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Titel: Der Tag der Einheit naht, Gedanken über Früher und Heute. Teil II

Datum: 23. September 2016 um 15:55 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Gedenktage/Jahrestage, Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Von Frank Blenz, Plauen.
Bald ist wieder Feiertag. 3. Oktober. Der Tag der Deutschen Einheit. Da fühlt sich die unserige Bundesregierung gemüßigt, einen Bericht zu veröffentlichen von der „Ostbeauftragten“ verfasst. Der liest sich wie der Beweis und Beleg dafür, wie in diesen elitären Kreisen gedacht wird, was gehalten wird von der Einheit. Vom Osten. Von den Menschen da. Aber was ist das für eine Einheit, wenn immer wieder geteilt und unterschieden wird und wenn die Schuld von Teilung dann auch noch denen untergeschoben wird, die nichts dafür können? Das Gesprächsthema „Ostler“ ist derart hart durch die Tagesmedien, die Tagespolitik, die Verlautbarungen aus der Bundespressekonferenz an die Öffentlichkeit lanciert worden. Es schmerzt ob so vieler Dummheit, Arroganz und Boshaftigkeit.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie hierzu den ersten Teil von Frank Blenz: “Mit der Vereinigung DDR/BRD zu den Konditionen der BRD war der schöne Aufbruch, der einer aller hätte werden können, vorbei.

Da redet die „Beauftragte für Ostdeutschland“ Iris Gleicke (SPD) bei der Vorstellung ihres Jahresberichts zum Stand der deutschen Einheit über den bedauernswürdigen Teil der Bundesrepublik (der Osten), als wäre dieser Landstrich mitsamt den Menschen eine koloniale Enklave. Sie redet dumm und es scheint, sie merkt es nicht einmal. Oder redet sie nicht dumm? Weiß sie um die Ansichten, ist es korrekt, das mit der Enklave, mit der Qualifizierung der Menschen in den fünf Bundesländern von Ostsee bis Fichtelberg? Dazu wird durch die Medien-Aufbereitung forciert (z.B. TV Sender Phoenix) ein fragwürdiges, bisweilen arrogantes Geschwafel von Moderatoren und eingeladenen Fachleuten. Es sind die derzeitigen medialen „Gewichtungen“, es scheint in so einigen Redaktionsstuben zu heißen: „Wir müssen aktuell was über den Osten machen, vor allem, wie da der Fremdenhass wütet.“

Beispiel einer dazu typischen Schlagzeile (Spiegel online):

„Bundesregierung zu Ostdeutschland “Nicht viel Positives zu berichten”.“

Spiegel online rein, bei GMX, Web.de, bei Phoenix, Deutschlandfunk – in vielen Medienauftritten kommt der Osten in überaus prägnanter verkürzter Weise schlecht weg. Nachdem ordentlich draufgehauen wurde, werden dann Sätze offenbar, die zugegebener Weise meinen, dass der Osten nicht immer was dafür kann (Phoenix TV) wie: „Ja es ist schon so, dass die Konzerne dann weiterzogen in andere Länder östlich des Ostens, weil es dort billiger ist.“ Derlei Betrachtung bezieht sich auf das „Abgehängtsein“ des Ostens im Bereich ökonomischer Zahlen.

Dann folgt der Hammer: Zitat Spiegel online: „Die Ostbeauftragte der Bundesregierung sieht in der Fremdenfeindlichkeit eine ernste Bedrohung für die wirtschaftliche Entwicklung. Es gebe überhaupt nichts schönzureden, sagte Iris Gleicke (SPD). Und weiter: „Der zunehmende Fremdenhass schade Ostdeutschland und gefährde den gesellschaftlichen Frieden. Gleickes ernüchterndes Fazit: “Im Moment habe ich nicht viel Positives zu berichten. Der Rechtsextremismus stelle “in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar”. Im Ausland werde Gleicke überall auf diese Entwicklung angesprochen. Ein nicht weltoffener Standort erleide ökonomische Nachteile. Im Tourismus gebe es etwa in Sachsen teils deutliche Rückgänge.“

Dann aber der Clou: der Widerspruch in sich kommt schließlich von Gleicke selbst:

„Die große Mehrheit der Ostdeutschen ist nicht fremdenfeindlich oder rechtsextrem.“

Stimmt. Die meisten in Ostdeutschland (es sind zunächst Deutsche und nicht „Ostdeutsche“ als Spezies) sind nicht extrem. Und es gibt ihn nicht: den „Ostdeutschen“. Was ist überhaupt ein Ostdeutscher? Der Schwabe, der „rübermachte“? Der Hamburger, der zig Wohnungen kaufte oder der Westfale, der auf Edelsanierung macht im Osten? Die Kinder, die ab Ende 1989 alle in der neuen Zeit geboren wurden und mit DDR nix anfangen können und verwundert sind als Ossis betitelt zu werden? Oder sind es die Leute hier, die zwar von Westkonzernen bezahlt und geduldet werden, aber dann doch zu einem anderen Tarif als jenseits der alten Grenze arbeiten? Was folgt? Die Aussagen, die medial so wuchtig wie böse sind, erzeugen einen sehr wirksamen Eindruck: Osten = Mist. Derlei erreichte Zielstellung dient nicht zum Schaffen und schon gar nicht zum Hegen und Pflegen einer Einheit.

Man stelle sich mal vor, es würde vor dem 3. Oktober so in Tagesschau und Co. von den „Westdeutschen“ gesprochen und das von einer Westbeauftragten, die nicht viel Gutes zu berichten habe, die vom Hinterherhängen, vom Extremismus redet, die dann in die Mikros spricht, sie sei ja selbst Westdeutsche.

Zurück zum Extremismus, der im Osten grassiert, wie Gleicke sagt. Nochmal das Zitat von der Ossifrau vs. die Ossis: „Der zunehmende Fremdenhass schade Ostdeutschland und gefährde den gesellschaftlichen Frieden. Gleickes ernüchterndes Fazit: “Im Moment habe ich nicht viel Positives zu berichten. Der Rechtsextremismus stelle “in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar”. Das behauptet sie, obwohl in keiner aktuellen Sendung zu ihrem Auftritt und auch nicht in der Erklärung der Frau Gleicke nur annähernd deutlich aufgezeigt wurde, dass von Rostock bis zum Fichtelberg, von Forst bis nach Wernigerode, von Berlin bis Plauen, von Erfurt bis nach Stralsund tagtäglich der Baum brennt. Es gab zu Gleicke ein paar TV-Beispiele zur Unterfütterung der Gefährlichkeit des Ostens und der Massenhaftigkeit: Bautzen und zwei andere Städte.

Das Problem Extremismus, Rechtsextremismus konkret, ist eines. Ein heftiges. In ganz Deutschland. In Bautzen, in Berlin, in Leipzig ebenso wie in München, in Köln oder in Mannheim. Man schaue mal auf die interaktive Karte.

Die Karte zeigt, dass es ein Land ist, in dem diese nicht zu akzeptierenden, zu verurteilenden Dinge geschehen, diese unsäglich schlechten Gedanken und Handlungsweisen noch daheim sind. Im Land der Dichter und Denker, im Land der „Exportweltmeister“, bestehend aus Norden, Süden, Osten, Westen. Wären wir doch weniger Exportweltmeister als Humanisten. Die Mauer besteht weiter in führenden Köpfen, in den Redaktions- und Amtsstuben. Eine ganze Region samt der Menschen, die im Osten leben, hat den Stempel erhalten, der signalisiert: Westen gut, Osten schlecht. Wem nützt das, wem dient das?

Die Wirkung, der Zustand wird von Gleicke zum Gegenstand ihres Berichts gemacht. Die Ursachen benennt sie nicht. Wenn seit 1990 ein verschwindendes Land in einem gemeinsamen aufgeht und dabei eine Deindustrialisierung und Privatisierung sondergleichen durchgezogen wird, wenn eine Region im saloppen Unternehmerdeutsch „verlängerte Werkbank“ heißt, wenn man zum einen zwar sagt, dass „wir nun alle ein Deutschland und die Deutschen sind“, aber Ostdeutsche (die, die im Ausweis eine ostdeutsche Stadt stehen haben) bis heute öfters erleben, benachteiligt zu werden, wenn es Alltag ist, dass dieser wesentlich ein von westdeutschen Traditionen und Gepflogenheiten geprägter ist, dann bleibt ein Teil dieses Landes, in dem Fall Ostdeutschland zurück. Wie sollen diese fünf Bundesländer auch gleich sein, wenn es nicht so viele Menschen, Arbeitsplätze, große Firmenansiedlungen, Lohnhöhen gibt? Wie soll das gehen, wenn viele in Ostdeutschland Lebende als Pendler gen Westen fahren und arbeiten und so ebenfalls die Bilanz verschieben? Warum wird bei der Berechnung überhaupt ein Unterschied, eine Teilung in diesem Land gemacht, wenn doch beispielsweise jeder Konzern, jeder Lebensmittel-Gigant seinen Sitz und seine Schatztruhe im Westen hat und selbstverständlich Filialen im Osten?
Der Autobauer in München baut also schneller als der in Leipzig? Die Verkäuferin in Hamburg besser als die in Leipzig?

Apropos Fremdenhass und Vorbehalte gegenüber Menschen, die aus Kriegsgebieten und Krisenländern zu uns nach Deutschland flüchteten. Und wie das in Ostdeutschland im Alltag so läuft:

Allein in und um Plauen im Vogtland (62.000 Einwohner) leben aktuell an die 3000 Flüchtlinge (aus mehr als einem Dutzend Ländern). Das Stadtbild Plauens hat sich enorm gewandelt. Das Miteinander auch. Wir haben neben uns syrische Familien, wir haben gegenüber zwei syrische Familien als Nachbarn. Ein Musikkollege und seine Frau sind Paten von zwei syrischen Frauen mit Kindern. Freunde von mir, ich selbst auch, wir helfen Menschen bei Behördengängen. Das ist kein Nebeneinanderleben. In Plauen gibt es mehrere Sonderklassen für Flüchtlingskinder, Sprachlehrgänge für Große, Sportvereine haben Menschen aus mehreren Ländern integriert, Kirchen bieten Treffs und Cafes und Hilfe, es gibt zwei große Anlaufstellen für geflüchtete Menschen, das Theater macht mit, die Stadtverwaltung, Firmen, Kunstgruppen und, und, und. Ja, es gibt sie auch, die von der neuen „Alternative“ bietenden Partei und besorgte Bürger – aber die bekommen stets verbal engagiert Paroli geboten. Wir lesen dann auch von CSU-lern, was die so eloquent wie boshaft in die Mikrofone reden. Die kommen aus Bayern, nicht aus Ostdeutschland. Plauen mit den Menschen da, aus dem Vogtland, aus dem Westen, aus dem Norden und dem Süden in einer Stadt als Bürger eines geeinten Landes, dieses Plauen ist kein Einzelbeispiel für Ostdeutschland, kein Einzelbeispiel für das geeinte Deutschland.

Und wenn nun in Bayern das Bier besser, der Fußball erfolgreicher, in Stuttgart mehr gespart wird oder in Köln lauter gefeiert wird als anderswo, dann ist die Ostsee schöner, die Spreewaldgurken saurer, das Berlinern frecher und die sächsische Eierschecke köstlicher als anderswo – in unserem geeinten Land.

Das geeinte Land zu einen, bedeutet, die Gemeinsamkeiten zu pflegen, die kulturellen und teils lieb gepflegten Unterschiede und Stile zu akzeptieren und dabei aber auch die Ungerechtigkeiten zu benennen und zu beseitigen. Es darf also nicht heißen „Gefühl des Abgehängtseins“ oder „Armutsrisiko im Alter“ – es muss heißen „Zustand des Abgehängtseins“ und „Altersarmut“. Es ist schon lange an der Zeit, wieder an 1989/90 zu erinnern, als es die Idee gab für eine gemeinsame Verfassung (dieser Auftrag steht im Grundgesetz). Es ist lang schon an der Zeit, das Klima im ganzen Land spürbar zu verbessern, in dem durch die Regierenden die soziale Kälte, der Zynismus, das Teilen des Landes, das Teilen der Menschen in Oben und Unten, die latent kriegerische, aggressive Polemik, der Druck im Land mit kraftvollen Maßnahmen beseitigt wird. Es ist nicht richtig, es reicht nicht, dass eine Regierung, ein Parlament sagt: „wir setzen uns ein.“ Nein. Regierung, Parlamente sitzen an den Hebeln, sie können, sie müssen verändern. Für alle Menschen. Sie können Sanktionspolitiken ändern, sie können aus einem Arbeitsmarkt eine Arbeitsgesellschaft machen. Sie können den Druck der Leistungsgesellschaft mildern, indem neue Konzepte und Ideen des Zusammenlebens, der Solidarität, des Humanismus, der Ökologie installiert und ausprobiert werden. Warum müssen wir Bundesbürger uns immer über Geld, über was habe ich, was bin ich, woher komme ich definieren? Dabei sind wir alle und eben im Besonderen die Regierenden mit ihren Möglichkeiten zu entscheiden gefordert. Hierzulande, in Europa, weltweit. In Zusammenarbeit und Freundschaft und Koexistenz mit unseren Nachbarn. Und die Menschen aus dem Osten machen auch mit.


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