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Titel: Die Folgen der Nord-Stream-Anschläge für Proteste und Betriebe

Datum: 28. September 2022 um 10:09 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Energiepolitik, Terrorismus, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Zwei Lebensadern für Industrie, Wärme und Wohlstand sind nun gekappt. Unabhängig von der Urheberschaft der Anschläge sind ihre potenziellen Auswirkungen hierzulande stark. Sowohl für die Proteste gegen die selbstzerstörerische Sanktionspolitik als auch für energieintensive Unternehmen sind die Nord-Stream-Anschläge ein Zeichen der Hoffnungslosigkeit: Bisher bestand wenigstens noch die theoretische Möglichkeit, die Regierung durch Widerstand zur Vernunft und damit zu Verhandlungen mit Russland und zu einer Öffnung von Nord Stream 2 zu bewegen. Immerhin eine Sache sollte nun offensichtlich sein: Es herrscht Wirtschaftskrieg gegen Europa. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Proteste gegen die Sanktionspolitik der Regierung, die die proklamierten Ziele nicht erreicht und stattdessen die eigenen Bürger massiv schädigt, verlieren durch die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines eine wirkungsvolle Forderung: Der Slogan „Öffnet Nord Stream 2“ hatte durch seine Einfachheit und seine bezwingende Logik eine zunehmende Kraft entwickelt. Es ist nicht sicher, dass die Regierung dem auch dann noch hätte standhalten können, wenn sich die Folgen der Regierungspolitik und ihres vom Zaun gebrochenen Wirtschaftskrieges gegen ihren wichtigsten Energielieferanten Russland bei den Bürgern voll entfaltet hätten.

Für diesen Strang der Proteste können die Anschläge ein heftiger Rückschlag sein, ein starkes Argument wurde geradezu physisch zerstört. Im Konflikt mit der Protest-Strömung, die nicht die Sanktionen kritisiert, sondern „nur“ mehr Entlastung fordert, ist es eine Schwächung. Auch durch diese Schwächung eines konsequenten Protests könnten nun weitere gefährliche Weichen gestellt werden: Es grenzt an Betrug, die Bürger zu „entlasten“, aber gleichzeitig im Hintergrund die Basis der deutschen Industrie durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu zerstören. Irgendwann werden die Bürger aus den „Entlastungen“ aufwachen und erst dann sehen, dass viele Perspektiven für Wohlstand und Frieden in Europa (beides geht langfristig nur mit dem europäischen Nachbarn Russland) irreparabel zerstört wurden durch radikales und verantwortungsloses Regierungshandeln.

Wirtschaftskrieg gegen Europa

Ein Signal der Endgültigkeit und damit der Hoffnungslosigkeit sind die Anschläge nämlich auch für viele energieintensive Betriebe hierzulande. Denn möglicherweise haben einige – insgeheim und entgegen der Zeichen, die die Regierung sendet – bis zu den Anschlägen doch noch mit einer Rückkehr zur energiepolitischen Vernunft gerechnet, wenn der gesellschaftliche Druck sich erst einmal erhöht hätte. Dass die Herstellung dieses Drucks durch (konsequente) Proteste nun erheblich geschwächt ist, wurde oben beschrieben. Unter anderem durch diese Schwächung könnten destruktive Entwicklungen wie die Tendenz zur industriellen Abwanderung jetzt nochmal beschleunigt werden: Die Berichte über eine drohende Abwanderung deutscher Industriebetriebe hatten ja schon vor den Nord-Stream-Anschlägen an Dramatik zugenommen, etwa warnte kürzlich der BDI-Chef, dass die Industrie „Deutschland verlasse“. Dass solche Abwanderungen dann teilweise durch die USA, die Europa erst zu den selbstzerstörerischen Handlungen gedrängt haben, abgeschöpft werden, wie Medien berichten, ist zusätzlich aufreizend. Dass die USA durch die von ihnen erzwungene Sanktionspolitik langfristig der größte LNG-Lieferant der EU werden könnte, hat Jens Berger bereits gestern erwähnt und unter anderem daraus gefolgert:

„Es herrscht Wirtschaftskrieg – nicht nur zwischen dem Westen und Russland, sondern auch zwischen den USA und der EU; nur, dass dies hierzulande niemand anspricht. Die Sprengung der Ostseepipelines stünde ganz im Zeichen dieses Krieges.

Die USA haben jedoch auch ein geostrategisches Interesse, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe – den alten Feind Russland und den alten Konkurrenten Deutschland.“

Medien und Regierung als Komplizen?

Die Frage, wer zu den Hauptverdächtigen für die Anschläge zählen sollte, wird in dem zitierten Artikel bereits aufgegriffen. Mit den Beschreibungen der großen Vorteile, die die USA von der Politik der EU-Staaten gegen die eigenen Bürger haben, landet man immer wieder bei diesen Fragen der Urheberschaft und des Motivs für die Anschläge auf zivile europäische Infrastruktur: Sicher kann man auch für Russland mit viel Fantasie ein Motiv für die Terrorakte konstruieren, aber naheliegend ist das keineswegs. Darum ist die aktuelle Berichterstattung in den meisten großen deutschen Medien mindestens fragwürdig und von der Qualität dieses „Spiegel“-Artikels. In einem anderen Beitrag findet der „Spiegel“ Äußerungen eines russischen Sprechers „ein bisschen scheinheilig“. Denn:

„Welcher Staat sonst, außer dem, den er repräsentiert, sollte ein Interesse daran haben, die Verunsicherung der europäischen Gasmärkte weiter zu provozieren? Inzwischen ist Russlands Machthaber Putin alles zuzutrauen.“

Die USA (oder auch weniger „offensichtliche“ Verbündete) müssten auf der Liste der Verdächtigen für die Anschläge ganz oben stehen – damit erklärt man sie ja nicht zu Schuldigen. In alle Richtungen sollte ermittelt werden – aber so lange der sehr starke Verdacht besteht, dass unsere „Schutzmacht“ (oder deren Verbündete) unsere zivile Infrastruktur zerstört, weil „wir“ nicht gehorsam sind, muss die Bundesregierung entsprechend reagieren: Eine Regierung, die hier nicht sofort offensiv in diese Richtung ermittelt, ist gefährlich und macht sich zum Komplizen des Wirtschaftskrieges gegen Europa und seine Bürger.

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Titelbild: Frame Stock Footage / shutterstock.com


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