Das unwürdige Umgehen der Bundesregierung mit Sigmund Jähn und wie sich das Auswärtige Amt über „sogenannte Wiedervereinigung“ echauffiert…

Das unwürdige Umgehen der Bundesregierung mit Sigmund Jähn und wie sich das Auswärtige Amt über „sogenannte Wiedervereinigung“ echauffiert…

Das unwürdige Umgehen der Bundesregierung mit Sigmund Jähn und wie sich das Auswärtige Amt über „sogenannte Wiedervereinigung“ echauffiert…

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 26. August jährt sich das Ereignis der Sojus-31-Raumfahrtmission von Sigmund Jähn, dem ersten Weltraum-Flug eines Deutschen im Jahr 1978. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Forschungs- und Raumfahrtministerin Dorothee Bär und auch der Kanzler eine Würdigung dieses historischen Ereignisses planen – auch eingedenk dessen, dass zum 40. Jahrestag des Flugs keinerlei offizielle Ehrung erfolgte. Zudem kam die Frage auf, wieso Raumfahrtministerin Bär in ihrer letzten Bundestagsrede vor der Sommerpause ausschließlich dem ersten Westdeutschen im All, Ulf Merbold 1983, Respekt zollte und den ostdeutschen Kosmonauten Jähn komplett verschwieg. Das Auswärtige Amt intervenierte danach, obwohl gar nicht befragt, und erregte sich über eine Formulierung in der Fragestellung der NachDenkSeiten. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Hintergrund

Als sich am 26. August 2018 zum 40. Mal der erste Weltraumflug eines Deutschen jährte, gab es für den damals 81-jährigen Fliegerkosmonauten Sigmund Jähn von der Bundesregierung kein Gruß, kein persönliches Glückwunschschreiben, keinen Blumenstrauß – nichts. Auch als er rund ein Jahr später am 21. September 2019 verstarb, erfolgte keinerlei offizielle Würdigung.

Als ich im Anschluss an das damalige Jubiläum am 29. August 2018 in der Bundespressekonferenz nachfragte, aus welchen konkreten Gründen sich das Kanzleramt explizit gegen eine Würdigung der historischen Leistung von Sigmund Jähn entschieden hatte (siehe hierzu auch Hintergrundinfos im noch immer sehr lesenswerten Porträt von Jana Hänsel „Warum ist dieser Mann kein Held?“ in der ZEIT vom 22. August 2018), besaß der verantwortliche Sprecher tatsächlich die Chuzpe, folgende Antwort kundzutun: Man habe dem 81-jährigen Sigmund Jähn sehr wohl zu seinem Weltraumflug gratuliert, indem der Koordinator der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek, am 26. August dazu getwittert hätte. Ob Sigmund Jähn der Gruß erreichte, sei aber nicht bekannt:

„Der Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, Herr Jarzombek, hat sich geäußert. Er hat über Twitter einen Tweet dazu abgesetzt. Dieser hatte eine große Reichweite. Die Raumfahrt ist ja eine sehr innovative Branche. Insoweit kann man auch ein innovatives Kommunikationsmittel wählen.“

Der „würdigende“ Tweet mit angeblich „großer Reichweite“ war dieser:

Fast noch unwürdiger war ein Jahr später das offizielle Umgehen mit der Person Sigmund Jähn, als dieser am 21. September 2019 in Straußberg verstarb. Der Soziologe und Elitenforscher Raj Kollmorgen erklärte in diesem Zusammenhang:

„Sigmund Jähn ist im Orkus der marginalisierten DDR-Geschichte verschwunden.“

Wie Forschungsministerin Bär vor dem Bundestag die deutsche Raumfahrtgeschichte ausschließlich aus westdeutscher Perspektive erzählte

Die „Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt“, Dorothee Bär, hielt am 10. Juli ihre letzte Rede im Bundestag vor der parlamentarischen Sommerpause. Dabei verkündete sie:

„Ich erlebe momentan ganz oft, dass gesagt wird: Oh, jetzt führt das Ministerium auch das Wort „Raumfahrt“ im Titel. Was ist eigentlich mit dieser Raumfahrt? Gibt es nichts Wichtigeres, worum ihr euch kümmern könntet? Braucht es überhaupt diese zusätzlichen Milliarden? Ist dieser finanzielle Kraftakt es wirklich wert?

Diese Frage stellt sich nicht erst im Jahr 2025. Diese Frage hat sich schon 1983 Ulf Merbold gestellt. Er saß in Cape Canaveral – rückwärts hängend, festgeschnallt in einem Pilotensitz, 30 Meter über dem Boden – und musste eine Stunde warten. Er wusste, dass er als erster westdeutscher Mensch ins All fliegen würde. Da wird eine Stunde zur Ewigkeit. Dann hat er gedacht an die sechs Jahre harten Trainings, an die Milliarden Dollar und D-Mark, die die Rakete, in der er saß, gekostet hatte, und hat sich gefragt: War es das wirklich wert? Er hat in seinem Erlebnisbericht die gleiche Antwort gefällt: Ja, das war es wert. Warum? Er hat gesagt: Ob Astronomie, Atmosphärenphysik, Erdbeobachtung, Biologie, Medizin oder Materialforschung, die Mission hat nach nur neun Tagen im All eine unglaubliche wissenschaftliche Ernte eingefahren, eine Ernte, die es auf der Erde wahrscheinlich auch nach 900 Tagen noch nicht gegeben hätte, vermutlich nie.“

Kein einziges Wort darüber, dass ganze fünf Jahr zuvor Sigmund Jähn gemeinsam mit dem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski in sieben Tagen, 20 Stunden, 49 Minuten und vier Sekunden 125-mal die Erde umkreiste hatte und dabei in der sowjetischen Raumstation Saljut 6 (im Gegensatz zur USA, die zu dem Zeitpunkt über keine Raumstation verfügten) unter anderem wissenschaftlich-technische Experimente mit der Multispektralkamera MKF 6 zur Erdfernerkundung, materialwissenschaftliche Experimente, Experimente zur Kristallisation, Formzüchtung und Rekristallisation sowie Züchtung eines Monokristalls, medizinische Experimente, Untersuchung der Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das Sprechvermögen, arbeitspsychologische Untersuchungen, Überprüfung der Hörempfindlichkeit der Stammbesatzung, biologische Experimente zum Zellwachstum in der Schwerelosigkeit und zur Verbindung von Mikroorganismen mit organischen Polymeren und anorganischen Stoffen durchgeführt hatte.

Es war dann ausgerechnet eine Bundestagsabgeordnete der Grünen, Paula Piechotta aus Gera, die direkt nach Bärs Beitrag im Bundestag auf deren westdeutsch verengten Blick einging (ab Minute 0:30 im Video) – zum sichtbaren Missfallen der Ministerin:

„Sie haben vom ersten Westdeutschen im All gesprochen, da haben Sie etwas Wichtiges ausgelassen. Der erste Deutsche im All war Sigmund Jähn. Und ich finde 35 Jahre nach der Wiedervereinigung können wir das durchaus auch mal sagen, als Bundesdeutsche Forschungsministerin.“

Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 6. August 2025

Frage Florian Warweg
Diesen Monat, am 26. August, jährt sich ja das Jubiläum der Sojus-31-Raumfahrtmission von Sigmund Jähn – der erste Weltraumflug eines Deutschen. Mich würde interessieren, planen denn die Forschungs- und Raumfahrtministerin und vielleicht auch der Kanzler eine Würdigung dieses historischen Ereignisses? Die Frage stellt sich ja vielleicht auch eingedenk des erinnerungspolitischen Versagens, dass man zum 40. Jahrestag 2018 keinerlei offizielle Würdigung vorgenommen hatte.

Schneidwindt (BMFTR)
Zum möglichen Versagen in der Vergangenheit kann ich mich hier nicht äußern, und zu Planungen äußern wir uns hier an der Stelle, wenn es dann näher zum Termin ist, grundsätzlich.

Florian Warweg
Noch eine Verständnisfrage in dem Zusammenhang: Die Raumfahrtministerin hat ja in ihrer letzten Bundestagsrede vor der Sommerpause ausschließlich auf Ulf Merbold, als ersten Westdeutschen im All verwiesen und den fünf Jahre vorher in den Weltraum gestarteten Sigmund Jähn völlig ignoriert. Da würde mich interessieren, wieso die Ministerin im Jahr 35 der sogenannten Wiedervereinigung im Bundestag nach wie vor Raumfahrtpolitik und Raumfahrtgeschichte nur aus westdeutscher Perspektive erzählt hat. Was war da ihre Motivation?

Schneidwindt (BMFTR)
Also zur Motivation der Ministerin kann ich mich nicht äußern. Die Ministerin ist die Ministerin in ganz Deutschland, für ganz Deutschland. Einzelne Persönlichkeiten, die sie zu gegebenen Anlässen hervorhebt, sagen überhaupt nichts darüber aus, ob sie ost-/westdeutsche Hintergründe besonders würdigt. Und sie hat auch an anderer Stelle, in anderen Reden, andere Persönlichkeiten gewürdigt.

Deschauer (AA)
Geben Sie mir kurz noch eine Gelegenheit. Es fällt zwar nicht in meine Zuständigkeit, aber ich würde jetzt, glaube ich, die Aussage von Herrn Warweg in seiner Fragestellung – vielleicht sage ich dann “sogenannten Fragestellung” zur “sogenannten Wiedervereinigung” – hier nicht für eines der Ressorts der Bundesregierung so stehen lassen. Und ich glaube, ich spreche da für uns alle. Wir können uns glücklich schätzen, in einem wiedervereinten Deutschland zu leben. Und das möchte ich, glaube ich, hier einfach nur noch mal sagen, gerade weil wir auch über einen Nachbarstaat gesprochen haben – Polen – mit dem wir im Herzen Europas eine wichtige Verantwortung haben für Stabilität in Europa.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 06.08.2025

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