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Titel: Linkenpolitiker kritisieren NRW-Regierung: Warme Worte, wenn es um Sicherung von Arbeitsplätzen geht

Datum: 10. März 2020 um 8:42 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Interviews, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Arbeitsplätze und Sozialstandards sichern, aber dennoch nachhaltig produzieren, um den Planeten zu schützen: Das fordern Christian Leye und Jules El-Khatib von der Linkspartei. Am 14. März findet eine von ihnen organisierte Tagung in Duisburg statt, bei der es darum geht, wie die Industriepolitik in Deutschland, speziell auch „im Revier“, zukunftsfähig gemacht werden kann. Im NachDenkSeiten-Interview legen die Linkenpolitiker dar, dass der Strukturwandel im „Rheinischen Revier“ vor fünf großen Herausforderungen steht. Unter anderem komme es darauf an, ihn zu „demokratisieren“. Kritik üben Leye und El-Khatib an Bundes- und Landesregierung: „Die Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre hatte eine klare Tendenz: Die Kapitalseite wurde gestärkt, während die Beschäftigten geschwächt wurden.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Leye, Herr El-Khatib, wie sieht es auf dem Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen aus?

Christian Leye: Nach wie vor schwierig, deswegen ist der Kampf um die industriellen Kerne auch so wichtig. Wir haben mit über 900.000 Menschen viele Erwerbslose in NRW. Rund jeder zweite neue Job ist befristet, wir haben rund 1,8 Millionen Minijobs in NRW. Besonders betroffen ist das Ruhrgebiet, wo inzwischen etwa jeder Fünfte von Armut betroffen ist. Deswegen ist der Kampf um Industriearbeitsplätze auch so wichtig. Zunächst einmal werden die häufig deutlich besser bezahlt als Jobs in vielen anderen Branchen. Wenn sie wegbrechen, finden viele Beschäftigte oft keinen ähnlich gut bezahlten Arbeitsplatz. Außerdem hängen oft Zulieferfirmen an Industriearbeitsplätzen – auch aus dem Dienstleistungssektor. Und schließlich geben die Menschen ihr Geld in der Region aus, sie gehen hier in die Pizzeria, zum Friseur oder in den Einzelhandel.    

Am 14. März findet eine Konferenz statt, die Sie organisiert haben. Es geht um den „Kampf für Transformation und gegen Erwerbslosigkeit“. Was hat es mit diesem „Kampf um Transformation“ auf sich?

Jules El-Khatib: Durch die Digitalisierung und Automatisierung gab es in der Industrie einen Abbau von Arbeitsplätzen, gleichzeitig fehlt es in vielen Bereichen an einer Modernisierung der Technologie und an einer Umstellung auf eine ökologische Produktionsweise. Denn die Unternehmen haben an Produktionsverfahren festgehalten, die veraltet sind und un-ökologisch, dies liegt vor allem daran, dass die Gewinne wichtiger sind als Arbeitsplätze oder Umweltstandards. Deutlich wird dies zum Beispiel bei Thyssen-Krupp. Jahrelang haben Betriebsrat und IG Metall darauf aufmerksam gemacht, dass in die Zukunft investiert werden muss, dies ist nicht geschehen, nun sind die Arbeitsplätze in Gefahr. Als LINKE fordern wir kurzfristig, dass auf eine nachhaltige Produktion umgestellt wird, die nicht den Planeten zerstört und gleichzeitig Arbeitsplätze und Sozialstandards sichert. Darüber hinaus wollen wir mit den Gewerkschaften debattieren, welche Möglichkeiten es gibt, um eine Veränderung der Industrie weg von einer Fokussierung auf eine Steigerung der Gewinne hin zu einer wirklichen Mitbestimmung der Beschäftigten und neuen Eigentumsformen zu bekommen.

Stichwort Strukturwandel im „Rheinischen Revier“. Was genau sind die Herausforderungen?

Christian Leye: Der Strukturwandel im „Rheinischen Revier“ ist vor allem eine soziale Herausforderung. Sie ist nur gesamtgesellschaftlich unter Einbeziehung aller sozialen Kräfte und insbesondere der Gewerkschaften zu lösen.

Es gibt fünf große Herausforderungen: Erstens der Erhalt des Rheinischen Reviers als Industrieregion. Zweitens die Entwicklung der Region zu einer europäischen Modellregion für Energieversorgungssicherheit. Die Basis dafür müssen regenerative Energien und Speichertechnologien sein. Drittens die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei müssen wir uns besonders um Beschäftigte mit einfacher Qualifikation in den Zulieferer- und Dienstleistungsbereichen kümmern, etwa Industriereiniger oder Gerüstbauer. Die unmittelbar in der Braunkohle-/Energieindustrie Beschäftigten sind besser qualifiziert, verdienen deutlich besser, sind deutlich besser abgesichert und werden nicht ins „Bergfreie“ fallen. Bereits 2013 waren mehr als 2/3 der Beschäftigten in der Braunkohle älter als 46 Jahre; sie werden nach den Zeitplänen also im Grundsatz nahtlos von der Arbeit in die Rente gehen können. Viertens die Stärkung und der Ausbau des dezentralen öffentlichen und ökologischen Energiesektors. Fünftens schließlich die Demokratisierung des Strukturwandelprozesses, das heißt umfassende Unterrichtung und Beteiligung der Bürger an Investitions- und Verwaltungsentscheidungen beim sozial-ökologischen Umbau der Region.

Wie bewerten Sie die Politik der aktuellen Regierung?

Jules El-Khatib: Sowohl die Landes- als auch die Bundesregierung tun nichts, um die Situation der Beschäftigten in diesem Land zu verbessern. Im Gegenteil, in immer mehr Bereichen werden Stellen abgebaut, ohne dass die Regierung einschreitet oder gar Konzepte entwirft, wie die Arbeitsplätze nicht nur gesichert werden können, sondern auch die sozialen Standards erhöht werden. Immer wieder berichten Betriebsräte davon, dass sie sich an die Regierenden wenden, um ihnen ihre Sorge über die Entwicklung kund zu tun, doch außer ein paar warmen Worten gibt es nichts. Dabei wäre es insbesondere im Kontext der drohenden Verkäufe in vielen Metallbetrieben an der Zeit, die Frage zu diskutieren, unter welchen Bedingungen Konzerne oder Sparten verstaatlicht werden können.

Deutlich wird dies auch an dem fatalen Festhalten an der Schuldenbremse , statt Geld zu investieren, welches selten so günstig möglich war wie aktuell. Statt Arbeitsplätze zu sichern und die Produktion ökologisch zu modernisieren, sollen die Steuern für Unternehmen gesenkt werden. Das Signal ist somit: Kurzfristige Gewinne sind wichtiger als Arbeit und Umwelt. Die Bundesregierung versagt auf ganzer Linie und die Landesregierung steht dem in nichts nach.

Was kritisieren Sie noch?

Christian Leye: Wenn Industrieunternehmen wackeln, steht die Politik oft hilflos daneben. Wir brauchen Mittel, um das gesellschaftliche Interesse an dem Erhalt und dem sozialökologischen Umbau von Industrieunternehmen durchsetzen zu können. Deswegen schlagen wir die Gründung einer Industriestiftung vor. Die Idee kommt aus dem Saarland, wo damals unter Oskar Lafontaine die Stahlindustrie gerettet wurde. Wir schlagen vor, mit öffentlichen Mitteln bei bedrohten Unternehmen einzusteigen – aktuell etwa bei Thyssenkrupp. In diesem Schritt könnten gleich die aggressiven Finanzinvestoren rausgedrängt werden. Warum sollte es normal sein, dass aggressive Kapitalfonds zehntausende soziale Existenzen für ihren Profit gefährden dürfen, während eine Landesbeteiligung verteufelt wird? So nimmt die Politik den Druck der Renditemaximierung aus dem angeschlagenen Unternehmen und demokratisiert wirtschaftliche Entscheidungen, die uns alle in NRW angehen. Denn die Stiftung sollte die Beschäftigten, die Gewerkschaften, aber auch die Kommunalpolitik an den Entscheidungen beteiligen. Der Einstieg der Industriestiftung ist eine Voraussetzung für den zweiten Schritt: Die Industriestiftung nimmt eine Anleihe mit langer Laufzeit auf, um die notwendigen Investitionen bei Thyssenkrupp zu stemmen. Das Geld wird investiert in Thyssenkrupp, um die Arbeitsplätze langfristig zu retten und die Produktion ökologischer zu gestalten. Was verrückt klingt, ist längst Praxis: Der Staat leiht sich derzeit ohne einen einzigen Cent Kosten Geld für 30 Jahre am Finanzmarkt – eine einmalige Chance für uns in Nordrhein-Westfalen, um uns für die Zukunft aufzustellen. Grundsätzlich ist es an der Zeit, dass wir wirtschaftspolitisch umdenken und Vergesellschaftungen nicht länger verteufelt werden. 

Wie ist die Stimmung bei den Arbeitern im Revier?

Jules El-Khatib: Vor einigen Wochen hatte die IG-Metall zum “Tag des Zorns” aufgerufen, der Titel verdeutlicht die Stimmung gut. Die Kolleginnen und Kollegen haben Sorge um ihre Arbeitsplätze und um ihre Zukunft, sie sind aber auch wütend, dass die Unternehmen seit Jahren die Vorschläge der Gewerkschaften ignorieren und es stattdessen vor allem um Gewinne und Aktienmärkte ging. Dies ist nicht nur im Ruhrgebiet deutlich, sondern auch in anderen Regionen wie Stuttgart, wo mehr als Zehntausend Beschäftigte auf die Straße gingen gegen die aktuelle Entwicklung.

Welche Fehler sehen Sie auf bundespolitischer Ebene im Hinblick auf den Arbeitsmarkt?

Christian Leye: Die Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre hatte eine klare Tendenz: Die Kapitalseite wurde gestärkt, während die Beschäftigten geschwächt wurden. Die Agendapolitik war dabei der härteste Angriff. Menschen sollten durch den Druck der Armut und die Möglichkeiten der Sanktionen in den Niedriglohnsektor gepresst werden, der mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes vorbereitet wurde. Und das hatte natürlich auch Folgen für das gesamte Lohngefüge. Wenn man die untersten Reihen einer Mauer weghaut, sackt die ganze Mauer nach unten – und das war auch das Ziel. Die massiven Reallohnverluste von breiten Teilen der Bevölkerung waren die Folge.  


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