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Titel: Venezuela – Die “humanitäre Hilfe” und das militärische US-Drehbuch der “befreiten Gebiete”

Datum: 20. Februar 2019 um 8:42 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Länderberichte, Strategien der Meinungsmache
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Der 23. Februar steht vor der Tür und mit ihm die Androhung einer militärischen Konfrontation zum Sturz der Regierung Nicolás Maduro. Das Datum wurde dem venezolanischen Präsidenten von den USA und dem selbsternannten „Interimspräsidenten” Juan Guaidó als „Ultimatum“ für eine Einfuhrgenehmigung der seit Monaten angekündigten, jedoch mit Brasilien bereits im November 2017 militärisch erprobten sogenannten „humanitären Hilfe“ gesetzt. Von Frederico Füllgraf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Regierung Maduro und der mit ihr verbündete Chavismo, einschließlich der venezolanischen Streitkräfte, blockieren bekanntlich den Zugang der „Hilfs“operation der USA mit dem nicht ganz abwegigen Verdacht, in Wahrheit handele es sich um eine false flag operation zur politischen und militärischen Destabilisierung. Die unnachgiebige Haltung Maduros potenzierte allerdings die Aggressivität des politischen „Bunkers“ um die US-Rechtsextremisten Marco Rubio, Mike Pompeo, Mike Pence, John Bolton und Elliott Abrams. Ihre Konfrontations-Bereitschaft eskalierte in den vergangenen Wochen mit der Beschlagnahme der venezolanischen Erdölfirma Citgo in den USA und venezolanischer Goldreserven in Großbritannien sowie mit der wiederholten Androhung einer militärischen US-Intervention.

Der Eingriff machte sich schleichend bemerkbar, als Maschinen der US-Luftwaffe karibische Flughäfen ohne Genehmigung der jeweiligen Regierungen anflogen, Großbritannien vor der Insel Curaçao ungewöhnliche Militärmanöver abhielt, Admiral Craig Faller, Befehlshaber des Südkommandos der US-Streitkräfte (SouthCom), der brasilianischen Fallschirmjäger-Brigade einen plötzlichen Besuch abstattet und das SouthCom einem brasilianischen General das künftige Einsatzkommando für Südamerika überträgt.

Krönung der an offene Provokation grenzenden Herausforderung war Senator Marco Rubios Landung in Kolumbien und Auftritt in der Grenzstadt Cúcuta. Er sei gekommen, um die humanitäre Hilfe „zu überwachen“, die an der Grenze zu Venezuela gelagert wird und diesmal aus drei C-17-Maschinen der US Air Force auf dem Flughafen von Cúcuta entladen wurde.

Rubio war mit dem US-Botschafter bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OEA), Carlos Trujillo, und dem ebenfalls zur rechtsradikalen Kuba-Szene in Florida gehörenden republikanischen Kongressabgeordneten Mario Díaz-Balart angereist. Alle Drei, begleitet von kolumbianischen Politikern und venezolanischen Oppositionellen, inspizierten sodann den Hauptgrenzübergang der Simón-Bolívar-Brücke, auf deren venezolanischer Seite wiederum die Regierung Nicolás Maduro für den 22. und 23. Februar ein „Internationales Friedenskonzert“ unter dem Motto „Hände weg von Venezuela!“ angekündigt hat.

Was am 24. Februar passiert, ist zwar zu ahnen, wagt jedoch kaum jemand mit Sicherheit vorauszusehen.

Der „humanitäre Korridor“: eine Provokation des venezolanischen Militärs durch Marco Rubio

Die erste Sendung der sogenannten „humanitären Hilfe“ aus den USA, die Anfang Februar in Cúcuta eintraf, besteht nach Angaben der US-Botschaft in Kolumbien aus einer Menge von „Notnahrungsmitteln und Medikamenten … um 10 Tage lang mehr als 5.000 Venezolaner mit Pflanzenöl, Mehl, Linsen und Reis zu bedienen”.

Die am Wochenende vom 15. bis 17. Februar eingetroffene zweite Sendung soll den Bedarf von „7.500 Venezolanern 10 Tage lang durch Hygienesets mit Seife, Zahnbürsten und Zahnpasta“ decken. Die Sets wurden in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta zusammengestellt. Zwei andere solcher Sammellager sind nach Angaben der venezolanischen Opposition und brasilianischer Medien auf der vor der venezolanischen Küste liegenden niederländischen Inselkolonie Curaçao und im brasilianischen Amazonien eingerichtet worden.

Die venezolanischen Behörden nennen die Hilfssendungen lächerliche „Almosen” und fordern die USA umgekehrt dazu auf, ihre milliardenschweren wirtschaftlichen Sanktionen gegen Venezuela aufzuheben, die der eigentliche Grund für die Wirtschafts- und Versorgungskrise seien. Mehr noch: Den USA und ihren Verbündeten wird vorgeworfen, die „humanitäre Hilfe“ sei in Wahrheit ein trojanisches Pferd der politischen und militärischen Destabilisierung.

Jedoch angenommen, die Vorbehalte der Regierung Nicolás Maduro sind abwegig, deren Mutmaßungen gar verschwörungstheoretischer Unsinn: Wie sollen diese „Hilfssendungen“ nach Vorstellungen der USA von Kolumbien nach Venezuela gelangen? Die Andeutungen der Gruppe um Juan Guaidó lassen kaum noch Zweifel zu: Die Mission, der bekanntlich ihr „humanitärer“ Charakter von den Vereinten Nationen und dem Internationalen Roten Kreuz längst abgesprochen wurde, ist ein politisch-militärisches Manöver zum Test und zur Spaltung und Umstimmung der bisher regierungstreuen venezolanischen Streitkräfte.

Lester Toledo, ein ehemaliger Kampfgefährte an den gewalttätigen, rechtsradikalen Guarimba-Barrikaden des selbsternannten „Übergangspräsidenten“ Venezuelas, Juan Guaidó, und von ihm zum „Leiter des Internationalen Plans für humanitäre Hilfe“ nominiert, wettete geradezu in Gesprächen mit internationalen Medien, die „humanitäre Hilfe“ werde „vom venezolanischen Volk selbst durchgesetzt“, und nannte das von Medien und Analysten seit langem erwartete Reizwort: einen „humanitären Korridor“.

Auf die Frage, wie man sich diesen „Korridor“ vorstellen solle, da die venezolanischen Behörden die Grenzüberschreitung der US-„Hilfe“ nicht zulassen und die internationale Las-Tienditas-Brücke streng bewacht wird (siehe dazu auch hier), antwortete Toledo lakonisch und provokativ, die Regierung Maduro werde „eine Überraschung” erleben. Das Militär werde sich so verhalten, wie es sich gehöre, es werde „der Führung von Präsident Guaidó folgen“, erklärte der Vertreter Guaidós.

In diesen Spekulationen und „Wetten“ der von den USA ferngesteuerten Guaidó-Gruppe artikulieren und mischen sich selbstverständlich Wunschdenken mit Fake News. Wenn Toledo auf die Frage schweigt, ob zwischen Guaidó und der Armee Geheimgespräche geführt werden, so ist dieses Schweigen als „dramaturgischer“ Trick zu verstehen. Er soll andeuten, dass es gar „Geheimabmachungen“ gäbe.

Sätze wie „Guaidó ist der Oberbefehlshaber, ich wünsche mir eine fließendere Kommunikation mit dem Militär, denn zu gebotener Stunde werden sie der Garant sein” oder „gemeinsame Termine, Taktiken, Strategien unseres Teams mit unseren Verbündeten werden publik gemacht, wenn wir die Sammelphase durchlaufen haben und sie diesen Traum wahr werden lassen”, sind rhetorische Nebelwände nur dürftig kaschierter Kriegspropaganda.

Die Rhetorik macht gleichwohl deutlich, dass die oppositionelle Guaidó-Gruppe schamlos der rechtsradikalen US-Camarilla um Marco Rubio, Mike Pompeo, Mike Pence, John Bolton und dem „Venezuela-Sonderbeauftragten“ Elliott Abrams nachbetet und bereit ist, sowohl einen US-Blitzkrieg aus der Luft wie auch einen Verschleißkrieg nach kolumbianischem oder einen Stellvertreterkrieg nach syrischem Vorbild in Venezuela anzufachen.

Militärische Eskalierung, Sperrzone und “befreites Gebiet”

Venezuela hat inzwischen im Grenzgebiet eine Sperrzone angekündigt. Der in Venezuela tätige argentinische Politologe Marco Teruggi nahm die Ankündigung zum Anlass und spielte für die in Buenos Aires erscheinende Tageszeitung Pagina12 vom vergangenen 18. Februar verschiedene Szenarien durch, die – politisch gesehen – auf einen von den USA systematisch herbeigesteuerten Punkt der Unumkehrbarkeit zulaufen.

Die „parallele Regierung” der venezolanischen Opposition war zweifellos die eigentliche Vorbereitung für einen militärischen Eingriff. Sie startete 2017 mit dem “Obersten Gerichtshof im Exil” (siehe hierzu auch), gefolgt vom Bruch der Generalstaatsanwältin mit der Regierung Maduro und der Selbsternennung Juan Guaidós zum „Interimspräsidenten”. Als zweiter Schritt ist die internationale Anerkennung Guaidós unter Führung der USA sowie deren Eingriff in die venezolanische Erdölfirma Citgo mit der Nominierung neuer Direktoren und Guaidós „Botschaftern” zu erwähnen.

Als Hypothese könnte sich folglich die Invasion des venezolanischen Territoriums als dritte Stufe herausstellen. Allerdings zunächst als Rätselraten über Variablen der Handbücher für Sonderunternehmen der US-Armee, mit Erfahrungen aus dem syrisch-libyschen Fall, die sich auf das venezolanische Szenario übertragen lassen.

Die Hypothese eines „befreiten Territoriums“ ist sodann eine Strategie der sogenannten parallelen Regierung, die Macht nicht mehr allein über soziale Netzwerke, sondern mit dem Durchbrechen des Staatsgebietes auszuüben, erklärte Freddy Bernal, der von der Regierung Maduro ernannte „Protektor“ des Bundesstaates Táchira. Táchira sei somit die besonders empfindliche Gegend für einen militärischen Angriff. Sie befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Kolumbien, einem NATO-Partnerland mit zahlreichen US-Militärstützpunkten auf seinem Hoheitsgebiet, auf dem ferner vielzahlige paramilitärische Verbände ihr Unwesen treiben.

Neben dieser Hypothese sollten dennoch andere militärische Varianten bedacht werden. Zum Beispiel die Grenze als Ort medienpolitischer Verdichtung. Hier könnte ein Narrativ von der Unmöglichkeit des Dialogs mit der Regierung Maduro gesponnen werden, die keine humanitäre Hilfe zulässt, somit die Eskalierung neuer Aggressionen rechtfertigt.

Eine Aktion unter falscher Flagge und mit großer internationaler Resonanz sei denkbar. Die USA könnten in Komplizenschaft mit der kolumbianischen Regierung einige Paramilitärs mit venezolanischen Uniformen verkleiden und sie gegen die Bevölkerung einsetzen. „Dann würden ihre Kameras der Welt zeigen, dass es hier eine Diktatur gibt, die tatsächlich Menschen tötet – und das wäre die Ausrede für einen Militärschlag“, sinniert Bernal.

Solange sie nicht auf die venezolanischen Streitkräfte setzen und sie „herumkriegen“ können, stehen verschiedene militärische Varianten zur Verfügung. Zum Beispiel eine irreguläre paramilitärische Armee, die sich aus Söldnern aus Nahost-Kriegen, paramilitärischen Gruppen, kriminellen Banden, kolumbianischer Armee und paramilitarisierten Barrikaden-Kämpfern mit einem kommandierenden US-General im Hintergrund zusammensetzt.

Aber die Grenze könnte auch als Ablenkungsmanöver genutzt werden: Viel Radau in Táchira kann von einem militärischen Überfall aus Brasilien ablenken.

„Wir haben die Fähigkeit zur Aufklärung, die bolivarischen Streitkräfte sind auch in der Lage, jede Gruppe direkt an der Grenze zu besiegen, um den Frieden und die Ruhe Venezuelas zu sichern. Mit Sukoi-Maschinen modernster Ausrüstung und Spitzentechnologie ist die venezolanische Luftwaffe eine der mächtigsten in Lateinamerika. Das Flugabwehrsystem, das Chávez in Russland gekauft hat, ist eines der besten auf dem ganzen Kontinent. Es ist in der Lage, Raketen und Flugzeuge jeglicher technologischer Variante bis zu 200 Kilometer Entfernung lahmzulegen“, erklärt Bernal und nennt die rasche Ausbildung von mehr als einer Million Milizen, von denen 65.000 in mehreren einhundert Verbänden auf Táchira verteilt sind.

Werden die USA ihr lateinamerikanisches Syrien bekommen? Wer weiß es? Die Würfel des Kriegsspiels werden gerade erst sortiert.

Titelbild: Aleks_Shutter/shutterstock.com


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