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Titel: Hans-Georg Maaßen und die „linksradikalen Kräfte in der SPD“. Wenn der Wahnsinn einen Lauf hat.

Datum: 7. November 2018 um 10:10 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Rechte Gefahr, Staatsorgane, Strategien der Meinungsmache, Terrorismus
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Der ehemalige Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes (mit dem Fake-Namen „Verfassungsschutz“), Hans-Georg Maaßen, hat vor Kameraden befreundeter Geheimdienste am 18. Oktober 2018 in Warschau eine Rede gehalten.

Nun ist sie auch der Öffentlichkeit bekanntgemacht worden. Man ist parteiübergreifend empört – bis auf die AfD, die ihn ins Herz geschlossen hat. Nicht aus Dummheit, sondern aus Dankbarkeit und innerer Verbundenheit. Von Wolf Wetzel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die anderen werfen Hans-Georg Maaßen Selbstgefälligkeit und vor allem Illoyalität vor.

Die Rede von Hans-Georg Maaßen ist dennoch ein Glücksfall. Denn ihr Wortlaut erspart unnötige Spekulationen über sein Selbstverständnis. Ein Weltbild, das denen bekannt gewesen sein dürfte, die ihn 2012 zum Chef des Inlandsgeheimdienstes gemacht haben.

Unter anderem hat er wissen lassen:

„Gegenüber den zuständigen Parlamentsausschüssen stellte ich in der folgenden Woche klar, dass ein Kampf gegen Rechtsextremismus es nicht rechtfertigt, rechtsextremistische Straftaten zu erfinden. Die Medien sowie grüne und linke Politiker, die sich durch mich bei ihrer Falschberichterstattung ertappt fühlten, forderten daraufhin meine Entlassung. Aus meiner Sicht war dies für linksradikale Kräfte in der SPD, die von vorneherein dagegen waren, eine Koalition mit der CDU/CSU einzugehen, der willkommene Anlass, um einen Bruch dieser Regierungskoalition zu provozieren. Da ich in Deutschland als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik bekannt bin, war dies für meine politischen Gegner und für einige Medien auch ein Anlass, um mich aus meinem Amt zu drängen.“

Wer in aller Ruhe, ohne Affekt und Angst, für völlig abgedreht gehalten zu werden, in einer handzahmen und staatsdevoten SPD „linksradikale Kräfte“ ausmacht, der erklärt auf sehr manifeste Art und Weise, warum dieser Geheimdienst jahrzehntelang einen neofaschistischen Untergrund für völlig ausgeschlossen gehalten hatte, zu einer Zeit, als es den NSU bereits gab und derselbe Geheimdienst mit zahlreichen Spitzeln (V-Leuten) an seinem Aufbau beteiligt war.

Wer heute, im x-ten Jahr der Selbstauflösung der SPD, „linksradikale Kräfte“ innerhalb der SPD aufspürt, der bringt es auch fertig, elf Jahre vom NSU nichts mitbekommen zu haben.

Wer in der knieweichen SPD etwas sieht, was man nicht einmal mit einer Dosis Heroin sehen würde, der beweist, dass es für ihn auch kein Problem ist, aus dem neofaschistischen Untergrund namens NSU eine Gruppe mit nur drei Mitgliedern zu machen und diese halluzinogene Erkenntnis bis heute für wahr zu halten.

Wer einem solchen Chef eines solchen Geheimdienstes ein solches Ver- und Zutrauen schenkt und weiß, dass er mit seiner Deckungsarbeit den meisten Parteien im Bundestag den Rücken freigehalten hat, der sollte auch wissen, dass die von Maaßen ausgemachten „linksradikalen Kräfte“ innerhalb der SPD keine kurzzeitige Wahrnehmungsstörung sind. Es ist der konsequente Weg, an dieser ansonsten so willkommenen Wahrnehmungsstörung festzuhalten.

Sanktionen als „Leckerli“

Als sich Hans-Georg Maaßen berufen fühlte, die als „Hetzjagden“ bezeichneten Angriffe auf Ausländer in Chemnitz als Erfindung abzutun, fiel er in den Augen seines Arbeitgebers der Großen Koalition in den Rücken. Für diese Illoyalität sollte er seinen Posten räumen.

Dann kam – sicherlich nicht nur – sein Vorgesetzter, Patron und Innenminister Horst Seehofer mit der königlichen Sänfte: Er entschied, dass sein enger Vertrauter Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium befördert werden, mit noch höheren Bezügen als zuvor bestraft werden müsse.

Dass Weggefährten im Geiste und in der Tat füreinander einstehen, ist Kameradenpflicht. Aber warum stimmte auch die SPD dieser Belohnung zu? Wo waren die „linksradikalen Kräfte“ innerhalb der SPD?

Erst als öffentlich wurde, dass Hans-Georg Maaßen nach oben gefallen ist, entdeckte auch die SPD ihre Form der Selbstbeteiligung und bedauerte. Man entschloss sich, Hans-Georg Maaßen den Posten eines Sonderberaters im Bundesinnenministerium zuzuschanzen, mit gleichen Bezügen.

Nach seiner Rede in Warschau wird nun die „ganze Härte des Gesetzes“ (man kennt diese Floskel aus anderen Zusammenhängen) gegen ihn angewandt: Er soll erbarmungslos in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Ganz beiläufig wird dabei erwähnt, dass Hans-Georg Maaßen auch nach Ausscheiden aus seinem Amt der „Schweigepflicht“ unterliegt. Das gälte für alle Angebote, auch für das der AfD, ihr beizutreten.

Too big to fail

Albrecht Müller fragt in diesem Kontext zurecht:

„Es ist schon seltsam: In der öffentlichen Debatte um die Person Maaßen und die verschiedenen Vorgänge von der Einschätzung der Vorgänge in Chemnitz bis zur Rede in Warschau wird nicht einmal andeutungsweise verlangt, dass wenigstens geprüft wird, ob in einem solchen Fall disziplinarische Maßnahmen fällig sind statt der für Maaßen bequemen Entlassung in den einstweiligen Ruhestand, verbunden mit hohen Bezügen. Nichts davon, keine Debatte in der Öffentlichkeit, keine Erwägung dieser Art beim Bundesinnenminister und der Bundesregierung.

Warum nicht? Hat Maaßen, bedingt durch sein Amt als Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Informationen und Dossiers, mit denen er im Ernstfall die entscheidenden Personen erpressen kann?

Ich möchte nicht vorgreifen, aber Albrecht Müller hat mit dieser Frage den Nagel in ganz weiches Fleisch geschlagen. Denn genau dies ist der eigentliche Skandal: Noch nie sind Leitende Beamte des Inlandsgeheimdienstes für die Billigung, für die Unterstützung von Straftaten, für die Vernichtung von Beweismitteln, für falsche Verdächtigungen, für die Sabotage von Aufklärung schwerer Straftaten sanktioniert worden. Selbst dann nicht, wenn man mit einzelnen Entscheidungen nicht einverstanden war und ist!

„Hat Maaßen, bedingt durch sein Amt als Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Informationen und Dossiers, mit denen er im Ernstfall die entscheidenden Personen erpressen kann?“

Ist diese Frage berechtigt? Sind das diffuse Spekulationen, das Ausspielen von billigen Verschwörungsphantasien?

Der „Fall Maaßen“ eignet sich hervorragend dafür, in diesen Darkroom einzutreten.

Hans-Georg Maaßen wurde zum Chef des Inlandsgeheimdienstes ernannt, als die Vernichtung von zahlreichen V-Mann-Akten im Nah-Bereich des NSU nicht mehr zu verheimlichen war. Das Bundesamt für Verfassungsschutz belog lange Zeit die Öffentlichkeit, mit haarsträubenden Begründungen. Dazu gehörte unter anderem die Behauptung, man habe nur dem Datenschutz Genüge getan und Löschfristen eingehalten. Schließlich musste für diese Verdeckungstat einer den Kopf hinhalten, der damalige Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm.

Mit seinem Nachfolger Hans-Georg Maaßen zog 2012 das Versprechen in das Amt ein, dass alles anders wird, dass der Verfassungsschutz nicht außerhalb des Gesetzes stehe, sondern ihm zu dienen habe. Hans-Georg Maaßen wusste mit Amtsantritt, dass seine Aufgabe eine ganz andere ist: Unter allen Umständen galt es zu verhindern, die Rolle des Verfassungsschutzes beim Zustandekommen und Gewährenlassen des NSU aufzudecken.

Für die „Pannen“ im Geheimdienst hatte man sich auf eine einvernehmliche Formel geeinigt: Das seien persönliche und eigenwillige Entscheidungen von Einzelnen gewesen. Hans-Georg Maaßen hatte die Aufgabe, genau an dieser Version festzuhalten, also jede institutionelle Verantwortung abzulehnen und zurückzuweisen. Und genau das tat er mit Amtsantritt:

„Klar ist: Mein Amt war nicht zuständig (…) Damals (also vor 2012 mit Blick auf den NSU) sind schwere Fehler gemacht worden. Aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzuordnen.“

Niemand aus der Reihe der politisch Verantwortlichen hat Hans-Georg Maaßen damals widersprochen. Niemand hat diesen selbst ausgestellten Persilschein als unverfroren und dreist zurückgewiesen. Alle, die in diesen NSU-Komplex verwickelt sind, waren für diese Deckungsarbeit dankbar.

Denn es geht eben nicht nur um die „Fehler“ im Inlandsgeheimdienst, der mit über 40 (aufgedeckten) V-Leuten im Nahbereich des NSU über seine Existenz nichts gewusst haben will.

Es geht eben auch um die Frage, ob dieser Inlandsgeheimdienst gegen die politisch Verantwortlichen, an ihnen vorbei oder mit deren Billigung und Zustimmung gehandelt hat.

Es geht um die äußerst brisante Frage, ob politische Führung und parlamentarische Kontrolle des Geheimdienstes versagt oder ob sie das Handeln des Geheimdienstes gedeckt haben, also für das konstatierte Versagen mitverantwortlich sind.

Auf diese Frage könnte der nun unbeliebt gewordene ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes viele Namen nennen.

Denn es ist für mehrere Tatorte, die dem NSU zugeschrieben werden, im Detail beleg- und überprüfbar, dass die politischen Führungen, also das Innenministerium der jeweiligen Bundesländer, immer wieder das Vorgehen des Geheimdienstes gedeckt haben, obwohl die ermittelnden Polizeibehörden ein anderes Vorgehen gefordert hatten.

Hier nur einige wenige Beispiele:

  • Unter Berufung auf das Thüringer Landeskriminalamt berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), „dass die drei Hauptverdächtigen 1998 kurz nach ihrem Untertauchen von Zielfahndern aufgespürt worden waren. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei habe die Möglichkeit zum Zugriff gehabt, sei aber im letzten Moment zurückgepfiffen worden.“ (Junge Welt vom 19.11.2011)
  • Die Weigerung, die abgetauchten Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes (THS) festzunehmen, ist bis in das Jahr 2002 dokumentiert:

    „Vergangene Woche war in einer vertraulichen Sitzung des Thüringer Justizausschusses bekannt geworden, dass ein halbes Dutzend Aktennotizen aus der Zeit zwischen 2000 und 2002 existieren, laut denen das Innenministerium Festnahmeversuche verhindert hatte.“ (FR vom 8.12.2011)

  • Auch das Innenministerium in Brandenburg verhinderte eine Möglichkeit der Festnahme. Im September 1998 bekam der Verfassungsschutz in Brandenburg einen Tipp: Dank dieses „Hinweisgebers“ erfuhr der Geheimdienst, dass Jan Werner, ein Neonazi aus Chemnitz, den Auftrag hatte, Waffen für die abgetauchten (und gesuchten) Neonazis zu besorgen, die man später als Trio bezeichnete:

    „Drei Tage nachdem die Brandenburger den vielversprechenden Vermerk geschrieben hatten, kam es zu einer geheimen Konferenz im Potsdamer Innenministerium, an der auch Vertreter der Verfassungsschutzämter aus Thüringen und Sachsen teilnahmen. Zeugnis darüber ist ein Protokoll des Treffens, das die sächsischen Kollegen verfassten. (…) Es belegt: Das Brandenburger Ministerium verhinderte aktiv die Suche nach den drei Untergetauchten.“ (Der NSU-Prozess-Blog, zeit-online vom 10. Mai 2016)

    Der „Hinweisgeber“ war kein geringerer als Carsten Szczepanski, der als V-Mann für das LfV Brandenburg arbeitete und den Decknamen ‚Piatto’ trug.

Die Fakten für die Verantwortlichkeit der politischen Führungen in den jeweiligen Bundesländern liegen also längst auf dem Tisch. Wenn aber ein Herr Maaßen dies bestätigen würde oder andere „leaken“ ließe, dann würde das mehr auslösen, als den Rücktritt einiger Politiker.

Der Preis für sein Schweigen ist – mit Blick auf den möglichen „Schaden“ – also recht bescheiden.

Damit ist hoffentlich auch beantwortet, warum gegen Hans-Georg Maaßen keine disziplinarischen Maßnahmen ergriffen werden.

„Bei uns dürfen Sie die Sau rauslassen“ (Der Spiegel vom 11.12.2015) – Werbung für strafbare Handlungen im Amt

Mit folgendem Versprechen warb der Inlandsgeheimdienst unter Führung von Hans-Georg Maaßen 2015 um neue Geheimdienstmitarbeiter/innen:

„Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und ich kann sagen, in manchen Bereichen unseres Hauses kann man all das machen, was man schon immer machen wollte, aber man ist straflos, zum Beispiel Telekommunikationsüberwachung.“ (Zitat aus einem Gespräch mit dem Sender MDR Info, 2015)

Keiner der politisch Verantwortlichen hat diesen Aufruf zu Straftaten im Amt zurückgewiesen oder den Urheber zur Rede gestellt. Völlig unbehindert hat der scheidende Verfassungsschutz-Präsident Maaßen dieses Versprechen eingelöst – nicht nur für sich. Bei uns dürfen Sie die Sau rauslassen – unter diesem Motto lebt sich‘s gut, auch im einstweiligen Ruhestand.

Wolf Wetzel

Quellen:


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