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Titel: 100 Milliarden Euro fürs Militär und Rüstung. Mehr bornierte Politik geht nicht – es reicht!

Datum: 22. Juni 2022 um 8:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Finanzpolitik, Militäreinsätze/Kriege, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Bundestag und Bundesrat beschließen massive Aufrüstung. Man kann es nicht glauben, aber es ist die bittere Wahrheit. Verfassungsrechtlich abgesicherte und massiv gesteigerte Rüstungsausgaben wurden in einem sozial zerrissenen Deutschland mit einer Armutsquote von rund 16 Prozent, in dem jedes 5. Kind in Armut aufwachsen muss, am 3. Juni 2022 im Bundestag und am 10. Juni im Bundesrat beschlossen. Und das auch vor dem Hintergrund einer weiter existierenden chronischen Arbeitslosigkeit und einem gigantischen Niedriglohnsektor mit Millionen von prekär Beschäftigten sowie einer darniederliegenden öffentlichen Infrastruktur und einer weit unterfinanzierten Bildung und Gesundheit. Außerdem steht das Land vor gigantischen Herausforderungen zur Bewältigung der Klimakrise. Hier sind hohe jährliche Investitionen und soziale Absicherungen notwendig. Von Heinz-J. Bontrup.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Volksvertreter und ihre Parteien, die schon seit über 40 Jahren eine unsägliche marktradikale (neoliberale) Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung und gegen die Natur betreiben, haben es jetzt auch noch fertiggebracht, ein Aufrüstungsprogramm von 100 Mrd. Euro mit einer Verfassungsänderung ins Grundgesetz zu schreiben – es reicht! Von den 735 Volksvertretern stimmten 568 mit Ja, 96 immerhin mit Nein, 20 enthielten sich und 51 stimmten erst gar nicht ab. Von den 39 Abgeordneten der Links-Partei waren bis auf 5, die ihre Stimme nicht abgaben, alle 34 Parlamentarier gegen die Verfassungsänderung. Nur wenige prominente Mitglieder des Bundestages wie Frank Bsirske, ehemaliger Ver.di-Vorsitzender und Fraktionsmitglied für Bündnis90/Die Grünen, stimmten auch gegen ihre Partei.

Das 100-Mrd.-Euro-Aufrüstungsprogramm reichte den Volksvertretern aber noch nicht. Außerdem sollen zukünftig (im Trend) jährlich 2 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) nur fürs Militär und Rüstung verausgabt werden. Das wären 2021 gut 71 Mrd. Euro gewesen. Tatsächlich waren es aber 2021 im Einzeletat 14 („Verteidigungshaushalt“) „nur“ 47,5 Mrd. Euro. Das heißt, zukünftig wird es in Deutschland durch das 2-Prozent-Diktat zu einer Niveauanhebung bei den Militärausgaben um fast 50 Prozent kommen. Relativiert man die Militärausgaben nicht in Bezug auf das BIP, sondern auf den „normalen“ Bundeshaushalt (ohne Sonderausgaben für Corona und Ukraine-Krieg), so wurden 2019 von den gesamten Bundesausgaben in Höhe von 397,0 Mrd. Euro nur fürs Militär 43,2 Mrd. Euro ausgegeben. Das waren 10,9 Prozent. Hierin enthalten sind dann aber nur die Militärausgaben des Einzeletats 14 und nicht auch die verdeckten zusätzlichen Ausgaben in anderen Einzeletats des Bundeshaushalts gemäß der Definition „Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien“.

Und wo bleibt hier die Presse, die „Vierte Gewalt“ in der Demokratie? Sie ist fast unisono für Aufrüstung. Kritische Stimmen gibt es so gut wie nicht. Ich bin der herausragenden und ehemaligen Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, sehr dankbar, wenn sie Folgendes schreibt:

Da tummeln sich Pressevertreter:innen maulheldenhaft in Schützengräben, überschlagen sich bei der Forderung nach noch schwereren Waffen, treiben die Regierung wegen angeblicher Zögerlichkeit vor sich her und spotten über die Warnung des Friedensinstituts Sipri vor einem Atomkrieg. Warum bieten sie sich nicht gleich bei Selenykyj als Söldner:innen an, um mal richtig Krieg zu erleben?

Der Rüstungsirrsinn nimmt kein Ende

Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 den Irrsinn eines sogenannten „Sondervermögens“ für Rüstung im Bundestag verkündete, gab es stehenden Applaus der Volksvertreter. Das erinnerte in fataler Weise an den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Auch damals bejubelten Parlamentarier im Reichstag die umfangreichen Kriegskredite. Nur wenige, wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, waren dagegen. Am Ende bezahlten sie ihr „Dagegensein“ mit ihrem Leben. Sie wurden von einem rechten militärischen Mob und politischen Revisionisten in der SPD umgebracht.

Und heute sprechen sich wieder nur wenige Politiker gegen die unausrottbare Mär von „Aufrüstung schafft Frieden“ aus. Ralph Urban, Vorstandsmitglied der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) sagt zu Recht: „Der Reflex zur Bewaffnung und Aufrüstung als Antwort auf den Angriffskrieg in der Ukraine ist (…) nicht hilfreich. Wir brauchen stattdessen gerade jetzt ein neues Nachdenken über Frieden und Sicherheit, das konkrete Handlungsschritte zur Begrenzung der Klimakatastrophe und eine gerechte Ressourcenverteilung einschließt. Eine neue, nachhaltige Friedensordnung in Europa kann nur durch Deeskalation, Verhandlungen und Abrüstung erreicht werden! Eine Welt, in der jeder Staat aufrüstet und weitere Staaten nach Atomwaffen streben, ist keine sicherere Welt.“

Nach einem Bericht des schwedischen Friedensforschungsinstituts Sipri stocken die neun Atommächte ihre Anzahl an atomaren Sprengköpfen in den kommenden Jahren weiter auf. Zusammen kommen die Länder auf 12.705 Sprengköpfe, wovon Russland über 5.977 und die USA über 5.428 Sprengköpfe verfügen. Dan Smith, Direktor des Sipri-Instituts, bemerkt dazu: „Die derzeit 12.705 Atomwaffen sind viel weniger als die 70.000 Mitte der 80er Jahre. Aber die 12.705 können alles Leben auf unserem Planeten weiter komplett auslöschen. Das sollte schon ein Grund zur Sorge sein. Die einzige Möglichkeit, Politiker zum Handeln zu bewegen, besteht darin, dass die Menschen diese Sorge auf die Tagesordnung bringen. Die Tatsache, dass wir diese Thematik jetzt weit intensiver diskutieren, ist Anlass zu einem gewissen Grad an Optimismus.“

Ein Feindbild muss geschaffen werden

Für mehr Rüstung und am Ende für Krieg, für diesen „organisierten Wahnsinn“ (Willy Brandt (SPD)) durch politische Herrschaftseliten verursacht, braucht es in der Bevölkerung immer ein Feindbild. Das Volk muss auf Krieg eingestellt und vorbereitet werden. Krieg entbehrt hier aber jeder Rationalität, was auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass man von „Gewinnern“ und „Verlierern“ spricht, obwohl feststeht, dass es am Ende eines Krieges nur Verlierer gibt. Das wird auch im Russland-Ukraine-Krieg nicht anders ein. Auch hier werden nur die Toten gezählt und die zerstörte Infrastruktur beklagt werden. Schon jetzt spricht man von Milliarden Euro an Wiederaufbauhilfen für die Ukraine.

Natürlich wissen intelligente Menschen, dass im Krieg der Verstand, die Ratio, aussetzt, was aber auch schon für die Kriegsvorbereitung, für die Propagandaphase, gilt. Und was im Krieg als erstes abhandenkommt, ist die Wahrheit. Deshalb erstaunt es wissenschaftlich auch nicht, dass Herrschende dialektisch zunächst viel über Frieden reden (müssen), und wenn sie das tun, dann kann man sich meist sicher sein, gibt es Krieg. Der vermeintliche Feind muss dazu abgewertet und das eigene Land aufgewertet werden. Wie sagte der neoliberale US-Präsident Ronald Reagan über die Sowjetunion? Sie sei das „Reich des Bösen“, das er „kaputtrüsten“ würde. Und der am 11. August 1984 während einer Mikrofonsprechprobe einen makabren Scherz machte, er habe die „Bombardierung der Sowjetunion angeordnet“.

Bundespräsident Gustav Heinemann warnte dagegen in Anbetracht des nach dem Zweiten Weltkrieg schwelenden Ost-West-Konflikts vor der primitiven ständigen Aggression gegen die Sowjetunion. „Wir müssen erkennen, daß die antisowjetische Hetze den Vorspann für die westliche Rüstungspolitik darstellt.“ Und es war Willy Brandt, der erste SPD-Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, der ab 1969 auf ein friedliches Zusammenleben mit unseren östlichen und westlichen Nachbarn und auf die dazu notwendige Abrüstung setzte; trotz systemischer Divergenzen mit der Sowjetunion. Die Entspannungspolitik von Brandt bis Angela Merkel infrage zu stellen, zeugt nicht nur von einem nicht vorhandenen geschichtlichen Wissen, sondern negiert auch Diplomatie als einzig richtige politische Strategie und setzt dagegen auf eine destruktive Politik der militärischen Bedrohung und Zerstörung.

„Putins Krieg“

Jetzt könnte man argumentieren, dass trotzdem an allem der Kriegstreiber und Aggressor Putin Schuld habe („Putins Krieg“, so u.a. Olaf Scholz). Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier eine Personalisierung betrieben und von einem „Hitler-Krieg“ gesprochen. Damit wollte man sich von jeder kollektiven Schuld in Deutschland befreien. Der US-amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen sprach in diesem Kontext von einem Realitätsverlust in seinem 1996 veröffentlichten und vielbeachteten Buch „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“.

Jeder Krieg, wie auch jetzt der Russland-Ukraine-Krieg, hat keine persönlichen, sondern systemische und jeweils eigene Kausalitäten: Borniertes politisches und gesellschaftliches Überlegenheitsdenken gegenüber anderen Ländern, wirtschaftliche Ausbeutungsfantasien und nicht zuletzt religiöse Doktrinen waren hier schon immer entscheidende Ursachen. Und Krieg war und ist dabei immer ein kollektives Verbrechen von Menschen an Menschen, an Tieren und der Natur. Am Ende werden nur die toten und verletzten Menschen gezählt und die Infrastrukturschäden beklagt. Nach sechs Kriegsjahren im Zweiten Weltkrieg waren es 50 Millionen Tote. Hier zu glauben, daran war nur Hitler schuld, ist absurd. Es war, wie Goldhagen festgestellt hat, eine kollektive deutsche Schuld.

Bertolt Brecht schrieb zum Völkerkongress für den Frieden 1952: „Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“ Deshalb gilt: Die Anwendung von tödlicher Gewalt durch einen organisierten Krieg darf nicht, gemäß dem preußischen Generalmajor Carl von Clausewitz, „die Fortsetzung von Politik mit anderen Mittel“ sein.

Zum ökonomischen Charakter von Militärausgaben und Rüstung

Willy Brandt wusste: Rüstungsausgaben sind nichtreproduktive Ausgaben für jede Volkswirtschaft. Ein produzierter Panzer oder eine Rakete z.B. schaffen nur einmal bei ihrer Herstellung Einkommen und Arbeitsplätze. Zivile Investitionen sind dagegen während ihrer Nutzungsdauer immer wieder produktiv. Darüber hinaus verursachen Rüstungsgüter hohe Opportunitätskosten. Die finanziellen Mittel stehen eben nicht mehr zur Lösung dringender ziviler Probleme wie Hunger, Krankheit, Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit, Umweltbelastung und Ressourcenzerstörung zur Verfügung.

Zudem sind bei staatlichen Rüstungsausgaben überproportionale Profite sicher. Zumal, wenn man das Bundeswehr-Beschaffungsamt (BWB) beim Einkauf der Rüstungsgüter auch noch außen vorhalten will. Hier gäbe es zu viel Bürokratie und Rüstungsunternehmen müssten auch nicht unbedingt einer Preisprüfung gemäß der „Verordnung für Preise bei öffentlichen Aufträgen“ (VPöA) beim Vorliegen nicht marktgängiger und in der Regel unter monopolistischen Bedingungen angebotenen Waffensystemen unterzogen werden. Da reden dann ahnungslose Politiker sogar einer freihändigen Vergabe von Rüstungsgütern das Wort.

Und genau eine solche Vergabe findet jetzt statt, kauft die Bundeswehr doch Flugzeuge und Hubschrauber bei US-amerikanischen Rüstungsfirmen ohne öffentliche Ausschreibung und Preiskontrolle. Es ist dabei übrigens interessant, dass sich die in Konkurrenz zu US-amerikanischen Flugzeugbauern befindende Airbus-Industrie hier nicht aufs Schärfste bei der Politik wegen entgangener Aufträge und einer massiven Wettbewerbsverzerrung beschwert.

Was das 100-Milliarden-Rüstungsprogramm daneben auch besonders ärgerlich macht, ist die verfassungsrechtliche Änderung, ohne zuvor eine breite gesellschaftliche Debatte darüber geführt zu haben, zumal es hinlänglich bekannt ist, dass es große Vorbehalte in der Bevölkerung gegen eine zunehmende Militarisierung gibt. Man stelle sich vor, die Verfassungsväter hätten 1949 intendiert, eine solche Militarisierung ins Grundgesetz zu schreiben. Natürlich kam nicht einer auf ein solch absurdes Ansinnen, geschweige denn die Siegermächte hätten dies zugelassen, selbst die USA mit ihrer Politik eines „Rollback“ gegen die Kommunisten im Osten nicht.

Verfassungsänderung für mehr Rüstung

Jetzt liegen neben vielen anderen zwei ganz schwerwiegende Verfassungsänderungen in der jüngeren Geschichte des Grundgesetzes vor. Beide, sowohl die 2009 ins Grundgesetz geschriebene Schuldenbremse (Art. 109 GG und 109a GG sowie 115 GG) als auch jetzt das Sondervermögen Rüstung (Art. 87a GG), sind kein Ruhmesblatt der deutschen parlamentarischen Demokratie. Zur Schuldenbremse stellt der Politikwissenschaftler Stefan Bajor fest: „Die so genannte Schuldenbremse, also das Ergebnis der Reform des deutschen Kreditverfassungsrechts von 2009, ist nicht, wie manche meinen (…), eine Schlussfolgerung aus der Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008. Diese hätte ja angesichts des Wirkens der (…) keynesianisch inspirierten Konjunkturprogramme eher in anderer Richtung ausfallen müssen. Nein, die Schuldenbremse ist das Ergebnis des neoliberalen Staatsverständnisses, das den privaten Nutzen voranstellt und den öffentlichen Sektor daran hindern will, das Allgemeininteresse an ausreichenden öffentlichen Leistungen vor allem in den Bereichen Gesundheit und soziale Sicherheit, Chancengleichheit und Bildung, Umweltschutz und Kultur zu realisieren. Die strikte Schuldenregel sollte in Kraft gesetzt werden, um Staat und Kommunen daran zu hindern, die eingeschlagene Steuersenkungspolitik der vergangenen Jahrzehnte durch Krediteinnahmen auszugleichen. Am Ende des Weges soll ‚eine neue Stabilitätskultur‘ (…) stehen, in der sich der öffentliche Sektor den privatwirtschaftlichen Interessen allein schon deshalb zu beugen hat, weil ihm die finanziellen Mittel zum Gegensteuern fehlen.“

Umgehung der Schuldenbremse

Dies gilt aber offensichtlich nicht für Rüstungsausgaben. Es muss dann jedoch die Schuldenbremse durch eine Verfassungsänderung umgangen werden, sonst wäre das kontraproduktive Aufrüstungsprogramm über Kredite nicht finanzierbar. Warum, so könnte man fragen, finanziert die Politik die Aufrüstung alternativ dann nicht mit Steuererhöhungen? Wenn man schon von einem „Sondervermögen“ spricht, so ist es dann doch auch nur logisch, eine „Sondersteuer“ für Reiche und Vermögende zur Finanzierung der Rüstungsausgaben zu erheben. Aber selbst mit der jetzt vollzogenen Grundgesetzänderung und der Separierung der Rüstungsausgaben wird die Einhaltung der Schuldenbremse bei einem weiter propagierten Verzicht auf Steuererhöhungen nicht möglich sein. Die notwendigen staatlichen Sozialausgaben, wegen der längst noch nicht überwundenen Pandemie und den Kriegsfolgekosten auch für Deutschland, lassen dies allein schon nicht zu. Und dann ist noch nicht ein zusätzlicher Euro für die darniederliegende öffentliche Infrastruktur, eine unterfinanzierte Bildung und Gesundheit sowie zur Bekämpfung der Klimakrise und Arbeitslosigkeit ausgegeben worden.

Eine Hoffnung gibt es aber noch. Und die müssten die Volksvertreter nicht einmal mehr neu ins Grundgesetz schreiben, weil dies schon vor langer Zeit 1952 mit dem Lastenausgleich (Art. 120a GG) geschehen ist. Der Unterschied ist allerdings, dass das „Rüstung-Sondervermögen“ über staatliche Kredite ermöglicht wird, während sich der Lastenausgleich über eine zusätzliche einmalige Besteuerung von Vermögenden finanziert. Bei der Rüstung geben die Vermögenden dem Staat Kredite, verzinst natürlich, und werden nicht, wie beim Lastenausgleich, mit Steuerzahlungen konfrontiert. Dann gibt es also doch keine Hoffnung! Das wäre auch zu viel des Guten, genauso wie eine mögliche Finanzierung der zumindest dringend notwendigen staatlichen Infrastruktur- und Klimaschutzausgaben durch einen verfassungsrechtlich möglichen Lastenausgleich.

Weltherrschaftsanspruch der USA

Wirkliche Lernprozesse nach dem grausamen Ersten und Zweiten Weltkrieg hat es weltweit bei den sogenannten herrschenden Eliten nicht gegeben. Dafür standen sich zwei völlig konträre politische und wirtschaftliche Systeme unversöhnlich gegenüber. Der Kapitalismus mit einem indirekt demokratisch verfassten politischen Überbau und der Sozialismus mit einem autoritären Staat. Diese doppelte Systemdivergenz, auf Seiten des Westens durch die USA und die 1949 gegründete NATO als ein „Verteidigungsbündnis“, und auf Seiten des Ostens durch die Sowjetunion und den 1955 konstituierten Warschauer Pakt als „militärische Antwort“ auf die NATO, führte in Folge zu einem „Kalten Krieg“. Es kam zu einer zuvor in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen Hochrüstung bis Ende der 1980er Jahre und einem mit Atomwaffen aufgebauten vierfachen Overkill für die Erde. Jeden Moment hätte dieser Wahnsinn in einem Dritten Weltkrieg enden können. Das sogenannte „Gleichgewicht der Kräfte“, die gegenseitige Abschreckung der Atommächte hat dies aber verhindert.

Trotzdem haben die USA, sicher mehr als die Sowjetunion, immer einen Anspruch auf imperiale Ziele (Weltherrschaft) gestellt. Zur Durchsetzung ihrer „vitalen nationalen Interessen“ wurde dabei aufs Militär und Rüstung gesetzt. So verwundert es nicht, dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die meisten Kriege geführt haben, stellt der Politikwissenschaftler Bernd Greiner fest. „Sie sind Spitzenreiter beim Sturz missliebiger, auch demokratisch gewählter Regierungen, unzählige Menschen mussten ihr Leben lassen, Gesellschaften wurden traumatisiert und Staaten ruiniert.“

Geholfen bei dieser destruktiven Politik des „American first“ hat hier bis heute der US-Dollar, die Leitwährung der Welt, ursprünglich 1944 im Bretton-Woods-System festgelegt. Wenn auch das mit Fehlern, u.a. feste Wechselkurse und Goldbindung des Dollars, behaftete Währungssystem 1973 aufgegeben wurde, so behielten die USA bis heute, bei eingeführten flexiblen Wechselkursen und Abschaffung der Goldbindung, ihr „Dollardiktat“. Sie können über ihre Notenbank (Fed) fast unbegrenzt Geld drucken und erhalten zudem vom Ausland ohne große Probleme Kredite. Damit lässt sich dann das Doppeldefizit im Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz finanzieren. Und selbst wenn es zu einer Weltwirtschaftskrise kommt, so flüchtet das internationale Kapital immer wieder in den sicheren „Dollar-Hafen“ und verhindert damit eine größere Abwertung des Dollars. Was würden wohl die USA machen, wenn sie ihre Leitwährung verlieren würden? Wir wollen lieber darüber nicht tiefer nachdenken!

Auflösung der Sowjetunion als vertane Chance

Die weitgehend friedliche Revolution in der Sowjetunion, die mit dem Untergang der realen sozialistischen Welt 1989 ihr jähes Ende fand, war für die Kapitalisten in der gesamten Welt ein Segen. Die ehemaligen Länder der Sowjetunion, mit ihrem Kernland Russland, übernahmen mehr oder weniger das widersprüchliche kapitalistische System im ökonomischen Unterbau. Die abhängig Beschäftigten hatten ihre realiter, zumindest theoretisch gegebene Alternative zum Ausbeutungskapitalismus verloren und die Kapitalisten mussten weiter nicht einmal mehr Rücksicht auf die mühselig errungenen sozialen Fortschritte im Kapitalismus nehmen. Mit dem Untergang der Sowjetunion war aber auch die Hoffnung auf eine „Friedensdividende“ verbunden.

Und tatsächlich kam es zu beträchtlichen Abrüstungen, wenn die Welt sich auch mehr gewünscht hat. Die Rüstungsindustrie geriet in die Defensive und man sprach von „Rüstungskonversion“. Aggressive politische Aufrüstungsfanatiker verschwanden weitgehend von der politischen Bildfläche. Die NATO hatte nach der Auflösung des Warschauer Pakts Legitimationsprobleme. Kurz vor dem Russland-Ukraine-Krieg sprach der französische Präsident, Emmanuel Macron, sogar von einem „Gehirntot“ der NATO und heute auf einmal (wieder) von einem „Bollwerk gegen die Russen“. Gerade wie es politisch passt, aber ohne jegliche wissenschaftliche Substanz.

Beim Untergang der Sowjetunion, aber auch in Deutschland bei der Wiedervereinigung, wurde dann jedoch eine Chance auf eine zielführende neue Wirtschaftsordnung vertan. Einen Weg dahin hat uns der tschechoslowakische Ökonom Ota Šik schon 1979 in seinem Buch „Humane Wirtschaftsdemokratie – ein Dritter Weg“ in den wesentlichen Zusammenhängen und Ableitungen aufgezeigt. Hier schrieb er: „Das kapitalistische marktwirtschaftliche und das kommunistische planwirtschaftliche System in ihrer herkömmlichen Form werden zu wachsenden Entwicklungsschwierigkeiten führen, die schwerwiegende und immer bedrohlichere Gefahren für die Menschen verursachen. Die Entwicklungsmängel beider Systeme sind zwar von unterschiedlichem Charakter, sie lassen sich beide aber durch zeitgemäßeres Wirtschaften unter humanisierenden und demokratisierenden Zielsetzungen überwinden. Wenn das gelingt, kann daraus ein neues Wirtschaftssystem entstehen, das den gefährlichen Systemantagonismus zwischen Ost und West beseitigt.“ Dies passierte aber leider nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht. Der Osten wurde unisono kapitalistisch. Im staatlichen Überbau blieb Russland jedoch ein autokratischer Staat und obwohl der Warschauer Pakt aufgelöst worden ist, blieb die NATO erhalten und sie erweiterte sich zudem immer mehr gegen Osten.

Die Welt ist heute insgesamt kapitalistisch geworden, obwohl sie, wegen der immer mehr zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit und nicht zuletzt auch wegen der Klimakatastrophe, dringend ein widerspruchfreies Wirtschaftssystem benötigt, dass aber nun einmal im Kapitalismus nicht gegeben ist. Die Transformation in eine weitgehend kapitalistische Wirtschaft mit einem autokratischen staatlichen (politischen) Überbau in Russland hat zu Oligarchen in der Wirtschaft geführt, die die Bevölkerung brutal ausbeuten und sich selbst unermesslich bereichern können. Der ehemalige leitende Ökonom der Forschungsabteilung der Weltbank, Branko Milanovic, schreibt dazu: „Die Versuche zur Errichtung eines Rechtsstaates in Russland und Zentralasien sind spektakulär gescheitert und haben zu noch größerer Korruption geführt und in Russland Oligarchen den Weg an die Macht geebnet, die das Land nach einem Jahrzehnt rasanter wirtschaftlicher und rechtlicher Veränderungen (1990-1999) an den Rand des Zerfalls oder eines Bürgerkriegs brachten.“

Aber auch in der westlichen kapitalistischen Welt beuten jeden Tag systeminhärent Kapitalisten abhängig Beschäftigte aus. Diese werden unter der neoliberalen Doktrin reicher und reicher und die Beschäftigten, das gilt jedenfalls für die Masse, bleiben „Habenichtse“ (Oswald von Nell-Breuning). Hier kam es seit der Wiedereinigung, nur in Deutschland, zu einer gigantischen Umverteilung der Wertschöpfungen von rund 1,4 Billionen Euro zu Lasten der Beschäftigten. Das Geld landete im Mehrwert, also bei den Zins-, Grundrente- und Profitempfängern. Und es wird heute in der Diskussion über Krieg und Frieden auch vergessen, dass die westliche Welt mit dem Systemzusammenbruch im Osten riesige Absatzmärkte hinzugewinnen konnte und Russland ein gern gesehener Exporteur für preiswerte Rohstoffe war. Für Russland selbst war dies aber kein Segen. Die wirtschaftliche Entwicklung gelang nicht so richtig. Ohne die enormen Rohstoffvorkommen und deren Exporte wäre Russland heute ein Entwicklungsland, aber selbst auch mit den Rohstoffen ist der östliche Nachbar zwar ein militärischer Riese, aber ein ökonomischer Zwerg geblieben.

Russland blieb ein potenzieller Feind

Im Grunde blieb die Russische Föderation in den Augen des Westens immer ein potenzieller Feind, eine politisch-militärische Bedrohung, wenn Russland auch nur einen Bruchteil der USA und der NATO-Mitgliedsstaaten fürs Militär und Rüstung ausgibt. Mit 738 Milliarden US-Dollar (rund 603 Mrd. Euro) lag das Budget des größten NATO-Landes USA fast vier Mal höher als das von China (193,3 Mrd. Dollar) und mehr als zwölf Mal höher als das von Russland (60,6 Mrd. Dollar). Damit entfielen rund 40 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben auf die USA. Das geht aus einer Rangliste des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) hervor. Demnächst wird Deutschland mehr für Rüstung und Militär ausgeben als Russland.

Die ständige NATO-Ost-Erweiterung, die wiederbelebte Aufrüstung, insbesondere in den USA, haben Russland zunehmend militärisch, aber auch ökonomisch in die Enge getrieben. Dass diese Provokation nicht gutgehen konnte, können nur ganz einfältige Menschen nicht verstehen. Hier kann man dann durchaus zum „Putin-Versteher“ werden und den „Kriegstreibern“ gegen Russland entgegentreten. Wissenschaft muss hier objektive Aufklärung bieten und trotz aller schwerwiegenden Gräultaten, die in jedem Krieg auftreten, immer einen klaren Kopf bewahren und die Dinge rational beurteilen und die Wahrheit offenlegen. Dazu gehört auch der allgemeine (grundsätzliche) Tatbestand, dass, seit es Staaten gibt, organisierte Kriege geführt worden sind. Grausame Vernichtungskriege waren darunter.

Und jetzt will man offensichtlich Russland, wenn man dies schon nicht militärisch mit der größten Atommacht praktizieren kann, zumindest mit einem Wirtschaftskrieg vernichten. Die jetzt gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen treffen aber nicht nur Russland, sondern auch diejenigen, die sie verhängen. Auch Deutschland ist davon betroffen und wird einen hohen Preis bezahlen müssen. In diesem Kontext sind auch die jetzt der Ukraine gemachten Angebote als EU-Beitrittskandidat zu sehen. Offensichtlich wollen EU-Politiker die Hürden für einen sofortigen Waffenstillstand noch höher legen, als sie eh schon realiter geschaffen wurden; ganz abgesehen von einem ökonomisch kontrafaktischen Tatbestand. Wer solche bornierten (esoterischen) Gedanken hegt, und das sind nicht wenige Verfechter in der westlichen Politik, der riskiert alles, am Ende auch einen Dritten Weltkrieg.

Da muss man schon fast dankbar sein, wenn der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau auf die Frage, „Wie stellen Sie sich denn angesichts des Krieges künftig die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sowie Europa und dem Kreml vor?“, antwortet: „Auf lange Sicht würde ich mir ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und Russland natürlich wünschen. Aber auf absehbare Zeit sehe ich da kaum Möglichkeiten. Russland ist durch seinen Angriff ein Paria-Staat geworden. Es wird sehr lange dauern, bis Russland wieder als normaler Partner an den Tisch zurückkehrt.“

Auch Deutschland war in der Geschichte schon zweimal ein Paria-Staat. Ich hoffe, das hat Merz nicht vergessen. Und auch nicht, dass hier die Politik zweimal erbärmlich versagt hat. Nach dem Ersten Weltkrieg waren es dann wieder versagende „Sieger-Politiker“, die Deutschland am liebsten von der Landkarte streichen wollten; nicht minder waren die Vorstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier sei als Kontrapunkt an den herausragenden britischen Ökonomen Sir John Maynard Keynes erinnert, der mit seinem 1919 veröffentlichten Buch „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“ von Versailles für das verhasste Deutschland als Brite Partei ergriff und eindringlich vor einer wirtschaftlichen Schwächung Deutschlands mit den auferlegten Reparationszahlungen warnte. „Keynes prophezeite nichts weniger als ‚einen langen Bürgerkrieg zwischen den Kräften der Reaktion und den verzweifelten Zuckungen der Revolution,“ schreibt die Historikerin Dorothea Hauser, „vor dem die Schrecken des vergangenen Deutschen Krieges verblassen werden und der, gleichgültig wer Sieger ist, die Zivilisation und den Fortschritt unserer Generation zerstören wird‘.“ Der Zweite Weltkrieg war dann der bittere Beweis für Keynes’ Prophezeiung.

Wo ist der „Landeplatz“?

Herbert Wehner (SPD) hat CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag einmal hinterhergerufen, als diese das Parlament auf eine Äußerung von ihm verließen, „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen“. Wie bitteschön will man hier aber noch wieder „reinkommen“, wenn US-Präsident Joe Biden vor der Weltöffentlichkeit Wladimir Putin einen „Verbrecher“ nennt? Wo ist da noch ein „Landeplatz“, ein Exit, für beide Seiten? Mit Putin gäbe es keinen Neuanfang mehr, sagen dann ganz „Schlaue“. Dann müssen wir also warten, bis Putin gestorben ist, um mit seinem Nachfolger und Russland was zu verhandeln und den Krieg zu beenden? Oskar Lafontaine hat recht, wenn er sagt, auch nach Putin wird es Russland geben.

Die Welt kann hier aber nicht warten. Wir brauchen sofort eine Lösung und die kann nur lauten, der Krieg muss umgehend durch einen Waffenstillstand unterbrochen werden und er ist dann am Verhandlungstisch zwischen Russland und der Ukraine zu beenden. Dazu müssen beide Seiten eine Lösung finden, mit der man leben kann und keiner sein Gesicht verliert. Das kann nur bedeuten, beide Seiten werden was geben und erhalten müssen. Das Zauberwort heißt Kompromiss. Als Vermittler sollte UN-Generalsekretär Antonio Guterres mit am Verhandlungstisch sitzen, vielleicht auch der Papst und der russische Patriarch Kyrill. Weitere Waffenlieferungen dagegen, wie von der Ukraine vehement gefordert, widersprechen dagegen einer notwendigen Friedensinitiative und sind hochgradig kontraproduktiv.

Der ehemalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger hat einen, aber mehr einseitigen Vorschlag gemacht. Die Ukraine müsse Territorium an Russland abtreten, damit ein Friedensschluss möglich werde. Überhaupt warnte er vor einer demütigenden Niederlage Russlands, die Europas Stabilität auf lange Zeit gefährden würde. Ähnlich äußerte sich auch Macron. Ohne für die Gebietsabtretungen an Russland aber Sicherheitsgarantien von Russland bezüglich eines weiteren kriegerischen Überfalls zu erhalten, darauf wird sich die Ukraine natürlich nicht einlassen können. Es wird deshalb ganz schwierig werden, damit es nicht zu einem weltweiten Gau kommt. Wenn man gläubig ist, kann man wohl nur noch beten oder mit Albert Einstein konstatieren: „Ich bin [mir] nicht sicher, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im Vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Titelbild: Lightspring/shutterstock.com


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