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Titel: Was ist Glaubwürdigkeit? Sagen, was man tut und tun, was man sagt!

Datum: 15. November 2005 um 16:39 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medien und Medienanalyse, Soziale Gerechtigkeit
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Ich wollte eigentlich zur Verabschiedung Gerhard Schröders als amtierender Kanzler auf dem Bundesparteitag der SPD nichts schreiben. Ich gönne ihm als mir langjährig bekannten Menschen den Jubel und die Rührung zu seinem Abschied. Obwohl ich politisch mit ihm in vielen Dingen überhaupt nicht übereinstimme, will ich gerne respektieren, dass jemand, der das Amt des Bundeskanzlers sieben Jahre ausgeübt hat, bis zur Unmenschlichkeit gefordert, ja überfordert wurde. Allein sein Nein zum Irakkrieg und die Anfeindungen, die er aushalten musste, gehören zu seinen historischen Verdiensten.
Ich will diesmal auch gar nicht seine Abschiedsrede inhaltlich kritisieren, sondern nur sagen was mir dabei klar geworden ist. Ich meine nämlich endlich wirklich erkannt zu haben, worin das viel zitierte „Vermittlungsproblem“ der Regierung Schröder lag: Es ist das Auseinanderklaffen von Reden und politischem Handeln.

Gerhard Schröder hat u.a. folgendes geredet:

Unsere Partei ist ganz gewiss stolz auf ihre Geschichte und auf ihre Traditionen.
Gesellschaftlicher Fortschritt – so viel ist gewiss – ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht denkbar, sondern zum Scheitern verurteilt.

Unser Begriff von sozialer Gerechtigkeit meint eben nicht nur ein subjektives Recht einzelner, das gewährt wird, nein, er meint ein objektives Prinzip, das in der Gesellschaft für die Gesellschaft seine Wirkung entfalten muss. Genau in diesem Sinne hat die soziale Gerechtigkeit in Deutschland nur eine wirkliche Heimat: bei uns, den deutschen Sozialdemokraten.

Ein Staat eben, der schlank sein darf, aber doch nicht krank, der Verantwortung übernimmt für kollektive Lebensrisiken wie Alter, Arbeitslosigkeit oder Krankheit, der Regeln setzt – nicht zu viele und schon gar nicht überflüssige -, aber der dafür sorgt, dass die Stärke des Rechtes sich gegen das Recht des Stärkeren allemal durchsetzen kann.
Das ist die Vorstellung, die wir vom Staat haben: an der Seite der Bürgerinnen und Bürger und nicht vor ihrer Nase, aktivierend und nicht bevormundend. Davon lassen wir auch nicht ab.

Aber natürlich heißt das auch, dass wir in der großen Koalition unsere Identität niemals preisgeben werden. Weil wir wissen, woher wir kommen, wissen wir auch, wo wir zu stehen haben.

Die SPD ist die einzige Partei – das sollten wir immer wieder deutlich machen -, die einen Ausgleich schaffen kann zwischen ökonomischer Effizienz und dem sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Das muss so bleiben.

Das sind Redewendungen, denen kann jeder Sozialdemokrat nur zustimmen und sie bejubeln.
Quelle: SPD Parteitag

Um aber solches Reden am Handeln zu messen, sollten Sie vielleicht noch einmal die Analyse des Chefredakteurs der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, über „Die halbierte Gesellschaft“ lesen, die am selben Tag als Schröder in Karlsruhe geredet hat erschien.

Man könnte der bitteren Realität, die Storz beschreibt, und die ja letztlich die traurige Bilanz – zumindest auch – der zurückliegenden Politik ist, noch viele andere schlimme Auswirkungen gerade der Schröderschen Agenda-Politik hinzufügen, alles würde nur das Storzesche Fazit beweisen:

Die eine Welt hat mit der anderen wenig zu tun.

Bezogen auf Schröders Rede bedeutet das:
Sein Reden (auf dem Parteitag, wie auch schon im Wahlkampf) und sein politisches Programm bzw. die Auswirkungen seines politischen Handelns das sind zwei Welten.

Und genau das ist das eigentliche Vermittlungsproblem zwischen der Praxis sozialdemokratischer Regierungspolitik und der Gesellschaft – genauer der unteren Hälfte der „halbierten Gesellschaft“, der angesichts ihrer persönlichen Erfahrungen mit der praktischen Politik ihr Vertrauen auf das sozialdemokratische Reden immer mehr verloren gegangen ist.

Schröder zog auf dem SPD-Parteitag aber auch noch ein weiteres Resümee:

Wir sind in den letzten Jahren einen guten Weg gegangen, für unsere Partei, für unser Land.

„Für unsere Partei“? Wie das?

Die Feierlichkeiten zum Volkstrauertag, am Tag vor dem SPD-Parteitag hätte die Delegierten in Trauer versinken lassen müssen. In der Neuen Wache in Berlin legten der Bundespräsident, der Bundestagspräsident, der Bundesratspräsident (alle gehören inzwischen der CDU an) und Peter Struck, in Vertretung der Bundesregierung, die Gedenkkränze nieder. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts stammt von der CDU.
Ab 22. November wird auch noch ein weiteres Verfassungsorgan, die Bundeskanzlerin, von der CDU gestellt. Die Union hat inzwischen 11 von 16 Ministerpräsidentenämtern erobert. Die SPD hat zahllose Oberbürgermeister und Ratsmandate in den Städten verloren.
Die politische Landkarte in Deutschland ist in den sieben Jahren, in denen die SPD die Regierung gestellt hat, tiefschwarz geworden.
Die SPD hat allein in der Amtszeit Gerhard Schröders an die zweihundert Tausend Mitglieder verloren und liegt inzwischen als die klassische Mitgliederpartei mit unter sechshunderttausend Mitgliedern deutlich hinter den bürgerlichen Unionsparteien zurück.

Doch der Parteitag jubelte Gerhard über zwölf Minuten zu.

Wie gesagt, ich gönne dem Kanzler einen respektvollen Abschied durch seine Partei, aber der „Klatschtag in Karlsruhe“, der gehört mit zum Realitätsverlust dieser Partei und daraus wächst wenig Hoffnung, dass auch in der SPD Reden und Handeln alsbald wieder in Einklang kommen.

Der Altvater der SPD und Altbundespräsident Johannes Rau hat das Geheimnis seiner erfolgreichen Politik einmal ganz einfach formuliert: Wer das Vertrauen der Menschen gewinnen will, der muss glaubwürdig sein. Glaubwürdigkeit heißt: Sagen, was man tut und tun, was man sagt.
Die SPD und ihre Spitzenpolitiker müssen die Diskrepanz zwischen ihrem Sagen und ihrem Tun aufheben, dann könnten sie das Motto ihres Parteitages einlösen und wieder „Vertrauen in Deutschland“ zurückerwerben.


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