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Titel: Steinmeier in Madrid: Die Jugend soll sich ein Beispiel an den „Entdeckern“ Amerikas nehmen

Datum: 4. Dezember 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Bundespräsident, Wertedebatte
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei seiner Rede im Königlichen Schloss in Madrid eine „neue Epoche“ angekündigt. Man fragt sich, ob es eine sein soll, in der die Eroberung fremder Länder und der Genozid an der indigenen Bevölkerung offenbar als Inspiration dienen sollen. Wie sonst soll man verstehen, was er in Spanien verkündet hat? Von Carmela Negrete.

Der ehemalige Außenminister unter Kanzlerin Angela Merkel hielt letzte Woche eine Rede im königlichen Palast in Madrid und begann dabei mit Lobpreisungen auf Christoph Kolumbus, der, als er 1492 „von diesen Küsten aus in See stach“, „allein seinem Kompass, den Sternen und seiner Vision“ vertraute. Ein Abenteurer also: „Er wagte sich ins Unbekannte – ohne Gewissheit, ob er je zurückkehren würde.“ Steinmeier fühle sich tief berührt von „der Kühnheit jener Epoche“. Und versicherte: „Spaniens Entdecker knüpften Verbindungen zwischen den Kontinenten.“ Noch beunruhigender war das direkte Lob auf die Eroberung: „Sie zeichneten die Landkarten neu und zeigten, dass Neugier und Wagemut Horizonte öffnen können.“[1]

Was manche Historiker als Genozid bezeichnen und was mindestens als „demographische Katastrophe“ anerkannt ist: Die sogenannte „Entdeckung“ Amerikas ging mit Millionen von Toten einher. „Allein in Hispanoamerika ging die indigene Bevölkerung im Laufe der folgenden gut 150 Jahre insgesamt um circa 90 % zurück“, schreibt der Historiker Stefan Rinke. Vor allem Krankheiten, aber auch regelrechte Eroberungskriege fanden statt. Versklavung, Zwangsarbeit, Hunger, Ausbeutung – all das musste dem Bundespräsidenten bekannt sein![2]

Dass die spanische Krone eine ähnliche Auffassung wie Steinmeier hat, wurde deutlich, als Mexiko vor vier Jahren eine offizielle Entschuldigung von Spanien forderte und König Felipe VI. sich weigerte, sie auszusprechen. Der vorherige mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte einen Staatsakt angeregt, bei dem die Spanier um Vergebung bitten und die Mexikaner diese annehmen sollten, um – wie es hieß – symbolisch mit dieser jahrhundertealten Schande abzuschließen. Doch Felipe reagierte nicht, und Spanien feiert weiterhin am 12. Oktober den „Kolumbus-Tag“, von spanischen Konservativen auch „Tag der Rasse“ genannt – der Rasse, ja. So sind Spaniens „Konservative“. Bei der Amtseinführung von Claudia Sheinbaum als Präsidentin Mexikos wurde die spanische Monarchie deshalb nicht eingeladen.

Jugend müsse Friedensmentalität ändern

In der Rede, in der sich Steinmeier verewigen wollte, indem er als erstes deutsches Staatsoberhaupt die Verbrechen der Legion Condor in Gernika eingestand, verharmloste er zugleich die Eroberung Lateinamerikas. Die „Tagesschau“ zitierte lediglich: „In Guernica haben Deutsche schwere Schuld auf sich geladen.“ Im Übrigen hat die „gefürchtete Legion Condor“, wie er sie nennt, nicht nur Gernika bombardiert – und darauf beschränkte sich auch nicht die deutsche Beteiligung am Staatsstreich des Generals Francisco Franco und dessen späteren Sieg. Doch es war zu erwarten, dass Steinmeier nicht das ganze Ausmaß erwähnte.[3]

Was man sich jedoch kaum ausdenken könnte: Steinmeier beließ es nicht bei seinem Lob für die spanischen Eroberer, sondern schlug gleich vor, man solle in der jetzigen Situation in Europa „vielleicht auf die Entdecker von einst schauen“ mit ihrem Mut, ihrer Neugier und Geduld, damit die Jugend, die nur in Frieden gelebt hat, „den Sinn Europas“ begreifen könne. Hier ist die wortgetreue Passage aus der Rede:

Wir stehen an der Schwelle einer neuen Epoche. Es sind tiefgreifende Veränderungen, die Europa vor eine Bewährungsprobe stellen. Umso wichtiger ist es, dass wir Europäer jetzt zusammenstehen, dass wir uns auf das besinnen, was uns verbindet, was uns geleitet hat in den vergangenen Jahrzehnten: die Solidarität unter den europäischen Staaten, unsere Werte, unser Kampf für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit. All das müssen wir schützen und verteidigen! Und zugleich müssen wir erkennen, was sich verändert. Manchem in den jungen, im Frieden aufgewachsenen Generationen leuchtet der Sinn Europas nicht immer gleich ein. Und neue Nationalismen erscheinen so manchem inzwischen faszinierender als das erfolgreiche Friedensprojekt Europa.

Deshalb gilt es, mehr zu tun, als die Werte eines geeinten Europas zu beschwören. Wir müssen mit den Jungen in eine Diskussion eintreten, wir müssen Ihnen die Frage stellen: Was ist Euer Traum von Europa?

Vielleicht hilft es uns, auf die Entdecker von einst zu schauen, die aus Spanien ins Ungewisse aufbrachen: Sie brachten Mut mit, Neugier und auch Geduld, und sie öffneten einen neuen Horizont.

Bleibt die Frage, ob der Bundespräsident wirklich darüber nachgedacht hat, was es bedeutet, sich indirekt auf Eroberung und Genozid zu beziehen – ausgerechnet jetzt, wo gegen Deutschland selbst wegen möglicher Beihilfe zum Genozid ermittelt werden soll. Dabei hilft auch nicht, dass weder der Bundespräsident noch der Bundeskanzler das 80-jährige Jubiläum der Nürnberger Prozesse mit Reden oder einem Staatsakt gewürdigt haben.

Stattdessen hat das Memorium in Nürnberg ein Computerspiel über die Prozesse entwickelt und ausgerechnet im letzten Saal der Ausstellung platziert. Man kann kaum lesen, was an der Wand über den Internationalen Strafgerichtshof steht, denn Teile davon sind verdeckt. Laut einem Mitarbeiter wird der Saal „sowieso bald neu gestaltet“.

Titelbild: OSCAR GONZALEZ FUENTES / Shutterstock



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