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Titel: Trump, Tichy und das Faktencheckerdilemma

Datum: 29. Mai 2020 um 13:11 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Medien und Medienanalyse, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
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Der Kurznachrichtendienst Twitter hat einen Tweet des US-Präsidenten Trump mit einem selbstgestrickten Faktencheck versehen und sich damit mit seinem mächtigsten und wohl auch bekanntesten Nutzer angelegt. Dies konnte der selbsternannte „Führer der freien Welt“ natürlich nicht auf sich sitzen lassen. In einem rechtlich nicht bindenden Dekret will er nun die digitalen „Plattformbetreiber“ zu redaktionellen Anbietern machen, die man sowohl für Inhalte als auch für ihre Handlungen rechtlich haftbar machen kann. Sicher ist dies in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit vor allem als Ablenkungsmanöver zu werten. Dahinter verbirgt sich jedoch mehr. Zu Ende gedacht wäre dies wohl das endgültige Ende der ohnehin schon bedrohten Meinungsfreiheit in den sozialen Netzwerken. Denn dass eine wirklich unabhängige Faktenprüfung von Nutzerinhalten so gut wie unmöglich ist, zeigte nicht zuletzt der fast zeitgleiche Sieg des alternativen Portals „Tichys Einblick“ über die Facebook-Faktenchecker von „Correctiv“ vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Donald Trump ist der Meinung, dass Briefwahlen einen massiven Betrug darstellen. Nun ja, das ist freilich Blödsinn. Wer dem Präsidenten der USA auf Twitter folgt, hat zugegebenermaßen schon größeren Blödsinn gelesen. Warum der Kurznachrichtendienst ausgerechnet an diesem Tweet ein Exempel statuieren musste, ist und bleibt unklar. Zur Meinungsfreiheit gehört es nun einmal auch, eine blödsinnige Meinung zu haben und so lange man diese im Einklang mit den Gesetzen äußert, ist dies allenfalls eine Stilfrage. Dies sah Twitter jedoch offenkundig anders und fühlte sich bemüßigt, unter besagten Trump-Tweet einen „Warnhinweis“ zu setzen, der die Nutzer mit dem Hinweis auf „Fakten“ zum Anklicken animiert. Was Twitter jedoch dann als „Fakt“ präsentiert, ist – gemessen am „Tabubruch“ – streng genommen eher peinlich.

„Diese [Trumps] Vorwürfe haben laut CNN, Washington Post u.a. keine Substanz. Experten sagen, dass es bei Briefwahlen nur sehr selten zu einem Wahlbetrug kommt“, so der Inhalt des „Faktenchecks“ á la Twitter – kein Link, keine vertiefenden Informationen. Weil CNN und Co. das sagen, ist es halt so. Basta! Das mag in diesem konkreten Fall ja auch richtig sein, jedoch steht hier letztlich auch nur eine (wohl falsche) gegen eine (wohl korrekte) Meinung. Was Twitter in diesem Fall gemacht hat, war strenggenommen genau das, was auch Millionen Nutzer des Dienstes tagtäglich tun – man hat einer als falsch wahrgenommenen Meinung seine eigene als korrekt wahrgenommene Meinung entgegnet. Das Problem: Wenn Joe Doe seinem Präsidenten via Twitter widerspricht, landet diese Antwort irgendwo in der Reihe der tausenden Antworten unter dem präsidialen Tweet, während die Antwort von Twitter nicht nur prominent unter dem Beitrag positioniert ist, sondern zudem durch den in Anspruch genommenen Charakter eines Faktenchecks den Eindruck der Objektivität erweckt. Das Wahrheitsministerium hat den Tweet des Präsidenten als unwahr eingestuft.

Ein Dekret, das nicht zu mehr, sondern zu weniger Meinungsfreiheit führen würde

Auch wenn Twitter in diesem Fall sicherlich der Wahrheit näher kommt als sein erratischer Premium-Nutzer, hat der Nachrichtendienst mit diesem Fakten- oder nennen wir es doch lieber Meinungscheck die Rolle eines neutralen Plattformbetreibers aufgegeben und sich als redaktionelles Medium aufgespielt; denn es ist nicht zu erkennen, in welchem Punkt der besagte Tweet gegen die Nutzerrichtlinien des Dienstes verstoßen haben soll. Wenn Trump nun also Twitter per Dekret als genau jenes redaktionelle Medium einstufen will, ist dies nicht „nur“ eine kindische Reaktion des Präsidenten, sondern Twitters eigene Schuld und im konkreten Fall nicht einmal unberechtigt. Twitter hat als Plattformbetreiber alle Beiträge seiner Nutzer, die weder gegen gültige Gesetze noch gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, gleich zu behandeln. Punkt. Wenn der Dienst stattdessen selektiv redaktionell eingreifen will, ist er ein redaktionelles Medium und muss den Regeln, die für solche Medien gelten, folgen.

Doch was würde das in der Praxis bedeuten? Einige Kritiker von Twitter und Facebook sehen darin sogar einen Vorteil, weil sich die „Plattformen“ dann nicht mehr auf ihre reine technische Funktion als Dienstleister zurückziehen, sondern für sämtliche Schweinereien, die Nutzer auf diesen Plattformen nun mal häufiger anstellen, direkt in Haftung genommen werden könnten. Doch es wäre naiv anzunehmen, dass die Konzerne dieses gewaltige rechtliche Risiko auch eingehen würden. Wenn die Plattformen per Gesetz als redaktionelle Medien eingestuft werden, dann hätten sie auch das Recht – ja sogar die Pflicht – potentiell problematische Inhalte ihrer Nutzer erst gar nicht zu veröffentlichen oder umgehend zu löschen. Das untersagt auch Trumps Dekret nicht. Die einzig logische Folge: Twitter und Facebook würden massiv Beiträge löschen und Nutzer sperren, die Inhalte posten, die in welcher Form auch immer für die Betreiber problematisch sind. Und in einem Punkt hat Trump ja nicht unrecht: Als problematisch werden von den Plattformbetreibern meist Beiträge gesehen, die vom politischen Mainstream abweichen und eine gänzlich andere Position beinhalten als die Publikationen der großen Mainstreammedien. Als Plattform für „Andersdenkende“ wären die sozialen Netzwerke dann endgültig gestorben … und das beträfe nicht nur die Tech-Giganten, sondern auch vorhandene und mögliche Alternativen, da sie ja ebenfalls als redaktionelle Medien eingestuft werden müssten und das volle rechtliche Risiko tragen würden. Damit wäre übrigens auch Donald Trump nicht geholfen. Wäre sein Dekret Gesetz, würde Twitter seine Tweets halt keinem „Faktencheck“ unterziehen, sondern gleich löschen. Das Hausrecht gilt für alle, für Joe Doe genauso wie für den Präsidenten der USA.

Zum Glück ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Trumps Dekret irgendwelche Folgen haben wird. Um dereinst Gesetz zu werden, müsste es zunächst vom Kongress in ein Gesetz gegossen werden. Das wird aber sicherlich nicht geschehen, zumal es in dieser Form mit anderen Gesetzen kollidiert, die dann auch noch geändert werden müssten.

Was ist falsch, was ist umstritten?

Die ganze Posse wirft jedoch auch ein Licht auf ein delikates Problem der sozialen Netzwerke. Soll ein Plattformbetreiber überhaupt den Wahrheitsgehalt von Nutzerbeiträgen überprüfen und wenn, dann wie? Dazu haben die beiden großen Anbieter unterschiedliche Positionen. Twitter will auch weiterhin Warnhinweise ausgeben, wenn Nutzer Informationen verbreiten, die nach Ansicht des Konzerns „falsch“ oder „umstritten“ sind. Diese Ansage ist hoch problematisch, da Twitter nun einmal ein Unternehmen und keine der Neutralität verpflichtete Institution und gar nicht für solche Aufgaben legitimiert ist. Es geht ja nicht um die Frage, ob eins plus eins gleich zwei ist oder nicht. Es geht hier konkret vor allem um weltanschauliche Fragen und Meinungen – letztere kann man subjektiv als falsch oder unwahr empfinden, eine objektive Bewertung ist indes nicht möglich. Echte Falschmeldungen á la „Asylbewerber verspeist blondes Mädchen in Kiel“ sind natürlich eine andere Kategorie und werden qua Gesetz auch nicht einem Faktencheck unterzogen, sondern schlicht gelöscht, wenn sie nicht belegbar sind. Aber alleine der oben zitierte Trump-Tweet zeigt, wie schmal der Grat zwischen subjektiver Meinung und dem Anspruch auf Objektivität ist.

Einen anderen Weg geht – zumindest nach Aussagen seines Chefs Mark Zuckerberg – der Gigant Facebook. Zuckerberg sagte in einem Interview mit Fox-News, er sei „fest davon überzeugt, dass Facebook nicht Schiedsrichter über den Wahrheitsgehalt von allem sein sollte, was Menschen online sagen“. Das klingt sympathisch, hat aber zumindest in Deutschland leider überhaupt nichts mit der Realität zu tun. Auf kleiner Ebene urteilen die Facebook-Mitarbeiter intransparent und gnadenlos subjektiv darüber, was gegen die Nutzungsbedingungen verstößt und was nicht – als Nutzer sind einem da ohnehin die Hände gebunden, kriegt man doch noch nicht einmal eine Begründung, warum dieser oder jener Beitrag nach Ansicht „von Facebook“ gegen welche Nutzungsbedingung verstoßen haben soll. Für die „größeren Fälle“ hat sich Facebook indes die Variante eines externen „Faktenchecks“ von Dienstleistern wie Correctiv verpflichtet und sich damit in ein Dilemma manövriert.

Lesen Sie dazu den Artikel: Ausgerechnet „Correctiv“ soll Facebook von Falschmeldungen befreien? Da wird doch der Bock zum Gärtner gemacht!

Im Grund sind die „Faktenchecks“ von Correctiv und Co. auch nichts anderes als etwas ausführlichere Antworten auf den ursprünglichen Beitrag. Die „Faktenchecker“ könnten diese Beiträge, wie jeder andere Nutzer auch, als Antwort auf die angeblich irreführenden oder falschen Beiträge innerhalb des Netzwerks posten. Doch genau das findet ja nicht statt. Stattdessen werden die „Faktenprüfer“ eigens von Facebook beauftragt und ihre Prüfungsergebnisse werden als vermeintlich objektive Wahrheit dem vermeintlich irreführenden subjektiven Beitrag gegenübergestellt. Die Botschaft ist klar: Der Beitrag ist irreführend, der Faktencheck – das sagt ja auch schon der Name – objektiv und neutral.

Die Faktenchecker scheitern vor Gericht

Dass diese Praxis selbst irreführend ist, zeigt der Erfolg der Plattform „Tichys Einblick“ über „Correctiv“ vor dem Oberlandesgericht in Karlsruhe. Tichys Einblick hatte im September einen Offenen Brief von „500 Wissenschaftlern“ gepostet, die sich kritisch zur Klimapolitik der UN geäußert haben. Facebook beauftragte Correctiv daraufhin mit einem Faktencheck, der zu dem Ergebnis kam, der Beitrag sei „teilweise falsch“. Dieses Verdikt prangte daraufhin direkt unter dem Facebook-Eintrag von Tichys Einblick. Correctiv hatte Zweifel an den Aussagen der „Wissenschaftler“ und stellte infrage, ob die 500 Unterzeichner überhaupt als „Wissenschaftler“ bezeichnet werden können. Diese Teilaspekte interessierten das OLG Karlsruhe jedoch nicht. Tichy und Co. wurde vielmehr Recht gegeben, da der „Faktencheck“ den Eindruck erwecke, Tichy selbst würde Falschmeldungen verbreiten, während die inkriminierten Punkte Gegenstand des Offenen Briefs jedoch nicht der Meldung von Tichys Einblick seien.

Diese formale Erklärung kann nicht wirklich überzeugen, da das OLG zu den drei wichtigsten Punkten nicht Stellung bezog:

  • Nach welchen Kriterien entscheidet Facebook, ob ein Faktencheck unternommen wird?

Es ist ja nicht überraschend, dass hier ein konservatives Alternativmedium überprüft wurde. Wann hat Facebook Deutschland eigentlich einmal einen Faktencheck für die Meldung eines traditionellen Mediums beauftragt? Mir ist kein einziger Fall bekannt. Während alternative Medien nach Ansicht von Facebook offenbar grundsätzlich verdächtig sind, irreführende Meldungen zu verbreiten, werden traditionelle Medien sogar als Beleg für die „Wahrheit“ einer Aussage zitiert. Wer weiß, wie einseitig die Positionen dieser Medien sind, kann da nur verzweifelt den Kopf schütteln. Die NachDenkSeiten berichten täglich über falsche und irreführende Berichte in diesen Medien. Hier wird subjektiv und redaktionell entschieden, wer warum wie und von wem überprüft werden soll. Das macht Facebook jedoch zu einem redaktionellen Medium, wo das Netzwerk nach Aussagen seines Chefs doch eigentlich eine neutrale Plattform sein sollte. Dieser Widerspruch ist nicht aufzulösen.

  • Wer entscheidet bei widersprüchlichen Positionen, was richtig und was falsch ist?

Auch Correctiv ist für viele Fälle kein objektives Schiedsgericht für den Wahrheitsgehalt einer Aussage. Die „Faktenchecker“ können Aussagen lediglich widersprechende Aussagen gegenüberstellen. Nehmen wir den aktuellen Fall des Streits in der wissenschaftlichen Community zur „Kinderstudie“ von Drosten und Co.. Haben die angesehenen Wissenschaftler McConway und Spiegelhalter mit ihrer Kritik an der Studie recht? Selbst angesehene Wissenschaftsjournalisten tun sich hier mit einer Bewertung schwer. Wie soll ein normaler Journalist – und die Faktenchecker von Correctiv sind genau das – hier „schlauer“ sein als Wissenschaftler, die auf ihrem Gebiet angesehene Experten sind und sich gegenseitig widersprechen? Und was für wissenschaftliche Aussagen gilt, gilt für weltanschauliche Meinungsäußerungen um so mehr.

  • Wer verhindert, dass einseitig geprüft und damit Aussagen in Zweifel gezogen werden?

Faktenchecks sind vor allem dann beliebt, wenn es um unterschiedliche Positionen bei den „großen“ weltpolitischen Fragen geht. Gerade hier treffen jedoch die subjektiven Wahrheiten in steter Regelmäßigkeit aufeinander und gerade hier sind die „Faktenchecker“ besonders einseitig aufgestellt. In steter Regelmäßigkeit wird über angebliche „Fake News“ von russischen Medien berichtet. Wann wurde von diesen Faktencheckern jemals von den „Fake News“ der NATO und der USA berichtet? Wenn einseitig geprüft wird, muss das Ergebnis natürlich auch immer einseitig sein. Mit einer wie auch immer gearteten Neutralität oder gar Objektivität hat das dann aber nichts mehr zu tun. Twitter und Facebook sind nicht parteiisch, sie sind Partei.

Wenn Faktenchecks nicht sinnvoll machbar sind, ist es sinnvoll, keine Faktenchecks zu machen

Wahrscheinlich wäre es das Beste, man würde Mark Zuckerbergs Aussage zu einer Selbstverpflichtung machen. Wenn Twitter, Facebook und Co. rein technische Plattformen sind, dann sollte ihnen sogar verboten werden, in welcher Form auch immer inhaltlich Einfluss auf die Beiträge der Nutzer zu nehmen, sofern diese nicht gegen gültige Gesetze verstoßen. Ansonsten kommt man – wie man es auch dreht und wendet – immer in die Situation, eine subjektive Bewertung vorzunehmen, wo eine objektive Bewertung nötig, aber eben nicht praktisch umsetzbar ist. Für den Rest ist die Medienkompetenz der Nutzer verantwortlich.

Titelbild: rationalwiki


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