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Titel: Eine Analyse des „Assange helfen“ in der Süddeutschen Zeitung

Datum: 22. Januar 2020 um 16:37 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Am letzten Freitag erschien in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung und online der Kommentar: „Assange helfen“ bzw. „Helft Assange“. Da freut man sich als Pressefreiheits-Enthusiast und Assange-Unterstützer natürlich. Beim Lesen des Textes von Heribert Prantl kommt dann aber doch recht schnell ein flaues Gefühl auf, weil der Artikel doch einige Unschärfen und Fragwürdigkeiten zu enthalten scheint. Da der Text hinter einer Bezahlschranke im Internet steht, werde ich im Folgenden einige Sätze zitieren, einem Faktencheck unterziehen bzw. mit zusätzlichen Fakten anreichern und die Affäre aus meinem Blickwinkel beleuchten. Versuch einer Erläuterung von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Über dem eigentlichen Text von Heribert Prantl heißt es eingangs:

„Der kranke Whistleblower im Hochsicherheitsgefängnis ist ein Märtyrer der Aufdeckung. Auch wer ihn nicht mag, muss Mitleid mit ihm haben.“

Julian Assange ist ein Publizist und kein Whistleblower wie Chelsea Manning oder Edward Snowden, die Missstände in ihren eigenen Organisationen beobachten mussten und sich dann an die Öffentlichkeit gewandt haben. Julian Assange hat die von Manning aufgedeckten Missstände auf der von ihm mitgegründeten Webseite Wikileaks publiziert.

Nicht nur ich bin der Meinung, dass er somit ein Publizist und Journalist ist, dessen Rede- und Pressefreiheit im 1. Zusatzartikel der US-Verfassung garantiert ist, so steht es dort zumindest geschrieben. Whistleblower gelten vielen, nicht nur in den USA, als „Nestbeschmutzer“ und genießen bisher wenig bis gar keinen Schutz. Es ist für manchen altgedienten Journalisten natürlich nicht so leicht, Julian Assange als vollwertigen Kollegen anzuerkennen.

Auch geht es in diesem Fall nicht vordringlich um Mitleid, sondern schlicht und einfach um die Durchsetzung von Herrn Assanges Rechten. Darunter fallen z.B. ausreichender Kontakt zu seinen Anwälten, um sich auf das Auslieferungsverfahren vorzubereiten, Recht auf körperliche Unversehrtheit und somit Transfer in ein sicheres Krankenhaus, wie von zahlreichen Ärzten weltweit gefordert.

„Assange ist kein Dreyfus. Und trotzdem erinnert die US-Jagd auf ihn an diese alte, berühmte und berüchtigte Affäre.“

Hier hat Herr Prantl Recht.

„Der Brief von Zola gab dann der Affäre die entscheidende Wendung und führte zur Rehabilitierung von Dreyfus. Der Titel des Briefes von Zola „J‘accuse“ („Ich klage an“) wurde zur Bezeichnung für eine mutige Meinungsäußerung gegen Machtmissbrauch. Es ist Zeit für eine (sic) neuen, eindringlichen Appell, Zeit für ein neues J‘accuse. Dafür braucht es heute gar nicht so viel Mut.“

Wenn dem so ist, frage ich mich, warum Herr Prantl nicht zur Feder greift, denn auch wenn er nicht so bekannt ist wie Zola seinerzeit, so könnte er doch mit einer entschiedenen Parteinahme Assange wirklich helfen.

Wir lesen, dass Assange bedrängt und belauscht in der Botschaft saß, und nun dem Tode nahe im Hochsicherheitsgefängnis. Das sind eindeutige Zeilen, aber dann kommt:

„Er ist kein Dreyfus, er ist nicht besonders sympathisch, er ist ein Egomane, ein Narziss.“

Erstens fragt man sich, woher Heribert Prantl dies mit der Sicherheit weiß, die man zum Abdruck in einer Zeitung eigentlich haben sollte. Wenn ich mir die doch lange Liste von Menschen wie Vaughan Smith, Kristinn Hrafnsson, John Pilger, Pamela Anderson, Angela Richter, Srećko Horvat, M.I.A. usw. ansehe, die Julian Assange über einen langen Zeitraum die Stange gehalten haben, dann würde ich vermuten, dass er ganz so unsympathisch doch nicht sein kann. Warum müssen in einen Text, der mit „Helft Assange“ überschrieben ist, solche unbelegten Behauptungen eingeflochten werden?

Zugegeben, sogar die Richterin, die Assange Anfang Mai zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt hatte, trat dann noch nach und nannte ihn einen Narzissten, obwohl er in der Verhandlung gerade mal ein paar Sätze gesagt hatte. Aber vielleicht rührte diese Bemerkung auch vom Lesen „liberaler“ Medien her. Leider ist es nur zu menschlich, dass wir ungeprüft Behauptungen im Kreise wiederholen, und diese dadurch immer stärker werden und irgendwann als wahr erscheinen. Da ist es gut, innezuhalten und zu prüfen bzw. nach Quelle und Zweck von Aussagen zu suchen.

Im folgenden längeren Absatz beschreibt Heribert Prantl die Verdienste von Assange und Wikileaks und er beschreibt die Wichtigkeit der enthüllten Informationen. Da denkt man, Zola sei dabei, wieder aufzuerstehen, wenn das nicht auch schon wieder mit Bemerkungen wie „… aber im Überlegenheitsrausch nicht wenige Fehler gemacht hat“ relativiert würde. Natürlich will man keine Lobhudeleien, aber „nicht wenige Fehler“ ist nicht unbedingt das Beiwerk für einen leidenschaftlichen Appell. Julian Assange sitzt bedrängt und ohne richtiges Sprachrohr im Hochsicherheitstrakt. Wenn man sich wirklich für ihn einsetzen will, sollte man warten, bis er in Freiheit ist und über diese Fragen einen Dialog auf Augenhöhe und mit den gleichen Möglichkeiten führen kann, obwohl es auch dann schwer sein kann, wenn kein Medium mit großer Reichweite alle Seiten zu Wort kommen lässt.

Nach der durchwachsenen Schilderung von Assanges Verdiensten geht es weiter mit:

„Man wirft Assange aber auch nicht zu Unrecht vor, dass er Material ungeprüft veröffentlicht hat, dass er Kollateralschäden in Kauf genommen hat – etwa die Enttarnung von Informanten, von kleinen afghanischen Bauern, die gegen Taliban ausgesagt hatten.“

Ich hätte hier von „afghanischen Kleinbauern“ geschrieben, aber vielleicht wäre es mir auch nicht aufgefallen. Julian Assange bestreitet unterdessen, dass er dies in Kauf genommen hat.

Am 20.4. 2015 schrieb Assange in Newsweek: „Harding’s co-author on that book – the self-styled former senior Guardian editor David Leigh – is absent in The Snowden Files. This is good: In writing about his work with me on the WikiLeaks material, Leigh chose—over my explicit warnings—to print a confidential encryption password as a chapter heading, undoing eight months of our work (and of over a hundred other media organizations) and resulting in the dumping of hundreds of thousands of State Department cables onto the Internet without the selective redactions that had been carefully prepared for them.“ „Hardings (Guardian-Reporter, Anm. MM) Co-Autor dieses Buches – der selbsternannte ehemalige Senior-Guardian-Herausgeber David Leigh – ist in The Snowden Files (Hardings Buch, Anm. MM) nicht zu finden. Das ist gut: Als er über seine Arbeit mit mir an dem WikiLeaks-Material schrieb, wählte Leigh – über meine ausdrücklichen Warnungen hinweg – ein vertrauliches Verschlüsselungspasswort als Kapitelüberschrift, was acht Monate unserer Arbeit (und von über hundert anderen Medienorganisationen) zunichtemachte und dazu führte, dass Hunderttausende von Kabeln des Außenministeriums ohne die selektiven Redigierungen, die sorgfältig für sie vorbereitet worden waren, ins Internet geworfen wurden.“

Hier stehen also zwei Ansichten gegeneinander, und die Formulierung „nicht zu Unrecht“ zeigt nicht die Komplexität dieses wichtigen Punktes auf. Denn die Inkaufnahme von eben diesen Kollateralschäden ist zentraler Punkt der US-Anklage und wird dort mehrfach wiederholt, allerdings ohne auch nur einen einzigen Fall zu nennen, wo auch ein Schaden eingetreten ist. So etwas ist natürlich auch schwer zu beweisen, aber bei Assange auf solchen vermuteten Kollateralschäden herumzureiten, während das anklagende Land tagtäglich getötete Zivilisten in Kauf nimmt, wirkt zumindest absonderlich.

Ich will hier nicht irgendwelche Dinge gegeneinander aufwiegen, sondern nur dafür werben, vorsichtig zu sein, bevor man mit vielleicht gut oder objektiv gemeinten Bemerkungen in das gleiche Horn stößt wie die Ankläger von Assange, vor allem, wenn man ihm „helfen“ will. Zumindest sollte auch seine Sicht der Dinge Erwähnung finden.

„Man hat Assange vorgeworfen, dass er sich von Russen im US-Wahlkampf gegen Hillary Clinton und für Donald Trump habe instrumentalisieren lassen.“, steht in der SZ. „Vorgeworfen“ anstatt „bewiesen“, „Russen“ anstatt bestimmte Personen. Ist Herr Prantl der Meinung, dass die Tatsache, wie Bernie Sanders im US-Vorwahlkampf behindert und ausgetrickst wurde, nicht von Wikileaks an die Öffentlichkeit hätte gebracht werden sollen? Kritik üben ist gut, auch an Personen, die einem nahestehen oder denen man „helfen“ will, aber die Kritik sollte auch fundiert sein.

„Hinzu kommt ein schwerer Fehler, den Assange gemacht hat, als er sich den Ermittlungen der schwedischen Justiz wegen Vergewaltigung durch Flucht entzogen hat […]“

Hier wird als Flucht bezeichnet, was vorher noch korrekt Asyl genannt wird. Julian Assange hat sich, nachdem die Vorwürfe gegen ihn in Schweden erhoben und am nächsten Tag illegalerweise in den dortigen Boulevardzeitungen veröffentlicht wurden, noch einen Monat in Schweden aufgehalten, hat mit den dortigen Behörden kooperiert und um deren Erlaubnis gefragt, bevor er zur Präsentation weiterer Wikileaks-Veröffentlichungen nach London reiste, wo ihn nach wenigen Tagen plötzlich ein Europäischer Haftbefehl ereilte, ausgestellt von einem Staatsanwalt und nicht, wie laut Gesetz vorgesehen, von einem Richter.

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, der in der SZ auch noch Erwähnung findet, hat diese Vorgänge sehr gut beschrieben und auf Telepolis ist ein fundiertes Interview mit ihm erschienen, in dem auch ausführlich auf die Fluchtvorwürfe eingegangen wird.

Weiter heißt es in der SZ:

„Der Vergewaltigungsvorwurf klebt an ihm, obwohl die Ermittlungen mittlerweile eingestellt wurden.“

Erstens hätte es „zum dritten Mal eingestellt“ heißen können/müssen, und zweitens kleben sie wegen genau solchen Sätzen so gut, in denen die Vorwürfe, die in 9 Jahren nie zur Anklage gekommen sind, uninformiert und gebetsmühlenartig wiederholt werden. Wenigstens lässt Heribert Prantl im nächsten Satz die Möglichkeit aufkommen, dass diese Vorwürfe „inszeniert“ wurden. Er bezieht sich da auf „Leute, die glauben“.

Wenn man hier etwas genauer nachforscht, dann kann man mit einer Sicherheit, die weit über „glauben“ liegt, sagen, dass Assanges Geschlechtsverkehr mit den beiden schwedischen Frauen von interessierter Seite zu seinem Nachteil ausgenutzt wurde. Hier ist übrigens seine Darstellung der Ereignisse, auf Englisch und sehr ausführlich.

„Selbst wer diesen Mann nicht mag, muss Mitleid haben. Und wer kein Mitleid hat, sollte Leidenschaft für die Menschenrechte haben.“

Wie schon oben geschrieben ist der erste Satz unnötig bzw. sollte an zweiter Stelle kommen. Und auch im wichtigeren zweiten Satz könnte man den weitläufigen Begriff „Menschenrechte“ mit „Assanges Rechten“ ersetzen.

Der Rest des Absatzes beschreibt sehr gut die Foltervorwürfe, die Nils Melzer in dieser Sache erhebt, und den mangelnden Zugang zu Akten und Rechtsbeistand, und man freut sich, dass Zola doch noch seinen Kopf erhebt, doch dann kommt ein weiteres Schmankerl der Distanzierung.

„Assange ist ein armes Schwein.“

„Und er ist ein Märtyrer. Märtyrer sind in ihrer Rigorosität, oft auch in ihrer Besessenheit, nicht unbedingt sympathische Menschen.“

Es ist ja nett, Julian Assange als Märtyrer zu bezeichnen, obwohl das auch oft Tod und Kreuzigung beinhaltet, aber so eine Verallgemeinerung muss ja wohl nicht sein. Hat Heribert Prantl denn schon zahlreiche Märtyrer getroffen, um zu diesem Urteil zu gelangen?

Dann kommt, dass die Grund- und Menschenrechte auch insbesondere für Märtyrer gelten, und „Der schwer kranke Julian Assange muss aus der Haft entlassen werden“. Bravo, Herr Zola! Und „Ohne die Zivilcourage derer, die Missstände aufdecken, kann eine Gesellschaft nicht leben.“ Wiederum Bravo! „Der Einsatz der EU für Assange ist ein Prüfstein.“ Auch dem stimme ich von ganzem Herzen zu, doch sehe ich von Seiten der EU eher Ignoranz als Einsatz. Hier könnte Heribert „Zola“ Prantl vielleicht seinen doch sicher nicht unerheblichen Einfluss geltend machen bzw. eindeutiger für Julian Assange und die Pressefreiheit eintreten, auch aus Eigeninteresse.

Schade, dass es in diesem Artikel noch nicht ganz hingehauen hat und die Ausbrüche der Leidenschaft mehrmals von Zurückrudern, Distanzierungen und Relativierungen unterbrochen werden, oder umgekehrt. Ich würde dafür plädieren, gemeinsam mit Herrn Prantl alles daran zu setzen, Julian Assange aus seiner prekären Lage zu befreien, und dann, wenn er sich in Sicherheit befindet und er auch gescheit antworten kann, über sein Wirken zu diskutieren, und dann träten wohl auch seine Charaktereigenschaften zutage. Lassen wir uns überraschen.

Wer selbst mithelfen will, dass Julian Assange freikommt, kann sich vielleicht bei einer der nachfolgenden Veranstaltungen engagieren oder anders aktiv werden:

Hier der Link zu Candles4Assange Deutschland mit Links zu Mahnwachen an vielen Orten Europas.

Pressefreiheits-Aktionsbüro in Brüssel.

Antikriegsdemo am Samstag 25.1. an mehreren Orten.


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