichen Standards sind: Israel behauptet ebenso, dass die Seeblockade, die die „flotilla“ hinterfragt, rechtmäßig sei. Der IGH kam spätestens 2024 zur gegenteiligen Einschätzung. Wie bewertet die Bundesregierung das? Es ist schlussendlich auch für die Bewertung der „flotilla“ relevant. Ist die Seeblockade Israels gegen Gaza rechtmäßig oder nicht?
Hinterseher (AA)
Auch darauf gibt es keine einfache Antwort, denn es ist kein Ja oder Nein. Grundsätzlich ist es in bewaffneten Konflikten möglich, dass Seeblockaden ein Mittel der Auseinandersetzung sind. Das haben wir hier auch schon wiederholt gesagt. Eine Seeblockade kann unter ganz bestimmten Voraussetzungen völkerrechtskonform sein, aber die Frage, die Sie stellen, müssen Sie an die israelische Seite richten. Denn es ist an der israelischen Seite, darzulegen, warum eine Maßnahme völkerrechtskonform ist.
Frage Warweg
Herr Hinterseher, Sie hatten gesagt, die Frage der völkerrechtlichen Bewertung der Seeblockade Israels sei nicht so einfach und nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Das mag grundsätzlich gelten. Aber meine Frage zielte darauf ab, dass Israel es als rechtmäßig und der IGH als unrechtmäßig bezeichnet. Sieht die Bundesregierung sich eher aufseiten der Einschätzung des IGH oder eher aufseiten Israels? Das ist durchaus zu beantworten.
Hinterseher (AA)
Darauf habe ich Ihnen gerade eine Antwort gegeben, nämlich dass dies eine Einzelfallbewertung ist, die nicht so einfach zu treffen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es so sein. Aber deswegen habe ich die Bitte, dass Sie diese Frage an die israelische Seite richten. Denn es ist nicht an der Bundesregierung, das zu erklären. Das völkerrechtskonforme Verhalten muss nicht die Bundesregierung erklären.
Zusatz Warweg
Nein, aber meine Frage zielt darauf ab, dass der IGH es schon als unrechtmäßig eingeschätzt hat. Wenn ich es richtig sehe, steht hier, dass die Bundesregierung diese Einschätzung des IGH nicht teilt. Sonst würde Ihre Antwort keinen Sinn ergeben. Der IGH sagt, dass die Seeblockade nicht rechtmäßig ist; und Sie sagen, dass es nicht so einfach ist. Damit stehen Sie in gewisser Opposition zur Einschätzung des IGH, was Deutschland sonst eher selten tut.
Hinterseher (AA)
Nein, wir stehen nicht in Opposition zur Einschätzung internationaler Gerichte. Sie haben eine ganz grundsätzliche Frage gestellt. Ich habe gesagt, dass sich diese Frage so nicht grundsätzlich beantworten lässt. Es ist eine Einzelfallfrage. Insofern ist es an Ihnen, diese Frage an die Seite zu richten, die die Seeblockade zu verantworten hat.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 29.09.2025
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