Überall Brandmauern

Überall Brandmauern

Überall Brandmauern

Maike Gosch
Ein Artikel von: Maike Gosch

Eine geplante und teilweise abgesagte Reise einiger AfD-Abgeordneter zum BRICS-Europa-Symposium („BRICS-Europe“) im russischen Sotschi sorgte in den letzten Tagen für Aufregung, heiße Debatten und Spekulationen. Was sind die Hintergründe, und wie glaubhaft ist die friedenspolitische Ausrichtung der AfD? Ein Kommentar von Maike Gosch.

Nachdem die Reisepläne bekannt geworden waren und es extremen Gegenwind durch CDU-Politiker und die Medien gab, erklärte AfD-Vorsitzende Alice Weidel letzten Dienstag vor der Presse ihr Missfallen der Reisepläne und drohte den Abgeordneten mit disziplinarischen Maßnahmen, sollten sie sich auf der Reise nicht an die Parteiauflagen halten – darunter die Vorgabe medialer Zurückhaltung. Die Vorwürfe gegen die AfD reichten von „Landesverrat“ über „Sprachrohr Moskaus“ bis zu „Instrument im hybriden Krieg“ und „Risiko für unser Land“. Die AfD-Bundesfraktion beschrieb das Ziel der Reise damit, „Gesprächskanäle offen zu halten“.

Jörg Urban, Landesvorsitzender und Landtagsabgeordneter der AfD in Sachsen, EU-Abgeordneter Prof. Dr. Hans Neuhoff und Bundestagsabgeordneter Steffen Kotré nahmen schließlich am Freitag und Samstag dennoch an der Konferenz teil. Bundestagsabgeordneter und menschenrechtspolitischer Sprecher der AfD, Dr. Rainer Rothfuß, sagte seine Teilnahme auf Bitten der Parteiführung ab. Nach eigenen Aussagen wollte er damit vor dem Hintergrund des drohenden Parteiverbotsverfahrens keine zusätzliche Angriffsfläche bieten, da sich die Kritik auch stark gegen ihn persönlich und sein geplantes Treffen mit dem ehemaligen russischen Präsidenten und Social-Media-Heißsporn Dmitri Medwedew gerichtet hatte.

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, besuch nicht ihre Gipfel

Seitdem überschlägt sich die Berichterstattung über den „internen Streit“ in der AfD einerseits und das angeblich „landesverräterische Verhalten“ der AfD durch ihre als „Kreml-freundlich“ bezeichneten Interviews und Aussagen um den Gipfel herum. Die Süddeutsche Zeitung titelte „Propaganda am Schwarzen Meer“ und berichtete, dass einige Journalisten sogar versucht hatten, die Reisenden bei ihrer eigenen Parteispitze anzuschwärzen, scheinbar auf die versprochenen Konsequenzen hoffend:

„Eine WELT-Anfrage, inwiefern die vier Interviews [Anm. d. Red.: die Kotré russischen Medien gab] mit der Vorgabe aus der Fraktion einer „medialen Zurückhaltung“ vereinbar seien, ließ Kotré unbeantwortet. Ein Sprecher der Fraktion teilte mit: „Der Fraktionsvorstand wird die Reise von Steffen Kotré zeitnah intern auswerten.“ Über mögliche Konsequenzen wurde demnach bislang nicht entschieden.“

Was ist hier eigentlich los? Man fühlt sich wie in einem „Hanni und Nanni“-Roman, Verpetzen bei der strengen Direktorin inklusive.

McCarthy revisited oder: Ist denn jetzt schon Wahlkampf?

Was ist der Hintergrund der Aufregung? Hat hier die CDU/CSU gerade eine Pre-Wahlkampf-Kampagne mit dem Hauptangriffspunkt „Putin-Freunde“ gegenüber der AfD losgetreten, weil die Kommunikationsstrategen festgestellt haben, dass dieses Argument bei (west-)deutschen CDU/CSU-Wählern besser verfangen würde, als sie wegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit anzugreifen? Es ist tatsächlich auffällig, wie sehr die Angriffe gegen die AfD aufgrund von angeblicher Kollusion mit „Erzfeind“ Russland in letzter Zeit noch mal verschärft wurden. Nachdem die „Angriff-der-Killerdrohnen-Kampagne“ der Regierung nicht im gewünschten Ausmaß bei der Bevölkerung verfangen hat, hatte es im Oktober Vorwürfe aus der CDU durch Thüringens Innenminister Georg Maier gegeben, die AfD würde durch detaillierte parlamentarische Anfragen für Russland „spionieren“, was natürlich ein dankbares Medienecho fand. Das Handelsblatt zitiert Maier folgendermaßen:

„Besonderes Interesse zeigt die AfD für polizeiliche IT und Ausrüstung, etwa im Bereich der Drohnendetektion und -abwehr“, sagte der Minister. Auch die Ausstattung im Bevölkerungsschutz, im Gesundheitswesen und Aktivitäten der Bundeswehr seien Gegenstand von zahlreichen Anfragen. „Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die AfD mit ihren Anfragen eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet.“

Dass es dabei vielleicht gerade darum gegangen sein könnte, die Behauptungen der Bundesregierung über die angebliche Drohnengefahr parlamentarisch zu überprüfen sowie die Öffentlichkeit im eigenen Land über die eifrigen Aufrüstungs- und Kriegsbereitschaftsaktivitäten der Regierung aufzuklären, scheint dabei weder Maier noch dem Handelsblatt in den Sinn gekommen zu sein.

Ein Eilverfahren der AfD gegen diesen Bericht im Handelsblatt scheiterte, weil die Zeitung nach Urteil des Landgerichts Berlin die Mutmaßungen der Politiker im Rahmen von Meinungs- und Pressefreiheit „ungefiltert und vollständig“ wiedergeben durfte. Über die Äußerungen des Innenministers schrieb das Gericht aber, sein Verdacht berufe sich „lediglich auf vage und nicht näher konkretisierte Mutmaßungen“ – was jeder erkennen konnte, der lesen kann. Dennoch war für den flüchtigen Medienkonsumenten wieder eine weitere Nebelkerze gesetzt, die irgendwie hängen bleiben wird.

Versuchte also Alice Weidel vor diesem Hintergrund, durch ihr „Anziehen der Zügel“ bezüglich der Russlandreisen taktisch weitere Angriffsflächen in dieser Kampagne zu vermeiden? Oder wusste sie mehr über die weit vorangeschrittenen Verhandlungen zwischen dem US-Gesandten Witkoff und dem russischen Sonderbeauftragten Dmitriev über einen möglichen Friedensplan mit Russland, der erst gestern, am 19. November, bekannt wurde, und schätzte daher die Friedensbemühungen ihrer Parteikollegen als richtig, aber irrelevant ein?

Vor dem Hintergrund des aktuell recht wackeligen Zustands der Großen Koalition – mit Streit über die Rentenpläne, internen Querelen in der CDU über das Aufrechterhalten der Brandmauer und den weiterhin sehr starken Umfragewerten – bringt sich die AfD jetzt in Stellung für eine Kooperation mit Teilen der CDU/CSU und der Duldung einer Minderheitsregierung; dann natürlich ohne Kanzler Merz. Es liegt nahe, dass zu so einem Zeitpunkt eine medienwirksame Reise nach Russland für die AfD-Führung alles andere als hilfreich ist.

Es scheint, als seien für die CDU/CSU das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit mitnichten vorgeworfene rechtsextreme und ausländerfeindliche Positionen und Äußerungen der AfD, sondern ihre Kritik an den Russland-Sanktionen sowie ihre Bemühungen um Annäherung an und Frieden mit Russland. Das scheint aktuell die wirkliche rote Linie in der deutschen Politik zu sein.

Ossi vs. Wessi

Aber wie ernst meint es die AfD mit ihrer Friedensposition, für die z.B. Rainer Rothfuß in Daniele-Ganser-artigen Vorträgen recht glaubwürdig plädiert? Und sind die Äußerungen von Weidel und anderen AfD-Granden Ausdruck eines internen Dissens innerhalb der AfD über das Thema Frieden und Frieden mit Russland (so wie aktuell innerhalb der Linken zu Israel-Gaza/Palästina), wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung vermutet? Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) war im April 2024 zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der AfD nicht um eine glaubwürdige Friedenspartei handele, insbesondere, da sie sich für Aufrüstung, eine starke Armee und die nationale Rüstungsindustrie einsetze. Das widerspricht natürlich der aktuellen herrschenden Argumentation in Deutschland, dass Frieden nur durch Aufrüstung zu erreichen sei und nur Abschreckung für Sicherheit sorgt, aber geschenkt.

Interessanter ist, ob es zum Thema Frieden mit Russland und Bündnis mit den USA einen Ost-West-Konflikt innerhalb der AfD gibt, personifiziert durch Tino Chrupalla auf der einen und Alice Weidel auf der anderen Seite, mit einer eher transatlantisch ausgerichteten und USA-(und besonders Trump-)freundlichen und pro-militärischen Haltung bei den Westdeutschen und einer eher russlandfreundlichen und antimilitaristischen Haltung bei den überwiegend ostdeutschen Vertretern der Partei.

Ein kürzlicher innerparteilicher Streit zu einer Entscheidung für ein Werbeverbot der Bundeswehr zwischen Kommunalpolitikern aus Zwickau in Sachsen und Bundespolitikern der AfD zeigt diese Spannungen:

Die AfD hatte dort einem Antrag des BSW zugestimmt, in den Liegenschaften der Stadtverwaltung und der kommunalen Unternehmen sowie auf Fahrzeugen und sonstigen Präsentationsflächen auf Werbung für Kriegsdienst und Rüstungsprodukte zu verzichten. In dem Beschluss hieß es, Grundlage der Politik des Stadtrates sowie des Handelns der Stadtverwaltung sei, dass Zwickau „eine Stadt des Friedens und der Völkerverständigung“ sei. Dagegen äußerte der verteidigungspolitische Sprecher Rüdiger Lucassen (West):

„Der Antragstext liest sich wie ein Auszug aus dem Grußwort des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR.“

Hier ist also parteiintern noch einiges zu klären. Dass es auch die Möglichkeit einer Friedensposition gibt, die eine starke Armee beinhaltet, aber sich durch eine souveräne Außenpolitik auszeichnet und sich nicht in Kriege ziehen lässt und deren Einsatz sich auf die reine Landesverteidigung beschränkt, wie es einstmals (pre-1999) weitgehender Konsens auch in Westdeutschland war, sollte nicht in Vergessenheit geraten.

Die AfD als Anti-Imperialisten

Was bei der Debatte aus dem Fokus gerät, ist, dass es sich nicht primär um einen „Russland-Besuch“ handelte, sondern um die Teilnahme an einem BRICS-Europa-Treffen, d.h. um eine internationale Konferenz, in der es um die Beziehung zwischen den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Indonesien) und Vertretern Europas handelte. Es war zwar kein offizieller BRICS-Gipfel, sondern ein Symposium, das von der politischen Partei „Einiges Russland“, der internationalen Bewegung „Die andere Ukraine“ und dem Institut für Europa der Russischen Akademie der Wissenschaften organisiert wurde. Dennoch hatten zahlreiche Vertreter des Europäischen Parlamentes, europäischer nationaler Parlamente sowie Parlamentsvertreter aus China, Brasilien, Iran, Indonesien, Weißrussland, Algerien, Kuba, Kambodscha, Äthiopien und Südafrika an dem Symposium teilgenommen. Wenn man die Einschätzung der AfD als fremden- und ausländerfeindlich teilt und eine große Gefahr bei Vertretern dieser Partei für Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen vermutet: Wäre es dann nicht wünschenswert, wenn AfD-Abgeordnete sich in solchen Foren mit Vertretern des Globalen Südens treffen, gegebenenfalls bestehende Vorurteile abbauen könnten und internationale Beziehungen und Freundschaften schließen würden?

Aber Konstanz in der Argumentation oder Positionierung ist im aktuellen Chaos und in der emotionalen Aufheizung der politischen Landschaft vielleicht auch nicht mehr zu erwarten.

Titelbild: AfD-Politiker Steffen Kotré, Hans Neuhoff und Jörg Urban mit der bulgarischen Abgeordneten Rada Lykova in Sotschi. / Dr. Neuhoff – Twitter

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