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Titel: Corona-Aufarbeitung: „Ich halte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss für dringend nötig“

Datum: 11. Februar 2023 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Gesundheitspolitik, Interviews, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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„Ignoranz pur“ – So sieht der Politikwissenschaftler Michael Klundt das Verhalten der Verantwortlichen im Hinblick auf die Corona-Maßnahmen. Klundt, der als Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg-Stendal arbeitet, wirft Gesundheitsminister Karl Lauterbach einen „kreativen Umgang“ mit Forschungsergebnissen vor – Lauterbach glaube wohl, dass alle Bürger so vergesslich seien „wie sein unter CumEx-Demenz leidender Chef“. Schonungslos legt Klundt im NachDenkSeiten-Interview den Finger in die Wunden der Pandemiepolitik. Laut Klundt hat sich ein „autoritärer Charakter“ eingeschlichen und er warnt in Anlehnung an Theodor Adorno vor „selbst ernannten Demokraten, die ihre eigene Faschisierung übersehen“. Ein Interview über die Selbstgerechtigkeit der Nach-Corona-Politik und die schweren Schäden, die diese Politik Kindern zugefügt hat. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Klundt, Kinder standen eine Weile im Verdacht, „Treiber der Pandemie“ zu sein. Die Politik hat Kinder massiv in ihren Rechten eingeschränkt. Jetzt heißt es, das sei ein Fehler gewesen. Sind Sie mit dieser Reaktion zufrieden?

Na ja. Die maßgeblichen politischen, wissenschaftlichen und medialen Protagonisten tun jetzt so, als hätten alle so wie sie gedacht und gehandelt. Und das ist schlicht unwahr. Was die zentralen Akteure und ihre medialen Verstärker mit sehr viel Empathie für sich selbst von sich geben, halte ich nicht annähernd für akzeptabel.

Die Politik macht es sich also zu einfach?

Ehrlich gesagt, bin ich einigermaßen erschüttert über soviel Selbstgerechtigkeit in den Reihen der Verantwortlichen und ihrer „Helfer“, wobei ich mir aus Höflichkeit ein anderes Wort verkneife. Fast alle Kritiker der vorherrschenden Haltungs- und Handlungsweisen wurden politisch, medial und wissenschaftlich systematisch ins Abseits gestellt.

Sie selbst haben sich früh geäußert, vor Gefahren dieser Maßnahmenpolitik gewarnt.

Ja, und praktisch alles, was ich und viele andere seit Juni 2020 weitgehend ohne Mainstream-Beachtung in Studien, Aufsätzen und Publikationen diagnostiziert und prognostiziert haben, ist leider eingetroffen. Und dort, wo ich mich geirrt habe, ist es sogar noch schlimmer gekommen, als ich es mir vorstellen konnte.

Seitdem auch noch herausgekommen ist, dass das Regierungs-Narrativ zu Corona in elitären Zirkeln zwischen Regierung, einigen Wissenschafts-Managern, Digitalfirmen und ausgewählten Chefredakteuren systematisch vorab „eingerahmt“ wurde, muss ich sagen: Ich halte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss für dringend notwendig.

Wer Jugendliche lebensgefährlich durch den Park jagt oder Schlittenfahrer kriminalisiert, weil ihnen in freier Natur und mit großem Abstand zu anderen Menschen die Maske verrutscht ist, wer Kleinkindern die Schaukel verbietet und nicht-geimpften 12-Jährigen den Zugang zum Sportplatz verwehrt oder sie anderweitig diskriminiert, muss wissen, dass ein Rechtsstaat so etwas nicht dulden darf, wenn er nicht zu einem Unrechtsstaat verkommen will.

Ganz zu schweigen von der organisierten Facebook-, Twitter- und Youtube-Zensur gegen jegliche Infragestellung der Coronapolitik – inklusive Ausgrenzung unliebsamer Wissenschaftler, Gesundheitsamtsleiter, Richter, Journalisten und Politiker.

Politiker stellen ihre Entscheidungen noch immer als alternativlos dar. Tenor: Wir wussten es nicht besser. Karl Lauterbach setzte die Tage den folgenden “Tweet” ab: „Der Wissensstand war damals nicht gut. Trotzdem waren lange Schulschliessungen im Nachhinein betrachtet nicht richtig. Jetzt gilt es, für Kinder viel zu tun, im Gesundheitssystem geschieht das. Kinder haben Priorität: Kinderkliniken, Praxen, Medikamente“. Was sind Ihre Gedanken?

Ignoranz pur, wenn man sich anschaut, was die Bundesregierungen und Lauterbach seit über zwei Jahren wussten. Drosten sagte Ende 2021 in der ZEIT, dass die Wissenschaftler Anfang 2020 gar keine Schulschließungen gefordert hätten und dass es selbst im Winter 2020/21 klare Alternativen gegeben hätte (vgl. Frankreich).

Lauterbach hatte zum Beispiel am 20. April 2020 bei »Hart, aber fair« in der ARD berichtet, dass unter den nun vielen international und national bekannten Studien zu Corona merkwürdigerweise keine einzige untersuche, ob Kinder tatsächlich Viren-Verbreiter für Erwachsene und Ältere seien (also sog. Spreader). Fortwährend hatten er und andere jedoch weiterhin die schärfsten Maßnahmen zur Einschränkung des Lebens aller Minderjährigen gefordert, ohne die geringste Evidenzbasierung. Und wenn jemand das kritisierte, wurde ihm vom Chor des medialen, politischen und wissenschaftlichen Corona-Wächterrates „Unwissenschaftlichkeit“ vorgeworfen. In diesen Kreisen hieß „Follow the Science“ schlicht „Follow the Power“ oder “Follow the Money”. Und wehe, jemand widersprach.

Stichwort: Lauterbach!

Lauterbachs „kreativer Umgang“ mit Forschungsergebnissen zu Ausgangssperren ist ja schon legendär (er hat auch als erstes Regierungsmitglied in einem Twitter-Rempler gegen Wagenknecht bei „Lanz“ behauptet, wir befänden uns längst im „Krieg mit Putin“ resp. Russland; aber dazu später). Ebenso hat er sich bislang geweigert, schlimmste Auswirkungen wie schwere Depressionen und Suizide von Jugendlichen mit den drastischen Corona-Maßnahmen überhaupt in Verbindung zu bringen. Für ihn war und ist die Pandemie die einzige Ursache aller Probleme.

Wenn man sich die Bedingungen in den Kinderkliniken seit Jahren ansieht, kann man Lauterbachs angeführte Einlassungen eigentlich nur noch als Zynismus werten. Er scheint zu glauben, dass wir alle so vergesslich sind wie er oder wie sein unter CumEx-Demenz leidender Chef. Dessen Behauptungen, er sei „schon immer gegen Impfpflicht“ gewesen – bis zu dem Zeitpunkt, als er behauptete, er sei „schon immer für Impfpflicht“ gewesen – sind wirklich nicht mehr ernst zu nehmen.

Und bei den medialen Scharfmachern könnte ein nicht-wissenschaftlicher Beobachter fast den Eindruck gewinnen, dass sie von der (Verzeihung!) durchs Dorf getriebenen Corona-Sau gleich umgestiegen sind auf die durchs Dorf getriebene Leoparden-Sau in Richtung Ostfront – mit lebensgefährlichen Konsequenzen für uns alle.

Um nur mal ein Beispiel anzuführen. „Der im Innenministerium zuständige Oberregierungsrat Stephan Kohn“ hatte frühzeitig in einem internen Papier die Gefahrenlage durch die Virussituation als wenig dramatisch eingeordnet. Kohn hatte das Papier geleakt, wurde daraufhin suspendiert. Unter diesem Lichte betrachtet: Was hätte die Politik wissen können?

Sagen wir mal so. Allmählich müssten die einseitigen politischen, medialen und wissenschaftlichen Panikattacken auf die Bevölkerung vom „Killer-Virus“, das uns alle sofort tötet, bis zum „absolut nebenwirkungsfreien“ Impfstoff, der uns allen zwingend verabreicht werden muss, weil er „umfassend schützt“ und eine Weitergabe „garantiert verunmöglicht“ (während alle Ungeimpften „asoziale Volksfeinde“ sind), wenigstens annähernd kritisch aufgearbeitet werden. Die Infragestellung dieser Dogmen konnte in den letzten drei Jahren das Risiko einer sozialen Ächtung durch Journalisten, Politiker und Wissenschaftler mit sich bringen.

Mein Credo dabei war und ist jedoch zusätzlich: Selbst, wenn all das stimmte, hätte man gegenüber Kindern anders vorgehen können und rechtsstaatlich vorgehen müssen (Anmerk. Red.: Vgl. Aufsatz von Klundt in Sozial Extra 2022). Und das beweisen nun selbst die einschlägigen Regierungsdokumente der letzten zwei Jahre. Die Tatsache, dass inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass sowohl das regierungsamtliche Corona-Narrativ als auch die vorgeblich alternativlosen Corona-Maßnahmen einer evidenzbasierten Prüfung spotten, darf nachdenklich machen.

In unserem letzten Interview sind Sie auf die konkreten Auswirkungen der Maßnahmenpolitik auf die Kinder bereits eingegangen. Aber bitte nochmal zusammenfassend: Welche Auswirkungen auf Kinder waren zu beobachten?

Viele Studien untermauern, dass buchstäblich eine (politisch mit zu verantwortende, strukturelle) Kindeswohlgefährdung im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention und des SGB VIII festzustellen ist. Das hatte psychosoziale Folgen, wie verschiedene Untersuchungen nachweisen können (Anmerk. Red.: Vgl. Klundt 2022, S. 175ff. ). So hat sich laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung hochgerechnet „infolge der Pandemie und der damit verbundenen Schulschließungen bei 1,7 Mio. 11- bis 17-Jährigen die gesundheitsbezogene Lebensqualität erheblich verschlechtert“ (Anmerk. Red.: Bujard u.a. 2021, S. 72). Das Bundesinstitut ermittelte ferner „477.000 Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren mit Depressivitätssymptomatik“ (ebd.).

Die Süddeutsche Zeitung vom 29. Dezember 2021 stellte unter dem Titel: „Menschenrechte. Hat Deutschland ein Problem mit Kindern?“ besorgt fest: „Schulschließungen in Rekordlänge, keine Kinderrechte im Grundgesetz… Verlass ist in der deutschen Pandemiepolitik bisher fast immer darauf gewesen, dass die Kinder in der Debatte um Maßnahmen zunächst mal vergessen wurden.“

Politiker haben den Kindern schwer zugesetzt.

Und wie! Der Vorrang des Kindeswohls und ihre gesetzlichen Kinderrechte, geschweige denn ihre Mitspracherechte kamen deutlich zu kurz. Die Schulen geschlossen, Treffen mit Freunden verboten, genauso wie der Gang zum Spielplatz oder der Besuch des Sportplatzes. Nicht nur die Süddeutsche Zeitung legte dar, mit welchen Störungen und Schäden Kinder heutzutage in die überfüllten Kinder- und Jugendpsychiatrien kommen. Und für die sozial benachteiligten Kinder in Armut weisen alle bisherigen Studien – insbesondere im Bereich Bildung und Gesundheit – darauf hin, dass für sie diese Probleme noch einmal potenziert wurden und werden.

Jugendlichen wurde ein sehr wertvoller Teil ihres jungen Lebens genommen. Sie konnten sich kaum noch mit Freunden treffen, waren massiv eingeschränkt. Unvergessen die Szene in einem Park in Hamburg, wo ein Polizeiauto Jugendliche regelrecht gejagt hat. Was ist in unserer Gesellschaft passiert, dass es nicht nur zu solchen Szenen gekommen ist, sondern auch, dass ihnen die Gesellschaft, Medien usw. ohne all zu große Empörung begegnet sind?

Vermutlich hat sich ein ziemlich autoritärer Charakter im super-liberalen Gewand voll entfaltet, ein buchstäblicher „Extremismus der Mitte“, der sich momentan auch gegen kriegskritische Intellektuelle wie Krone-Schmalz, Guérot, Ganser, Zuckermann u.a. mit aller zensierenden Gewalt auszutoben scheint und damit Meinungsfreiheit und demokratischen Streit bekämpft. Da hatte Adorno wahrscheinlich schon Ende der 1950er Jahre recht: Viel gefährlicher als offene Neo-Nazis waren und sind nach dem Zweiten Weltkrieg selbst ernannte Demokraten, die ihre eigene Faschisierung übersehen. Ich sehe bei den Verantwortlichen – mit kleinsten Ausnahmen – null Prozent Selbstkritik und 100 Prozent Empathie – allerdings nur mit sich selbst, nicht mit ihren Opfern. Das ist schon bemerkenswert, aber durch die Kriegseskalation ist das schon fast wieder von fast allen vergessen.

Nun gibt es einen Schrei nach Aufarbeitung der Coronapolitik. Wie sieht es mit der Aufarbeitung der Kinderrechtsverletzungen aus?

Immer noch recht schwach – obwohl selbst die Regierungskenntnisse inzwischen umfangreicher geworden sind. Jemand wie Lauterbach weigert sich ja immer noch vehement, überhaupt zu unterscheiden zwischen Corona-Folgen und Corona-Maßnahme-Folgen – geschweige denn Verantwortung zu übernehmen – zum Beispiel für ausgegrenzte Kinder, jugendliche Suizide, einsam gestorbene Heimbewohner oder Opfer von gravierenden und von Lauterbach geleugneten Impfnebenfolgen.

In meinem Buch „Vergleichende Kinderpolitik-Wissenschaft“ von 2022 habe ich einige Forschungsergebnisse zusammengefasst, doch die medialen Reaktionen waren sehr gering. Man wird wie ein Spielverderber behandelt – außerdem kam das Buch mit Beginn der Eskalation des Ukraine-Krieges heraus, sodass medial bereits problemlos vom „Killer-Virus Corona“ übergegangen wurde zum „Killer-Russen im Kreml“.

Lässt sich der Schaden, den Politiker Kindern und Jugendlichen zugefügt haben, nochmal gutmachen?

Sagen wir mal so: Nicht-wissenschaftliche Gemüter könnten auf den folgenden Gedanken kommen: Kaum waren die (Verzeihung!) Corona-Klugscheißer restlos entlarvt, da schulten die meisten von ihnen gleich um in Dusch- und Panzer-Klugscheißer.

Sie sind mächtig wütend, oder?

Ich verspüre Zorn über abschaffbares Unrecht und verantwortungslose Großmäuligkeit. Ich finde, es wird allerhöchste Zeit, Klartext zu reden.

Titelbild: Chris Redan / Shutterstock


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