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Titel: Feiern verboten, Arbeiten erlaubt. Über den Missbrauch des Begriffs „Feiern“

Datum: 2. November 2020 um 16:17 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Demoskopie/Umfragen, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Im Heute Journal vom 1. November interviewte Marietta Slomka den aus der Isolation entlassenen Gesundheitsminister. In diesem 7-minütigen Interview gebrauchte Jens Spahn 7-mal (!) das Wort Feiern. Offensichtlich wird hier in Anlehnung an den Charakter von After-Ski-Partys in Ischgl und anderen wilden Partys ein Wort negativ aufgeladen. Feiern, sich treffen, tanzen, anderen Menschen begegnen, Theater und Konzerte besuchen, zusammen singen und essen gehen, an Ecken rumstehen, auf dem Bolzplatz kicken – das sind ganz wichtige menschliche Bedürfnisse. Die unterschwellige Polemik gegen das Wort „Feiern“ und die daraus abgeleitete Corona-Politik hat für viele Menschen bittere Konsequenzen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Alleinstehende vereinsamen noch mehr, wenn sie nicht mehr ausgehen und sich mit anderen Menschen nicht mehr treffen können.

Jugendliche werden von wichtigen Entwicklungen ihres geistigen und körperlichen Daseins abgehalten.

Kinder begreifen gar nicht, was mit ihnen geschieht.

Alte werden noch mehr isoliert.

Geburtstagskinder können nicht mal ihren runden Geburtstag feiern.

Menschen, die in einem Chor mitsingen und daraus Kraft ziehen für den Alltag, wird diese Stärkung untersagt.

Und jene, die uns als Kneipen, Restaurants, Theater, Tanzschulen usw. die Chance zum Begegnen bieten, werden, obwohl viele von ihnen Vorsorge getroffen haben und sich auf Corona-Regeln eingestellt haben, bitter bestraft.

Die Polemik gegen das Feiern – mit dem auch Besuche im Theater oder im Kino oder im Restaurant oder auf privaten Festen gemeint sind – gründet leider auf einem einseitigen und undifferenzierten Bild. Die Politik wie wahrscheinlich auch die Mehrheit verbindet damit ausschweifendes Verhalten, jugendliches Verhalten. Damit kommt ein Unterton ins Spiel, der die Bedeutung all dessen, was mit Unterhaltung, Theater und Kinobesuch, Zusammensitzen, Zusammenessen, Treffen zusammenhängt, nicht erfasst bzw. falsch versteht. Vermutlich haben Menschen, die wie die Politikerinnen und Politiker 16 oder gar 18 Stunden am Tag arbeiten, den Sinn und die Notwendigkeit der Freizeit und des Feierns vergessen, jedenfalls nicht im Sinn. Was in der letzten Woche beschlossen worden ist und ab heute umgesetzt wird, hat außerdem ein Anti-Jugend-Geschmäckle.

Es ist ja o. k., dass wir arbeiten dürfen und zum Arbeiten in vollen U-Bahnen fahren dürfen. Aber die Fixierung gegen das Feiern ist schon erstaunlich. Als ich vor kurzem las, die Abwertung des Feierns habe mit dem herben Protestantismus der Bundeskanzlerin zu tun, fand ich das ein bisschen weit hergeholt. Die Fixierung des Herrn Spahn und der Regierenden insgesamt auf das Feiern gibt dennoch zu denken. Offenbar konnte man sich zwischen Bundes- und Landesregierungen darauf verständigen, dieser „Untugend“ und damit schwerpunktmäßig auch unserer Jugend auf den Leib zu rücken. Das Wort Feiern hat in manchen Ohren zu unrecht einen negativen Unterton, offensichtlich auch bei den Regierenden. Das führt jetzt im Monat November zu einer grotesken Unverhältnismäßigkeit und unverständlichen, teilweise irren Regelungen. Aber es ist vermutlich populär. Vielleicht ist es auch nur die eingeplante und geschürte Angst, die vielen Menschen zusetzt.

Auf die Mehrheitsfähigkeit der aktuellen Politik deutete der Deutschlandtrend vom 1. Oktober schon hin:

Die Ausweitung der Maskenpflicht hatte eine deutliche Mehrheit und die Obergrenze für private Feiern auch. Andere Umfragen deuten in die gleiche Richtung. Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten/in spürten Rückenwind für einen Teil-Lockdown, dessen Logik vielen nicht einleuchtet – entgegen der Mehrheitsmeinung.

Sehr schön hat Dieter Hallervorden hier von Minute 4:19 bis Minute 4:46 den Irrsinn beschrieben, Theater zu schließen und Friseure offenzuhalten. Wo kommt man sich denn näher?

Titelbild: Dean Drobot / Shutterstock


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