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Titel: Kriegsgefahr? Jedenfalls haben wir den Aufbau der neuen Konfrontation West-Ost verschlafen. Friedensbewegung – wo bist Du geblieben?

Datum: 12. März 2014 um 17:03 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Seit meinem Beitrag vom 4. März über die Notwendigkeit, von der Konfrontation zur europäischen Friedensordnung zu kommen, habe ich die öffentliche Debatte beobachtet und mit vielen Menschen, die mir nahe stehen, gesprochen. Darunter gibt es erstaunlich viele, die meine und anderer Menschen Sorgen und Ängste nicht nachvollziehen können. Sie sind an Militäreinsätze gewöhnt, sie haben zum Beispiel den Aufbau des Raketenschilds der USA in Polen als nicht besonders aufregend akzeptiert, und regen sich deshalb auch nicht über die Verlegung einer Flugzeugstaffel der USA nach Polen auf. So wie die meisten von uns das Heranrücken der NATO an die Grenzen Russlands mit einem müden Lächeln quittierten. Und auch die systematische Pflege eines neuen Feindbilds „Die Russen“, festgemacht an der Person Putin, hat die Reste der Friedensbewegung, so es solche gibt, nicht auf den Plan gerufen. Die Kriegsgefahr und die existenzbedrohenden Seiten eines Krieges, sieht die Mehrheit wohl nicht. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Gefahr und die Gefährlichkeit eines Krieges?

Im Beitrag vom 4. März hatte ich einen Unterschied zur Auffassung Egon Bahrs festgestellt. Der Schreiber eines Leserbriefes fand meine Formulierung zu kritisch. Dazu merke ich gerne an, dass Bahrs Wirken und Reden in der jetzigen Situation noch Gold wert ist im Vergleich zu den meisten anderen Einlassungen. Es ging mir doch nur um die Frage, ob wir dem Treiben zum Wiederaufbau einer Konfrontation gelassen zusehen können. Ich kann es nicht und möchte noch einmal und erweitert begründen, warum Sorgen um die Bewahrung des Friedens angebracht sind und warum es höchst angebracht ist, dass die Reste der alten Friedensbewegung zusammen mit einer neuen aufwachen.

Dreizehn Beobachtungen, die nahe legen, Gefahren für einen heißen Krieg zu sehen:

  1. Wir haben gelernt, dass Kriege geführt werden können, dass sie als Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln betrachtet werden. Noch vor 25 Jahren war das unvorstellbar. Die Bundeswehr hatte einen Verteidigungsauftrag. Außerhalb des NATO-Bereichs hatte sie – und auch die NATO – nichts zu suchen. Inzwischen soll Militär auch der Sicherung der Seewege und der wirtschaftlichen Interessen dienen, und selbstverständlich wird ihm eine Mission für Frieden und Menschenrechte angedichtet. Beim Kosovo-Krieg haben wir diese Sicht der Dinge eingeübt. Und dann später in Afghanistan.
  2. Kriege dienen deutlich sichtbar der innenpolitischen Stabilisierung der Machthaber – so zu beobachten beim Falkland-Feldzug von Premierministerin Thatcher, beim Libyenfeldzug der Briten und Franzosen, beim ersten und zweiten Irak-Krieg der Amerikaner. Auch Putins Härte in der jetzigen Auseinandersetzung wird teilweise von innenpolitischen Stabilisierungserwägungen bestimmt.
  3. Kriege erscheinen vergleichsweise harmlos. Sie sind bisher in der Regel weit weg gewesen. Unsere Kinder und wir selbst haben die Gewalt mit zunehmender Kommerzialisierung der elektronischen Medien und der elektronischen Spiele eingeübt – auch mit elektronischen Waffen.
  4. Auf beiden Seiten gibt es Hardliner, die keine friedlichen Absichten haben. Im Westen, vor allem in den USA, sind religiös bestimmte Kräfte stark. Für sie steht ihre Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Anti-Christ immer noch auf der Tagesordnung, auch wenn Russland nicht mehr von sozialistischen Ideologien und Gedanken geprägt ist. Das macht nichts. Das alte Feindbild passt. Auch in Russland gibt es jene, die von der Wiederherstellung der Sowjetunion träumen.
  5. Solche Kräfte sind fähig, der Eigendynamik eines Konfliktaufbaus Futter zu bieten – durch Intervention, durch selbst organisierte oder finanzierte Kommandoaktionen, durch Propaganda und De-Stabilisierung.
  6. Es gibt im heutigen Westen viele einzelne Personen, Gruppen und Völker, die Rechnungen mit den Russen offen haben. Genauer müsste man sagen: die meinen, Rechnungen mit den Russen offen zu haben. Das gilt bei uns für einen Teil der so genannten Bürgerrechtsbewegung und viele andere in der ehemaligen DDR. Namentlich ist in diesem Zusammenhang Bundespräsident Gauck zu nennen, aber auch Werner Schulz von den Grünen. Sie reden für das Gute, für die Freiheit, für den Kampf für Menschenrechte in den ehemaligen Ostblockstaaten. Und je lauter sie reden, umso schweigsamer werden jene echten Bürgerrechtler, die zugleich Teil der Friedensbewegung waren. Konkret und beispielhaft: Werner Schulz übertönt Friedrich Schorlemmer und alle anderen, die „Schwerter zu Pflugscharen“ umschmieden wollten und erfolgreich umgeschmiedet haben. Ein Beispiel für die Argumentation von Werner Schulz siehe hier.
  7. Russland ist umgeben von Staaten, deren Führungspersonal meist auch noch meint, Rechnungen mit Russland offen zu haben. Das gilt für die baltischen Staaten, für Polen, für Tschechien, für Georgien und für Teile der Ukraine. In den meisten Staaten gibt es radikale Kräfte und in den meisten dieser Staaten leben Russischstämmige mit der Mehrheit zusammen. Aus diesem Zusammenleben folgen mit weitergehender Konfrontation handfeste Konfliktmöglichkeiten. Und dieser Konfliktmöglichkeiten sind gepaart mit der Ausdehnung der NATO und damit mit der Gefahr, dass Bündnisfälle eintreten, wir NATO-Partner also aufgerufen sind, bei solchen Konflikten Beistand zu leisten. Alleine dies ist eine bemerkenswerte Veränderung zum Schlechteren.
  8. Jene Kräfte im Westen, die die Rohstoffe anderer Länder und auch das Eigentum von Unternehmen und die Infrastruktur in anderen Ländern, konkret in der Ukraine oder in Russland, ausbeuten wollen, sind mächtig, sie bestimmen die politische Willensbildung und die Entscheidungen weit über ihr in einer Demokratie angemessenes Maß hinaus.
  9. Die Medien sind über weite Strecken eingespannt in den Aufbau der Konfrontation. Das gab es in den vierziger und fünfziger Jahren und Anfang der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts auch, aber dann folgte eine Periode beachtlicher Abrüstung der Sprache, des Tons und der Inhalte in den meisten Medien. Das ist vorbei.
  10. Auch eigentlich kritisch denkende Medienschaffende und vor allem Teile des kritischen Bürgertums sind als Mahner vor der Eskalation und vor kriegerischen Handlungen ausgeschieden. Bei meinen Gesprächen in diesen Kreisen muss ich feststellen, dass die Anti-Putin-Agitation und der Hinweis auf die Verletzung der Menschenrechte im Osten ziehen. Dies kombiniert mit einer Verklärung der Verhältnisse im Westen, macht auch diese eigentlich kritischen Kreise anfällig für die Unterscheidung „Hier der gute Westen, dort der Osten und die Russen“.
  11. Die Generation der heute 30-50-jährigen ist beachtlich entpolitisiert und der allgemein üblichen Propaganda erlegen. Die Träger der früheren Friedensbewegung und der Studentenbewegung haben es nicht geschafft, ihre Aufmerksamkeit und ihre Wachsamkeit und ihren kritischen Verstand und ihr Interesse am Allgemeinwohl und vor allem am Frieden an die nächste Generation weiterzuvermitteln. Damit will ich keinesfalls sagen, dass diese mittlere Generation nicht am Frieden und nicht am Gemeinwohl und an Mitmenschlichkeit interessiert sei, im Gegenteil. Aber es fehlt das Bewusstsein für die Gefährdung dieser wunderbaren Welt.
  12. Je schlimmer die inneren Verhältnisse im Westen sind, umso attraktiver ist der Aufbau des Feindbilds des Bösen im Osten.
  13. Die Wühlarbeit zur De-Stabilisierung von Staaten im Umfeld Russlands kann heute auf vielfältige Weise organisiert und von professionellen PR-Strategien begleitet werden. An der De-Stabilisierung wird Geld verdient. Die PR-Strategen sind politisch einflussreich.

Man kann diese Veränderungen für harmlos halten. Mir fällt das schwer. Deshalb dieser Text. Und die Konsequenz?

Wir suchen nach der neuen Friedensbewegung.


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