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Titel: Generation Deutschland

Datum: 5. Dezember 2025 um 10:30 Uhr
Rubrik: AfD, Demoskopie/Umfragen, Erosion der Demokratie, Innen- und Gesellschaftspolitik
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Am letzten Wochenende fand der Gründungsparteitag der neuen AfD-Jugendorganisation „Generation Deutschland“ in Gießen statt, die im Gegensatz zu ihrer aufgelösten Vorgängerorganisation „Junge Alternative“ (JA) offiziell und organisatorisch an die Mutterpartei angebunden sein wird. Dabei kam es zu massiven Protesten und Straßenblockaden, aber auch gewaltsamen Auseinandersetzungen. Während die Umfragewerte der AfD unaufhaltsam steigen, werden die Versuche ihrer Gegner, diesen Erfolgszug zu stoppen, zunehmend repressiv. Wie kommen wir aus dieser Spirale der Eskalation wieder heraus? Ein Artikel von Maike Gosch.

Die Auflösung der JA und die Neugründung als „Generation Deutschland“ erfolgte vermutlich, um einerseits eine stärkere Kontrolle der Partei über die Jugendorganisation zu ermöglichen und sie anderseits als offizielle Jugendorganisation einer politischen Partei unter das sogenannte „Parteienprivileg“ des Grundgesetzes zu stellen und so ein Verbot oder andere Restriktionen zu erschweren, da nach Art. 21 GG ein solches Verbot, anders als bei Vereinen, nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich ist und nur vom Bundesverfassungsgericht selbst ausgesprochen werden darf.

Wie schon bei vorigen Treffen und Parteitagen der AfD oder der „Jungen Alternative“ war auch der Gründungskongress nicht nur von großen Demonstrationen und massiven Protesten begleitet, sondern es gab den strategisch organisierten Versuch, den Kongress komplett zu verhindern. Nach Presseberichten blockierten etwa 15.000 Menschen des Aktionsbündnisses „Widersetzen“ an 16 Verkehrspunkten die Zufahrt zu den Hessenhallen. Es war ein massiver Polizeieinsatz nötig, um den Teilnehmern überhaupt zu ermöglichen, zum Veranstaltungsort zu gelangen. Der Kongress startete daher auch mit zweieinhalb Stunden Verspätung. Viele AfD-Mitglieder mussten unter Polizeischutz zum Gelände gebracht werden. Bei den Auseinandersetzungen mit den Demonstranten und Blockierern wurden etwa 50 Polizisten verletzt. Auch ein Bundestagsabgeordneter, der Gießener AfD-Abgeordnete Julian Schmidt, wurde auf dem Weg zur Veranstaltung bei einer Auseinandersetzung mit gewalttätigen Demonstranten niedergeschlagen und im Gesicht verletzt.

Der Hessische Innenminister Posek (CDU) übte scharfe Kritik an den Blockaden und Angriffen. Er forderte, der Protest gegen die AfD müsse mit friedlichen Mitteln auf Demonstrationen, in Parlamenten oder vor Gerichten geführt werden; das Bündnis „Widersetzen“ würde sich herausnehmen, im vermeintlichen Kampf des Guten gegen das Böse das Recht zu brechen. Damit bewege es sich in einer „hochgefährlichen rechtlichen Parallelwelt”, so Posek. Die Pressesprecherin des Aktionsbündnisses rechtfertigte den Einsatz so: „Unser Protest und unsere Protestform sind legitim und wichtig, denn im Kampf gegen den Faschismus können wir uns auf den Staat nicht verlassen. Deswegen nehmen wir Antifaschismus selbst in die Hand.“

War diese Blockade nun demokratisch oder undemokratisch?

Aus der Sicht der AfD-Jugendorganisation und ihrer Unterstützer war sie eindeutig undemokratisch, da sie den Gründungskongress der Jugendorganisation einer Partei, und dazu noch einer Oppositionspartei und der aktuell erfolgreichsten Partei Deutschlands, verhindern sollte.

Aus der Sicht der Demonstranten und Aktivisten handelt es sich bei der AfD und ihrer Jugendorganisation um „Feinde der Demokratie“, sodass sie ihre Handlungen als im Dienste der Demokratie gerechtfertigt sehen. Immer wieder berufen sie – und Medienberichterstatter – sich darauf, dass der Verfassungsschutz die AfD Anfang Mai als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hat. Allerdings steht ein Gerichtsurteil hierzu noch aus. Wegen der ausstehenden Gerichtsentscheidung darf das Bundesamt die Partei vorerst nicht mehr öffentlich als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ bezeichnen oder sie dementsprechend beobachten. Das fällt bei der Berichterstattung oft unter den Tisch. Die Partei gilt aber weiter als sogenannter „Verdachtsfall“ und darf auch so bezeichnet werden. Das Gutachten zu der „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ wurde als Verschlusssache geführt, also geheim gehalten, aber dann an die Medien geleakt.

Wer die AfD und ihre Jugendorganisation bzw. die Vorgängerorganisation „Junge Alternative“ für rechtsextremistisch, faschistisch oder nationalsozialistisch hält und die Sorge hat, staatliche Stellen würden die Bevölkerung nicht genügend vor dieser Gefahr schützen, und aufgrund dieser „Schutzlosigkeit“ ein neues drittes Reich anbrechen sieht, begrüßt überwiegend die Aktionen als zivilen Ungehorsam und „Schutz der Demokratie“.

Wer dagegen diese Einschätzung nicht teilt und die AfD und ihre Jugendorganisation eher für rechtskonservativ hält, sieht in der versuchten gewaltsamen Verhinderung des Kongresses und in den Angriffen auf Teilnehmer antidemokratisches und autoritäres Verhalten.

In ihrer Rede auf dem Gründungskongress (ca. ab 2:06:00) forderte die Co-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel die anwesenden Medienvertreter angesichts der Gewaltaktionen auf: „Rüsten Sie ab!“, und gab deren – aus Weidels Sicht – unfairer und einseitiger Berichterstattung eine Mitverantwortung für die Entwicklung des politischen Klimas in Deutschland.

Relevant ist bei der Beurteilung der Situation auch, dass nach Meinungsumfragen aktuell zwischen 25 und 27 Prozent der Bevölkerung angeben, die AfD wählen zu wollen, wenn aktuell Bundestagswahl wäre. Die AfD ist damit zurzeit die stärkste und beliebteste Partei in Deutschland. Das heißt, die Demonstranten verlangen eigentlich, dass ein Teil der Bevölkerung vor fast einem Drittel derselben Bevölkerung geschützt werden soll, deren politische Ansichten sie als Gefahr für sich und das ganze Land betrachten.

Und es gibt natürlich auch noch eine dritte Position, die aber in der immer stärkeren Polarisierung des politischen Diskurses zurzeit kaum medial vertreten wird: Eine, die besagt, die Positionen und Aussagen der AfD und ihrer Jugendorganisation bzw. der entscheidenden Akteure seien extrem, vielleicht sogar in Teilen menschenverachtend, aber dennoch sollten sie ungestört ihren Gründungskongress abhalten dürfen und ihre Positionen in einem freien und offenen Diskurs diskutieren können. Der Wert und Bestand dieser Positionen sollte im Rahmen von Wahlen von der Bevölkerung entschieden werden und nicht von Aktionsbündnissen – und auch nicht von im Geheimen agierenden Mitarbeitern des Verfassungsschutzes.

Das heißt, man würde darauf vertrauen, dass sich in einem ausführlichen öffentlichen und parlamentarischen Diskurs eine Mehrheit der Bevölkerung gegen mögliche rechtsextreme oder menschenverachtende Positionen aussprechen würde. Das würde aber voraussetzen, dass man den Menschen in Deutschland vertraut.

Manchmal hat man aber das Gefühl, dass wir, aufgrund der Zeit des Nationalsozialismus, in Deutschland eher in so etwas wie einer „betreute Demokratie“ leben. Wir sind innerhalb der westlichen Demokratien das einzige Land, das überhaupt einen „Verfassungsschutz“, also einen Inlandsgeheimdienst hat, der die eigenen Bürger (selbst Politiker und Journalisten) ausspäht, öffentlich mit Labeln wie „rechtsextrem“ belegt und auf dieser Basis sanktionieren kann, und zwar nicht aufgrund der Vorbereitung von Gewalttaten oder Umstürzen, sondern allein wegen ihrer politischen Gesinnung. In Deutschland werden bereits Gedanken und Worte als gefährlich angesehen.

Die Gegner der AfD und die „Antifaschisten“ sehen sich angesichts der aktuellen Entwicklungen und eines Diskurses, der sich immer weiter aufheizt und aggressiver wird, natürlich in ihrem Misstrauen gegenüber „rechten Kräften“ bestätigt, die immer mehr Zulauf bekommen. Was sie dabei nicht sehen, ist, dass sie selbst ein Teil dieser Eskalationsspirale sind – was Alice Weidel zu Recht anmahnt, aber ihren eigenen Anteil daran wiederum auch nicht erkennt. Je repressiver die Positionen, Anliegen und Forderungen der AfD unterdrückt werden – sei es durch Brandmauer, Verfassungsschutz oder Blockaden –, desto mehr steigen die Angst und die Wut ihrer Anhänger. Je autoritärer „unsere Demokratie“ agiert, um die aus ihrer Sicht „Autoritären“ zu bekämpfen, desto mehr werden sie selbst – sicher ungewollt – zu dem, was sie eigentlich bekämpfen wollen.

Nach einer aktuellen INSA-Umfrage können sich über die Hälfte der Deutschen vorstellen, die AfD zu wählen. Vor diesem Hintergrund wirken Aussagen wie die von CSU-Chef Markus Söder, die Koalition sei „die letzte Patrone der Demokratie“, zunehmend verzweifelt. Maßnahmen wie die des rheinland-pfälzischen und des bayerischen Innenministeriums, die AfD auf Listen extremistischer Organisationen zu setzen und so zu verhindern, dass AfD-Mitglieder in den öffentlichen Dienst gelangen, und ihnen Hürden in den Weg zu legen, für öffentliche Ämter zu kandidieren, wirken wie ein faktisches Parteiverbot, werden aber den Lauf der Entwicklung sicher nicht aufhalten. Dafür vertritt die AfD zu viele Positionen, die den Wählern in Deutschland wichtig sind und die sie teilen.

Die Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Positionen – wie auch immer man sie findet – muss politisch erfolgen, nicht über repressive Maßnahmen, die nötige politische Debatten unterdrücken.

Ein wichtiges Argument der Anti-AfD-Kämpfer ist immer, wie es zum Beispiel in der Einleitung der Liste Rechtsextremer Parteien und Parteistrukturen des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz heißt:

Rechtsextremisten nutzen diese Organisationsform [von Parteien, Anm. d. Autorin] allerdings nicht, um wirklich an der politischen Willensbildung und der Gestaltung unserer demokratischen Gesellschaft mitzuwirken.

Vielmehr missbrauchen sie das Parteienprivileg, wonach nur das Bundesverfassungsgericht über deren Verfassungswidrigkeit und gegebenenfalls ein Verbot entscheiden darf, um die freiheitliche Demokratie zu bekämpfen.

Solche Parteien zeigen sich also nur vordergründig an aktuellen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen sowie deren Lösung interessiert. Tatsächlich legen sie es darauf an, Ängste und Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren, indem sie gegen Minderheiten, zum Beispiel Asylsuchende, hetzen.“

(Hervorhebungen im Original)

Es wird der AfD also von vornherein unterstellt, nicht an der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft mitwirken zu wollen und auch „nur vordergründig an aktuellen gesellschaftlichen ökonomischen Fragen sowie deren Lösung interessiert“ zu sein. Woher nehmen die Vertreter dieser Haltung ihre Sicherheit – können sie Gedanken lesen?

Ich glaube, in dieser Unterstellung, denn etwas anderes ist es nicht, liegt das Grundproblem des politischen gordischen Knotens, mit dem wir es zu tun haben. Demokratie braucht Vertrauen – in die Bevölkerung und auch in den politischen Gegner.

Titelbild: “Generation Deutschland” / flickr “widersetzen Presse”


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