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Titel: Leserbriefe zu: DDR-Dämonisierung mit Grusel-Märchen, Meinungsmache mit „wahren Begebenheiten“

Datum: 8. Februar 2019 um 14:32 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Kultur und Kulturpolitik, Leserbriefe, Strategien der Meinungsmache
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Auch zum Beitrag ‘DDR-Dämonisierung mit Grusel-Märchen, Meinungsmache mit „wahren Begebenheiten“‘ schrieben uns wieder zahlreiche Leser mit teilweise sehr gegensätzlichen Einschätzungen, die wir nun nachfolgend veröffentlichen. Auch bald 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, wirkt das Thema DDR weiter auf uns ein. Diese Leserbriefe sind ein weiterer Teil der Debatte, die sicher auch in 30 Jahren noch geführt werden wird. Zusammengestellt von Moritz Müller.

1. Leserbrief

“„Das Leben der Anderen“ ist kurzweilige Unterhaltung auf hohem schauspielerischen Niveau – aber er ist auch reißerisch, klischeehaft und historisch an zahlreichen Stellen ungenau. Dennoch wurde er durch die zahllosen hymnischen Kritiken zur realistischen DDR-Darstellung verklärt. Durch diesen medialen Chor wurde auch die seit 2006 artikulierte Kritik übertönt und der Film entwickelte sich nahezu ungebremst zu einer bis heute höchst wirkungsvollen DDR-Dämonisierung. ”

So äußert sich der Schriftsteller Christoph Hein in dem mit einer m. E. etwas zu reißerischen Überschrift versehenen Artikel von Tobias Riegel. Auf der einen Seite der Film, auf der anderen Seite die Kritiken. Ich habe den Film gesehen. Die Kritiken interessieren mich nur marginal. Für mich war dieser Film nie der Versuch einer realistischen DDR-Darstellung, sondern einer Darstellung dieser unsäglichen STASI und ihrer Folgen für Täter und Opfer.

Und Versuche sind es immer, nachträglich etwas darzustellen. Ich nenne da nur für die Nazizeit “Schindlers Liste”und “Das Boot” oder ebenfalls für das DDR-Grenzregime “Der Ballon”. Immer wieder regen diese Filme zu Diskussionen an. In der Familie, in der Schule oder in Kollegenkreisen. Damit ist doch schon viel erreicht, oder?

Viele Grüße
Werner Otten


2. Leserbrief

Liebe Redaktion der Nachdenkseiten,

so sehr wie das Thema des Beitrags wichtig und aktuell ist, genauso wichtig ist es m.E darauf hinzuweisen, daß es auch ein ganz alter Hut ist, den dieses Land nicht erst seit 1989 gewissermaßen auf hat. In diesem Zusammenhang frage ich mich, wieso Herr Hein den Film von 2006, den ich als geborener DDR-Bürger wohlgemerkt aus grundsätzlichen Erwägungen nicht angesehen habe, erst jetzt so entschieden kritisiert. Zumal er dem Inhalt des Beitrags nach durch Verzerrung seiner Biografie ja wohl persönlich betroffen ist. Auch wenn jetzt ein weiterer Film gleichen Zuschnitts über eine andere Person den Anlaß gegeben haben sollte, verständlich ist das nicht. Herr Riegel stellt ja selbst fest, daß der Film über Hein jahrelang seine dämonisierende Wirkung ausüben konnte und damit wohl vieles, was er bewirkt hat nicht mehr umkehrbar sein dürfte. Ich denke da nur an die Generationen von jungen Menschen, denen ein völlig falsches Bild von dem bisher einzigen Versuch des Aufbaus eines antifaschistischen Staates auf deutschem Boden vermittelt wurde. Und besonders die Resignation Heins zeigt doch, daß sein jetziger Versuch definitiv zu spät kommt. Mich würde schon brennend interessieren, wieso ausgerechnet von einer derart betroffenen Person jahrelang geschwiegen wurde, ich persönlich, der ich die bundesdeutsche mediale Wirklichkeit für mich längst abgehakt habe, halte das bei deren Exposition für geradezu unverantwortlich!

Jürgen Keller


3. Leserbrief

Werter Herr Riegel!

Mit Interesse habe ich ihren Beitrag gelesen. Ich möchte gleich anmerken, dass ich mir den Film bis heute nicht angesehen habe. Mir war der Hype um diesen und das damit verbundene DDR-Bashing unangenehm. Es stellte sich für mich (in der DDR geborenen und dort aufgewachsenen) als das dar was man uns heute (von offizieller Seite) noch glauben machen will, die DDR bestand nur aus Stasi und Unterdrückung.

Irritierend ist für mich, warum Herr Hein erst jetzt nach über 12 Jahren mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit geht? Das er dafür von Vertretern unserer MSM angegriffen wird, wundert mich nicht. Sind wir doch mittlerweile in einer Situation, welche der in dem Film geschilderten mehr als gleicht. Die Überwachung der Bürger findet heutzutage im viel größerem Rahmen statt. Die Gleichschaltung der meisten Medien ist in ein Stadium gelangt, wo andere Meinungen als Fake News, Propaganda oder als Verschwörungstheorien an den Pranger gestellt weden. Es ist mittlerweile soweit fortgeschritten, dass man sich bei Berichterstattungen unserer Nachtichtensendungen an die ehemalige AK (Aktuelle Kamera) erinnert fühlt. Um von den bestehenden Mängeln unserer “Demokratie” abzulenken, wird bei passender Gelegenheit immer wieder das Thema “Unrechtsstaat” DDR auf’s Tableau gebracht, dann man kann sich in dem Glauben “Wir sind die Guten” bequem zurück lehnen.

Mit einem unguten Gefühl (für die Zukunft) in Kopf und Bauch, sagt ihnen Danke für ihre aufklärende Arbeit in diesen Zeiten.
Ralf Matthias, Hannover


4. Leserbrief

Guten Tag Herr Riegel,

danke für Ihre Antwort.

Ich denke nicht, dass der Film “dramaturgisch etwas drauf setzt”. Er muss natürlich etwas spannender sein als das reale Leben (wie alle Filme), aber die geschilderten Vorgänge waren auch im Jahr 1985 problemlos so möglich, wie man ja anhand realer Opfer aus der Zeit leicht belegen kann und was ich ja auch verlinkt habt.

Ich sehe den Film sogar vielmehr als gewisses “Versöhnungsangebot”, da er ja zeigt, dass auch ein Spitzel (im Film HGW XX/7) womöglich ein Herz hat. Er endet ja gerade nicht damit, dass am Ende ALLE böse sind. 

Die Ostalgie mancher Menschen (was es bei älteren Menschen bekanntlicherweise auch bezüglich des NS-System gab, welches dann gern verklärt wurde) kommt ja nicht aus intellektueller Beschäftigung. Man setzt sich ja nicht hin und sagt “Also das Buch war mir zu kritisch, deswegen find ich die Stasi oder die Gestapo jetzt doch nicht so schlimm”. Sondern das ist ja psychologisch gut erforscht im Sinne des “Gute Alte Zeit”-Syndrom (Weitereführende Infos). Hier spielt neben der allgemeinen Neigung des Gehirns, die Vergangenheit schön zu färben bei vielen auch der Gedanke mit, dass man nicht fast sein ganzes Leben in einem verbrecherischen System verbracht haben will. Das fühlt sich sehr unschön an in einem Rückblick, darum schönt man die Dinge lieber.  Ich habe so etwas im Bekanntenkreis auch schon erlebt, wo jemand im Alter dann seinen ehemaligen Chef, den er immer bis aufs Blut hasste (aus gutem Grund) dann auch zu verklären begann. Dies dürfte auch bei Herrn Hein die Grundlage gewesen sein.

Gruß
M. Berger


5. Leserbrief

Der massive Propaganda-Vorwurf, den Tobias Riegel in seinem Artikel „DDR-Dämonisierung mit Grusel-Märchen“ gegenüber dem Film „Das Leben der anderen“ erhebt, erscheint mir völlig unangemessen. Für einen Text, der auf den Nachdenkseiten publiziert wird, finde ich diese Pauschalverurteilung beklagenswert inhaltsarm. Wer massive Kritik übt, sollte sie belegen, statt ausschließlich auf (nicht näher erläuterte) Urteile Dritter zu verweisen. Nirgends zeigt der Autor konkret auf, an welchen Stellen der Film seiner (bzw. Christoph Heins) Ansicht nach „Gruselmärchen“ erzählt und Propaganda verbreitet. So wenig wie anti-kommunistische Propaganda brauchen wir blinde Apologie.

In meiner Jungend überquerte ich die deutsch-deutsche Grenze oft, ich kann mich an die beklemmenden Gefühle, die der Übergang über die martialisch gesicherte Grenze stets in mir hervorrief, ebenso gut erinnern, wie an die bedrückenden Berichte meiner in Leipzig lebenden Verwandten, etwa von den Nachteilen für die persönliche Ausbildungslaufbahn, die meine Cousinen und mein Cousin trotz hervorragender schulischer Leistungen in Kauf nehmen mussten, weil sie es abgelehnt hatten, an der Jugendweihe teilzunehmen. Das Thema „Berufsverbot“, das der Film u.a. behandelt, war keine westliches „Gruselmärchen“; bekanntlich durfte auch Sahra Wagenknecht nicht studieren, weil sie als systemkritisch aufgefallen war. Auch die Selbstmordzahlen waren, wie im Film berichtet wird, in der DDR auffallend hoch (wie dies zu interpretieren ist, bleibt eine weitere Frage). Und die Darstellung der Bespitzelungs- und Verhörmethoden durch die Stasi unterscheidet sich nicht von Darstellungen in anderen vielfach preisgekrönten Filmen, etwa in der Serie Weissensee.

Ein Spielfilm ist keine Dokumentation, und dass sich ein Regisseur von der Biographie und Ereignissen inspirieren lässt, die ihm Zeitgenossen schildern, sich dann aber erlaubt, aus dem Stoff etwas Eigenes zu machen, ist weder ungewöhnlich noch moralisch oder ästhetisch verwerflich, sondern – in der Tat – künstlerische Freiheit.

Dabei ist das „Leben der anderen“ gerade kein Film, der schwarz-weiß malt. Weder wird die sozialistische Idee als grundsätzlich negativ dargestellt noch alle Vertreter der Staatsmacht als erbarmungslose Apparatschiks, vielmehr wird deutlich, dass das System der DDR Ideale gerade auch derjenigen, die glühend für diesen Staat angetreten waren (in diesem Fall der Stasioffizier Georg Wiesler) verraten hat – ein Umstand, der keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des Kommunismus‘ ist. Und die Wandlung Georg Wieslers, der erkennt, dass eine ursprünglich gute Idee, die er selbst aus hohen Idealen heraus vertritt, auf Abwege geraten ist, und mit stillem Heldentum diese Fehlentwicklung nach seinen Möglichkeiten zu korrigieren versucht, empfinde ich als ausgesprochen differenziert und berührend dargestellt. Solche Menschen, die mit wachem Bewusstsein Fehlentwicklungen in jeder Gesellschaft wahrnehmen und mutig ihrem eigenen moralischen Kompass folgen, brauchen wir mehr denn je – das ist meinem Verständnis nach die Aussage dieses Films.

Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt der Film auch den „Friedenspreis des deutschen Films – die Brücke“. NDS-Leser mögen die anderen Preisträger recherchieren (darunter auch das neoliberalismus- und kolonialismuskritische Doku-Drama „Und dann der Regen“ und viele Doku-Dramen über Menschen mit hervorragender Zivilcourage in unterschiedlichen Systemen, die dringend dieser Zivilcourage bedürfen) und sich selbst sein Urteil bilden, ob ihm dieser Preis westimperialistisch unterwandert scheint. Gerade heute, wo unsere Gesellschaft (wieder) zunehmend unfrei wird, sollten wir uns solche Filme achtsam und offen anschauen – in diesem Sinne ist „Das Leben der anderen“ für mich ein großes, friedensstiftendes Werk.

P.S.: Dass der neue Film von Henckel von Donnersmarck, „Werk ohne Autor“ (meines Erachtens zu unrecht) auch negative Kritik erfahren und wider Erwarten keine Preise erhalten hat, wäre eine eigene Betrachtung wert. Meines Erachtens ist dieser Film, ebenso wie „Das Leben der anderen“, ein großes authentisches Kunstwerk zur deutschen Zeitgeschichte, das auch von kritischer Seite mehr Sorgfalt verdient, als es von Riegel und den Nachdenkseiten erfährt.

S.P.

P.P.S.: Anzumerken bleibt noch, dass die Rolle des Georg Wiesler durch den großen ostdeutschen Schauspieler Ulrich Mühe verkörpert wurde, der der Westpropaganda sicher völlig unverdächtig ist.


6. Leserbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist in der Tat so, daß das alltägliche Leben in der DDR-Zeit zu oft verfälscht dargestellt wird. Dabei müßte auch berücksichtigt werden, daß es verschiedene Phasen der Unterdrückung der Andersdenkenden gab. In den 1950-er und in den 1960-er Jahren war diese weitaus schlimmer als später. Es gab unter Erich Honnecker auch gewisse Freiräume.

Wenn zum Beispiel Jana Hensels (und Wolfgang Englers) Buch “Wer wir sind: Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein” von ARD und ZDF beworben wird, dann spricht es nur dafür, daß erzählt wird, was die Mainstream-Medien erwartet haben. Ich als Ostdeutscher konnte mich öfters dort nicht wiederfinden…

Im Übrigen halte ich die “Zeit” für eine Zeitung, die am meisten die Ostdeutschen in einem schlechten Licht dastehen lässt. Ich erinnere mich an ein Artikel von der “Zeit”, in der jemand (Jana Hensel?) ernsthaft behauptete, in Leipzig täglich Angst zu haben, wenn Abends die Kinder mit gefärbten Haaren ausgehen, ob sie wieder heil nach Hause kommen. Wenn solche Geschichten veröffentlicht werden, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn eine westdeutsche Stadt bei der Bewerbung als Austragungsort einer Olympiade behauptet, Leipzig als Konkurrent sei nicht geeignet, weil es dort No-Go-Areas gebe. Das hat es wirklich gegeben! -Soweit ich weiß, ist Leipzig eine Hochburg der ANTIFA. Und diese wurden bestimmt nicht gemeint…

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Schimank

P.S.: Aus diesem Grund bin ich auch dabei, ein Buch über die Ostdeutschen zu schreiben.


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