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Titel: Campact-Kampagne für Karlchen Überall – das hat schon ein Gschmäckle

Datum: 19. September 2017 um 12:56 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Wahlen
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Laut eigener Satzung ist die Campaigning-Plattform Campact parteipolitisch strikt neutral. Wie dies mit den aktuellen Kampagnen für die SPD-Politiker Lauterbach und Kelber in Einklang zu bringen ist, fragen auch zahlreiche Campact-Anhänger. Bei Campact versteht man die Kritik nicht. Man werbe ja nicht für eine Partei, sondern unterstütze „progressive Kandidaten“. Warum ausgerechnet Karl Lauterbach ein „progressiver Kandidat“ sein soll, erklärt Campact aber lieber nicht. Das ist auch verständlich, da der Mann mit der Fliege, der parteiintern aufgrund seiner Medienpräsenz auch „Karlchen Überall“ genannt wird, eigentlich eher als strammer Parteisoldat gilt und auch in seinem Fachbereich der Gesundheitspolitik keinesfalls so progressiv ist, wie er es gerne darstellt. Dafür kassierte Lauterbach auch als Aufsichtsrat des privaten Klinikriesen Rhön, für den er von 2001 bis 2013 im Aufsichtsrat saß, ein Salär von rund einer halben Million Euro. Als parteipolitisch neutral wird Campact künftig sicher nicht mehr gelten können. Von Jens Berger.

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„Es ist immer besser, zu niedrigen Löhnen zu arbeiten als nicht zu arbeiten“ – mit diesen Worten verteidigte Karl Lauterbach 2008 die Agenda 2010. Getreu dieser Argumentation war es freilich sogar folgerichtig, dass Lauterbach als Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken nie Probleme mit den Hungerlöhnen der prekären Beschäftigten im Konzern hatte und auch lieber nichts zur Praxis gesagt hat, dass Rhön den Mindestlohn für seine Putzkräfte systematisch umgangen hat. Dabei tritt gerade Lauterbach in Talkshows doch stets als Verteidiger der „Kleinen“ im Gesundheitssystem auf. Das scheint jedoch nur Rhetorik zu sein. Immerhin bezog er für seinen kleinen Nebenjob bei Rhön zwölf Jahre lang „Aufwandsentschädigungen“, die mehr als doppelt so hoch waren wie die Gehälter der Vollzeit-Reinigungskräfte im Rhön-Konzern – in den letzten Jahren waren es 64.000 bzw. 62.000 Euro pro Jahr für einen äußerst überschaubaren Arbeitsaufwand. Sonderlich progressiv klingt das nicht.

Mit progressiven Vorstellungen ist Lauterbachs Tätigkeit in der Rürup-Kommission auch nicht in Verbindung zu bringen – einer Nachfolge-Organisation der Hartz-Kommission, aufgrund deren Empfehlung unter anderem das Rentenniveau abgesenkt wurde. Dass Lauterbach dabei kein Rebell, sondern eher ein Mitläufer ist, zeigen auch seine Äußerungen zur Riester-Rente, die Lauterbach zufolge „zur Pflicht für Alle“ werden sollte.

Auch ansonsten steht Lauterbach, der ja angeblich dem linken Flügel der SPD angehören soll, keinesfalls für Kritik am SPD-Kurs. Im Gegenteil. Während der letzten beiden Legislaturperioden, in denen Lauterbach dem Bundestag angehörte, hat er kein einziges Mal gegen die SPD-Fraktion gestimmt. Auch der von Camapct beworbene Ulrich Kelber stimmte während der gesamten letzten Legislaturperiode kein einziges Mal gegen die Fraktion. Campact empfiehlt keine progressiven Geister, sondern Parteisoldaten. Dabei gibt es durchaus progressive Geister innerhalb der SPD – die leider zu früh verstorbenen Ottmar Schreiner und Hermann Scheer gehörten dazu, heute zählen Abgeordnete wie Marco Bülow zu den progressiven Abweichlern innerhalb der Fraktion. Bülow hatte in der letzten Legislaturperiode bei 42 von 103 Abstimmungen gegen die SPD-Fraktion gestimmt.

Angeblich geht es Campact ja um zahlreiche – durchaus löbliche – Ziele. Man will TTIP und CETA stoppen, die Energiewende meistern und eine Spekulationssteuer einführen. Fein, Abgeordnete wie Kelber und Lauterbach wollen all das offensichtlich nicht. Als der Bundestag am 24. September 2014 über TTIP und CETA abstimmte, haben 169 SPD-Abgeordnete mit „Ja“ gestimmt, zwei Abgeordnete stimmten mit „Nein“ – Marco Bülow und Claudia Tausend. Die Abgeordneten Kelber und Lauterbach stimmten für TTIP und CETA und damit auch gegen Campact. Die Linken und die Grünen stimmten übrigens geschlossen dagegen. Als es am 22. September 2016 im Bundestag um CETA ging, war die Zahl der SPD-Abweichler bereits auf sechs gestiegen – Marco Bülow, Ute Finckh-Krämer, Rita Hagl-Kehl, Cansel Kiziltepe, Hilde Mattheis und Christian Petry hatten den Mut, gegen CETA und gegen die Fraktion zu stimmen. Kelber und Lauterbach schwammen auch bei dieser Gelegenheit lieber mit dem Strom.

Campact verkauft Lauterbach als „Erststimme gegen die Glyphosat-Lobby“. Das ist schon abenteuerlich. Denn als der Bundestag am 25. Februar 2016 über den Antrag „Voreilige Neuzulassung von Glyphosat stoppenabstimmte, unterstützte diesen Antrag aus der großen SPD-Fraktion lediglich der Abgeordnete Sascha Raabe. Auch hier stimmten Linke und Grüne geschlossen für den Antrag. Es wäre für Campact also gar nicht mal so schwer, im Bundestag progressive Stimmen zu finden, die auch die angegebenen Ziele von Campact teilen – die SPD zählt nicht dazu und die Parteisoldaten Kelber und Lauterbach erst recht nicht. Lauterbach sagt in der gesundheitspolitischen Debatte ja durchaus einige schlaue Sachen – sein Abstimmverhalten im Bundestag ist aber katastrophal und alles andere als progressiv, die Campact-Werbung für ihn plumpe Einflussnahme für die SPD.

Die Erklärung von Campact lässt auch in einem zentralen Punkt am Demokratieverständnis dieser Organisation zweifeln:

Geben die Wählerinnen und Wähler ihre Erststimme den Kandidat/innen von Grünen, Linken, FDP oder einer anderen kleinen Partei, verpufft ihre Stimme.

Dieses Statement ist an Respektlosigkeit vor den demokratischen Institutionen kaum zu überbieten und disqualifiziert Campact als ernstzunehmenden Teilnehmer an der politischen Debatte. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband findet dazu auf Facebook deutliche und passende Worte.

Vor allem die Linkspartei scheint bei Campact eher in der Schublade „politischer Gegner“ abgelegt zu sein. Anders ist die übereifrige und in Passagen wahrheitswidrige Campact-Kampagne gegen ein angebliches Einknicken der Brandenburger Linken vor der Braunkohlelobby kaum zu bewerten. Diesen Vorgang kommentierte Dietmar Bartsch in der ZDF-Sendung Schlagabtausch in Richtung der Grünen-Politikerin Göring-Eckard, die sich auf die Kampagne von Campact berief, folgendermaßen:

Wissen Sie, was sie alles behaupten ist schlicht falsch. Sie lügen glatt. Es gibt keinerlei Entscheidung in der Landesregierung irgendetwas zu verändern. Es gibt ein Papier von zwei Menschen. Dieses Papier ist überhaupt kein Regierungshandeln. Es gibt nirgends etwas, was an den Zielen des Koalitionsvertrages, den SPD und Linke dort abgeschlossen haben, verändert wird. Es gibt ein Arbeitspapier, dieses Arbeitspapier wird das Licht der Welt nie erblicken. Brandenburgs stellvertretender Ministerpräsident und der Parteivorstrand der Linken haben sich ganz klar dazu geäußert. Das ist eine schöne Kampagne die sie da machen.

Auch diesen Worten ist wenig hinzuzufügen. Wer Fake-News bislang vor allem bei Rechtspopulisten verortet hat, sollte sich wohl umorientieren – Campact ist in dieser Disziplin auch sehr gut. Zumindest dann, wenn es der SPD dient.


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