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Titel: Ein kurzer Wochenrückblick – Putin zur Süddeutschen Zeitung; Böhmermann; Riester-Rente, Altersarmut und Demokratie in der Krise; die SPD, auch im Kleinen auf der falschen Spur

Datum: 15. April 2016 um 16:15 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Medien und Medienanalyse, SPD, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht
Verantwortlich:

Albrecht Müller

Das war wieder keine tolle Woche. Wir gewöhnen uns dran. Ein paar kurze Bemerkungen zu einigen Vorfällen und Themen. Albrecht Müller

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.


  1. Der russische Präsident Putin hat in seiner Fernsehveranstaltung einiges Richtiges zu den Panamapapers und der damit verbundenen Kampagne gesagt. Er hat etwas Falsches gesagt, was künftig immer wieder benutzt werden wird, um seine Glaubwürdigkeit infrage zu stellen: Er hat behauptet, die Süddeutsche Zeitung sei in den Händen von Goldman Sachs. Diese Behauptung war falsch und unnötig, um die Vermutung zu belegen, dass das Spiel mit den Panamapapers wesentlich aus den USA gesteuert ist. Letzteres hätte auch mit Hinweis auf die dahintersteckenden Organisationen belegt werden können, die entweder eng und finanziell mit US-amerikanischen Einrichtungen oder mit dem Milliardär Soros verbunden sind.
    Der Sprecher Putins hat sich für den Kreml und den Präsidenten bei der Süddeutschen Zeitung entschuldigt. Ich zitiere Spiegel online:

    “Das ist wahrscheinlich unser Fehler, wahrscheinlich mein Fehler”, sagte Putins Sprecher Dmitrij Peskow. Es habe tatsächlich eine unbestätigte Information gegeben, die nicht noch einmal überprüft, sondern direkt an Präsident Wladimir Putin gegeben wurde. “Wir bitten den Verlag um Entschuldigung.”

    Diese Entschuldigung ist ehrenwert und kommt in der Politik selten vor. Ob sie aber dabei hilft, Putin davor zu bewahren, immer wieder mit seiner falschen Behauptung konfrontiert zu werden, ist fraglich.

  2. Böhmermann
    NachDenkSeiten-Leserinnen und Lesern wird aufgefallen sein, dass wir uns mit diesem Thema wenig beschäftigt haben. Einer unserer Leser, Udo Brandes, hat eine Mail geschrieben, in der er recht gut zusammenfasst, was man als Begründung dafür hernehmen könnte, sich in dieses Getümmel nicht einzumischen:

    “… ich habe mich sehr geärgert über die Reaktionen der Parteien zur Böhmermann-Affäre. Deshalb hier ein paar Worte dazu:  
    Was an diesem “Schmähgedicht” ist Satire oder gar Kunst? Böhmermanns Text enthält alle rassistischen Klischees über Türken, Orientalen und Muslime und ist einfach nur Ausdruck rassistischen Denkens. Für dieses ekelhafte Machwerk verdient der Pseudo-Satiriker Böhmermann keinerlei politische Unterstützung. Linkspartei, Grüne und SPD stellen sich deshalb durch Ihre Solidaritätsadressen für Böhmermann höchstselbst ein Armutszeugnis aus. Man stelle sich bitte mal vor, ein AFD-Mitglied hätte auf einer AFD-Internetseite diesen Text veröffentlicht – alle linksliberalen Böhmermann-Unterstützer wären über denjenigen hergefallen! Deshalb finde ich die Böhmermann-Unterstützer verlogen und scheinheilig. Und bin reichlich enttäuscht, dass auch die Linkspartei genauso wie alle anderen Parteien nach dem Motto verfährt, “Hautsache wir können daraus parteipolitisch Kapital schlagen”. Da frage ich mich wirklich, gibt es in politischen Parteien noch Werte, Überzeugungen, Vernunft, oder zählt nur noch der skrupellose Kampf um parteipolitische Vorteile – egal, wie sich das auf die politische Kultur auswirkt? Oder gibt es dafür einen anderen Grund: nämlich einen latenten Rassismus des Bürgertums, der sich hier ausdrückt?”

     
    Nachbemerkung: Damit soll der türkische Präsident nicht rein gewaschen werden. Und auch nicht die Reaktion der Bundeskanzlerin.

  3. Das Scheitern der Riester-Rente, Reparaturversuche und die Demokratie in der Krise
    Jakob Augstein hat in seiner letzten Kolumne ein Plädoyer für die parlamentarische Demokratie vom Stapel gelassen. Er meinte, die Parlamente schützten die Demokratie vor dem Volk und das Volk vor sich selbst. Ich teile manche Skepsis gegenüber direkter Demokratie. Das darf aber einen nicht so verblenden, dass man nicht mehr sieht, in welcher Krise sich gerade auch die parlamentarische Demokratie befindet. Die Riester-Rente und die damit verbundene Einführung der geförderten Privatvorsorge insgesamt sind ein Beispiel dafür, dass die politischen Entscheidungen, wenn sie über die Parlamente laufen, ganz wesentlich von großen Interessen bestimmt werden. Es sind in den letzten Jahren keine großen politischen Entscheidungen mehr getroffen worden, für die nicht die Beobachtung zutrifft: Wer über viel Geld und publizistische Macht verfügt, entscheidet, wo’s langgeht. Er nimmt mit Hilfe von Lobby und Meinungsmache/Propaganda massiven Einfluss.
    Die Parlamente kann man über weite Strecken vergessen. Das gilt auch jetzt für die Versuche der Reparatur. Die klare Linie, nämlich alle Mittel auf die gesetzliche Rente zu konzentrieren und diese wieder leistungsfähig zu machen, also auf ein Niveau von über 50 % zu bringen, wird im Parlament zur Zeit von wenigen unterstützt, jedenfalls nicht von den Koalitionsparteien. Sie sind offenbar über weite Strecken im Einflussbereich der Versicherungswirtschaft und der Banken.
    Für andere wichtige Entscheidungen gilt ähnliches. Die Demokratie, die direkte und die parlamentarische Demokratie sind in der Krise. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
  4. Die SPD – auch im Kleinen auf der falschen Spur. Eigentlich nur noch traurig.
    Es gibt gute Ratschläge für die Erneuerung dieser früher einmal wichtigen Partei. Auch wir haben auf den NachDenkSeiten immer wieder und zuletzt mit einem ausführlichen Text, verpackt als Aprilscherz, konkrete Vorschläge für die Programmatik und die mögliche Strategie gemacht. Darauf gibt es keine Reaktion, womit wir leben können. Es ist nur schade, weil es wirklich ein Angebot war.
    Schlimm ist jedoch, dass die SPD hilflose Versuche der inhaltlichen Wiederbelebung macht. Ein Musterbeispiel dafür ist die Einladung zu einer „Wertekonferenz“.
    Schauen Sie sich bitte im Anhang an, wie diese Konferenz besetzt ist und prüfen Sie, ob diese Besetzung dem im ersten Absatz der Einladung formulierten Anliegen gerecht wird:

    • Der Präsident des DIW Fratzscher, alles andere als ein fortschrittlicher sozial engagierter Ökonom
    • Heinz Bude, ein mit der Agenda 2010 verflochtener Soziologe
    • Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Fratzscher ist kein ebenbürtiges Gegengewicht.
    • Und dann Claus Leggewie – na ja!

    So eine unangemessene Besetzung für ein wichtiges Thema zum Neuanfang!

    Anhang:

    Einladung zur Wertekonferenz Gerechtigkeit
    Montag, 09. Mai 2016
    Willy-Brandt-Haus, Berlin
    Einlass 09.00 Uhr, Beginn 10.00 Uhr

     
    Lieber …,

    die wichtigste Aufgabe der deutschen und europäischen Sozialdemokratie ist es, fortschrittliche Antworten auf die sozialen Fragen unserer Zeit zu entwickeln – für Gegenwart und Zukunft. Gleiche Chancen und Wohlstand für alle, nicht nur für wenige. Fortschritt dort, wo Menschen immer noch vor Hürden stehen auf dem Weg zum selbstbestimmten Leben. Fortschritt ist Bewegung, Hürden beiseite räumen, was gut ist noch besser machen. Stillstand ist nicht unsere Sache.

    Wir beginnen unsere Programmarbeit für die Bundestagswahl 2017. Eine Reihe von Fachkonferenzen mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis wird uns zusätzliche Impulse geben. Wir starten am 9. Mai in Berlin mit der Wertekonferenz Gerechtigkeit – und erwarten kontroverse Beiträge.

    Mit dabei ist unter anderem der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Prof. Marcel Fratzscher, der mit seinem jüngsten Buch „Verteilungskampf: Warum Deutschland immer ungleicher wird“ die Gerechtigkeitsdebatte in Deutschland befeuert hat.
    Wir sind gespannt auf die Auseinandersetzung mit dem Ökonomen Prof. Michael Hüther zur Frage „Wie gerecht ist unsere soziale Marktwirtschaft?“. Der Soziologe Prof. Heinz Bude und der PolitikwissenschaftlerProf. Claus Leggewie stellen „neue und alte Gerechtigkeitsfragen an die SPD“.

    Gemeinsamkeiten und Unterschiede gehören zur Bestimmung des politischen Standorts. Darum setzen wir bewusst auf Gegensätze und Reibung. Uns erwarten spannende Impulse für unsere Programmarbeit.

    Du bist herzlich eingeladen – wir freuen uns, wenn Du dabei bist!

    Herzliche Grüße
    Sigmar Gabriel, Katarina Barley


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