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Titel: Syrien-Propaganda bricht zusammen: Sogar „Aktivisten“ widersprechen nun den Giftgas-Mythen der USA

Datum: 23. Mai 2019 um 12:33 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege
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Bisher wurden US-Vorwürfe zu Giftgas-Einsätzen großflächig aufgegriffen und gestützt. Doch den aktuellen Anschuldigungen verweigern auch bisherige Verbündete die Gefolgschaft. Diese neuesten Vorwürfe werfen auch ein Licht auf die vergangene Meinungsmache zu Syrien. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wenn die USA oder andere westliche Staaten in der Vergangenheit Chemiewaffen-Einsätze durch die syrische Regierung behauptet haben, so folgte dem oft ein eingespielter Mechanismus: Zahlreiche große Medien haben jene Behauptungen teils sehr schnell und distanzlos gestützt, oft folgten etwas verzögert Äußerungen „unabhängiger“ internationaler Organisationen (UNO, Human Rights Watch etc.), die sich wiederum oft auf „Berichte von Aktivisten vor Ort“ stützten. In ihrer ganzen Pracht war diese Art großflächiger und massiver Meinungsmache etwa nach angeblichen Giftgas-Einsätzen 2017 und 2018 zu beobachten.

Keine Gefolgschaft mehr bei der Syrien-Propaganda

Doch beim aktuell von den USA vermeldeten „Giftgas-Vorfall“ ist es anders: Das Echo in den großen deutschen Medien auf diesen US-Vorstoß ist merklich schwächer als gewohnt – wenn man die „Bild“-Zeitung herausnimmt, die sich in der Überschrift treu bleibt und fragt: „Neuer Chemie-Angriff von Giftgas-Bestie Assad?“

Davon abgesehen verweigern aber selbst treue Stützen der westlichen Propaganda gegen die syrische Regierung die Gefolgschaft. So meldete die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ am Mittwoch laut Medienberichten: „Wir haben keinen Beleg für einen solchen Angriff“. Auch die in „Oppositionsgebieten aktive Rettungsorganisation Weißhelme“ (dpa) erklärte, es gebe keine Hinweise auf einen Giftgaseinsatz. Es könnte allerdings auch sein, dass die Weißhelme hier versuchen, gegen einen von Russland behaupteten Giftgas-Einsatz durch Islamisten zu argumentieren.

Die Medien-Kampagnen zu Syrien müssen aufgearbeitet werden

Reste der eingespielten Sprachregelungen geistern noch immer durch die Artikel – so ist etwa der hier zitierte Begriff „Oppositionsgebiet“ für islamistisch besetzte Stadtviertel oder die Beschreibung der „Weißhelme“ als „Rettungsorganisation“ höchst unseriös. Ebenso die Übernahme des Titels „Stelle für Menschenrechte“. Die skandalöse Rolle vieler Medien im Zusammenhang mit Syrien muss ohnehin noch gründlich aufgearbeitet werden. Man sollte den betreffenden Redakteuren nicht gestatten, sich nun scheinbar von der seit 2011 verbreiteten Meinungsmache von der guten islamistischen „Opposition“ und dem bösen „Regime“ zu distanzieren. Diese Meinungsmache war kriegsverlängernd und ist zu verurteilen.

Mit ihrer Verweigerung, den US-Vorwürfen die Absolution durch „Augenzeugen vor Ort“ zu erteilen, begeben sich mit „Weißhelmen“ und „Menschenrechts-Stelle“ zwei der engsten Propaganda-Verbündeten des Westens in direkte Opposition zur US-Darstellung: Das US-Außenministerium prüft nach eigenen Angaben “Hinweise auf einen möglichen Chemiewaffeneinsatz der syrischen Führung“ vor wenigen Tagen. Es gebe laut USA Anzeichen, dass die Kräfte des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bei einer Attacke am vergangenen Sonntag im Nordwesten des Landes Chemiewaffen eingesetzt hätten, so Medienberichte. “Wir sammeln noch Informationen zu diesem Vorfall, aber wir wiederholen unsere Warnung, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten schnell und in angemessener Weise reagieren werden, falls das Assad-Regime Chemiewaffen benutzt”, erklärte das US-Außenministerium demnach.

Wirtschaftskrieg ersetzt in Syrien die Waffengänge

US-Präsident Donald Trump und seine Regierung hatten der syrischen Regierung in jüngerer Vergangenheit mehrfach mit schwerwiegenden Konsequenzen gedroht, falls Chemiewaffen eingesetzt werden sollten. Bereits 2017 und 2018 hatten die USA und Verbündete nach angeblichen Giftgasangriffen syrische Regierungstruppen bombardiert. Die Bundeswehr war bei diesen Einsätzen nicht dabei. Im vergangenen September forderten die USA Deutschland aber offen auf, sich an möglichen weiteren „Vergeltungsaktionen“ zu beteiligen. Während SPD-Chefin Andrea Nahles das kategorisch ausschließt, hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bisher nicht festgelegt. Die jüngsten Attacken der US-Armee in Syrien waren allerdings – gemessen an Trumps verbaler Hysterie im Vorlauf – etwas weniger dramatisch als erwartet.

Aus der nun erlebten (scheinbaren) Abkühlung der Meinungsmache zu Syrien eine Entwarnung abzuleiten, wäre dennoch verfrüht. So beschreibt Zaklin Nastic von der Linkspartei nur eine Verschiebung der gewählten Mittel des Westens: Während sich der mit Waffen geführte Krieg in Syrien seinem Ende neige, sei der Wirtschaftskrieg gegen Damaskus nicht nur in vollem Gange, sondern werde noch intensiviert: „Die US-Regierung und die EU haben in den letzten Jahren ihre ‚wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen‘ gegen Damaskus immer weiter verschärft.“

Syrien, Giftgas und Propaganda – die Analysen auf den NachDenkSeiten

Das Thema Syrien-Propaganda und Giftgas ist umfangreich und komplex. Es werden zudem von allen Seiten zahlreiche nicht belegte Behauptungen geäußert. Zur Meinungsbildung empfohlen seien etwa die Beiträge der ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter, die sich zu den „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ zusammengetan haben. Lohnend sind auch die Ausführungen zum Thema der renommierten Journalisten Seymour Hersh und Robert Fisk.

Die NachDenkSeiten haben sich in einer Fülle an Artikeln zu den Themen Syrien, Völkerrecht, Giftgas und Propaganda geäußert. So in diesem Artikel „Krieg und Völkerrechtsbruch als Normalfall“ und in diesem Beitrag wird anhand eines OPCW-Berichts die „Macht der Agenturen und die Kultur der Ungenauigkeit“ betrachtet. Wie die Frage nach der Echtheit der Giftgas-Vorwürfe gegen die syrische Regierung die Linkspartei spaltet, wird in diesem Artikel betrachtet, wie „Kriegstreiber den US-Rückzug aus Syrien beklagen“, wird hier beschrieben und der plötzliche Abbruch von Medien-Kampagnen wird hier thematisiert: „Skripal, Giftgas, Hacking, Doping – Strategien der Spannung und das große Schweigen danach“. Dies ist nur eine kleine Auswahl unserer Artikel zum Thema – bitte nutzen Sie die Suchfunktion oder rufen Sie die entsprechenden Schlagwörter auf.

Titelbild: Tereshchenko Dmitry / Shutterstock


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