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Titel: Notre Dame: Verlass dich auf Milliardäre und du bist verlassen

Datum: 25. Juli 2019 um 10:06 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kultur und Kulturpolitik, Länderberichte, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Die von Frankreichs Superreichen mit großer Geste angekündigten Spenden für Notre Dame werden nicht bezahlt. Der Vorgang zeigt erneut, dass auf freiwillige Leistungen von Milliardären kein Verlass ist. Das Prinzip des privaten Kultursponsorings bliebe auch dann problematisch, wenn die Gelder irgendwann fließen sollten: Reichtum darf keinen Einfluss auf die Kulturlandschaft ermöglichen. Kultur darf nicht zur Bühne für leere Posen von Begüterten werden. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als die Pariser Kathedrale Notre Dame im April 2019 in Flammen stand, da überboten sich Frankreichs Milliardäre mit ihren Posen der angeblichen Freigiebigkeit. Aber von den rund 850 Millionen angekündigten Spenden sind bisher nur knapp 38 Millionen auch tatsächlich eingegangen, wie der „Deutschlandfunk“ meldet. Viele Großspender haben noch gar nicht überwiesen, die Spenden kamen aus der Bevölkerung. „Trotz Ankündigung: Milliardäre haben noch keinen Cent für Notre Dame gespendet“, schreibt auch der „Stern“. Der Pressesprecher von Notre Dame sagte demnach der britischen Tageszeitung „Metro“

„Die großen Spenden wurden nicht gezahlt. Kein Cent davon. Sie (die ‚Spender‘) wollen erst wissen, wofür genau ihr Geld ausgegeben wird und ob sie damit einverstanden sind, bevor sie es spenden, sie wollen nicht einfach die Gehälter der Arbeitskräfte zahlen.“

Dreiste Einmischung durch reiche „Spender“

Der Vorgang ist vor allem in zweifacher Hinsicht empörend: Zum einen, weil durch die Verweigerung der angekündigten Spenden der Akt der Ankündigung zu einer leeren Pose der Heuchelei verkommt. Zum anderen, weil die Haltung, „man wolle erstmal sehen, was mit den Spenden bezahlt werden soll“, eine dreiste Einmischung darstellt. Der „Guardian“ kommentiert den aktuellen Vorgang treffend:

„Sie (die ‚Spender’) haben ihre Ankündigungen als Werbung genutzt, und sich mittlerweile aber ein Kleingedrucktes ausgedacht, das es im Frühjahr noch nicht gab. Wie eine weitere Wohltätigkeitsorganisation, Célia Vérot, sagte: ‘Es ist eine freiwillige Spende, also warten die Unternehmen auf die Vision der Regierung, um zu sehen, was genau sie finanzieren wollen.’ Es ist, als wäre der Wiederaufbau ein Frühstücksbuffet, von dem man wählen könnte. (…) Die Milliardäre erhalten exklusiven Zugang zur ‚Vision‘ für den Wiederaufbau eines nationalen Wahrzeichens und können gegen diese Pläne ein Veto einlegen, denn wenn sie sie nicht mögen, können sie ihr Geld zurückhalten.“

Spenden – ohne Hintergedanken! – sind gut

Spenden sollen in diesem Text nicht grundsätzlich diffamiert werden: Begüterte und finanziell bevorteilte Menschen sollen nicht davon abgehalten werden, sich finanziell gemeinnützig einzubringen! Aber solche Spenden dürfen nicht als Vorwand für staatliche Kürzungen dienen, sie dürfen nicht zur Werbung missbraucht werden und sie dürfen nicht mit politischer Einflussnahme verbunden sein.

Weitere Fragen drängen sich zum „Kultursponsoring“ durch Superreiche auf: Haben private Großspender das Recht, die Kulturlandschaften zu prägen, nur weil sie wohlhabend sind? Haben sie das Recht, sich als besonders „freigiebige“ Mitglieder der Gesellschaft darzustellen und mit diesem ungerechtfertigten Status zu werben? Muss man ihnen gar für ihr „kulturelles Engagement“ dankbar sein? Und: Hat der Staat das Recht, die Konzerne durch seine Untätigkeit erst in die Lage zu versetzen, sich als „kulturelle Wohltäter“ produzieren zu können?

Die Spender, der Präsident und die Steuersenkungen

Die französische Ökonomin Julia Cagé betont laut „Guardian“, dass einige der Personen, die besonders „freigiebig“ Spenden an Notre Dame versprochen haben, zu denen gehören, die Emmanuel Macrons Aufstieg zur Präsidentschaft finanziert haben. In ihrem jüngsten Buch rechnet Cagé demnach vor, dass 600 wohlhabende Menschen in Frankreich zwischen 3 und 4,5 Millionen Euro für den Wahlkampf von Macron bereitgestellt haben. Mit anderen Worten: Zwei Prozent aller Spender machten zwischen 40 und 60 Prozent der gesamten Mittel für „En Marche“ aus. Innerhalb weniger Monate habe der neue Präsident dann die Steuern für die Reichen gesenkt und seinen Spendern dadurch “eine Rendite von fast 60.000% auf ihre Investition“ beschert, wie die britische Zeitung zitiert .

Angesichts einer durch die „Spenden“-Ankündigungen ausgelösten sozialen Debatte hatte der Beauftragte für Kulturgüter Frankreichs im Frühjahr zu mehr Gelassenheit aufgerufen: “Man kann nicht schockiert sein von der Tatsache, dass Menschen das Gefühl haben, Notre-Dame de Paris sei so etwas wie die Seele Frankreichs”, sagte Stéphane Bern dem Sender „Franceinfo“. Aber auch er fügte an: “Ich würde mir aber ebenfalls wünschen, dass man zwei Milliarden gibt, damit niemand mehr auf der Straße schlafen muss”, sagte Bern.

Staat muss privater Einflussnahme durch „Kultur“ entgegentreten

Zum Komplex des Kultursponsorings haben die NachDenkSeiten bereits geschrieben: Es ist höchste Zeit, den zahlreichen verschiedenen Facetten der kulturellen Einflussnahme und Verknappung durch Privatleute entgegenzutreten. Dabei wäre eine Finanz- und Kulturpolitik hilfreich, die den Staat mit ausreichend Mitteln versorgt und gleichzeitig das Entstehen von Privatvermögen in obszöner Höhe (und die damit einhergehende Machtposition) verhindert. Zur prinzipiellen Problematik der Einflussnahme ergänzte kürzlich der US-Kommentator David Callahan ein weiteres Beispiel:

„Meine Bedenken sind außerdem, dass auch das, was am Ende präsentiert wird, vor allem das Denken von reichen Unternehmern reflektiert. Und die denken nicht wie du und ich. Weil reiche Spender sagen, wo es langgeht, werden vor allem ihre Ansichten und Werte reflektiert.“

Als Beispiel nennt er den auch politisch ambitionierten Spender Eli Broad:„Alle lieben sein Museum und was er für die Kunstszene getan hat. Aber warum soll er als einzelne Person so viel Einfluss auf die Politik haben? Nur weil er reich ist? Das ist nicht demokratisch. Er steuert mit seinem Geld Kunst und politische Reformen.“ Callahan fügt an:

„Das ist viel Macht für einen Mann.“

Titelbild: Loic Salan / Shutterstock

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