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Titel: Staat zahlt 2,1 Milliarden Subventionen für die private „Riester-Rente“

Datum: 22. August 2007 um 9:10 Uhr
Rubrik: Riester-Rürup-Täuschung, Privatrente, Steuern und Abgaben, Strategien der Meinungsmache
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Hinzu kommen noch Steuermindereinnahmen durch die Möglichkeit von Steuerersparnissen für den Aufbau der Riester-Rente von derzeit jährlich maximal 1.575 Euro. Mit Riesensummen subventionieren also die Steuerzahler damit gleichzeitig auch das Zusatzgeschäft der Versicherungswirtschaft. Sozialminister Müntefering feiert die Abschlusszahlen für die Riester-Rente als Riesenerfolg. Dabei sind es gerade mal ein Drittel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die einen solchen Vertrag abgeschlossen haben – nämlich 9 von 27 Millionen. Dieses Drittel gehört jedoch gewiss nicht gerade zu denjenigen Erwerbstätigen, die das größte Armutsrisiko im Alter tragen. Wolfgang Lieb.

Die „Reformen“ bei der gesetzlichen Rente haben dazu geführt, dass die Durchschnittsnettorente mit 790 Euro im Monat bei Männern (im Osten sind es 836 Euro) und mit 434 Euro bei Frauen (im Osten sind es 660 Euro) deutlich unter der Armutsgefährdung angekommen ist. Als armutsgefährdet gilt, wer unter 856 Euro im Monat hat (so BILD vom 21.08.07). Die „wichtigste Reform seit der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung“ (Steinbrück) hat also „gegriffen“ und zwar wieder einmal in die Taschen, der ohnehin nicht gut Betuchten.

Um sich aus der politischen Verantwortung für den dramatischen Rentenabbau und für den Vertrauensbruch gegenüber den Rentnern zu stehlen, soll nun die Verantwortung auf die Betroffenen verschoben werden. Motto: Wer im Alter arm ist, ist selbst schuld, warum hat er nicht selbstverantwortlich privat vorgesorgt. Deshalb muss nun die Riester-Rente als Erfolgsmodell verkauft werden.

Anstatt mit einer aktiven Konjunkturpolitik mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen und sie in die Lage zu versetzen ordentliche Rentenversicherungsbeiträge zu leisten, hat man an Symptomen kuriert und das Nettorentenniveau von ursprünglich 70 Prozent des Nettogehalts durch die Abkoppelung der Renten- von der Lohnentwicklung drastisch gesenkt.
Statt einer Förderung einer aktiven Lohnpolitik, damit sich die Beitragsleistungen entsprechend erhöhen, hat man die Einführung Mini-, Teilzeit-, Ein-Euro-Jobs oder einen Niedriglohnsektor (mit negativer Einkommensteuer) gefördert und die Beitragssätze von Hartz IV-Beziehern gesenkt und damit die Rentenkassen geschwächt.
Und man belastet die gesetzliche Rentenversicherung weiter, indem man die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung bei der betrieblichen Altervorsorge über das Jahr 2008 hinaus verlängert.

Der Hauptgrund für die bewusst herbeigeführte Zerstörung der gesetzlichen Altersvorsorge ist darin zu suchen, dass die Bundesregierung dem Dogma verhaftet ist, dass die paritätisch finanzierten Beitragssätze für die gesetzliche Rentenversicherung für alle Zukunft nicht über 22 Prozent steigen dürften. Die Bremer Arbeitnehmerkammer [PDF – 224 KB] hat ausgerechnet, dass sogar ohne Rente mit 67 durch eine Anhebung des Nettobeitrags, er von den Arbeitnehmern aufzubringen ist, von knapp 10 auf 14 Prozent weiterhin ein Lebensstandard sicherndes Alterseinkommen finanzierbar wäre. Wegen des Mythos der zu hohen sog. „Lohnnebenkosten“ wird der Arbeitgeberseite die Erhöhung ihres paritätisch zu finanzierenden Anteils um gleichfalls 4 Prozent – also auf insgesamt 28 Prozent der Bruttolohnsumme – nicht „zugemutet“.

Man gaukelt den Menschen vor mit der Deckelung der Beiträge für die gesetzliche Rente sollten die jüngeren Generationen entlastet werden. Dabei geht es ausschließlich darum die paritätische Finanzierung zu „deckeln“ und das heißt die künftigen Generationen der Arbeitgeber aus der Pflicht zu nehmen.

Dazu werden die Arbeitnehmer auf ihre „Selbstverantwortung“, d.h. auf die private Vorsorge bzw. auf die Riester-Rente verwiesen. Was dabei unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass selbst mit der staatlich subventionierten Riester-Rente – und zwar ausschließlich von den Arbeitnehmern alleine – schon jetzt längst mehr Geld für die Altersvorsorge aufgebracht, werden muss, als durch eine Beitragssteigerung für die gesetzliche Rente, die ein auskömmliches Renteneinkommen sicherte.

Weil die Menschen eins und eins zusammenzählen können oder weil sie mit ihren niedrigen Löhnen es sich schlicht nicht leisten konnten, zu „riestern“, war die Riester-Rente trotz aller Kampagnen der Bundesregierung anfänglich ein Flop. Da halfen auch die gut bezahlten Werbeauftritte von Walter Riester bei der Versicherungswirtschaft nichts. Auch Finanzdienstleister waren „schockiert“ darüber, dass die ganz überwiegende Mehrheit an der „staatlichen Rente“ festhalten will und ihre jahrelange Kampagne für die private Vorsorge offenbar nichts fruchtete. Die Versicherungswirtschaft fordert deshalb noch mehr Subventionen als ursprünglich bei Einführung der Riester-Rente schon vorgesehen waren oder am besten gleich eine private Pflichtrente – wie sie auch der ach so liberale Professor Sinn schon anmahnte.

Einen gesetzlichen Zwang zur privaten Rente traute sich die Bundesregierung (noch) nicht zu, dafür hat sie der Forderung nach noch mehr Subventionen für das Versicherungsgeschäft nun weiter nachgegeben: „Mit Erreichen der dritten Riester-Stufe in weniger als einem halben Jahr am 1. Januar 2008 steigt die Grundzulage auf 154 und die Kinderzulage auf 185 Euro jährlich. Und für jedes dann neu hinzukommende Kind werden 300 Euro pro Jahr auf das Riester-Konto fließen. Der mögliche Sonderausgabenabzug beträgt ab kommendem Jahr bis zu 2.100 Euro. Ebenfalls soll 2008 ein neuer Sonderbonus für Berufseinsteiger kommen: Alle direkt Förderberechtigte unter 21 Jahre werden bei Abschluss eines Riester-Vertrags einmalig eine Bonuszahlung von 100 Euro erhalten“, heißt es in der Pressemitteilung des BMAS

In den unteren Einkommensgruppen würden noch nicht so viele Verträge wie gewünscht abgeschlossen, begründete Arbeitsminister Franz Müntefering diese neue Subvention. Da hat ihn wohl eine OECD-Studie aufgeschreckt, wonach beim Rentenniveau für Geringverdiener Deutschland innerhalb der OECD an letzter Stelle liegt.

Verehrter Herr Sozialminister,
ist Ihnen eigentlich nicht klar, dass gerade die unteren Einkommensgruppen, die mit ihrem Einkommen gerade so hinkommen, sich um das Heute sorgen müssen, bevor sie das Morgen mit einer auskömmlichen Rente erreichen?
Es ist halt so und wird auch immer so bleiben, dass eine private Vorsorge anders als eine gesetzliche Rente keinen internen sozialen Ausgleich bietet – im privaten System herrscht eben das Versicherungsprinzip, im gesetzlichen das Solidarprinzip.

Über diese Tatsache helfen auch alle Bildungsveranstaltungen à la «Altersvorsorge macht Schule» nicht hinweg, deren Halbjahresbilanz Sie heute meinten, feiern zu müssen. „Zwischen Februar und Juli hätten knapp 3.500 Menschen einen von 325 Kursen an den Volkshochschulen besucht, um sich mit der eigenen Altersvorsorge zu beschäftigen“ lobten Sie. Haben Sie mal nachgerechnet? Das sind weniger als ein Dutzend Menschen pro Kurs.
Und das ist Ihnen ein Presseevent sogar zusammen mit Ihrem Kollegen Finanzminister an der Volkshochschule (VHS) Neukölln wert?
Vielleicht wollen Sie ja damit aber auch nur ein Beispiel für den „vorsorgenden Sozialstaat“ geben. Motto: Wer sich nicht über seine Rente bildet, ist selbst schuld, wenn er verarmt.


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