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Titel: Das System McLeyen bei der Bundeswehr – andere Minister sind schon für viel weniger vom Hof gejagt worden

Datum: 26. Oktober 2018 um 13:52 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Aufrüstung, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Lobbyismus und politische Korruption, Medienkritik
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Als der Bundesrechnungshof vor über einem Monat in ungewöhnlich deutlichen Worten die Vergabepraxis für Beraterverträge im Bundesverteidigungsministerium kritisierte, blieb der öffentliche Aufschrei aus. Die Medien behandeln diesen Fall – mit löblicher Ausnahme des SPIEGEL – nur stiefmütterlich. Das ist erstaunlich, stellt die angepriesene „Modernisierung“ des Verteidigungsministeriums mittels externer Berater doch das zentrale Projekt von Ursula von der Leyen dar. Wenn nun herauskommt, dass sich mittels Vetternwirtschaft Beraterverträge gegenseitig zugeschustert und Steuergelder in Millionenhöhe veruntreut wurden, trägt von der Leyen dafür die politische Verantwortung und ist als Ministerin nicht mehr haltbar. Warum schützen die Medien von der Leyen? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als Ursula von der Leyen das Verteidigungsministerium im Dezember 2013 von ihrem Amtsvorgänger Thomas de Maizière übernahm, war die Bundeswehr Medienberichten zufolge in einem desolaten Zustand. Angeblich mussten seinerzeit Kampfjets und Hubschrauber auf dem Boden und Fregatten und U-Boote in den Arsenalen bleiben, da es überall an Ersatzteilen mangele und das gesamte Beschaffungswesen war ein einziges Versagen.

Um frischen Wind ins Ministerium zu bringen, startete von der Leyen gleich nach ihrer Amtsübernahme ihr großes Reformprojekt. Heerscharen externer Berater zogen in den Bendlerblock ein. Mit Katrin Suder verpflichtete von der Leyen sogar eine ehemalige Top-Beraterin von McKinsey als zuständige Staatssekretärin. Intern sprach man nun vom „System McLeyen“. Im Verteidigungshaushalt wurden jedes Jahr mehr als 250 Millionen Euro für die externen Berater eingeplant und wie sich nun herausstellt, zapfte man auch andere Budgets großzügig für Beraterdienstleistungen an. Dies ist vor allem deshalb erstaunlich, da gerade das Verteidigungsministerium personell eigentlich sehr gut bestückt ist und nur in Ausnahmefällen auf externe Beratung angewiesen sein sollte.

Selbst ohne Kontrolle des Bundesrechnungshofs sollte man heute, fast fünf Jahre nach von der Leyens Amtsübernahme, eine Zwischenbilanz ziehen, die zu keinem guten Ergebnis kommen kann. Denn auch heute fehlen angeblich überall Ersatzteile und nur Bruchteile der Bundeswehr sollen Medienberichten zufolge einsatzbereit sein. Das Beschaffungswesen und die neuen Großprojekte funktionieren heute auch nicht besser als vor fünf Jahren und dies, obgleich die Rüstungsausgaben im Bundeshaushalt in der Ära von der Leyen um stolze sechs Milliarden Euro, das sind immerhin fast 20%, gestiegen sind. Das System McLeyen hat offenbar die Ausgaben massiv in die Höhe getrieben, ohne sinnvolle Ergebnisse zu liefern.

Dieser Schluss drängt sich vor allem nach der Lektüre des Brandbriefs auf, den der Bundesrechnungshof zur Vergabepraxis für Beraterverträge im Verteidigungsministerium verfasst hat. Diese Verträge mit Tagessätzen von bis zu 1.700 Euro wurden offenbar in den meisten Fällen rechtswidrig ohne Ausschreibung und stets ohne Wirtschaftlichkeitsprüfung vergeben. Hierbei handelt es sich um keine Einzelfälle, sondern womöglich um dreistellige Millionenbeträge – pro Jahr, wohlgemerkt. Albrecht Müller merkte bereits vor einem Monat an, dass der begründete Verdacht besteht, dass über diese Verträge auch Projekte an den offiziellen Haushalten vorbei finanziert wurden. Auch eine mögliche persönliche Bereicherung der Beteiligten hätte bereits damals geprüft werden müssen.

Doch unverständlicherweise schwieg der Großteil der Medien. Obgleich die Meldung über die Beschwerde des Rechnungshofs am 23. September von Spiegel Online und Fachmedien ausführlich aufgegriffen wurde und am gleichen Tag auch über den Ticker von Reuters lief , hatten nach eigenen Recherchen auch drei Tage später die meisten großen Medien (darunter Süddeutsche, FAZ, WELT, BILD und ZDF Heute) nichts zu dem Thema gebracht. Dies änderte sich erst Wochen später, als die Affäre auch in den Fokus von Justiz und Opposition geriet und das Schweigen nicht mehr durchzuhalten war.

Nun sickerte auch langsam durch, dass die Affäre viel größer und pikanter ist, als zu Beginn angenommen. So soll laut Informationen der BILD am Sonntag von der Leyens McKinsey-Staatssekretärin Suder „engste Verbindungen“ zu dem für die Bundeswehr zuständigen Manager des Beratungsunternehmens Accenture pflegen, das für die IT-Strategieberatung Millionenverträge aus dem Bundeswehrbudget bekam. Suder soll sich demnach auch persönlich für die Vergabe an Accenture eingesetzt haben. Der SPIEGEL spricht gar von einem „Buddy-System“, das sich unter hochrangigen Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums und externen Beratern herausgebildet hat, und von „Suders Legacy“ (Suders Erbe), wie die Vergabepraxis intern angeblich ironisch genannt wird.

Um dies alles richtig bewerten zu können, muss man die triste Wirklichkeit mit dem Anspruch vergleichen, mit dem von der Leyen ihre Arbeit begonnen hat. Es wurde extra ein „Compliance Management System“ eingeführt und ein Beauftragter für Compliance (Regeltreue) ernannt. Großspurig hieß es, man wollte im Ministerium und in der Truppe eine „Kultur der Regeleinhaltung“ herbeiführen. Nach allen nur denkbaren „Compliance-Standards“ kann dieses Ziel als komplett verfehlt gelten. Anstatt sich an Regeln und Gesetze zu halten, hat man diese mit der Auftragsvergabepraxis massiv und vorsätzlich gebrochen. Und wenn Jahr für Jahr dreistellige Millionensummen ohne Ausschreibung und unter dubiosen Rahmenbedingungen an externe Berater fließen, kann sich natürlich auch die Ministerin nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Einführung der Compliance-Regeln und die massive Ausweitung externer Beratungsdienstleistung waren schließlich ihre „Leuchtturmprojekte“.

Heute blickt von der Leyen auf den Scherbenhaufen ihres Scheiterns. Bereits im Mai kündigte die ehemalige McKinsey-Managerin Katrin Suder angeblich auf eigenen Wunsch hin ihren Job als Staatssekretärin im Verteidigungsministerium und berät nun die Bundesregierung als Vorsitzende des Digitalrats der Bundesregierung bei Fragen der Digitalisierung und der „Gestaltung der digitalen Transformation der Gesellschaft“. Man darf gespannt sein, wie viele Millionen Euro dieses Gremium für externe Berater ausgibt. Von der Leyen selbst hat nun erkannt, dass ihre Taktik des Mauerns ausgereizt ist und gegenüber dem Stern erstmals „Fehler eingeräumt“. „Die Art und Weise, wie die Beratungsleistungen abgerufen worden sind, war in Teilen nicht in Ordnung. Da müssen wir ran“ – so von der Leyen. „In Teilen“ und „nicht in Ordnung“? Selbst mit viel Fantasie ist diese Verharmlosung nicht hinnehmbar.

Aber die Medien fassen die Ministerin offenbar immer noch lieber mit Samthandschuhen an. Und die hat kein Unrechtsbewusstsein. Offenbar hat die „Supermutterpowertochter“ aus besserem Hause auch familiär ein entspannteres Verhältnis zum Berater-Business als es politisch opportun sein sollte – ihr Sohn David ist nämlich selbst Partner bei McKinsey. Dass Muttern der Firma vom Sohnemann Millionenaufträge zuschustert, ist auch so eine Sache, die unter Compliance-Gesichtspunkten eigentlich nicht denkbar ist. Ohne mediale Protektion wäre ihr dies sicher auch gar nicht möglich. In Deutschland sind Minister schon wegen wesentlich geringerer Vergehen vom Amt zurückgetreten.


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