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Titel: „Im Großen und Ganzen sind wir die Verlierer“ – Sowjetischer Diplomat über den Zwei-plus-Vier-Vertrag

Datum: 10. November 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Friedenspolitik
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Die deutsche Wiedervereinigung stellte die Sowjetunion im Jahr 1990 vor immense politische und diplomatische Herausforderungen. Wie Wladimir Michailowitsch Polenow, sowjetisch/russischer Diplomat, berichtet, war der Prozess von Unsicherheit und dem Gefühl einer „Zerlegung“ der DDR geprägt. Artem Pawlowitsch Sokolow führte dieses Interview im Rahmen des analytischen Berichts des Instituts für Internationale Studien der MGIMO (Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen des Außenministeriums Russlands), der als „GESPALTENE EINHEIT: 35 Jahre Beitritt der DDR zur BRD“ im Jahr 2024 veröffentlicht wurde. Den ersten Teil des Interviews können Sie hier nachlesen. Aus dem Russischen übersetzt von Éva Péli.

Dieses Interview bietet die Perspektive eines Insiders, der nicht nur die Spannungen zwischen der DDR-Führung und Moskau hautnah miterlebte – etwa bei den Treffen mit Erich Honecker –, sondern später als Mitarbeiter des sowjetischen Außenministeriums maßgeblich an der Ausarbeitung der Regelwerke zur deutschen Einheit beteiligt war, insbesondere am Zwei-plus-Vier-Vertrag. Er schildert die diplomatische Härte der Verhandlungen, den kurzfristig notwendigen Truppenabzug und die Frage, wer aus diesem historischen Prozess als Gewinner und wer als Verlierer hervorging.

Artem P. Sokolow: Wie verlief die Zusammenarbeit zwischen sowjetischen und ostdeutschen Diplomaten in der Übergangsphase 1989/90? Wir haben bereits darüber gesprochen, dass es in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre ein hohes Maß an Misstrauen gab. Gab es in diesen schwierigen Monaten irgendwelche Veränderungen?

Wladimir M. Polenow: Wir haben uns in Bonn natürlich mit den ostdeutschen Diplomaten getroffen, genauso wie mit all unseren Freunden, Botschaftern und Ständigen Vertretern aus den sozialistischen Ländern. Es gab auch informelle Gespräche. Aber ich hatte den Eindruck, dass man uns gegenüber nicht mehr so offen war. Diese Diplomaten standen bereits unter dem Druck der Führung ihrer Länder, die wahrscheinlich nichts hören wollten, was nicht in ihr Weltbild passte.

Mit Blick auf heute frage ich mich: „Wie fühlen sich die Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland derzeit in Russland?“ Denn sie müssen, wie alle Diplomaten, ihrer Zentrale, also Berlin, Einschätzungen zur innenpolitischen Lage und zu den außenpolitischen Schritten Russlands übermitteln. Was berichten sie? Können sie berichten, was wirklich vor sich geht, oder müssen sie sich dem Mainstream in ihrem Heimatland anpassen? Ich denke, dass dies eine große Schwierigkeit darstellt. Uns russischen Diplomaten wird vor allem beigebracht, dass wir trotz allem die Wahrheit berichten müssen. Von den deutschen Diplomaten wird dasselbe gefordert. Ich denke, dass die westlichen Botschaften in Russland derzeit in einer ähnlichen Situation arbeiten wie die Vertretungen der DDR in den 1980er-Jahren.

Als die deutsche Vereinigung und damit das Ende der DDR unabwendbar wurden, standen die ostdeutschen Diplomaten vor der Wahl: Setzten sie auf die Fortsetzung ihrer Laufbahn im vereinten Deutschland oder erkannten sie, dass ihre berufliche Zukunft in eine Phase der Ungewissheit eintrat?

Ich denke, sie mussten begreifen, dass sich die Zeiten gewandelt hatten. Nach der Wiedervereinigung wurden nahezu alle DDR-Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt entfernt, mit Ausnahme einiger Übersetzer für seltene Sprachen, deren Fachwissen nicht ersetzt werden konnte. Zwar wurden einige Jahre später vereinzelt ehemalige Kollegen zurückgeholt; heute sind Ostdeutsche im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik durchaus keine Seltenheit mehr. Im Grunde wurden sie alle einer „Säuberung“ (Lustration) unterzogen, auch wenn dies offiziell natürlich nicht so benannt wurde. Damals wurden sie alle entlassen und mit kleinen Renten abgespeist. Wir pflegten Kontakt zu unseren ehemaligen ostdeutschen Partnern, für sie war die Situation sehr belastend. Es war schwer, sich selbst zu erklären, was geschah, und dies natürlich auch uns und unseren westdeutschen Partnern zu vermitteln. Obwohl der Vertrag „Zwei-plus-Vier“ hieß, wurde die ostdeutsche Diplomatie faktisch beiseitegeschoben; sie musste buchstäblich ihr Gesicht wahren. Markus Meckel, der formal die DDR-Seite bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen führte, äußerte sich praktisch gar nicht – man ließ ihn nicht zu Wort kommen. Meckel selbst gab später zu, dass die westdeutschen Kollegen die ostdeutschen Kollegen wie Menschen zweiter Klasse behandelten.

Wie verliefen die Vorbereitungen für die Unterzeichnung des „Zwei-plus-Vier“-Vertrags, welche Besonderheiten gab es in den Ansätzen der Vertragsparteien?

Als Erstes würde ich Ihnen das Buch von J. A. Kwizinski, „Zeit und Zufall“, empfehlen. Dort schildert er ausführlich die Umstände der Verhandlungen bis zum abschließenden Zwei-plus-Vier-Vertrag.

Die Formel lautete anfangs „Vier-plus-Zwei“, was jedoch nur sehr kurz währte, da die Westdeutschen strikt dagegen waren. Auch meinem Vorschlag, den ich in den Berliner Verhandlungen unterbreitete – nämlich der Formulierung „völkerrechtliche Regelung“ statt einer bloßen „abschließenden Regelung“ – lehnten sie vehement ab. Die Westdeutschen wollten verhindern, dass diese Vereinbarung Ähnlichkeit mit einem Friedensvertrag hatte. Schließlich existierte zwischen uns und der BRD – ebenso wie mit Japan – kein Friedensvertrag. Ein Beharren auf einem Friedensvertrag im Jahr 1990 hätte die Forderung nach Reparationen impliziert. Aus diesem Grund lehnten die Deutschen und später die US-Amerikaner eine Ausweitung des Verhandlungskreises strikt ab. Es gab die Idee, die Einigungsgespräche unter dem Schirm der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu führen. Dies hätte die Zahl der Vertragsstaaten auf fast einhundert erhöht. Für die Westdeutschen wäre dies eine Katastrophe gewesen, da der Prozess extrem verzögert worden wäre, während Bonn große Eile hatte. Der formelle Vertrag über den Beitritt der DDR gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum deutschen Staatsgebiet zementierte im Grunde die Übernahme der DDR. Es war die schlechteste aller Optionen, aber die Ostdeutschen hatten keine Alternative.

Angesichts aller Prozesse, die sich in den deutsch-deutschen Beziehungen vollzogen, war es notwendig, ihnen einen äußeren Rahmen zu geben, der als klare Rechtsgrundlage für die weiteren Beziehungen dienen würde. Was war dabei das Wichtigste? Die Frage der Grenzen, die Frage der Begrenzung der Streitkräfte, die Frage der Nicht-Ausweitung der NATO nach Osten, wo wir, um es ganz offen zu sagen, völlig über den Tisch gezogen wurden. Als wir uns mit diesem Vertrag befassten, haben wir darüber nachgedacht, wer hier der Verlierer und wer der Gewinner ist. Im Großen und Ganzen sind wir die Verlierer. Das gilt insbesondere für die Frage des Truppenabzugs. Wir mussten unsere Truppen abziehen, während sich die US-amerikanischen Truppen in Deutschland bis heute wohlfühlen.

Das Wichtigste war jedoch, dass unsere wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen zu Ostdeutschland zusammenbrachen. Alles war zunichtegemacht worden. Deshalb musste das Fundament für bilaterale Beziehungen bereits mit dem vereinigten Deutschland gelegt werden. In diesem Zusammenhang entstand die Idee eines bilateralen „Großen Vertrags” von Bundeskanzler Helmut Kohl, das heißt eines Vertrags über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und der BRD (genau so schien es mir richtig, ihn zu nennen). An diesen Vertrag wurden später Vereinbarungen über eine umfassende wirtschaftliche, industrielle und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, über Finanzfragen und natürlich das Abkommen über den Abzug der Truppen „angebunden“. Auch beim letzten Dokument musste hart gekämpft werden, denn die Deutschen wollten, dass der Abzug der Truppen so schnell wie möglich erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt waren in der DDR etwa eine halbe Million Soldaten stationiert, und zusammen mit ihren Familien belief sich die Zahl der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte auf bis zu 1,5 Millionen Menschen.

Die Bildung einer Währungsunion zwischen der BRD und der DDR hat uns sofort den Boden unter den Füßen weggezogen, den wir für ein normales Bestehen unserer Truppen brauchten. Am Ende wurde der Abzug unserer Soldaten ein halbes Jahr früher als geplant abgeschlossen. Die Truppen wurden buchstäblich in die Steppe abgezogen. Die Deutschen stellten uns 15 Milliarden Mark zur Verfügung, davon allerdings drei Milliarden Mark als Kredit. Leider verlief nicht alles so, wie wir es uns gewünscht hätten. Aber stellen Sie sich vor, der gesamte Verhandlungsprozess zum Zwei-plus-Vier-Vertrag verlief sehr schnell – von Mai bis September 1990, also insgesamt nur ein halbes Jahr. In dieser Zeit musste alles so gemacht werden, dass unsere Interessen so weit wie möglich berücksichtigt wurden. Wir hatten absolut keine Zeit und befürchteten, dass die Ereignisse über uns hinwegrollen würden. Wir versuchten, unsere Interessen so weit wie möglich in die Dokumente einzubringen, die vorbereitet wurden. Genau aus diesem Grund gab es eine Bindung an das Datum der Unterzeichnung des Vertrags selbst: Wenn er am 12. September unterzeichnet werden sollte, musste bereits am nächsten Tag die Paraphierung des bilateralen „Großen Vertrags” mit der BRD erfolgen. Das war unsere Aufgabe, und wir haben sie erfolgreich gelöst.

Ich denke, dass wir zu diesem Zeitpunkt alles, was möglich war, in diesen Vertrag einbringen konnten. Die Deutschen betrachten ihn als Musterbeispiel für multilaterale Diplomatie, und einige unserer anderen westlichen Kollegen sind derselben Meinung. Ich würde mich jedoch mit meiner Einschätzung zurückhalten. Weder wir noch sie hatten Zeit. Der Vertrag hätte in letzter Minute noch scheitern können, weil die Briten unbedingt nach der Wiedervereinigung Manöver auf dem Gebiet der DDR durchführen wollten und verlangten, diese Klausel in den Vertrag aufzunehmen. Das war ein unverhohlener Versuch, unsere Pläne zu durchkreuzen.

Das heißt, sie haben in letzter Minute versucht, diese Idee durchzusetzen?

Ja, diese Idee kam, glaube ich, um 22 Uhr am Vorabend der Unterzeichnung auf. Damals schlug Außenminister Eduard Schewardnadse vor: „Verharre auf deiner Position, sag, dass wir morgen ein Ministertreffen abhalten werden, aber nichts unterzeichnen werden.“ Und dann rief Hans-Dietrich Genscher die US-Botschaft an.

Hat er sich beschwert?

Ja, man sagte ihm, dass Außenminister James Baker schlafe, eine Schlaftablette genommen und dazu noch Whisky getrunken habe. Und Genscher sagte: „Ich komme sofort vorbei und wecke ihn selbst auf.“ Er fuhr zur Botschaft, weckte den armen Außenminister, der daraufhin seinen britischen Kollegen anrief. Es kam zu einem weiteren Treffen, und die Briten zogen ihre Forderung zurück.

Sie haben gesagt, dass die Regierung von Helmut Kohl und die westdeutschen Diplomaten es eilig hatten. War diese Eile Ihrer Meinung nach mit Befürchtungen hinsichtlich des Schicksals der Sowjetunion verbunden?

Aus internen Gründen wollten die Deutschen bis zum 3. Oktober fertig werden. Das ist verständlich, aber nicht das Wichtigste. Das Wichtigste war, dass sie die Unsicherheit der Position von Michail Sergejewitsch [Gorbatschow] verstanden und wussten, wie es um seine politische Zukunft angesichts der damaligen Kräfteverhältnisse im Obersten Sowjet stehen würde. Das war ihnen vollkommen klar, deshalb waren sie so in Eile. Übrigens war es im Obersten Rat damals nicht einfach, unsere Positionen zu verteidigen, die mit dem Außenministerium, dem Verteidigungsministerium und dem KGB abgestimmt waren, wie es in solchen Situationen üblich ist. J. A. Kwizinski musste buchstäblich um diese Dokumente kämpfen, weil der Erste Stellvertretende Außenminister, Anatolij Gawrilowitsch Kowaljow, sich weigerte, dies zu tun. Als der sowjetische Botschafter zur Sitzung des Obersten Sowjets erschien, waren die Abgeordneten empört, warum nicht der Minister selbst mit ihnen sprach. Später, im Jahr 1991, wiederholte sich dies alles. Es bestand das Risiko, dass M. S. Gorbatschow abgesetzt werden könnte. In diesem Fall hätten die Deutschen natürlich keinerlei Garantien gehabt. Dies umso mehr, als Gorbatschow gerade beim Treffen in Archys – informell, ohne Krawatte – grünes Licht für den Beitritt des vereinigten Deutschlands zur NATO gegeben hatte. [Anm. Red.: Das Treffen in Archys im Kaukasus fand am 16. Juli 1990 zwischen dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl statt. Dort gab Gorbatschow die entscheidende Zusage, dass das vereinigte Deutschland seine Bündnisse (also die NATO-Mitgliedschaft) frei wählen könne. Dieses Treffen war ein entscheidender Durchbruch auf dem Weg zur Deutschen Einheit.] Zuvor gab es noch Versuche, die Idee eines neutralen Status voranzutreiben. Es gab sogar solche irrwitzigen Ideen, dass ein Teil Deutschlands in einem Block und der andere Teil in einem anderen Block verbleiben sollte.

Wäre es damals möglich gewesen, darauf zu bestehen, dass das vereinte Deutschland seinen neutralen Status behält? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ich denke, die Chancen wären da gewesen, wenn Moskau eine gewisse Entschlossenheit gezeigt hätte. Leider befand sich die Sowjetunion wirtschaftlich in einer schwachen Position. Wir haben uns mit ausgestreckter Hand an den Westen gewandt. Hungerrevolten in der Sowjetunion hätten Realität werden können. Daher denke ich, dass das, was getan wurde, unter den damaligen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen das Maximum war, das für uns möglich war.

Welche Folgen hatte Ihrer Meinung nach das Verschwinden der DDR von der politischen Weltkarte?

Das Wichtigste ist, dass sich die Kräftebalance in Europa und der Welt grundlegend verändert hat. Das sozialistische System begann bereits früher zu zerfallen. Überall, außer in Rumänien, verliefen diese Prozesse in den vorangegangenen Jahren relativ friedlich. Was trug zur Massenflucht der DDR-Bürger in den Jahren zwischen 1987 und 1989 in den Westen bei? Es war die Öffnung der Grenzen zwischen Ungarn und Österreich. Und warum hat Ungarn das getan? Auch hier: eine ausgestreckte Hand. All das fügte sich zusammen.

Dies war natürlich ein Prozess, der die Welt ins Ungleichgewicht brachte, die sich in den über vierzig Jahren nach dem Krieg gefestigt hatte. Wir mussten das gesamte System außenpolitischer Koordinaten neu aufbauen, und das von einer Position der Schwäche aus. Was war die Sowjetunion in den Jahren 1989-1990 und erst recht 1991? Es war, offen gesagt, die Vorgeschichte zum Zerfall der UdSSR.

Im Februar 2024 wurde in Russland eine Initiative zur Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags vorgelegt. Wie stehen Sie zu dieser Idee?

Ich habe diesen Gedanken privat mit meinen Kollegen besprochen, die derzeit im deutschen Bereich tätig sind oder waren. Natürlich ist es verlockend, den Deutschen eins auszuwischen …

Vom deutschen Boden darf nur Frieden ausgehen!

Ja, man sollte ihnen diese Äußerungen unter die Nase reiben. Aber sofort stellt sich die Frage, was uns das bringt. Was würde das ändern? Es würde nichts ändern. Und die zweite Frage: An diesen Vertrag ist der „Große Vertrag“ [gemeint: Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit] geknüpft, in dem ebenfalls festgehalten ist, dass beide Seiten die territoriale Integrität nicht nur des jeweils anderen, sondern auch anderer Staaten wahren müssen. Damit würden wir uns in neue, fruchtlose Streitigkeiten verwickeln.

Ich denke, aus heutiger Sicht hätten wir 1990 vielleicht zusätzlich eine Formulierung in den Vertrag über die Unzulässigkeit des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte gegeneinander einfügen sollen, indem wir das Wort „Waffen“ ergänzen, also: Unzulässigkeit des Einsatzes von „bewaffneten Streitkräften und Waffen“?

Wenn man jetzt versuchen würde, den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu kündigen, muss man bedenken, dass erstens nicht nur wir und die BRD, sondern noch weitere Parteien an dem Vertrag beteiligt sind. Und zweitens: Wer gewinnt und wer verliert dadurch? Wieder wir. Daher ist es kein Zufall, dass diese Diskussionsansätze bei uns nach reiflicher Überlegung wieder verstummt sind. Ich würde mich im Moment nicht damit beschäftigen, zumal diese Verträge formal noch in Kraft sind. Es ist klar, dass sie in der Praxis nicht funktionieren, aber das bedeutet nicht, dass wir sie in einiger Zeit nicht wieder benötigen werden. Deutschland und Russland werden nicht von der Landkarte verschwinden. Wir werden gezwungen sein, unsere Beziehungen auf einer neuen Grundlage aufzubauen und uns dabei auf die Errungenschaften der Vergangenheit zu stützen. Wir hatten mit Deutschland bekanntlich schon schlimmere Situationen als heute – und das nicht nur einmal.


Wladimir Michailowitsch Polenow ist ein sowjetischer und russischer Diplomat, außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter 1. Klasse, der lange Zeit in der BRD tätig war und an den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen teilgenommen hat. Er ist der Verfasser des Vertrags über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der BRD und der Sowjetunion von 1990, der die Grundlagen der russisch-deutschen Beziehungen für die nächsten Jahrzehnte festlegte.

Artem Sokolow, Senior Researcher am Institut für Internationale Studien des MGIMO, ist ein ausgewiesener Experte für internationale Beziehungen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die deutsche Außen- und Innenpolitik, die deutsche Geschichte sowie die europäische Integration.

Das vorliegende Gespräch ist eingebettet in den analytischen Bericht über die deutsche Wiedervereinigung, erstellt am MGIMO des Außenministeriums Russlands, 2024.

Der zugrundeliegende Bericht „GESPALTENE EINHEIT: 35 Jahre Beitritt der DDR zur BRD“ führt die Forschungstradition des Instituts für Internationale Studien der MGIMO zur deutschen Politik fort.

Copyright-Vermerk: © Sokolow A.P., Worotnikow W.W., Pankow E.S., 2024.

Titelbild: DacologyPhoto / Shutterstock


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