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Titel: Katholische Priester auf der Kanzel – das waren die YouTuber der CDU/CSU. YouTuber, die vor der Union warnen, sollen gegängelt werden.

Datum: 28. Mai 2019 um 14:10 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, CDU/CSU, Erosion der Demokratie, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
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Kramp-Karrenbauer, die vermutlich an der Saar noch selbst Profiteurin der geistlichen Wahlempfehlungen war – siehe weiter unten, hat das offensichtlich verdrängt, genauso wie alle anderen undemokratischen politischen und finanziellen Zuwendungen an ihre Partei. Sie kämpft jetzt um die antidemokratischen Privilegien der CDU/CSU, sie möchte die Aufklärungsarbeit der Akteure im Netz zumindest vor einer Wahl beschränken. Auch bei der SPD geht es nach der Wahlklatsche weiter wie bisher: Nahles geht es um Nahles und nicht um das Wohl ihrer Partei. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nahles zieht die für September vorgesehene Wahl der Fraktionsvorsitzenden vor, um ihre Haut zu retten. Ob ihre Partei vielleicht besser eine andere Vorsitzende in der Fraktion und auch in der Partei bräuchte, interessiert sie nicht. Das ist typisch und der nächste Katalysator für den Niedergang der SPD.

Annegret Kramp-Karrenbauers Intervention offenbart, dass diese Parteivorsitzende die Privilegien, die ihre Partei von Anfang an, also inzwischen mehr als 70 Jahre lang, genießt, als selbstverständliche, sozusagen der christlich-konservativen Partei angeborene Privilegien betrachtet und jetzt darauf pocht, dass diese durch eine Gängelung des Internets und der dortigen Meinungsmache auch künftig gesichert werden.

Was will die CDU-Vorsitzende, was hat sie verlautbart?

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat Regeln für politische “Meinungsmache” im Internet in Wahlkampfzeiten ins Gespräch gebracht. (Siehe auch die Hinweise unter Ziffer 1. von heute.) In der Tagesschau wurde gut zusammengefasst, was die CDU-Vorsitzende gestern gesagt und geschrieben hatte. Ich zitiere daraus die wichtigsten Teile ihrer Aussagen:

  • Im Netz werde Meinungsmache betrieben. Das müsse vor Wahlterminen reguliert werden. “Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten.” 
  • “Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen”, erklärte Kramp-Karrenbauer in Berlin nach Gremiensitzungen ihrer Partei. Ein solcher Aufruf hätte eine heftige Debatte in diesem Land ausgelöst, argumentierte sie weiter. “Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein.” Dies sei eine fundamentale Frage, “über die wir uns unterhalten werden, und zwar nicht wir in der CDU, mit der CDU, sondern, ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und auch demokratietheoretischen Diskussion der nächsten Zeit wird das eine Rolle spielen.”
  • In einem weiteren Tweet schrieb sie: “Wenn einflussreiche Journalisten oder YouTuber zum Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das eine Frage der politischen Kultur. Es sind gerade die Parteien der Mitte, die demokratische Werte jeden Tag verteidigen.” Darin steckt die Behauptung, die CDU sei eine Partei der Mitte und sie müsse schon deshalb geschont werden.

Dazu ist mehreres zu sagen.

Bevor ich das tue, möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern, die in der DDR aufgewachsen sind, dafür entschuldigen, dass wir wieder diesen westlichen Kram aufgreifen müssen. Leider ist es halt so, dass Ihr übernommen worden seid. Das ist nicht die Schuld der NachDenkSeiten. Also sehen Sie uns bitte nach, dass wir uns mit dem aus dem Westen und obendrein dem katholischen Milieu kommenden aktuellen Spitzenpersonal beschäftigen müssen.

Nun zur Sache:

Das Grundgesetz sieht keine Einteilung der Parteien in Parteien der Mitte und des Randes vor.

Das ist eine Einteilung der heute herrschenden Kräfte. Sie dient der Selbstbeweihräucherung einerseits und der Stigmatisierung anderer Parteien andererseits – im konkreten Fall der rechten und auch der Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums. Die mit der Einteilung verbundene Bewertung der sogenannten Parteien der Mitte als besonders demokratisch und erhaltenswert ist eine neue Erfindung. Sie scheint irgendwie modisch zu werden. Siehe dazu auch die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das war ungefähr so ungeheuerlich wie die Äußerungen von Kramp-Karrenbauer. Man sieht daran, wie eine Ungeheuerlichkeit die nächste nährt.

Die Mehrheiten für die CDU/CSU waren von Anfang der BRD an durch besondere Privilegien geschaffen und gesichert worden.

Im NachDenkSeiten-Beitrag “Demokratie gab‘s (fast) nie. Es gab nie in der Geschichte der Bundesrepublik einen fairen Wettbewerb zwischen rechts und links. Und heute schon gar nicht.“ sind wir auf dieses Problem und übrigens auch schon auf den Versuch, die im Netz betriebene Information und Meinungsbildung zu gängeln, eingegangen.

Zusammenfassend der Blick auf die „demokratischen“ Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland West:

Die angebliche Partei der Mitte war die Partei des “großen Geldes” – zu Adenauers Zeiten bis zu Kramp-Karrenbauers Zeiten

Die Mehrheit für die CDU/CSU wurde schon zu Adenauers Zeiten durch finanzielle Mittel aus dunklen Quellen organisiert und finanziert. Die einseitige finanzielle Ausstattung zugunsten der CDU/CSU hat dann nur 1969 nicht ausgereicht, den Wechsel des Bundeskanzlers von Kiesinger (CDU/CSU) zu Brandt (SPD) zu verhindern. Das sollte ein Betriebsunfall bleiben. Deshalb haben dann bei der nächsten Wahl anonyme reiche Gruppen mit 100 meist anonymen Anzeigen, den damals üblichen Werbemitteln, in den Wahlkampf eingegriffen.

Nur dank einer ersten beispielhaften Mobilisierung von Hunderttausenden von Bürgerinnen und Bürgern und dem damit verbundenen Aufbau einer Gegenöffentlichkeit ist es gelungen, diesen Anschlag auf die Demokratie abzuwehren. Wir nannten das damals “Klassenkampf von oben”. Er ist in diesem von Jörg Richter herausgegebenen rororo aktuell-Band dokumentiert:

Das war 1972. Nachdem dieser absolut undemokratische Angriff der angeblich demokratischen Partei der Mitte mit den Namen CDU und CSU abgewehrt war, wurde der neue Kandidat der Union, Helmut Kohl, mit quasi unbegrenzten finanziellen Mitteln aus teilweise ungeklärten Quellen ausgestattet. Er hat die Macht für die Union 1982 zurückerobert und bis 1998 gehalten. 2005 ging es mit Merkel weiter. Einer der ehrenwerten Geld-Sammler und -aufbewahrer hat heute das zweithöchste Staatsamt inne: der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Auch er gehört zu Karrenbauers angeblich demokratischer Mitte.

Wahlempfehlungen für die Union von den Kanzeln der katholischen Kirchen

Die Union hatte von Anfang an und weit hinein in die späteren Jahren der Existenz der Bundesrepublik Deutschland West die Unterstützung vieler Amtsträger der katholischen Kirche – immer schön rechtzeitig vor dem Wahltermin und verkündet von den Kanzeln. Daran muss man angesichts der dreisten Einlassungen der heutigen CDU-Vorsitzenden erinnern. Sie ist offensichtlich in dieser Welt aufgewachsen, in der nicht nur den Mütterlein sonntags bei der Predigt Wegweisung für die Wahlkabine gegeben worden ist. Das war in der Anfangszeit und gerade in Regionen wie dem Saarland, im Rheinland und den katholischen Gegenden Bayerns, Baden-Württembergs und Niedersachsens ein Privileg der CDU/CSU, das mit Demokratie nichts zu tun hat. Die angebliche Partei der Mitte war die undemokratischste Partei, die man sich überhaupt vorstellen konnte.

Massive Unterstützung durch die etablierten Medien für die Union

Noch gravierender war und ist die Unterstützung der etablierten Medien. Sowohl die privaten wie neuerlich auch die öffentlich-rechtlichen leisten unentwegt Hilfe für die CDU/CSU. Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten, so hat es der frühere Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Paul Sehte, schon 1965 formuliert. In den letzten Jahren haben wir erlebt, wie verlässlich Angela Merkel und die Union von der Mehrheit der Medienkonzerne und ihren Redaktionen unterstützt worden ist. Angela Merkel ist den Chefinnen von Springer und Bertelsmann persönlich verbunden. Wir haben erlebt, wie die Mehrheit der Medien Stimmung für den Einzug der neoliberalen Ideologie, für konservative bis reaktionäre innenpolitische Konzepte und für einen neuen Militarismus und den Neuaufbau einer Konfrontation mit dem Osten gemacht haben und machen. Das alles hat sich für die CDU und CSU ausgezahlt. In den öffentlich-rechtlichen Medien hat die Union dank ihrer cleveren und stringenten Personalpolitik sowohl für Entpolitisierung als auch für einseitige Berichterstattung und Kommentierung gesorgt. Man kann von demokratischen Medien nicht mehr sprechen. Natürlich sieht die CDU-Vorsitzende die Welt ganz anders. Das ist ihre Welt. Das ist offenbar die Welt, an die sich die Frau von der Saar von Jugend an gewöhnt hat.

Noch etwas: die Kommerzialisierung des Fernsehens und des Hörfunks war ein Akt zur Verblödung unserer Gesellschaft und zur Förderung der Wahlchancen der Union

Dieser Vorgang gehört auf den Tisch, wenn über Entdemokratisierung, über Gefährdung der Demokratie und über die Förderung der Wahlchancen von Parteien gesprochen wird. CDU und CSU haben zwischen 1982 und 1984 mutwillig die bisherige Balance zwischen privat organisierten Printmedien und öffentlich-rechtlich organisierten elektronischen Medien aufgebrochen. Sie haben die Verbreitung von nahezu unendlich vielen Fernseh- und Hörfunkprogrammen technisch möglich gemacht, und sie haben damit die Tür geöffnet für die Kommerzialisierung der elektronischen Medien. Das zahlt sich für die Union bis heute aus.

Was CDU und CSU im Verein mit der FDP mit der Kommerzialisierung der elektronischen Medien angestellt haben, ist einigen der Verantwortlichen später dann aufgefallen. Dann haben sie über die Folgen für unsere Gesellschaft und insbesondere für die Familien laut gejammert. Aber das war zu spät. Die Zerstörung war geschafft, inklusive die Anpassung der Qualität der öffentlich-rechtlichen an die mangelnde Qualität der kommerziellen Sender.

CDU und CSU – die Parteien der Mitte?

Dieser Anspruch zeugt von einer gehörigen Portion Dreistigkeit auf Seiten der Vorsitzenden der CDU. Ihre Partei hat seit 1982 konsequent allen Formen der neoliberalen Ideologie die Türen geöffnet: es wurde dereguliert, es wurde privatisiert, es wurden im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit der SPD und FDP die Steuern für die großen Einkommen und für die Vererbung von Vermögen gesenkt; und es wurde die Mehrwertsteuer, die die Mehrheit der Normalverdiener am meisten trifft, erhöht.

Auch in der Außenpolitik ist die Union konsequent den Weg der totalen Anlehnung an die USA und die NATO gegangen: Erhöhung der Militärausgaben, Beteiligung an militärischen Interventionen, von der CDU-Vorsitzenden Merkel 2002 sogar schon im Vorfeld des Irakkriegs gefordert.

Von Mitte kann da keine Rede sein. Die gab’s bei ein paar Änderungen in Bezug auf die Behandlung von Schwulen und Lesben und anderen Änderungen des Rechts. Ansonsten wurde der Gang in die Mitte nicht in der Sache, sondern propagandistisch und ausgesprochen geschickt inszeniert. Angela Merkel hat früh gepflanzt und pflanzen lassen, die Union habe sich “sozialdemokratisiert”. Das war keine effektive Veränderung der Union, sondern eine propagandistisch behauptete Veränderung, ein propagandistisch behaupteter Ruck in die Mitte. Das viele Medienbegleiter dieser Propagandaformel aufgesessen sind und den Unsinn von der Sozialdemokratisierung glaubten und weiter verbreiteten, sagt nichts über die Wirklichkeit. Es sagt nur etwas über die ausgesprochen intelligente und gut geplante Meinungsmache.

Der von der CDU-Vorsitzenden angekündigte Vorstoß zur Kontrolle des Internets in Wahlkampfzeiten ist ungeheuerlich.

Er ist unglaublich verlogen und zeigt den wahren Charakter dieser Frau. Der Anlass war das YouTube-Video von Rezo. Dazu kann man kritische Anmerkungen machen, aber keinesfalls kann man behaupten, dass dieses YouTube-Video eine Bedrohung der Demokratie gewesen sei. Im Gegenteil: der YouTuber hat zur politischen Mobilisierung junger Menschen beigetragen. Er hat über eine Bedrohung und ihre Hintergründe informiert, über den Klimawandel und die Notwendigkeit, dagegen aufzustehen. Frau Kramp-Karrenbauer müsste ihm den Preis für eine der wirkungsvollsten Aufklärungsaktionen verleihen, statt herumzumäkeln und auf Abhilfe zu sinnen. Eigentlich sollte sie die politische Bühne verlassen.

Auch Nahles sollte gehen und selbst nach einer oder einem Nachfolger mit Ausstrahlung suchen

Dass sie sich mit einem geschickten Schachzug, dem Vorziehen der Fraktionsvorsitzenden-Wahl, zu retten versucht, offenbart, dass diese Vorsitzende der SPD nicht an die Partei, sondern an sich denkt und nur an sich. Wenn das anders wäre, dann hätte sie schon gemerkt, dass sie als Person und Vorsitzende beider wichtigen Ämter eine der Ursachen für die Fortsetzung des Niedergangs ist. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, davon noch nicht überzeugt sind, dann sollten Sie sich das Interview im ZDF von gestern Abend anschauen. Da saß die Vorsitzender einer großen Partei. Mit ihrer Ausstrahlung erreicht sie allenfalls den harten Kern dumpfer SPD-Anhänger. Das Problem: Andrea Nahles merkt das nicht. Da offensichtlich auch ihr berufliches Fortkommen und finanzielles Auskommen von den beiden hohen Ämtern abhängt, kommt ein weiteres Motiv hinzu.

Wenn diese Vorsitzende das Heil ihrer Partei im Blick hätte, dann würde sie selbst auf die Suche nach einer Person mit Ausstrahlung gehen, statt am kommenden Montag erneut anzutreten und den Niedergang der SPD zu beschleunigen.


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