NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Stuttgart21-Debatte „KombiBahnhof“ versus „Umstieg21“. Ein Leserbrief und eine Antwort von Winfried Wolf.

Datum: 8. Oktober 2018 um 11:11 Uhr
Rubrik: Leserbriefe, Soziale Bewegungen, Strategien der Meinungsmache, Stuttgart 21, Verkehrspolitik
Verantwortlich:

Zum Artikel von Winfried WolfSchienenverkehrsverhinderungspolitik“ vom 2. Oktober erhielten wir eine kritische Lesermail von Volker Schmid. Winfried Wolf antwortet darauf ausführlich. Es geht dabei um die Spaltung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 und um zwei verschiedene Konzepte für den Umstieg. Es geht dabei auch um die aus Winfried Wolfs Sicht zwielichtige Rolle des BUND. Der „Scheinkompromiss der Umweltorganisation BUND“ wirkt nach Meinung von Wolf wie ein Entlastungsangriff für die Deutsche Bahn AG angesichts des S21-Desasters. – Wir geben diese Debatte wieder, obwohl sie ein spezielles Thema betrifft. Aber zum einen sind vermutlich viele Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten mit Umweltorganisationen verbunden, zum andern führt die Verkehrspolitik völlig zu Unrecht ein kümmerliches Dasein. Dem möchten wir entgegenwirken. Albrecht Müller.

  1. Mail Volker Schmid vom 4.10.2018

    Liebe NDS-Redaktion,

    hier ein Leserbrief zum Artikel “Schienenverkehrsverhinderungspolitik” vom 2.10.18, 9:13, der (gerne unter Nennung meines Namens) auf den NDS veröffentlicht werden darf.

    Zunächst eine Anregung bzw. Bitte:
    Ich kann mir vorstellen, dass es große Mühe macht, zu allen präsentierten Informationen Belege/Quellen anzugeben, aber ich freue mich über jede Quellenangabe (gerade auch zu Zitaten), denn für die NDS bzw. den jeweiligen Autor ist es ein einmaliger Aufwand, während im Fall einer fehlenden Quellenangabe alle Leser, die einer Sache nachgehen möchten, unabhängig voneinander denselben Rechercheaufwand betreiben müssen – und vielen davon fehlt die nötige Zeit/Energie, ganz zu schweigen von der Verschwendung an Ressourcen wie Energie. Außerdem wäre es unabhängig von jeder Eigenrecherche gut zu wissen, auf welche Quellen/Belege sich ein Autor nun genau stützt, denn auch wenn man als Leser selbst die mögliche Quellen aufgespürt hat, bleibt immer ein Zweifel, ob es wirklich die ist, auf die sich der Autor bezieht.

    Außerdem möchte ich anregen, differenzierter zu berichten/beurteilen. Beispielsweise was den BUND betrifft. Hier habe ich mir mal die Mühe gemacht, herauszufinden, aus welcher Quelle das BUND-Zitat (“Alle Verträge [bei Stuttgart 21; W.W.] sind aufgrund unfertiger Planungen…”) stammen könnte. Ich habe das folgende neunseitige Positionspapier gefunden.

    Bei näherer Lektüre erkennt man, dass der BUND nicht dafür eintritt, dass S21 einfach weitergebaut werden müsse. Zwar heißt es in Ihrem Artikel “Schienenverkehrsverhinderungspolitik” nicht explizit, der BUND befürworte ein Weiterbauen ohne Planänderung, aber implizit wird dem Leser diese Botschaft vermittelt.* Hier zwei Beispiele aus dem BUND-Positionspapier, die zeigen, dass es (wie so oft) nicht so einfach ist.

    1. Nach der Auflistung von Gründen, warum der BUND einen Baustopp für nicht realistisch betrachtet, ist zu lesen:

      “Noch aber bieten sich Chancen, das Projekt in Teilen abzuspecken und in Teilen zu ergänzen, um den innerstädtischen Bahnknoten so leistungsfähig zu gestalten, dass möglichst viel Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden kann. Der Zeitpunkt hierfür ist günstig, denn der Realisierungsstand beim eigentlichen Tiefbahnhof erlaubt noch weitgehende planerische Modifizierungen; am Flughafen und am geplanten Abstellbahnhof in Untertürkheim wird noch gar nicht gebaut.”

    2. Es ist auch von einem “Teilerhalt des Kopfbahnhofes” die Rede.

      Viel interessanter als die undifferenzierte Aussage, der BUND sage “JETZT ist es für einen Baustopp zu spät. JETZT müssen wir weiterbauen.”, wäre für mich eine Gegenüberstellung verschiedener Alternativkonzepte wie etwa dem Stuttgart21-KombiBahnhof-Konzept des BUND und “Umstieg 21”. Ich habe mich mal an einem bescheidenen und sehr punktuellen Anfang versucht und beziehe mich im Folgenden auf das oben verlinkte BUND-Positionspapier und die Umstieg-21-Broschüre, die hier online verfügbar ist.

    1. Thema Städtebau

      BUND:

      “Bei einem Verbleib von Kopfbahnhof-Bahnsteiggleisen und entsprechenden oberirdischen Zu- und Abfahrtsgleisen Richtung Nordbahnhof und Bad Cannstatt bestehen immer noch große Flächenpotentiale, um dringend notwendige innerstädtische Wohngebiete zu realisieren.”

      Umstieg 21:

      “Bei einem Umstieg kann das Areal [am Nordbahnhof] sofort freigeräumt werden und unmittelbar mit einem Planungs- und Beteiligungsprozess für ein visionäres, urbanes Quartier begonnen werden: Sofort und nicht erst in 10 bis 15 Jahren kann mit einer moderaten Wohnbebauung für den jetzt drängenden Wohnungsmangel begonnen (…) werden.”

      =>Hier meine ich eine Ähnlichkeit der beiden Konzepte zu erkennen.

    2. Gäubahn

      BUND:

      “Gäubahn nicht über Flughafen führen; Umsteigedrehscheibe Regionalbahnhof Vaihingen kurzfristig realisieren.” (Einer der Punkte im Abschnitt “Kostenreduzierung durch „Abspecken“ der bisherigen Konzeption”)

      Umstieg 21:

      “Express-S-Bahn, mit der man auf der Gäubahntrasse in 20 Minuten vom HBF zum Flughafen gelangen würde – ohne weitere Baukosten und zu einem Viertel der Bahnticketkosten des ICE-Tarifs”

      =>Hier scheint es widersprüchliche Vorstellungen zu geben. Wie attraktiv man die Anbindung an einen Flughafen unbedingt machen muss (eingedenk des Beitrags des Flugverkehrs zur Umweltproblematik) – vielleicht hat der BUND hier einfach einen anderen Orientierungsrahmen.

    3. Kapazität

      BUND:
      Als eine von vielen aufgelisteten “Korrekturen am Projekt Stuttgart 21” wird genannt: “Verdoppelung der Kapazitäten im Nah- und Fernverkehr gegenüber heute – das ist Berechnungen zufolge die Voraussetzung, um den Autoverkehr in Stuttgart um 20 % reduzieren zu können.”

      Umstieg 21:
      Hier wird hervorgehoben, dass der bestehende Kopfbahnhof eine größere Kapazität habe als S21 nach gegenwärtiger Planung. An verschiedenen Stellen wird deutlich, dass Erhöhungen der Bahn-Kapazitäten als wichtig betrachtet werden.

      =>Offensichtlich teilen beide Positionen das Ziel der Erhöhung von Kapazitäten, z.B. um mehr Reisende vom Individual-Pkw-Verkehr auf die Schiene zu bringen. Beim BUND-Konzept kann man jedenfalls auch nicht von einem simplen “Weiter so” sprechen.

    4. Gegenseitiger Bezug / Austausch

      Ich bin nicht sicher, welche der beiden Schriften die jüngere ist und damit theoretisch die Möglichkeit gehabt hätte, sich auf die jeweils andere zu beziehen. Die Erstellungsdatumsangaben in den Metadaten der PDF-Dateien lassen vermuten, dass das BUND-Papier das um ca. zwei Jahre jüngere ist. Auch wenn man die Phase der Erarbeitung miteinbeziehen sollte, gehe ich jetzt einmal vorsichtig von der Annahme aus, dass eher die BUND-Autoren sich auf Umstieg 21 hätten beziehen können als umgekehrt.
      Das BUND-Konzept macht mir, wenn ich die Begründungen gegen einen Baustopp durchlese, den Eindruck, dass ein Alternativkonzept wie Umstieg 21 den Verfassern entweder nicht bekannt war oder sie es nicht als sinnvolle Alternative anerkannten – im letzteren Fall wäre interessant, warum. Wenn ich die Zeit finde, schreibe ich auch eine E-Mail an den BUND.
      In jedem Fall hoffe ich eher auf konstruktiven Austausch zwischen Stuttgart21-Kritikern, die Alternativkonzepte entworfen haben, anstatt (zumindest in der verkürzten Form im NDS-Artikel “Schienenverkehrsverhinderungspolitik”) undifferenzierter Ablehnungen, die den BUND beim Leser in einem unangemessen schlechten Licht erscheinen lassen können.

    Noch eine Frage zu folgender Stelle:

    “Diese Dame und diese Herren sind auf die weitere Alimentierung durch Staatsknete und auf eine weitere Hofierung durch die Herrschenden versessen.”

    Ist damit auch der BUND gemeint? Wenn ja, wäre ich an einer Erklärung interessiert, inwiefern der BUND auf “Alimentierung durch Staatsknete (…) versessen” sein soll. Da fehlt mir wohl eine wichtige Information.

    * Zum Thema vermittelte Botschaften: Auf den NDS lese ich immer wieder interessante Hinweise zu Methoden von Propaganda, Meinungsmache etc., und gleichzeitig habe ich manchmal den Eindruck, dass die auf den NDS veröffentlichten Artikel zum Teil selbst eine Revision vor dem Hintergrund solcher Methoden vertragen könnten. Mein nächster Gedanke ist, dass einige solcher “Methoden” bestimmt auch mal unbewusst bzw. unbeabsichtigt angewendet werden – man ist ja schließlich auch nur ein Mensch. So möchte ich wohlwollend bezüglich auf den Artikel “Schienenverkehrsverhinderungspolitik” genau das annehmen: dass hier z.B. nicht gezielt der BUND in Misskredit gebracht werden sollte. Dann frage ich mich aber, ob die NDS manchmal vielleicht bei der Kritik von Beiträgen in den Mainstream-Medien fairerweise auch etwas wohlwollender vorgehen sollten…

    Viele Grüße
    Volker Schmid

  2. Antwort Winfried Wolf vom 8.10.2018

    Stuttgart21-Debatte „KombiBahnhof“ versus „Umstieg21“

    Über den Scheinkompromiss der Umweltorganisation BUND, der wie ein Entlastungsangriff für die Deutsche Bahn AG beim S21-Desaster wirkt

    Winfried Wolf

    Die Nachdenkseiten-Redaktion hat mir die kritischen Anmerkungen von Volker Schmid zu meiner Rede, die ich am 29. September auf der Stuttgarter Demonstration zum Jahrestag des “Schwarzen Donnerstags” und zu Stuttgart 21 hielt und die unter dem Titel „Schienenverkehrsverhinderungspolitik“ auf den NDS veröffentlicht wurde, übermittelt.

    Ganz offensichtlich hat sich V. Schmid intensiv mit dem Thema befasst und sich bemüht, die Positionen des BUND und des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 bzw. von Umstieg21 nachzuvollziehen und zu vergleichen.

    Ich mache dann meinerseits mir die Mühe, auf alle vorgetragenen Argumente einzugehen. Ich tat dies recht umfangreich – auch deshalb, weil die in der Zuschrift angestoßene Debatte über den BUND und Stuttgart21 grundsätzlicher Art ist. Schließlich ist ein erheblicher Teil der grünen Szene in Stuttgart und Baden-Württemberg dabei tangiert.

    Die Spaltung des Widerstands gegen Stuttgart 21 fand vor viereinhalb Jahren statt

    Der Landesverband Baden-Württemberg des BUND war bis Januar 2014 Teil des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Wenn Frau Dahlbender vom BUND jüngst sagte: “Wir waren strikt gegen S21, dann haben wir schweren Herzens das Ergebnis der Volksabstimmung akzeptiert, uns aber weiter kritisch gemeldet. Jetzt haben wir unsere Position überdacht”, dann ist das erheblich irreführend.[1] Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des Regionalverbands des BUND Stuttgart, formulierte das im gleichen Interview noch deutlicher; er sagte: „Unsere Mitglieder akzeptierten nach der Volksabstimmung, dass wir die vorderste Front des Widerstands aufgegeben hatten.“

    Nun fand die Volksabstimmung am 27. November 2011 statt. Danach blieb der BUND noch gut zwei Jahre Mitglied im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Dieses führte durchgehend u.a. die Montagsdemos gegen S21 durch und unterhielt die im Sommer 2010 eingerichtete Mahnwache gegen S21. Das Konto des Aktionsbündnisses zur Finanzierung der Aktivitäten gegen S21 wurde sogar als Unterkonto des BUND geführt. Das heißt, trotz Volksabstimmung gab es mehr als zwei Jahre lang die Übereinstimmung, dass am grundsätzlichen „Nein“ zu S21 festzuhalten sei.

    Dann, im Januar 2014, trat der BUND (Baden-Württemberg) zusammen mit dem VCD (BW) und Pro Bahn (BW) aus dem Aktionsbündnis aus. Damit traten alle den Grünen nahestehenden Umweltverbände bzw. Frau Dahlbender als BUND-Landesvorsitzende, die SPD-Mitglied ist, aus dem Aktionsbündnis aus.

    Seither – also nunmehr seit mehr als viereinhalb Jahren – unterstützen diese Verbände und deren führende Vertreter den aktiven Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 (wie er u.a. mit den Montagsdemos und der Mahnwache zum Ausdruck kommt) nicht mehr.

    Es ist eine Irreführung der Öffentlichkeit, es sind im Neusprech fake-news, davon zu sprechen, dass man “jetzt” – im September 2018 – die “Position überdacht” habe. In den gut vier Jahren von Februar 2014 bis September 2018 gab es seitens des BUND (Baden-Württemberg) keine grundsätzliche Kritik mehr an Stuttgart 21, wenn man mal von Aspekten des Artenschutzes (Juchtenkäfer, Eidechsen usw.) und allgemeiner Kritik an Kostensteigerungen absieht. Es ist objektiv falsch und es wird seitens des grundsätzlich sehr gut informierten Redakteurs, der das Dahlbender-Pfeifer-Interview führte, gezielt falsch dargestellt, wenn es dort heißt: „Zwei Jahrzehnte lang hat sich der Verband [der BUND; W.W.] gegen das Milliardenprojekt gewehrt. Nun wirft er das Handtuch.“ Im „Badischen Tagblatt“, wo man ohne Zweifel nicht so nah am Thema dran ist, werden dann solche fake-news möglicherweise unbewusst zugespitzt, so wenn es dort heißt: „Mit dem BUND hat erstmals eine große Gruppe von Gegnern des umstrittenen Tiefbahnhofs den Stand der Dinge akzeptiert.“[2] Es sei wiederholt: Diesen Bruch gab es vor gut vier Jahren; es gibt ihn nicht aktuell.

    Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart21– einerseits geschwächt durch den beschriebenen Weggang, andererseits gestärkt durch einige Neuzugänge – setzte auch nach Januar 2014 und setzt bis heute diesen grundsätzlichen Widerstand gegen das Monsterprojekt fort. Dieser Widerstand wird im Wesentlichen mit den Argumenten fortgesetzt, die bis Januar 2014 auch vom BUND (und der grünen Szene) vorgebracht wurden. Im Rahmen  dieses Widerstands entwickelte dieses Aktionsbündnis die Konzeption “Umstieg21”. Diese Konzeption wurde im Juli 2016, also zwei Jahre VOR der aktuellen BUND-Position pro KombiBahnhof, öffentlich vorgestellt. Das Projekt “Umstieg21” wurde darüber hinaus Anfang 2018 von ihren Verfassern, die Teil des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 sind, aktualisiert. Und natürlich kannte der BUND diese Konzeption; sie wurde öffentlich vorgestellt; die entsprechende Broschüre erschien in mehreren Auflagen und wurde öffentlich vielfach debattiert. Es ist Teil dieser fake-news, wenn die BUND-Leute so tun, als würden sie die Konzeption „Umstieg21“ nicht kennen. Oder wenn sie diese nur streifen und nicht inhaltlich auf diese umfassend ausgearbeitete Umstiegs-Konzeption eingehen.[3]

    Baustopp oder Weiterbauen.
    Oder: Die Unwahrheit vom “70-Prozent-Baufortschritt”

    Kritisiert wird meine Aussage, der BUND trete ein für ein “Weiterbauen” bei Stuttgart 21. Man würde erkennen, “dass der BUND nicht dafür eintritt, dass S21 einfach weitergebaut werden müsse.”

    Nun heißt es im BUND-Original-Text: “Ein Baustopp von Stuttgart 21 zum jetzigen Zeitpunkt ist aus Sicht des BUND allerdings nicht realistisch.”

    Wer sagt, ein Baustopp sei nicht möglich, der sagt logischerweise, dass weitergebaut werden wird (oder werden soll). Das vernimmt die Deutsche Bahn AG auch so. So kommt es auch in der Öffentlichkeit an; genau so wird dies präsentiert. Die Überschrift zu dem Interview, das die “Stuttgarter Zeitung” am 19. September 2018 mit Brigitte Dahlbender und Gerhard Pfeifer vom BUND Baden-Württemberg führte, lautete:  “BUND gibt den Kampf gegen Stuttgart 21 auf”.

    Die Begründungen für die Aufgabe des Kampfes waren zu den unterschiedlichen Zeiten naturgemäß unterschiedliche. „Baufortschritte“ gab es z.B. 2014 keine größeren. Nun, im September 2018, begründet der BUND die Aufgabe des Kampfes wie folgt: “Baufortschritt: Mitte 2018 sind mit fast 70 % mehr als zwei Drittel der insgesamt 57 Kilometer Tunnelstrecken gebohrt, die neue Neckarbrücke bei Cannstatt und der Nesenbachdüker sind zu großen Teilen fertig.”

    Die Formulierung mit den „70 Prozent“ ist wörtlich diejenige, die die Deutsche Bahn AG benutzt. Lässt man sich auf die Argumentationslinie der „Baufortschritte“ ein, dann ist nicht entscheidend, wie viele Tunnel-Kilometer “gebohrt” sind, sondern wie viel GELD VERBAUT ist.

    Nach aktuellem Stand wurden bisher maximal 3 Milliarden Euro oder ein gutes Drittel der derzeit von der Deutschen Bahn AG eingestandenen Bausumme verbaut. Das klingt bereits deutlich anders als “70 Prozent”. Hinzu kommt: Der BUND nennt ausschließlich die von der DB AG inzwischen eingestandene Baukostensumme von 8,2 Milliarden Euro. Verschwiegen wird, dass der – doch nicht unwichtige, seriöse und der Objektivität verpflichtete – Bundesrechnungshof bereits 2016 von Baukosten in Höhe von knapp zehn Milliarden Euro ausging. Danach wurden bislang weniger als 30 Prozent der zu erwartenden Baukosten verbaut. Und dass der Bundesrechnungshof auch vor wenigen Tagen neu hervorhob, dass die Deutsche Bahn AG die ihr anvertrauten Steuergelder nicht wirtschaftlich einsetzt und immer wieder aufs Neue Gelder „zweckwidrig verwendet“.[4]

    Was wird “eingespart”? Oder: Das vom BUND propagierte Projekt wird noch teurer als S21 pur

    Dahlbender/Pfeifer werden im StZ-Interview ausdrücklich gefragt: “Wo sehen Sie Einsparmöglichkeiten bei Stuttgart21”. Antwort: “Am Flughafen”. Im umfassenderen BUND-Papier wird hier auch der “Abstellbahnhof in Untertürkheim” genannt, wo – bei Realisierung des BUND-Konzepts – gespart werden könnte.

    Dass der gigantische 27 Meter tiefe Flughafen-Bahnhof zur Debatte steht, ist nicht neu; auch die Deutsche Bahn AG hat diese Möglichkeit in die Debatte eingebracht. Und zwar deshalb, weil es für diesen Bahnhof noch nicht einmal eine Planfeststellung gibt und weil ein solcher „Tiefstbahnhof“ die aktuell eingestandenen S21-Kosten nochmals deutlich steigern würde.

    Wichtig sind bei dieser Debatte jedoch zwei Dinge: Erstens, inwieweit die eigentlichen unterirdischen (und unterirdisch teuren und unterirdisch riskanten) S21-Projekte in Frage gestellt werden. Und zweitens, ob denn  tatsächlich etwas “eingespart” wird.  Die Antwort ist ein doppeltes Nein.
    Der BUND gesteht ein, dass alle wesentlichen S21-Bauten, vor allem die 57 km langen Tunnelstrecken, gebaut werden sollen. Und er gesteht ein, dass  das BUND-Projekt die Sache nicht verbilligt; im Gegenteil. Dahlbender: „Die Kombilösung wird wahrscheinlich etwas mehr kosten, als man sparen kann.”

    Das heißt, man sagt: S21 ist finanziell verlustreich. Ist ein Fass ohne Boden. Ist heute bereits das größte Infrastrukturprojekt in Deutschland. Doch es soll grundsätzlich weitergebaut werden – mit Modifizierungen. Und auch wenn an diesem Projekt das eine und andere gespart werden kann, so kommt nun anderes noch hinzu, sodass das BUND-Projekt “etwas mehr kosten” wird.

    Man bedenke: Die S21-Kosten haben sich allein nach offiziellem Eingeständnis im Zeitraum 2011 bis 2018 auf 8,2 Milliarden Euro knapp verdoppelt. Der Bundesrechnungshof ging bereits 2016 von knapp 10 Milliarden aus. So gut wie alles spricht dafür, dass die S21-Kosten bis zum derzeit gehandelten Zeitpunkt seiner Fertigstellung 2024/25 nochmals deutlich teurer werden. Ein oberirdischer zusätzlicher Bahnhof, für den es noch nicht einmal erste konkrete Planungen gibt, wird mit erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden sein. „Etwas mehr“, ist hier eine deutliche Untertreibung.
     
    Was ist ein Kombibahnhof? Und was bedeutet er konkret?

    Die Idee eines Kombi-Bahnhofs gibt es seit 1994. Sie wurde damals, als Stuttgart21 zum ersten Mal vorgestellt wurde, von den Grünen – zeitweilig – propagiert. Es gab Vergleichbares in Frankfurt/M., wo Tom Königs von den Grünen einen solchen Bahnhof vorschlug – als „Antwort“ auf einen Kellerbahnhof mit der Bezeichnung“Frankfurt21“. Und es gab diese Idee seitens Heiner Geißlers, der einen solchen Bahnhof im Sommer 2011 vorschlug, als im „Stresstest“ deutlich wurde, dass Stuttgart21 nie und nimmer den Anforderungen eines zukünftigen Bahnverkehrs gerecht werden könnte.

    Im Kern bedeutet die Konzeption Kombibahnhof: Der geplante Tiefbahnhof wird gebaut. Da dieser jedoch im Vergleich mit dem bestehenden Kopfbahnhof und im Gegensatz zu all den betrügerischen Behauptungen der Deutschen Bahn AG einen Kapazitätsabbau darstellt, soll nun doch ein Teil des bestehenden Kopfbahnhofs bestehen bleiben. Im aktuellen BUND-Modell eines Kombibahnhofs sollen acht von derzeit 16 Kopfbahngleisen bestehen bleiben. Wir haben dann anstelle der bestehenden 16 Kopfbahngleise oben: acht Durchfahrgleise unten und acht Kopfbahngleise oben.

    Nun argumentiert der BUND wie folgt; Pfeifer: „Dieses Modell [eines Kombibahnhofs; W.W.] ist bahnbetrieblich das beste. Wir haben es damals verworfen, weil wir sagten, die Eingriffe bei S21 in den Schlossgarten sind zu schwer; haben uns deshalb auf den Kopfbahnhof konzentriert. Der Schlossgarten ist [inzwischen; W.W.] abgeholzt. Wir können das Kombimodell guten Gewissens wiederbeleben.“ Dahlbender: „Damit lassen sich z.B. Doppelbelegungen im Tiefbahnhof vermeiden. Und wir können viele Vorteile für den Fahrplan realisieren.“[5]

    Untersuchen wir diese Argumentation.

    Bahnbetrieblich das beste“: Das ist eine unhaltbare Position. Natürlich ist der bestehende und zu optimierende Kopfbahnhof bahnbetrieblich „das beste“, weil er alle erforderliche Kapazität bietet, weil die Gleise nebeneinander liegen und weil die Fahrgäste nicht von verschiedenen Ebenen aus abfahren bzw. weil sie nicht zwischen den Ebenen wechseln müssen. Für Menschen mit Behinderungen, für ältere Menschen ist ein ebenerdiger Bahnhof ideal und ein „Etagenbahnhof“ eine Belastung. Ein Kombibahnhof ist im Vergleich mit einem optimierten Kopfbahnhof auch mit einem erheblich größeren Energiebedarf verbunden, ein Aspekt, der für eine Umweltorganisation von einiger Bedeutung sein sollte.

    Kombimodell guten Gewissens wiederbeleben“: Bei der Kritik an Stuttgart 21 war die Zerstörung des Schlossgartens nur ein Aspekt von mehreren. Einmal abgesehen davon, dass ein zerstörter Park nicht zerstört bleiben bzw. nicht in eine Betonwüste verwandelt werden muss – der Park soll bei „Umstieg21 wieder hergestellt, wieder zur grünen Lunge der Stadt werden. Die Kritik an Stuttgart21, wie sie bis Januar 2014 im Großen und Ganzen auch vom BUND geteilt wurde, umfasst u.a. die vier Aspekte:

    • Eine Gleisneigung im Tiefbahnhof, die die körperliche Unversehrtheit der Fahrgäste massiv gefährdet (sechs Meter Höhenunterschied zwischen der Spitze und dem Ende eines ICE – das ist das Sechsfache der eigentlich zulässigen Norm!)
    • Mehr als 16 Kilometer Tunnelbauten im Anhydrit: Es besteht die Gefahr, dass der Boden sich anhebt und die teuren Gleis- und Signalanlagen immer wieder aufs Neue beschädigt und aufwendig neu instand gesetzt werden müssen (siehe Wagenburgtunnel; siehe Staufen im Breisgau)
    • Ein insgesamt genehmigtes Brandschutzkonzept für den Tiefbahnhof liegt nicht vor. In jedem Fall würde ein S21-Tiefbahnhof im Fall eines Brandes mit einer enormen Gefährdung für die Fahrgäste verbunden sein.
    • Der S21-Trog durchschneidet die vier Abwasser-Hauptkanäle aus der Innenstadt, weswegen diese gedükert (wie bei einem Siphon unter dem Bahnsteigtrog hindurchgeführt) werden müssen. Der S21-Bauherr Deutsche Bahn AG geht bereits in der Bauweise des S21-Tiefbahnhofs davon aus, dass die Möglichkeit der Überflutung besteht und dass der S21-Tiefbahnhof dann als Vorsichtsmaßnahme komplett geflutet – und damit wertvolle Bahn- und Signalanlagen zerstört – werden müssen.[6]

    Alle diese Kritikpunkte gelten weiter. Das Modell „KombiBahnhof“ schafft diese in keinem einzigen Punkt aus der Welt. Die Frage lautet: Warum werden diese Kritikpunkte plötzlich nicht mehr erwähnt, geschweige denn ernst genommen?

    Ein Baustopp für Umstieg21 ist genauso unrealistisch bzw. realistisch, wie ein Kombibahnhof unrealistisch bzw. realistisch ist

    Der BUND argumentiert einerseits „Ein Baustopp von Stuttgart21 zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht realistisch“. Er schlägt andererseits mit dem „Kombibahnhof“ ein gegenüber S21 völlig anderes und in vielen Teilen neues Konzept für den Stuttgarter Hauptbahnhof vor.

    Um dieses Konzept zu realisieren – und um nicht einen „Baustopp!“ fordern zu müssen – heißt es im BUND-Papier: „Der BUND fordert die umgehende Einsetzung einer Task Force aller Beteiligten. Die Aufgaben, die dann einer solchen „Task Force“ zugeordnet werden, sind enorm. Die Zusammensetzung der „Task Force“ ist eine Lachnummer – da in derselben nur die strikten 21-Befürworter die Köpfe zusammenstecken sollen.[7]

    Nimmt man die Forderung nach einem Kombibahnhof ernst, das heißt, will man ernsthaft erreichen, dass die Hälfte der bestehenden Kopfbahnhofgleise und der oberirdischen Anlagen – auch des Gleisvorfeldes – bestehen bleiben, dann erfordert dies natürlich enorme Neu- und Umplanungen, neue Planfeststellungsverfahren usw. Die Konzeption Umstieg21 hat rein formal den Vorteil, dass sie in vielen Details ausgearbeitet vorliegt, teilweise geprüft von Fachverstand, den auch der BUND des Öfteren für solche Zwecke in Anspruch nahm. Das BUND-Kombibahnhofskonzept kann damit nicht aufwarten. Gesagt wird: Acht Gleise bleiben oben erhalten. Wie dann Tiefbahnhof mit dem gestutzten Kopfbahnhof verbunden sind – das alles wäre zu prüfen und zu entwickeln. Was eine enorme planerische Arbeit voraussetzt. Und was eigentlich ohne einen Baustopp und ohne Neuplanungen nicht machbar zu sein scheint.

    Vor allem gilt: Das Umstieg21-Konzept hat den enormen Vorteil, dass es eine Struktur von Gleisen, Bahnsteigen, Gleisvorfeld, „Tunnelgebirge“ usw. als Ausgangspunkt nimmt, bei dem alles grundsätzlich besteht und seit fast einem Jahrhundert gut funktioniert. Hier geht es „nur“ darum, dass alles optimiert und modernisiert werden muss.

    Ein Kombibahnhof hingegen erfordert grundsätzliche Neuplanungen. Vor diesem Hintergrund ist es einfach unsauber zu behaupten, ein Baustopp für Umstieg21 sei „unrealistisch“. Wohingegen das „Umswitchen“ vom Projekt S21-Tiefbahnhof auf einen Kombibahnhof einfach so bewerkstelligt, gewissermaßen unter dem rollenden Rad umgesetzt werden könnte.

    Sunk costs
    Oder: Haste Scheiße am Bein, haste Scheiße am Bein

    Die klassische Betriebswirtschaft kennt den Begriff der sunk costs; der versenkten oder verlorenen Kosten: Bei einem Projekt, das als grundsätzlich unwirtschaftlich identifiziert wird, darf der Unternehmer nicht argumentieren „Aber ich hab doch bereits so und so viel in die Sache investiert“. Beim BUND „Es wurden doch so und so viele Tunnelkilometer gebohrt“. Es müssen dann vielmehr die Kosten der Fehlinvestition komplett abgeschrieben und die Entscheidung eines Ausstiegs ohne Berücksichtigung dieser Kosten getroffen werden.

    Just so verhält es sich bei S21. Wenn das Projekt als unwirtschaftlich erkannt wird, muss es gestoppt werden – ohne Rücksicht auf bereits getätigte Investitionen. Wenn das Projekt zusätzlich als extrem riskant beurteilt wird, muss es erst recht umgehend beendet werden – weil es unwirtschaftlich und weil es zu riskant ist.
    Eine Umweltorganisation müsste noch ergänzend die Frage stellen: Ist das Projekt S21 schädlich für die Umwelt, für das allgemeine Klima und für das Stadtklima? Da all dies zutrifft, wäre auch von dieser dritten Seite aus ein klares „Nein“ zum Projekt und ein deutliches „Ja“ zum Ausstieg zu formulieren.
    Tut man dies nicht, dann gilt: Haste Scheiße am Bein, haste Scheiße am Bein. Ein oberirdischer Bahnhof mit acht Kopfbahnhofgleisen verknüpft mit 100 Prozent (oder 95 Prozent) S21-Tiefbahnhof minimiert höchstens unwesentlich die Unwirtschaftlichkeit des S21-Bahnhofs und reduziert nicht die Risiken, die mit S21 verbunden sind. Da ein solcher Bahnhof laut BUND sogar nochmals „etwas teurer“ wird, könnte er sich am Ende als noch unwirtschaftlicher erweisen.

    Ein Beispiel aus der Privatwirtschaft. Der Konzern ThyssenKrupp hat jüngst festgestellt, dass die Investitionen des Konzerns in Stahlwerke in den USA und in Brasilien Fehlinvestitionen sind. Diese Anlagen werden auf Dauer unwirtschaftlich sein. Die Konzernleitung beschloss 2017 den kompletten Ausstieg. Dabei ging es um mehr als acht Milliarden Euro (!), die derart in den Sand gesetzt wurden. Wobei hinzuzufügen ist: Die Konzernführung rang mit dieser Entscheidung ein knappes Jahrzehnt lang. Natürlich auch – ähnlich wie im Fall S21 – weil das Argument der bereits getätigten gigantischen Investitionen diese Entscheidung erschwerte. Doch die ThyssenKrupp-Konzernführung konnte sich am Ende zu diesem Schritt durchringen – und die „sunk costs“ als solche erkennen und in Gänze abschreiben.

    Inzwischen (seit April 2018) haben wir – und dies ist erstmals, seit Stuttgart21 im April 1994 vorgestellt wurde, der Fall! – das offizielle Eingeständnis seitens des Bahn-Managements: S21 ist unwirtschaftlich. Wir wissen (seit Juni 2018), dass die Wiederaufnahme des S21-Projekts unter Mehdorn dadurch zustande kam, dass der Bahn ein 15-Jahres-Nahverkehrsvertrag zugeschanzt wurde, mit dem sie einen Sondergewinn in Höhe von rund einer Milliarde Euro einfuhr. Wir haben die Erkenntnis, dass die S21-Kosten sich auf einer nach oben offenen Skala bewegen. Und wir haben die Erkenntnis, dass S21 mit enormen Risiken (Anhydrit; Überflutungsgefahr) verbunden ist.

    Es gebietet da die Vernunft, Klartext zu reden: Baustopp und ein optimierter Kopfbahnhof sind angesagt. Das Mindeste ist, die Konzeption Umstieg21 muss ernsthaft geprüft werden.

    Wenn dies der BUND nicht tut, wenn dieser seit mehr als vier Jahren immer wieder aufs Neue und entgegen den eigenen Einsichten denen in den Rücken fällt, die die sachlichen Argumente gegen S21 weiter vortragen und diese weiter auf die Straße tragen, dann spielen hier andere Motive eine Rolle. Letzten Endes schadet die Führung des BUND damit den Interessen der BUND-Mitgliedschaft. Auf diese Weise trägt man zur Demoralisierung der Mitgliedschaft und zum Verlust von Engagement bei.

    Denn natürlich muss alles getan werden, damit die wichtige Umweltorganisation BUND erhalten und gestärkt wird. Doch das Verhalten der Führung des BUND Baden-Württemberg in Sachen Stuttgart21 schwächt seit 2014 diese Organisation immer wieder aufs Neue.[8]

    Der neue Appell zum Ausstieg aus Stuttgart 21 wurde erstmals auf den NachDenkSeiten am 31. Juli vorgestellt. Dort wurde auch mitgeteilt, dass dieser an den Bundestag gerichtete Appell in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht werden würde. Es sprach viel dafür, dass die S21-Betreiber zeitnah einen Entlastungsangriff fahren würden, um vom eigentlichen Kern der Sache – der prinzipiellen Kritik am Monsterprojekt Stuttgart 21 – abzulenken.
    Die Präsentation des Altmodells Kombibahnhof exakt zehn Tage vor der Veröffentlichung des Appells zum S21-Ausstieg in der FAZ wirkte dann wie dieser zu erwartende Entlastungsangriff. Die Deutsche Bahn AG befindet sich beim Thema Stuttgart 21 erheblich in der Defensive. Das demonstrierte sie auch dadurch, dass am 29. September 2018 die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die als Standard in den ICE-Abteilen der Ersten Klasse ausliegt, nicht verfügbar war. In dieser Ausgabe war der Appell zum Ausstieg aus Stuttgart21 abgedruckt.


[«1] Interview mit Brigitte Dahlbender und Gerhard Pfeiffer in: Stuttgarter Zeitung vom 19.9.2018)

[«2] Badisches Tagblatt vom 18. September 2018.

[«3] Im Leserbrief heißt es dazu: „Das BUND-Konzept macht mir, wenn ich die Begründungen gegen einen Baustopp durchlese, den Eindruck, dass ein Alternativkonzept wie Umstieg 21 den Verfassern entweder nicht bekannt war oder sie es nicht als sinnvolle Alternative anerkannten – im letzteren Fall wäre interessant, warum.“

[«4] BRH-Stellungnahme zusammenfassend dargestellt in: Süddeutsche Zeitung vom 8. Oktober 2018.

[«5] Interview Stuttgarter Zeitung vom 19. September 2018.

[«6] Es ist im Übrigen der Bauherr Bahnkonzern, der in die senkrechten Begrenzungsbeton-Wände zu beiden Seiten des S21-Trogs inzwischen riesige senkrechte Schlitze einziehen ließ. Im Fall von aufsteigendem Grundwasser sollen diese geöffnet und der Tiefbahnhof geflutet werden. Auch das dürfte ein Alleinstellungsmerkmal für den S21-Tiefbahnhof sein: Gebaut werden soll ein Hightech-Großstadtbahnhof, bei dem von vornherein baulich vorgesehen ist, ihn gegebenenfalls zu fluten. Was je Flutung automatisch mit Neuinvestitionen in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags verbunden sein dürfte.

[«7] Genannt werden als Mitglieder der Task Force vom BUND „Deutsche Bahn, Landes- und Bundesverkehrsministerium, die weiteren Projektpartner Stadt und Region Stuttgart, Flughafengesellschaft und Fachgutachter.“ Sieht man einmal von der nicht näher definierten und vagen Gruppe der „Fachgutachter“ ab, so sind die anderen Genannten ja längst zusammengeschlossen. Diese treffen sich regelmäßig in dieser Form im „Lenkungsausschuss S21“. Es ist absurd zu erwarten, aus diesem Kreis eingeschworener S21-Befürworter werde ein neues Hauptbahnhofs-Modell erwachsen – und sei es nur ein Kombibahnhofs-Modell. Der BUND schlägt nicht einmal sich selbst vor als Teil der „Task Force“, geschweige denn andere Umweltorganisationen oder das Aktionsbündnis gegen S21. Das aber wäre das Minimum, um überhaupt eine ernsthafte Debatte darüber in Gang zu bekommen, dass es nicht zu einem „Weiter so“ kommt.

[«8] Die aktuellen Einlassungen der BUND-BW-Führung sind auch fatal vor dem Hintergrund des Finanzskandals, den es hier gab. Wie am 31. Mai 2017 der bekannte Journalist Josef-Otto Freudenreich in KONTEXT berichtete, verwaltete der BUND Baden-Württemberg seit geraumer Zeit das Spendenkonto des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart21. Nach dem Bruch zwischen BUND und Aktionsbündnis gegen S21 vom Januar 2014 waren auf diesem Sonderkonto Gelder in Höhe von gut 30.000 Euro, die für den Kampf gegen S21 gespendet worden waren, „eingefroren“. Freudenreich berichtete, dass der BUND „Personalkosten [des BUND; W.W.] in Teilen über das Bündniskonto abrechnete“ und dass auf diese Weise das Guthaben auf dem Anti-S21-Konto „aufgebraucht“ worden sei. Der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Eisenhart von Loeper, sah darin einen „schweren Gesetzesverstoß, der den Stuttgarter Regionalverband trifft“. Inzwischen gibt es zwischen dem Aktionsbündnis gegen S21 und dem BUND eine Vereinbarung, wie diese für den Kampf gegen S21 gespendeten Gelder doch noch im Sinne derjenigen, die spendeten, eingesetzt werden kann. Es ist zu hoffen, dass dieser Weg in Güte bis zu Ende beschritten werden kann.


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=46425