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Titel: Glenn Greenwald und die Enthüllungen über Richter Sérgio Moro

Datum: 4. Juli 2019 um 9:00 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie, Länderberichte, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
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Ein Journalist gegen Kriminelle in Talaren –– Teil 2: Vom Liberalen zum Systemherausforderer. Im ersten Teil dieses zweiteiligen Artikels über die Enthüllungen des größten Justizskandals aller Zeiten in Brasilien durch den US-Journalisten Glenn Greenwald auf der Medienplattform The Intercept Brasil berichteten die NachDenkSeiten von den Ausreden und peinlichen Lügen des medial überführten ehemaligen Richters und amtierenden Justizministers Sérgio Moro und die im Handumdrehen zu seiner Verteidigung entfachte rechtsradikale Gegenoffensive. Von Frederico Füllgraf.

So verbreitete der Twitter-Account @oppavaomisterio (“Geheimnisvoller Pfau”) am 16.Juni die Unterstellung, die Intercept-Leaks beruhten auf einem 300.000 US-Dollar schweren Bitcoin-Auftrag Greenwalds an einen „russischen Hacker” zum Überfall auf die Mobiltelefone von Richter Moro und Staatsanwalt Deltan Dallagnol. Von Experten als einwandfreie Fälschung dementiert, wurde der rechtsradikale Account schon sechs Stunden später gelöscht.

Die nächste Attacke landete Augusto Heleno – General im Ruhestand, jedoch amtierender Chef der Geheimdienste des Bolsonaro-Regimes – während einer Arbeitssitzung der Regierung. Mit einem Faustschlag auf den Tisch forderte der rechtsradikale Militär statt der nun landesweit geforderten Freilassung die „lebenslange Haft” von Ex-Präsident Lula, den er eine „Kanaille” nannte.

Als Protagonist des Mammut-Leaks verordnete der Ex-Richter und amtierende Justizminister Sérgio Moro eine Untersuchung des Falls durch die ihm unterstellte Polícia Federal. Mit anderen Worten: Moro ermittelt für sich selbst. Was davon zu erwarten ist, liegt auf der Hand.

Dem Schrei der Rechtsradikalen nach der „Deportation Greenwalds!” folgten bisher keine Taten, doch werden in verschiedenen privaten Rundfunksendern renommierte Ansager wie Paulo Henrique Amorim und selbst stockkonservative Kolumnisten wie Marco Antônio Villa auf Intervention Jair Bolsonaros entlassen, die sich – wie die konservative Entertainerin Rachel Sheherazade – dem Chor der Moro- und Bolsonaro-Kritiker anschlossen. Die Repression gegen missliebige Journalisten findet bereits statt.

Um sie zu umgehen und dem Leak Robustheit zu verleihen, war Greenwald u.a. von mir am 17. Juni auf Twitter vorgeschlagen worden, seine weiter geplanten Enthüllungen mit einem Kuratorium auch konservativer Medien und Persönlichkeiten herauszugeben. Ein Vorschlag, den Greenwald offenbar beherzigte, denn seit dem 20. Juni wird das Moro-Leak – außer von dem Journalisten Reinaldo Azevedo auf Radio Band News FM – auch von der konservativen, jedoch Bolsonaro-kritischen Tageszeitung Folha de São Paulo veröffentlicht, die Moros Behauptung einer angeblichen Fälschung seiner geleakten Telegram-Gespräche mit einem technischen Gutachten widersprach.

Auf seinem YouTube-Kanal TV Afiada (“Scharfes Fernsehen”) stellte der gerade kaltgestellte Journalist Paulo Henrique Amorim die ironische Frage, „wem noch wird Greenwald wohl eins auswischen?“. Und erklärte lächelnd: „Den US-Geheimdiensten, selbstverständlich!“, die seit dem von Greenwald publizierten Edward-Snowden-NSA-Leak seine erklärten Hauptfeinde seien beziehungsweise umgekehrt er von den Geheimdiensten so eingestuft werde.

Glenn Greenwald, von der Anwaltskanzlei in die Slums Rio de Janeiros

Leserinnen und Lesern, die den Snowden-Fall begleiteten oder Oliver Stones Spielfilmbearbeitung Snowden gesehen haben – in dem der Journalist von dem Schauspieler Zachary Quinto dargestellt wird – ist Greenwald seit 2013, spätestens seit 2016 immerhin in Erinnerung. Greenwald war es, den Snowden noch vor seiner Landung in Moskau mit Kopien seiner geheimen NSA-Überwachungs-Dateien versorgt und mit ihrer weltweiten Bekanntmachung beauftragt hatte.

Edward Glenn Greenwald ist ein 1967 geborener New Yorker Anwalt und Experte für Verfassungsrecht jüdischer Herkunft, der in den 1990er Jahren von seiner Anwaltskanzlei in die Blogger-Szene und von dort in den Journalismus umstieg. Der 52-jährige US-Amerikaner lebt seit eineinhalb Jahrzehnten in Rio de Janeiro in gleichgeschlechtlicher Ehe mit dem aus einem Elendsviertel stammenden Stadtverordneten David Miranda von der linken Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL).

Die Greenwald-Mirandas verfügen in den sozialen Netzwerken und in der LGBT-Szene über eine Schar hunderttausender Anhänger und Sympathisanten, die den Journalisten und den Politiker als bunte Familie mit humanistischer Ausstrahlung beschreibt. Moralisch hoch bewertet wird das Paar wegen der Adoption von zwei Waisenkindern aus armen nordostbrasilianischen Verhältnissen und seiner 2018 gestarteten, öffentlichen Kampagne zum Schutz verlassener Hunde, von denen die Familie mindestens ein Dutzend selbst in Pflege nahm.

Zum Jahresbeginn 2019 übernahm Miranda allerdings als Ersatzmann das Mandat des mehrfach bedrohten und nach Deutschland geflüchteten homosexuellen Parlamentsabgeordneten der PSOL Jean Wyllys. Bedrohungen gehören bei den Greenwald-Mirandas seit der Snowden-Affäre zur seit Jahren andauernden Begleiterscheinung ihres Alltags.

Die Geheimdienste und der “public enemy”

Unmittelbar nach Auftakt der NSA-Enthüllungen wurde zum Beispiel in die Wohnung Greenwalds in Rio de Janeiro eingebrochen und ein einziger Laptop gestohlen, doch andere Wertgegenstände demonstrativ unberührt hinterlassen. Wie im Fall Snowden gaben auch diesmal US-Politiker Interviews, in denen sie Greenwald für die Veröffentlichung der von Snowden überlassenen NSA-Unterlagen “kriminelle Handlungen” vorwarfen und Prozesse androhten.

In einer Londoner Parallelhandlung war die Tageszeitung The Guardian – die das Snowden-Leak in Partnerschaft mit The Intercept abgedruckt hatte – durch den britischen Geheimdienst GCHQ vielfachen Drohungen ausgesetzt. Reporter wurden der intensiven Überwachung unterzogen, wie Luke Harding in seinem 2013 veröffentlichten Buch “The Snowden Files” berichtete. Am 20. Juli 2013 wurde in den besetzten Redaktionsräumen die Redaktionsleitung dazu gezwungen, die Festplatten ihrer Computer vor den Augen der GCHQ-Agenten zu zerstören.

In einer Nebenhandlung trafen die vom NSA gesteuerten Repressalien des GCHQ Greenwalds Ehemann David Miranda. Im August 2013 wurde er von der Londoner Polizei verhaftet, als er während einer Zwischenlandung in England nach Brasilien weiterreisen wollte. Miranda wurde rüde verhört und bei Verweigerung von Rechtsmitteln – einen Anruf zu tätigen, geschweige denn einen Anwalt zu kontaktieren – 9 Stunden lang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Nach dem Verhör wurden sein Laptop, sein Telefon, seine Kamera und andere persönliche Gegenstände beschlagnahmt. Zur Rechtfertigung der Verhaftung beriefen die Sicherheitsbehörden sich lächerlicherweise auf das britische Anti-Terror-Gesetz (Annex 7 / Terrorism Act 2000). Der “Terrorverdacht” wurde selbstverständlich vor Ort und auch in der Folge niemals erwiesen und stillschweigend fallengelassen; er war ja nur eine vom NSA provozierte Einschüchterungsmaßnahme.

Die Belästigung Mirandas geschah nicht zufälligerweise als Reaktion auf den Auftritt Greenwalds im brasilianischen Parlament, in dem er im August 2013 die US-Regierung beschuldigte, sie habe den „War on Terror“ als Vorwand für die heimliche Überwachung genutzt, um US-Vorteile im Wettbewerb mit anderen Ländern in den Bereichen Wirtschaft, Industrie und Handel zu erzielen.

Wenige Monate später erklärte Greenwald am 18. Dezember 2013 vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres der Europäischen Kommission, dass „Großbritannien durch das Hacken und Abhören von Unterwasser-Glasfaserkabeln die größte Bedrohung für die Privatsphäre der Bürger der Europäischen Union darstellt, wenn es um Telefon und E-Mail geht”.

Kontroversen: The Intercept und die globale Medienfinanzierung des Pierre Omidyar

Wie seit dem 9. Juni auch in Deutschland bekannt, wird das Sérgio-Moro-Leak von The Intercept Brasil als Fortsetzungsreihe veröffentlicht. Die Publikation ist eine seit August 2016 erscheinende brasilianische Ausgabe der im Februar 2014 in den USA gestarteten Online-Zeitung The Intercept. Zu ihren Herausgebern zählten von Anbeginn Anwalt Glenn Greenwald, die Filmemacherin und Autorin Laura Poitras und Jeremy Scahill, investigativer Journalist, nationaler Sicherheitsexperte und Buch-Autor (Blackwater: The Rise of the World’s Most Powerful Mercenary Army). Das US-Team wird angeführt von Chefredakteurin Liliana Segura und den Autoren Dan Froomkin und Peter Maass, den Reportern Ryan Devereaux, Ryan Gallagher und Murtaza Hussain, der Politologin Marcy Wheeler, dem Rechtsanalysten Dan Novack und dem Technologieanalytiker Micah Lee.

Nach der spektakulären Veröffentlichung der Snowden-NSA-Akten sorgte The Intercept in Zusammenarbeit mit dem Spiegel im April 2015 für ansehnlichen Ärger in der NATO und den deutsch-amerikanischen Beziehungen mit der Enthüllung, die US-Militärbasis in Ramstein sei das “Hightech-Herz” des amerikanischen Drohnenprogramms; insbesondere der Killer-Drohnen. Wie bekannt, ist Ramstein der Standort einer Satelliten-Relaisstation, die es Drohnenbetreibern im amerikanischen Südwesten ermöglicht, mit ihren entfernten Flugzeugen in Jemen, Somalia, Afghanistan und anderen Zielländern zu kommunizieren.

The Intercept zitierte ein streng geheimes Dokument und eine vertrauliche Quelle, in der es hieß: „Ramstein gibt das Signal, der Drohne mitzuteilen, was zu tun ist, und gibt die Anzeige dessen zurück, was die Drohne sieht. Ohne Ramstein könnten Drohnen zumindest nicht funktionieren, wie sie es jetzt tun“ International Business Times, 05. Dezember 2017).

The Intercept gehört zur First-Look-Media-Gruppe im Besitz des E-Bay-Multimilliardärs Pierre Omidyar. Die Projektstart- und -unterhaltungskosten sollen sich auf mehrere Millionen US-Dollar belaufen haben. Das Redaktionskonzept beruft sich auf einen vage definierten „entgegengesetzten Journalismus”.

Zu den von Omidyar geförderten Medien im globalen Maßstab gehören Nachrichten- und Kommentar-Magazine, selbsternannte Fact-Checking-Agenturen, die gemeinnützige Datenfirma New Knowledge, Websites, Filmproduktionsgesellschaften sowie die Förderung des International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ), das die Panama Papers verwaltet und die strategische Weitergabe des durchgesickerten Datenbestandes an handverlesene Journalisten überwacht. Nach Angaben der im US-amerikanischen Minnesota herausgegebenen Online-Zeitung Mintpress summieren sich Omidyars Investitionen in das Netzwerk auf mindestens 100 Millionen US-Dollar. Die Mintpress-Autoren Alexander Rubinstein und Max Blumenthal unterstellen Omidyar vielfache Interessenkonflikte und obskure politische Absichten.

„Hinter dem Image, das er als ´progressiver Philanthrop´ kultiviert, hat Omidyar sein Medienimperium eingesetzt, um den Washingtoner Konsens in strategischen Brennpunkten rund um den Globus voranzutreiben. Sein Vermögen half dabei, einen Absatzmarkt für einen destabilisierenden Putsch in der Ukraine zu finden. Er hat geholfen, ein Netzwerk von oppositionellen Jugendaktivisten und Bloggern in Simbabwe aufzubauen. Auf den Philippinen hat er in eine oppositionelle Nachrichten-Website investiert, die Unternehmensüberwachungstechniken wie einen ´Stimmungsmesser… zur Erfassung nichtrationaler Reaktionen´ verfeinert. In der Zwischenzeit hat er eng mit den führenden US-amerikanischen Soft-Power-Stiftungen (für den Regime Change) wie der Agentur für internationale Hilfe und Entwicklung (USAID) oder dem (CIA-gesteuerten) National Endowment for Democracy (NED) als Verbündete für Projekte im Stil des Informationskriegs in Ländern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet“, behaupteten die beiden US-Autoren, ohne jedoch stichhaltige Beweise vorzulegen.

Mit der Herausgabe von The Intercept und der Rekrutierung jener Journalisten (wie Greenwald), die über die Snowden-Leaks verfügten, „hat der Milliardär die Akten effektiv privatisiert”, werfen die US-Autoren dem E-Bay-Besitzer in einer dreiteiligen, wortgewandten Artikelserie vor. Dies verzögerte nicht nur ihre vollständige Freigabe, sondern verweigerte der Öffentlichkeit auch den Zugang zu den Informationen, um seinem Stall angestellter Reporter exklusive Informationen zukommen zu lassen, die noch Jahre nach dem Leak auftauchen. “Bis zum heutigen Tag wurde nur ein winziger Prozentsatz der Snowden-Dateien veröffentlicht, und aus welchem Grund auch immer, keine der veröffentlichten Dateien bezieht sich auf eBay oder seine verschiedenen Geschäftsinteressen”, klagen Rubinstein und Blumenthal, der seit 2015 auch mehrfach im russischen Staatssender Russia Today auftrat.

Hart nehmen Rubinstein und Blumenthal Omydiars Dokumentarfilmabteilung Field of Vision ins Gebet. Zu ihren frühen Produktionen gehört zum Beispiel Risk, eine negative Darstellung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Anwälte von Wikileaks beschuldigten Regisseurin und Ex-Intercept-Mitherausgeberin Laura Poitras, „WikiLeaks genauso zu untergraben“ wie die Trump-Administration die Verfolgung ihrer Journalisten, Redakteure und Mitarbeiter angekündigt hat. Des Weiteren habe eine Field-of-Vision-Dokumentation zu den Panama Papers im Trailer als PR-Medium für das von Omidyar finanzierte International Consortium of Investigative Journalism und den Journalisten Luke Harding fungiert. Harding sei jener von Russland besessene Guardian-Korrespondent, der seinerzeit einen Bericht über Treffen zwischen Assange und dem ehemaligen Trump-Kampagnenmanager Paul Manafort verfasst hatte.

Zu einem vernichtenden Urteil verleitet allerdings Omidyars Werbung für den „Dokumentarfilm” Last Men In Aleppo – ein 2017 für den Oscar nominiertes Propaganda-Stück der syrischen Weißhelme – das vom Sundance Festival Robert Redfords ausgezeichnet wurde. Wie hinlänglich bekannt, sind die White Helmets eine syrische „Bergungsgruppe für zivile Kriegsopfer“, die von einem ehemaligen britischen Militärgeheimdienstler in der Türkei gegründet wurde. Ausschließlich auf usurpiertem Rebellenterrain wie jenem der Al-Qaida in Idlib tätig, wurden die White Helmets von der USAID, dem britischen Außenministerium und der katarischen Monarchie finanziert. Über die in Großbritannien ansässige PR-Abteilung Syria Campaign standen die White Helmets an der Spitze der PR-Bemühungen um US-Luftangriffe und Sanktionen gegen den syrischen Staat.

Omidyars The Intercept diente als Vehikel für diese PR-Kampagne. Mit seinem Artikel „Syria’s White Helmets Risk Everything for Victims of airstrikes“ verstieg sich Hausautor Murtaza Hussain zum peinlichen Pressereferenten des medialen White-Helmet-Betrugs.

Titelbild: Marcelo Chello/shutterstock.com


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