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Titel: Auch die rechte „Mitte“ gilt als links – mit Folgen für die nächsten Wahlen

Datum: 18. Dezember 2020 um 10:14 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, PR, Rechte Gefahr, Strategien der Meinungsmache
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Gelegentlich bekommen die NachDenkSeiten Mails aus der rechtsradikalen Ecke, in denen wir und alles, was nicht weit rechts ist, als „links-versifft“ beschimpft werden. Das kennzeichnet eine interessante Beobachtung: Politikerinnen, Politiker und Medien, die im Kern und im Einzelnen konservative Positionen vertreten, gelten inzwischen als links, wahlweise auch als linksliberal und eben, wenn es hart auf hart kommt, als „links-versifft“. Diese Verschiebung des Blicks auf die politische Geographie wird für die Programmatik und auch bei Wahlen Folgen haben – für die Rechtskonservativen und Rechten positive, für die fortschrittlichen, linken Kräfte bittere Folgen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zunächst war ich unsicher, ob meine Beobachtungen zutreffen. Dann kam im Disput mit dem Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) eine Bestätigung von prominenter Seite. Er hält zum Beispiel den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk schwerpunktmäßig für links und vermisst dort konservative Positionen und damit die Pluralität. Siehe dazu Minute 2:10 bis 8:20 dieses im Oktober 2020 geführten Gesprächs.

Eine weitere Bestätigung kam dann von einem Leser und Freund der NachDenkSeiten. Er bezog sich auf das Gespräch mit Wolfgang Kubicki und ergänzte:

„Mir passiert das hier auch dauernd, dass ich auf diese Argumentation stoße, insbesondere in letzter Zeit des Öfteren und vorwiegend in Unternehmerkreisen. Es wird sogar von einer regelrechten Unterwanderung von links gesprochen; nicht nur Medien, oh Gott, nein, wenn es so weitergeht, wird die ganze Gesellschaft kommunistisch. Dabei handelt es sich durchaus um weltoffene, liberal (echt liberal, freiheitlich) denkende Personen, mit denen ich über weite Strecken völlig einig bin; ähnlich wie Sie mit Kubicki. Probleme in der Wirtschaft (die wollen auch, dass die Leute gut verdienen), Meinungsfreiheit, Werteverluste, Doppelstandards etc. sehen wir ganz ähnlich. Aber dahinter stecken tun die Linken. Dieses Phänomen, dass man Gniffke (seit 1.1.2020 SWR-Intendant, davor verantwortlich für ARD aktuell, d.Verf.) als einen Linken einordnet, das ist ein merkwürdiger Dreh. Sie haben das Kubicki ja erklärt, wen und was Sie überhaupt nicht mehr als Linken betrachten. Da hat er Sie ganz erstaunt und irgendwie auch belustigt angesehen. Dass die SPD keine SPD mehr ist, da schaut der Kubicki ganz verwundet. Ja wo war der denn die letzten Jahre?“

Dieser „merkwürdige Dreh“, diese Verschiebung der politischen Betrachtungsweise bedarf der weiteren Analyse:

  • Wie ist das geschehen? Hierzulande und in den USA zum Beispiel?
  • Ist das absichtlich geschehen?
  • Wer hat ein Interesse daran?
  • Was sind die Folgen?

Die Verschiebung des Blickwinkels, vielleicht könnte man genauer sagen: die Verschiebung der Ordinate nach rechts, ist wesentlich dadurch bewirkt worden, dass alles, was rechts ist, von Pegida bis zur AfD, massiv bekämpft wird und dieser Kampf inzwischen von einer All-Parteien-und-Medien-Koalition getragen wird.

Der Kampf gegen die neue Rechte ist ja ehrenwert. Aber im konkreten Fall hat er dazu geführt, dass sich unter einer Decke, die in großen Lettern mit „Links“ beschriftet ist, Leute und Medien versammeln, die politisch, programmatisch und auch in ihren Grundwerten wenig gemein haben. Dazu gehören letztendlich Gregor Gysi und Annegret Kramp-Karrenbauer; der Milliardär Soros wie auch seine Milliardärskollegen Bezos und Gates gehören genauso dazu wie der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, außerdem Bundeskanzlerin Angela Merkel und der SPD-Bundestagsfraktions-Vorsitzende Rolf Mützenich, der erwähnte SWR-Intendant Gniffke, die Macher der Bild-Zeitung wie auch jene der „Blätter“ und der taz sowieso, der frühere Regierungssprecher Gerhard Schröders, Uwe Karsten Heye, der sich besonders im Kampf gegen Rechts engagiert hat, genauso wie sein Nachfolger Seibert und der Moderator des Heute Journals Claus Kleber. – Aus der Sicht rechtskonservativer bis rechtsnationaler Kreise sind die Genannten alle zusammen links-versifft. Und sie haben weitgehend die Macht.

Der Kampf gegen den scheidenden US-Präsidenten Trump hat viel dazu beigetragen, dieses Image seiner Gegner als linksliberal oder links zu festigen. Biden mag noch so viele Kriege befürwortet und mitgeführt haben, er und seine Familie mögen noch so korrupt sein, die Auseinandersetzung mit dem rechtskonservativen und ungebildeten, mit dem trampelnden Trump hat dem neuen Präsidenten und seiner Entourage ein linkes, fortschrittliches, angenehmes Image verpasst. Und dieses schwappt über den Atlantik.

Alle sind vereint unter der Parole „Wir sind die Guten“.

Ist diese Imagebildung vom Himmel gefallen, ist es zufällig so gekommen oder ist es geplant? Ich weiß das nicht. Ein Leser der NachDenkSeiten, der sich gelegentlich in Milliardärskreisen bewegt, meint, die Verschiebung der Ordinate sei Teil einer ausgedachten und ausgefuchsten Strategie der Supermächtigen und Superreichen. Wenn die Chefs und Eigentümer von Amazon, von Google, von Microsoft als dem progressiven Lager zugehörig gelten, dann ist das sehr angenehm für sie. Dann können sie Ihre Geschäfte unbekümmert im neoliberalen Geiste betreiben. Sie können ihre Monopolrenten kassieren und niedrige Löhne bezahlen. Sie erscheinen trotzdem als linke Mitte unserer Weltgesellschaft. Die dafür notwendige propagandistische Imagebildung wird von den Medien weltweit gefördert und von Stiftungen unterstützt. Ob das so geplant ist? Vieles spricht dafür. Vielleicht können NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser das weitere Geschehen beobachten und dann gelegentlich verifizieren, ob die These stimmt.

Dass Angela Merkel und die sie umgebenden Personen und dass weite Teile der Unions-Führung diese Verschiebung des Blickwinkels geplant haben, ist sehr wahrscheinlich. Das deutete sich schon bei einem wichtigen Vorläufer der jetzigen Entwicklung an: bei der weitverbreiteten und gepflegten Behauptung, Angela Merkel und ihre CDU seien „sozialdemokratisiert“. (Die NachDenkSeiten haben darüber in den letzten Jahren schon viel berichtet.) Diese – nie fundierte – Behauptung von der Sozialdemokratisierung der Union hat das Zustimmungs- und Wählerpotenzial von Angela Merkel und der CDU/CSU enorm erweitert. Damit sind wir bei den Folgen der Ordinaten-Verschiebung.

Die vermutlichen Konsequenzen

Image und Spielraum von CDU und CSU werden erweitert. Sie haben ihr Wählerpotenzial damit beachtlich vermehrt. Sie ziehen Stimmen vermutlich von allen anderen Parteien, die als zum gleichen Lager gehörig eingeschätzt werden, ab – also von der SPD, von der Linken und eventuell auch von den Grünen.

Angela Merkel erscheint ja als so etwas wie die Führerin des linksliberalen Lagers im Kampf gegen rechts. Die Kritik an ihr und an den mit ihr direkt verbundenen Parteien, an CDU/CSU, verstummt zusehends. Wer kritisiert, auch wer als wirklich Linke(r) kritisiert, wird dem rechten Lager zugeschlagen. Das funktioniert auch mithilfe der Begriffe „Querfront“ und „rechtsoffen“.

Mit der neuen Imagebildung für das Unionslager ist die Bildung von schwarz-grünen Koalitionen kein Problem und damit auch kein Thema mehr.

Die Imagebildung ist so kräftig, dass die Union und auch die Grünen und das Mehrheitslager der SPD ihre rechtskonservative und militärisch orientierte Politik unbesorgt weitermachen können. Sie können im Ausland Kriege führen, sie können die Erhöhung des Rüstungsetats fordern, sie können bewaffnete Drohnen anschaffen, sie können den USA weiter erlauben, von Deutschland aus Drohnen und andere militärische Einsätze zu steuern. Sie können die atomare Teilhabe fortsetzen und für die Modernisierung der US-Atomwaffen eintreten. Sie können am neuen Feindbild Russland kräftig weiter malen. Sie können sich zum Werkzeug von üblen Intrigen der Geheimdienste – wie im Fall Nawalny – machen lassen. Sie können, wie von Seiten der SPD geschehen, ihren Markenkern Entspannungs- und Friedenspolitik so von den Füßen auf den Kopf stellen, dass nichts mehr davon übrig bleibt.

Der SPD wird die Anpassung und Integration in den Verein „Wir sind die Guten“ bei den nächsten Wahlen vermutlich nicht helfen. Viele ihrer Wähler merken, welche gewaltige Imageverschiebung stattgefunden hat. Sie werden von der Imagemache nicht beeindruckt und fallen als Wähler und – noch kritischer – als Multiplikatoren aus. Die Umfrageergebnisse zeigen schon, dass die SPD von der Zugehörigkeit zum großen „linken“ Einheitsbrei nicht profitieren wird.

Auch der Linkspartei wird diese neue Entwicklung schaden. Da kann sich Katja Kipping noch so sehr bemühen, gut zu finden, was Frau Merkel macht. Viele Wählerinnen und Wähler wählen lieber das Original.

Profitieren wird wie bisher schon die AfD. Einige Wählerinnen und Wähler werden wie bisher schon und noch mehr den „links-versifften“ Medien nicht glauben und die von diesen Medien geförderten Parteien nicht wählen wollen. Da bleibt dann für sie nur die AfD. Sie profitiert von der Strategie der Union.

Es profitieren auch die Kandidaten für den Vorsitz der CDU, vor allem Norbert Röttgen und Friedrich Merz. Dass beide ausgemachte Atlantiker sind, dass sie eher die Interessen der USA und der NATO als die Interessen unseres Landes vertreten, dass sie gesellschaftspolitisch neoliberal orientiert sind – dies alles wird überlagert und überwuchert vom neuen Image auch dieser Konservativen: links. Der Kampf gegen rechts schweißt auch solche zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Markante Folgen hat die Ordinatenverschiebung auch für die Öffentlich-Rechtlichen Sender. Obwohl bei ihnen de facto fast nichts von der früheren linken Fortschrittlichkeit übriggeblieben ist, obwohl die zentralen Stellen und Sendungen von Neoliberalismus, US-Hörigkeit und Kriegsfreundlichkeit geprägt sind, gelten sie nach wie vor oder neu als „Rotfunk“. Das war ein Etikett, dass man früher zum Beispiel dem Hessischen Rundfunk und dem WDR aufgeklebt hat und das man zum Beispiel an Sendeformaten wie dem Kritischen Tagebuch festmachen konnte. Für die Gesamtheit der Sendungen galt das Etikett auch früher nicht. Jetzt gilt das Etikett „Rotfunk“ de facto überhaupt nicht mehr, aber es wird weiter munter draufgeklebt. Und dieses Image erweist sich als fantastisch. Da kann man dann wie die Tagesthemen 8 Minuten lang Bill Gates interviewen und wie zum Beispiel der Deutschlandfunk unentwegt gegen Russland polemisieren. Es passt alles unter die große Decke und darauf steht „links“ oder „linksliberal“.

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