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Titel: Eine interessante Beobachtung zur WM und was wir aus der Gegenwart zur Erklärung der Feindseligkeiten in der deutschen Geschichte lernen können

Datum: 21. Juni 2018 um 8:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Strategien der Meinungsmache
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Der NachDenkSeiten-Leser Dietrich Schulze wundert sich und erklärt die inzwischen eingetretene seltsame Ruhe im Umgang mit den Spielen in Russland. Unter I. finden Sie seinen Text: „Friedliche Spiele“. Sein Text hat mich animiert, unter II. ein paar Gedanken zum aktuellen Feindbildaufbau aufzuschreiben. Daran kann man nämlich heute lernen, wie der Hass auf Welsche, Juden, „Zigeuner“ und Russen in der Generation meiner Eltern und Großeltern aufgebaut und geschürt worden ist. Ein praktischer Geschichtsunterricht, auf den wir allerdings gerne verzichtet hätten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst also die Beobachtung von Dietrich Schulze:

  1. Friedliche Spiele
    Wer erinnert sich im WM-Vorfeld nicht an Boykott-Forderungen und drohende Anschläge von Rechts auf die Fußball-Weltmeisterschaft im Kontext der herrschenden Hetze gegen Russland.

    Nach den zwei bemerkenswerten Auftakt-Erfolgen Russlands ist das kein Thema mehr. Warum?

    Der Macher der „westlichen Wertegemeinschaft“ – der militärisch-industriell-akademisch-mediale Komplex von USA, NATO, EU – muss so etwas unbedingt verhindern. Ein solcher Anschlag würde jetzt zu einer enormen Sympathie-Welle pro Russland führen, exakt das Gegenteil von dem bisher Erwünschten. Die Geheimdienste der Wertegemeinschaft haben deswegen alle Hände voll zu tun, Ansätze für solche Anschläge zu unterbinden. Dazu haben sie eine riesige Kompetenz.

    Albrecht Müller hatte am 1. Juni analysiert, dass uns – die Deutschen und die Mehrheit der Europäer – das US-Imperium wie eine Kolonie behandelt [1]. Die Spiele sind hingegen wider Erwarten ein Symbol für Sport und Frieden geworden.

    Noch etwas Witziges zum Schluss. Der Autor dieser Zeilen hat in seinem knapp 78-jährigen Leben [2] nie etwas mit Fußball am Hut gehabt. Vielleicht ist diese Distanz gar nicht schädlich für die vorgetragenen Gedanken.

    Zur Abrundung noch drei aktuelle relevante Artikel in den NachDenkSeiten:

    Autor des Kommentars: Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten „Zivilklausel oder Militärforschung“ (WebDoku). Er ist Beiratsmitglied von NatWiss und publizistisch tätig. Email.

  2. Der Feindbildaufbau von heute beantwortet die Fragen, die die Nachkriegsgeneration den Eltern und Großeltern gestellt hat

    Die Feindseligkeiten und Vorurteile unserer Eltern, Großeltern und Lehrer waren für viele von uns ein Rätsel. Mein Großvater, dem ich als zwölfjähriger regelmäßig einen Stärkungstrunk aus Ei, Wein und Zucker schüttelte und verabreichte, schwärmte noch vom Ersten Weltkrieg, und alles Elend kam aus seiner Sicht von den „Welschen“. Gemeint waren die Franzosen. Er war das Opfer einer Feindbildpropaganda, die Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts – vermutlich besonders intensiv im Südwesten Deutschlands – den Franzosen galt. In seinem dörflichen Milieu war diese Vorurteilswelt vermutlich von der überwiegenden Mehrheit und den Meinungsführern getragen. Auszuscheren war unüblich. Wenn alle das Gleiche glauben, muss das richtig sein.

    Er zeigte mir auch regelmäßig alte Illustrierte mit großen Abbildungen militärischer Geräte und Schlachten. Er schwärmte vom Krieg, obwohl sein ältester Sohn schon im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen war. Die Fotos ähnelten nach meiner Erinnerung in der Anmutung dem, was uns NATO und Bundeswehr zurzeit an visueller Propaganda zumuten. Jetzt kann ich ihn besser verstehen als 1950. Er war das Opfer der gleichen Propaganda-Maschen, denen wir heute ausgesetzt sind.

    Viele aus meiner Generation, jedenfalls die einigermaßen Geschichtsbewussten und politisch Interessierten wollten dann von unseren Eltern und anderen Erwachsenen einschließlich der Lehrer wissen, wie es möglich war, dass ein so großer Teil des Volkes die Aggression gegen Juden teilt. Und dann auch gegen alles Slawische und insbesondere gegen die Russen und damals übrigens auch gegen die “Polacken”. Wir wollten wissen, warum sie sich gegen andere Menschengruppen und gegen andere Völker gewandt haben, warum sie so einvernehmlich und einheitlich glaubten, wir Deutschen seien etwas Besseres.

    Wir suchten nach Erklärungen dafür, dass auch sehr gut ausgebildete Zeitgenossen den Nazis und ihren Parolen folgten. Wir wollten wissen, warum unsere Eltern den üblen Charakter des Völkischen Beobachters und die Verführungsmethoden des Herrn Goebbels nicht durchschauten.

    Heute können wir fast alle diese Fragen beantworten. Heute müssen wir feststellen, dass Menschen, alte und jüngere, die anders als unsere Eltern sogar eine Ausbildung in Demokratie genossen haben, sich nach den gleichen Regeln gleichschalten lassen. Die Propaganda der Bild-Zeitung interessiert sie so wenig, wie unsere Eltern die Propaganda des Völkischen Beobachters interessiert hat, jedenfalls keinen Widerstand ausgelöst hat.

    Wir sehen heute, dass die De-facto-Gleichschaltung der Meinungsbildung nicht bemerkt wird, jedenfalls nicht kritisch hinterfragt wird. Wir erleben heute, dass es dem Zusammenhalt eines Volkes und seiner Eliten offensichtlich gut tut, wenn man gemeinsam ein Feindbild pflegen kann. Für meinen Großvater waren die Welschen der Anker seiner Aggression, für einen Großteil unserer meinungsführenden Journalisten und für viele sonstige „Eliten“ hat Putin diese Rolle übernommen.

    Wenn man betrachtet und analysiert, was heute geschieht, dann gibt einem die deutsche Geschichte und das Verhalten unserer Eltern und Großeltern keine Rätsel mehr auf.



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